Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit des Grundfreibetrages und des Kinderlastenausgleichs in den Jahren 1989 und 1990 - AdV wegen ernstlicher verfassungsrechtlicher Zweifel an der Gültigkeit eines Gesetzes
Leitsatz (amtlich)
1. Gegen die Höhe der Grundfreibeträge nach § 32a Abs.1 EStG in den für die Jahre 1989 und 1990 geltenden Fassungen bestehen keine ernsten verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn der Steuerpflichtige über ein ausreichend hohes Einkommen verfügt, so daß ihm unabhängig von der Höhe des Grundfreibetrags und unter Berücksichtigung der abzuführenden Steuern ausreichend Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts verbleiben (Bestätigung von BFHE 165, 415, BStBl II 1992, 91).
2. Der steuerrechtliche Kinderlastenausgleich ist unter Einbeziehung des staatlichen Kindergelds zu ermitteln. Eine summarische Prüfung ergibt, daß er in den Jahren 1989 und 1990 (jedenfalls) für eine Familie mit drei Kindern nicht in verfassungswidriger Weise zu niedrig angesetzt war.
Orientierungssatz
Ebenso wie ernstliche Zweifel an der Richtigkeit von Auslegung und Anwendung eines Gesetzes die Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen, gilt dies auch dann, wenn ernste verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Gültigkeit eines Gesetzes selbst erhoben werden können. Im Hinblick auf den Geltungsanspruch jedes formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes ist allerdings zusätzlich ein --besonderes-- berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich. Dieses kann z.B. wegen eines überwiegenden öffentlichen Interesses, insbesondere dem einer geordneten Haushaltswirtschaft, an der Vollziehung des Bescheids zu verneinen sein (Festhaltung an BFH-Rechtsprechung).
Normenkette
EStG 1990 § 32 Abs. 6, § 32a Abs. 1; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1; EStG 1987 § 32 Abs. 6, § 32a Abs. 1; FGO § 69 Abs. 2
Tatbestand
Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) sind Eheleute, die drei (1981, 1984 und 1987 geborene) gemeinsame Kinder haben. Der Antragsteller ist selbständig tätig; die Antragstellerin erzielt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) setzte die Einkommensteuer für 1989 durch Bescheid vom 20.März 1991 nach einem zu versteuernden Einkommen von 66 827 DM auf 14 296 DM fest. Der Bescheid ist hinsichtlich der Höhe des Grundfreibetrags und der Kinderfreibeträge gemäß § 165 Abs.1 der Abgabenordnung (AO 1977) vorläufig und nach § 164 Abs.1 AO 1977 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen.
Die Einkommensteuer-Vorauszahlungen für 1990 waren zunächst auf 8 444 DM festgesetzt und sind im Einspruchsverfahren auf 3 134 DM herabgesetzt worden. Aufgrund der Veranlagung für 1989 setzte das FA 1991 eine nachträgliche Vorauszahlung für 1990 in Höhe von 7 700 DM fest.
Gegen den Einkommensteuerbescheid für 1989 und den Einkommensteuer-Vorauszahlungsbescheid für 1990 legten die Antragsteller Einsprüche ein, über die noch nicht entschieden ist. Sie beantragten gleichzeitig die Aussetzung der Vollziehung. Zur Begründung führten sie u.a. aus, daß die angesetzten Grund- und Kinderfreibeträge in verfassungswidriger Weise zu niedrig seien. Derselbe Mangel hafte ihren --sämtlich noch nicht bestandskräftigen-- Einkommensteuerveranlagungen ab 1983 an. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Kinderlastenausgleich sowie die des Finanzgerichts (FG) Münster zum Grundfreibetrag seien vom FA für sieben Jahre entsprechende Erstattungen zu leisten. Diese seien insgesamt so hoch, daß sie die nachgeforderte Einkommensteuer 1989 und die Einkommensteuer-Vorauszahlung 1990 überstiegen.
