Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung der Sachaufklärungspflicht und des Rechts auf Akteneinsicht durch das FG/Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs bei Leistungen eines Strohmanns geklärt
Leitsatz (NV)
1. Für eine schlüssige Verfahrensrüge der Verletzung der dem FG von Amts wegen obliegenden Sachaufklärungspflicht sind insbesondere Ausführungen dazu erforderlich, aus welchem Grund sich dem FG unter Berücksichtigung seines Rechtsstandpunkts eine weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen.
2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist bei nicht gewährter Akteneinsicht nur verletzt, wenn dem Beteiligten die Akteneinsicht ausdrücklich verwehrt wurde. Bei dem Anspruch auf rechtliches Gehör handelt es sich um ein verzichtbares Verfahrensrecht, das von einem in der mündlichen Verhandlung rechtskundig Vertretenen nur geltend gemacht werden kann, wenn eine Verletzung bis zum Ende der mündlichen Verhandlung gerügt wird.
3. Die Rechtsfrage, welche Sorgfaltspflichten im Rechtsverkehr bei Leistungen eines Strohmannes für die Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs bestehen, ist durch die Rechtsprechung des BFH geklärt.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1, §§ 78, 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 119 Nr. 3; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
FG München (Urteil vom 18.07.2007; Aktenzeichen 3 K 1221/04) |
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) gerügten Verfahrensmängel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen nicht vor.
a) Soweit die Klägerin die Verletzung der dem Finanzgericht (FG) nach § 76 Abs. 1 FGO von Amts wegen obliegenden Sachaufklärungspflicht rügt, hat die Klägerin die Rüge nicht schlüssig erhoben.
aa) Für eine schlüssige Verfahrensrüge wären Ausführungen dazu erforderlich gewesen, welche Tatsachen das FG hätte aufklären müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung voraussichtlich ergeben hätten, inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können und aus welchen Gründen sich dem FG unter Berücksichtigung seines Rechtsstandpunkts die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts hätte aufdrängen müssen (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 28. Juli 2004 IX B 136/03, BFH/NV 2005, 43, m.w.N.).
bb) Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Klägerin in ihrer Beschwerdeschrift nicht.
Die Klägerin führt aus, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht im Hinblick auf die Frage verletzt, ob es sich bei der C-GmbH tatsächlich um eine Scheinfirma gehandelt habe oder nicht. Denn die Feststellung, ob eine Unternehmereigenschaft vorliege oder nicht, sei im Wesentlichen das Ergebnis einer tatsächlichen Würdigung, wobei zur Klärung der streitigen Sachverhaltsfrage alle zu Gebote stehenden Beweismittel zu berücksichtigen und zu würdigen seien bzw. zu würdigen und zu berücksichtigen gewesen wären. Dies habe das FG unterlassen. Das FG hätte insbesondere ermitteln müssen, ob die C-GmbH zum Zeitpunkt der Geschäftsvorfälle einen erreichbaren Geschäftssitz unterhalten habe. Ferner hätte es die übrigen Geschäftsvorfälle der C-GmbH prüfen müssen.
Mit diesem Vorbringen beschränkt sich die Klägerin auf die Behauptung, das FG habe den Sachverhalt zur Unternehmereigenschaft der leistenden Firma unzureichend ermittelt. Es fehlt aber insbesondere der Vortrag, aus welchem Grund sich dem FG unter Berücksichtigung seines Rechtsstandpunkts eine weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen. Entsprechende Ausführungen wären vor allem deshalb besonders angezeigt gewesen, weil das FG im Wege einer Aufklärungsverfügung nach § 79b FGO und der Durchführung einer Beweisaufnahme auch zu dieser Frage aus seiner Sicht alles Erforderliche getan hatte, um den entscheidungserheblichen Sachverhalt festzustellen.
Mit ihrem Vorbringen, sie habe den Nachweis der Leistung durch eine vertretungsberechtigte Person bereits erbracht, sodass dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) nach den Grundsätzen der Feststellungslast der Gegenbeweis obliege, wenn dieses gleichwohl eine Scheinfirma annehme, wendet sich die Klägerin gegen die Beweiswürdigung durch das FG und seine materielle Rechtsauffassung zur Feststellungslast. Dieser Vortrag vermag die Zulassung der Revision nicht zu begründen. Denn die Entscheidung des FG ist entsprechend dem Vortrag der Klägerin das Ergebnis einer materiell-rechtlichen Würdigung der von ihm festgestellten tatsächlichen Umstände des Einzelfalls (vgl. BFH-Urteil vom 7. Juli 2005 V R 60/03, BFH/NV 2006, 139, m.w.N.). Im Streitfall hat das FG in den Entscheidungsgründen seines Urteils ausgeführt, es könne nach der Beantwortung der gerichtlichen Aufklärungsanordnung durch die Klägerin und nach der Würdigung der Aussage des vernommenen Zeugen nicht davon ausgehen, dass die streitbefangenen Sattelzugschlepper von der C-GmbH geliefert worden seien. An diese Würdigung der tatsächlichen Feststellungen ist der BFH gebunden, zumal auch insoweit kein offensichtlicher Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzwidrigen Entscheidung erkennbar ist, der zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO die Zulassung der Revision erfordern würde (vgl. BFH-Beschluss vom 14. Februar 2002 VII B 141/01, BFH/NV 2002, 798).