Mit Schreiben vom 25.April 1991 lehnte das FA eine Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuer-Vorauszahlungsbescheids für 1990 unter Hinweis auf Ziff.IV des Schreibens des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 16.Januar 1991 (BStBl I 1991, 91) ab. Hinsichtlich der Einkommensteuer 1989 forderte es die Antragsteller mit Schreiben vom gleichen Tage auf, zu den streitigen Punkten des Einspruchs Stellung zu nehmen; hinsichtlich der Grund- und Kinderfreibeträge verwies es auf seine Ausführungen zum Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 1988. Dort hatte das FA angekündigt, bezüglich der Kinderfreibeträge den Einspruch erst nach Klärung der aufgrund der Entscheidung des BVerfG entstandenen Rechtslage abschließend bearbeiten zu wollen. Eine Entscheidung über den Aussetzungsantrag traf das FA nicht, sondern bat um Mitteilung, für welche der Streitpunkte die Aussetzung beantragt werde. Mit Schreiben vom 28.April 1991 erteilten die Antragsteller teilweise die geforderten Auskünfte und übersandten Belege.
Ebenfalls mit Schreiben vom 28.April 1991 beantragten die Antragsteller bei Gericht, die Vollziehung der angefochtenen Bescheide im Hinblick auf die verfassungswidrige Höhe der Grund- und Kinderfreibeträge auszusetzen. Zur Zulässigkeit des Antrags trugen sie im Laufe des gerichtlichen Verfahrens vor, daß das FA am 12.Juni 1991 die Vollstreckung angedroht habe. Hierin komme eine konkludente Ablehnung der beantragten Vollziehungsaussetzung zum Ausdruck, was ihnen am 17.Juni 1991 auch durch den Sachbearbeiter der Rechtsbehelfsstelle bestätigt worden sei.
Zusätzlich erklärten die Antragsteller mit den ab 1983 zu erwartenden Erstattungen die Aufrechnung.
Die Anträge hatten keinen Erfolg. Das FG ging davon aus, daß sie zulässig, aber nicht begründet seien.
Zur Zulässigkeit führte das Gericht aus, daß das FA die Aussetzung der Vollziehung ausdrücklich weder ganz noch teilweise abgelehnt habe. Durch den gleichzeitigen Hinweis auf für das FA bindende Verwaltungsanweisungen habe es jedoch zum Ausdruck gebracht, daß es gar nicht in der Lage sei, dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zu entsprechen. In einem derartigen Fall sei es formalistisch, eine ausdrückliche Ablehnung der Entscheidung zu verlangen.
Die Anträge seien jedoch nicht begründet, weil hinsichtlich der den Bescheiden zugrunde gelegten Kinderfreibeträge keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit bestünden. Auch etwaige Zweifel an der Verfassungswidrigkeit der Grundfreibeträge seien nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide zu begründen.
Zwar ergebe sich aus der neueren Rechtsprechung des BVerfG, daß das Existenzminimum einer Familie von der Einkommensteuer freigestellt werden müsse. Der Maßstab sei insoweit das sozialhilferechtlich gewährleistete Existenzminimum, das nicht nur durch den sozialhilferechtlichen Regelsatz, sondern auch durch die gesetzlich gewährten Sonderleistungen, die Einmalbeihilfen und laufenden Leistungen für Unterkunft und Heizung gekennzeichnet sei. Hinsichtlich der durchzuführenden Vergleichsberechnung schließe sich der erkennende Senat dem Beschluß des FG Münster vom 1.Februar 1991 16 K 936/90 E (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1991, 253) an. Danach sei das sozialhilferechtlich gewährleistete Existenzminimum eines Zweipersonenhaushalts den einkommensteuerrechtlichen Grundfreibeträgen für im Splittingverfahren zu veranlagende Steuerpflichtige gegenüberzustellen; sonstige steuerliche Förderungstatbestände hätten außer Ansatz zu bleiben.
Der steuerrechtliche Grundfreibetrag decke das sozialhilferechtliche Existenzminimum 1989 lediglich zu 57,89 v.H. und 1990 zu 66,62 v.H. ab.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide begründeten die zu niedrigen Grundfreibeträge jedoch nicht, weil es dem Gesetzgeber freistehe, bei Schaffung realistischer Grundfreibeträge eine maßvolle Tariferhöhung vorzunehmen. Das liege dann noch innerhalb des --weiten-- Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers. Von Verfassungswidrigkeit könne man nur dann sprechen, wenn dem Steuerpflichtigen nach der Steuer vom zu versteuernden Einkommen nicht mehr das tatsächliche Existenzminimum verbleibe. Im Streitfall sei dies nicht der Fall, da den Antragstellern nach Abzug der festgesetzten Steuern über dem tatsächlichen Existenzminimum liegende Beträge von 52 531 DM (1989) und 51 986 DM (1990) verblieben.