cc) Soweit die Klägerin unter Hinweis auf den ihrer Ansicht nach noch nicht vollständig ermittelten Sachverhalt nach § 76 FGO im Beschwerdeverfahren Beweisanträge stellt, können diese nicht berücksichtigt werden. Denn die Aufklärung des Sachverhalts obliegt dem FG und nicht dem BFH, der gemäß § 118 Abs. 2 FGO an die tatsächlichen Feststellungen des FG gebunden ist. Im Übrigen haben die Klägerin bzw. ihre damaligen Prozessbevollmächtigten nach Aktenlage weder im Klageverfahren noch in der mündlichen Verhandlung eine entsprechende Beweiserhebung beantragt, sodass ein Rügeverzicht i.S. von § 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung anzunehmen ist (vgl. Gräber/ Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 76 Rz 33, m.w.N.).
b) Auch die von der Klägerin behauptete Verletzung rechtlichen Gehörs i.S. von Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes i.V.m. § 119 Nr. 3 FGO ist nicht gegeben.
aa) Die Klägerin trägt dazu vor, das FG habe trotz ihres entsprechenden Antrags keine Akteneinsicht nach § 78 FGO gewährt. Dieses Vorbringen allein genügt jedoch nicht, um eine insoweit in Betracht kommende Gehörsverletzung (z.B. Gräber/Koch, a.a.O., § 78 Rz 1a) zu begründen. Denn für die schlüssige Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen Verstoßes gegen § 78 FGO (Recht auf Akteneinsicht) reicht allein der Hinweis, das FG habe nach Beantragung der Akteneinsicht nicht reagiert, nicht aus, um die Annahme zu rechtfertigen, das FG habe die Akteneinsicht verweigert. Vielmehr liegt ein Verstoß gegen § 78 Abs. 1 FGO nur dann vor, wenn dem Kläger die Akteneinsicht ausdrücklich verwehrt wurde (vgl. BFH-Urteil vom 27. Februar 1970 VI R 314/67, BFHE 98, 412, BStBl II 1970, 422). § 78 Abs. 1 FGO geht davon aus, dass die Beteiligten jederzeit bei der Geschäftsstelle des Gerichts in die Gerichtsakten und in die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen können (vgl. BFH-Beschlüsse vom 6. Mai 1998 II B 109/97, BFH/NV 1998, 1498; vom 8. Dezember 2006 XI B 59/06, BFH/NV 2007, 737). Darüber hinaus handelt es sich bei dem Recht auf Gehör um ein verzichtbares Verfahrensrecht, das, falls der Beteiligte in der mündlichen Verhandlung rechtskundig vertreten ist, nur geltend gemacht werden kann, wenn seine Verletzung bis zum Ende der mündlichen Verhandlung gerügt wird (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 23. Juli 2003 V B 260/02, BFH/NV 2003, 1595). Die Klägerin hat im Streitfall lediglich mit Schriftsatz vom 5. Mai 2007 Akteneinsicht beantragt, dieses Begehren jedoch lt. Protokoll der mündlichen Verhandlung durch ihre damaligen Prozessbevollmächtigten nicht wiederholt. Eine Ablehnung ihres Gesuchs ist weder behauptet worden noch ersichtlich.
bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin liegt auch keine unzulässige sog. Überraschungsentscheidung vor.
Eine verfahrensfehlerhafte Überraschungsentscheidung ist nur gegeben, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen musste. Auf naheliegende rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte braucht es zumindest dann nicht ausdrücklich hinzuweisen, wenn die Beteiligten fachkundig vertreten sind (vgl. BFH-Beschlüsse vom 2. April 2002 X B 56/01, BFH/NV 2002, 947; vom 11. Februar 2003 XI B 4/02, BFH/NV 2003, 802, jeweils m.w.N.).