Die im Streitfall maßgeblichen Kinderfreibeträge (§ 32 Abs.6 des Einkommensteuergesetzes --EStG-- 1988 bzw. EStG 1990) seien bei summarischer Überprüfung nicht verfassungswidrig. Ausgehend von dem Grundsatz, daß bei der Einkommensbesteuerung ein Betrag in Höhe des Existenzminimums der gesamten Familie steuerfrei bleiben müsse, seien die durch das EStG bis einschließlich 1985 gewährten Kinderfreibeträge verfassungsrechtlich unzureichend gewesen. Für die hier zu beurteilenden Streitjahre lägen die Verhältnisse jedoch anders, da sich --unter Zugrundelegung der Berechnungsweise des BVerfG (Beschluß vom 29.Mai 1990 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BStBl II 1990, 653 unter C. III 4d)-- für die beiden Streitjahre folgender steuerrechtlicher Kinderlastenausgleich ergebe:
1989 1990
Gesamtkindergeld pro Jahr
gemäß § 10 Abs.1 und 2 des
Bundeskindergeldgesetzes
(BKGG) 3 120 DM 3 120 DM
Umrechnung in steuerlichen
Freibetrag auf die Fallgruppe
30 v.H. 10 400 DM 10 400 DM
Kinderfreibeträge nach
§ 32 Abs.6 EStG 1988
bzw. 1990 (3 Kinder) 7 452 DM 9 072 DM
Steuerrechtlicher
Kinderlastenausgleich 17 852 DM 19 472 DM
Demgegenüber habe sich das sozialhilferechtliche Existenzminimum für drei Kinder nach den Ausführungen des BVerfG im Jahre 1982 auf 14 040 DM belaufen. Bei Indexierung dieses Bedarfs ergebe sich nach dem hierfür gesondert ausgewiesenen Index des Statistischen Bundesamtes ein Bedarf von 15 684 DM für 1989 und von 16 038 DM für 1990. Diese Beträge seien geringer als das steuerliche Entlastungsvolumen.
Entgegen der Auffassung der Antragsteller ergäben sich ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide auch nicht daraus, daß aus den Veranlagungen für die Jahre 1983 bis 1988 aufgrund möglicher Gesetzesänderungen eventuell Erstattungen zu erwarten seien. Denn die Rechtmäßigkeit einer Steuerfestsetzung sei allein aufgrund der ihr zugrundeliegenden Besteuerungsmerkmale zu prüfen.
Gegen die Beschlüsse des FG wenden sich die Antragsteller mit der vom FG zugelassenen Beschwerde. Sie wiederholen ihre Auffassung, daß die Kinderfreibeträge der Streitjahre verfassungswidrig zu niedrig angesetzt worden seien und rechtliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Grundfreibeträge bestünden. Soweit das FG meine, daß eine Verfassungswidrigkeit nur vorliege, wenn den Steuerpflichtigen nach der Steuer vom zu versteuernden Einkommen nicht mehr das tatsächliche Existenzminimum verbleibe, habe es gegen Art.1 Abs.1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. Art.20 Abs.1 GG sowie Art.3 Abs.1 GG und Art.6 GG verstoßen. Allein entscheidend sei, daß die Grund- und Kinderfreibeträge nicht ausreichten, das Existenzminimum sowohl der Steuerpflichtigen als auch ihrer Familie steuerfrei zu belassen.
Wegen der Begründung im einzelnen beziehen sich die Antragsteller auf den Beschluß des FG des Saarlandes vom 19.März 1991 1 K 84/91 (EFG 1991, 320 ff.), den sie zum Gegenstand ihres Vortrags gemacht haben.
Das FA weist darauf hin, daß es wegen der zu erwartenden Erstattungsansprüche für die Veranlagungszeiträume 1983 bis 1985 bereits Stundung gewährt habe. Den gestundeten Betrag hätten die Antragsteller selbst aus der Erhöhung der Kinderfreibeträge errechnet.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Mit der Vorinstanz geht der Senat davon aus, daß der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung an das Gericht gemäß Art.3 § 7 Abs.1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) zulässig ist. Er ist jedoch unbegründet; ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen nicht.
Gemäß § 69 Abs.2 Sätze 1 und 2, Abs.3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann die Finanzbehörde oder auf Antrag das FG die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts u.a. dann aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne bestehen, wenn bei einer überschlägigen Prüfung neben für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts sprechenden Gründen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2.Aufl., § 69 Anm.88; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14.Aufl., § 69 FGO Anm.10, jeweils m.w.N.). Ebenso wie aber ernstliche Zweifel an der Richtigkeit von Auslegung und Anwendung eines Gesetzes die Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen, gilt dies auch dann, wenn ernste verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Gültigkeit eines Gesetzes selbst erhoben werden können (BVerfG-Urteil vom 21.Februar 1961 1 BvR 314/60, BStBl I 1961, 63). In diesem Fall verlangt der Bundesfinanzhof (BFH) allerdings im Hinblick auf den Geltungsanspruch jedes formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich ein --besonderes-- berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (BFH-Entscheidungen vom 6.November 1987 III B 101/86, BFHE 151, 428, 434, BStBl II 1988, 134, m.w.N.; vom 2.August 1988 III B 12/88, BFHE 154, 123, 128). Dieses kann z.B. wegen eines überwiegenden öffentlichen Interesses, insbesondere dem einer geordneten Haushaltswirtschaft, an der Vollziehung des Bescheids zu verneinen sein. An diesen Grundsätzen hält der Senat fest.
Eine Überprüfung des vorliegenden Streitfalls anhand der vorstehenden Grundsätze ergibt folgendes:
Soweit sich die Antragsteller gegen die Höhe des Grundfreibetrags in den Jahren 1989 und 1990 wenden, sind bereits ernste verfassungsrechtliche Bedenken zu verneinen. Im übrigen wäre unter den hier gegebenen Umständen auch ein besonderes berechtigtes Interesse an der Aussetzung der Vollziehung nicht gegeben.
Nach der Rechtsprechung des Senats (Entscheidungen vom 8.Juni 1990 III R 14-16/90, BFHE 161, 109, BStBl II 1990, 969; vom 25.Juli 1991 III B 555/90, BFHE 164, 570, BStBl II 1991, 876; vom 9.Oktober 1991 III B 51/91 u.a., BFHE 165, 415, BStBl II 1992, 91) ist die Höhe der Grundfreibeträge verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das sozialhilferechtlich garantierte Existenzminimum unbesteuert bleibt. Dabei ist das sozialhilferechtlich garantierte Existenzminimum bereits dann ausreichend durch die sozialhilferechtlichen Regelsätze berücksichtigt, wenn die Steuerpflichtigen --wie hier die Antragsteller-- über ein ausreichend hohes Einkommen verfügen, so daß ihnen unabhängig von der Höhe des Grundfreibetrags und unter Berücksichtigung der abzuführenden Steuern ausreichend Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts verbleiben.
Die Grundfreibeträge für zusammenveranlagte Eheleute lagen in den Streitjahren mit 9 504 DM (1989) und 11 232 DM (1990) höher als die entsprechenden Regelsätze in der Sozialhilfe. Diese beliefen sich unter Zugrundelegung der Festsetzungen für Nordrhein-Westfalen, von denen das FG ausgegangen ist, auf monatlich durchschnittlich 421,50 DM für 1989 und 439 DM für 1990 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein- Westfalen --GVBl NW-- 1988, 342; 1989, 362; 1990, 327). Bei Berücksichtigung von zusätzlich 80 v.H. der Regelecksätze für den Ehegatten ergeben sich Jahresbeträge von 9 104 DM (1989) und 9 482 DM (1990).
Zu einem anderen Ergebnis kommt man auch dann nicht, wenn man das sozialhilferechtliche Existenzminimum nach den bundeseinheitlich durchschnittlich geltenden Regelsätzen der Sozialhilfe bemißt. Der durchschnittliche Regelsatz lag nach den Festsetzungen zum 1. Juli 1990 bei Einzelsätzen für den Haushaltungsvorstand zwischen 435 DM und 462 DM (für die alten Bundesländer; vgl. Brühl, Mein Recht auf Sozialhilfe, DTV-Verlag, 7.Aufl., S.18) bei 448 DM, so daß sich ein Jahresbetrag von 9 676 DM ergibt. Dieser Betrag, von dem für 1989, aber auch für 1990, noch ein Abschlag zu machen ist, übersteigt die Grundfreibeträge für 1990 nicht und für 1989 nicht nachhaltig.