Die Klägerin führt hierzu aus, das FG habe den Vorsteuerabzug in seiner Entscheidung überraschend mit der Begründung versagt, sie, die Klägerin, habe vermutlich gewusst, dass die C-GmbH ein Scheinunternehmen sei. Das Argument ihrer etwaigen "Bösgläubigkeit" sei angesichts des Umstandes, dass sie telefonisch eine Handelsregisterabfrage vorgenommen und die C-GmbH aus ihrer Sicht als Leistende zweifelsfrei ermittelt habe, für sie überraschend gewesen. Das FG habe insoweit seine Entscheidung auf Umstände gestützt, zu denen zuvor kein substantiierter Sachvortrag des FA erfolgt sei und welche vorher nie erörtert worden seien.
Dieses Vorbringen ist unzutreffend. Denn schon der Umsatzsteuersonderprüfer hat in seinem Bericht vom 22. Juli 2000 unter Ziffer 2.2 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die C-GmbH ein Scheinunternehmen sei und --auch-- deshalb der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993 zu versagen sei. Für die Klägerin bzw. ihre damaligen Prozessbevollmächtigten war aufgrund dieses Hinweises erkennbar, dass die zwischenzeitlich ergangene Rechtsprechung des BFH zur etwaigen "Bösgläubigkeit" des Leistungsempfängers bei Verträgen mit Scheinunternehmen Bedeutung erlangen könnte (z.B. BFH-Beschluss vom 31. Januar 2002 V B 108/01, BFHE 198, 208, BStBl II 2004, 622, und BFH-Urteil vom 26. Juni 2003 V R 22/02, BFH/NV 2004, 233). Die damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin haben auch während des Klageverfahrens in ihrem Schriftsatz vom 30. Juli 2004 auf das BFH-Urteil in BFH/NV 2004, 233 hingewiesen und Argumente zur Annahme der Gutgläubigkeit der Klägerin vorgetragen. Die stets im Einzelfall zu prüfende Frage der etwaigen Gut- bzw. Bösgläubigkeit des Leistungsempfängers im Hinblick auf den leistenden Unternehmer war mithin schon vor der mündlichen Verhandlung Gegenstand des Klageverfahrens. Allein der Umstand, dass das FG diesbezüglich nach Durchführung einer Beweisaufnahme zu einer von der Klägerin abweichenden Rechtsauffassung gelangt ist, führt zu keiner unzulässigen Überraschungsentscheidung.
c) Soweit die Klägerin die Nichtbeachtung der "vorgelegten Unterlagen" durch das FG als eine Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO in Form eines Verstoßes gegen den klaren Inhalt der Akten rügt, genügt die Beschwerde nicht den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Denn es fehlt schon an dem schlüssigen Vortrag, dass das angefochtene Urteil ohne den behaupteten Verfahrensmangel möglicherweise anders ausgefallen wäre (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 80 und § 116 Rz 49).
2. Die Rechtssache ist auch nicht grundsätzlich bedeutsam i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
Dieser Zulassungsgrund ist nur gegeben, wenn die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die Rechtsfrage anhand der gesetzlichen Grundlagen und der bereits vorliegenden Rechtsprechung beantwortet werden kann und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung der Rechtsfrage durch den BFH geboten erscheinen lassen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 13. Juni 2005 I B 239/04, BFH/NV 2005, 1840, m.w.N.).
Die Klägerin führt in diesem Zusammenhang aus, die Entscheidung des FG sei unrichtig, weil es die neuere Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- (Urteil vom 12. Januar 2006 Rs. C-354/03, C-355/03 und C-484/03 --Optigen--, Slg. 2006, I-483) nicht beachtet habe. Denn die Ausführungen des EuGH in diesem Urteil hätten zur Folge, dass der BFH seine Rechtsprechung zur Versagung des Vorsteuerabzugs bei Leistungen von Scheinunternehmen aufgeben müsse. Insoweit sei eine Vorlage an den EuGH nach Art. 234 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft geboten. Das von ihr, der Klägerin, zitierte Urteil des EuGH betrifft jedoch einen vom Streitfall insofern entscheidend abweichenden Sachverhalt, als der EuGH über den Gutglaubensschutz eines in einem sog. Karussellgeschäft eingebundenen Unternehmers entschieden hat, der selbst nicht an einem sog. mit "Mehrwertsteuerbetrug behafteten" Umsatz beteiligt war. Im Streitfall geht es hingegen um die Versagung des Vorsteuerabzugs im unmittelbaren Verhältnis zu einem leistenden Scheinunternehmen. Da das von der Klägerin genannte Urteil des EuGH schon nicht einschlägig ist, besteht insoweit kein weiterer Klärungsbedarf.
Im Übrigen ist die von der Klägerin aufgeworfene Frage, welche Sorgfaltspflichten im Rechtsverkehr bei Leistungen eines Strohmannes gefordert werden können, durch die Rechtsprechung des BFH bereits geklärt (BFH-Beschluss in BFHE 198, 208, BStBl II 2004, 622, und BFH-Urteil in BFH/NV 2004, 233).
Fundstellen