Entgegen der Auffassung der Antragsteller lassen sich ernstliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die angefochtenen Bescheide auch nicht aus der Höhe der Kinderfreibeträge herleiten.
Nach den Entscheidungen des BVerfG in BStBl II 1990, 653 und vom 12.Juni 1990 1 BvL 72/86 (BStBl II 1990, 664) muß bei der Einkommensbesteuerung ein Betrag in Höhe des Existenzminimums der Familie steuerfrei bleiben. Dabei wird die steuerliche Entlastung für die Kinder nach Auffassung des Senats nicht nur durch die gesetzlichen Kinderfreibeträge, sondern auch durch das Kindergeld bestimmt. Daß auch dem Kindergeld steuerliche Entlastungsfunktion zukommt, entspricht den Vorstellungen des Gesetzgebers, nach denen Kinderfreibetrag und Kindergeld einander ergänzen (BTDrucks 10/2884 S.96), und es wird durch die Neuregelung des § 11a BKGG bestätigt.
Das Kindergeld ist deshalb in einen einkommensteuerrechtlichen Freibetrag umzurechnen und die sich dann ergebende steuerliche Gesamtentlastung den durchschnittlichen Leistungen der Sozialhilfe gegenüberzustellen. Für die vergleichende Übersicht ist nach den Ausführungen des BVerfG in BStBl II 1990, 653, 660 bundeseinheitlich zu verfahren; dabei ist neben den auf altersgestaffelten und in den Ländern in unterschiedlicher Höhe gewährten Regelsätzen auch ein Zuschlag für die durchschnittlich gewährten Sonderleistungen zu berücksichtigen.
Den steuerrechtlichen Kinderlastenausgleich hat das FG deshalb im Prinzip zutreffend aus den Kinderfreibeträgen und den auf Freibeträge umgerechneten Gesamtkindergeldbeträgen von je 3 120 DM für beide Streitjahre ermittelt. Die Kindergeldbeträge hat es allerdings lediglich entsprechend der bei den Antragstellern in den Streitjahren zu berücksichtigenden Besteuerung der Einkommensspitze von 30 v.H. auf Freibeträge von je 10 400 DM in beiden Streitjahren umgerechnet. Eine Vergleichsberechnung allein auf dieser Grundlage dürfte der neueren Rechtsprechung des BVerfG nicht voll gerecht werden. Der Senat versteht die Ausführungen in der Entscheidung in BStBl II 1990, 653, 660 f. vielmehr dahin, daß für die Vergleichsberechnung auf eine durchschnittliche, von vielen Steuerpflichtigen noch erreichte Besteuerung der Einkommensteuerspitze abzustellen ist; das BVerfG nennt in diesem Zusammenhang eine Besteuerung mit 40 v.H. Geht man hiervon aus, so vermindert sich der Umrechnungsbetrag (des Kindergelds von 3 120 DM) auf 7 800 DM. Da sich die Kinderfreibeträge für drei Kinder auf 7 452 DM (1989) und 9 072 DM (1990) beliefen, ergeben sich für den steuerrechtlichen Kinderlastenausgleich Gesamtbeträge von 15 252 DM (1989) und 16 872 DM (1990). Für 1990 dürfte dabei der Entlastungsbetrag eher etwas zu niedrig berechnet sein, weil als Folge der Abflachung der Progressionskurve durch das Steuerreformgesetz (StRG) 1990 ein Spitzensteuersatz von 40 v.H. vermutlich nicht mehr "von einer großen Zahl der Steuerpflichtigen" im Sinne der Ausführungen des BVerfG in BStBl II 1990, 653, 661 erreicht wird.
Das sozialhilferechtliche Existenzminimum für drei Kinder ist dagegen nach dem durchschnittlichen sozialrechtlichen Regelsatz unter Hinzurechnung eines Aufschlags von 30 v.H. für Zusatzleistungen zu ermitteln; den Aufschlagsatz von 30 v.H. entnimmt der Senat --unter Berücksichtigung des damals geltenden durchschnittlichen Regelsatzes-- den vom BVerfG im Urteil in BStBl II 1990, 653, 660 für das Jahr 1982 angesetzten Gesamtleistungen für ein Kind von 318 DM. Der durchschnittliche sozialrechtliche Regelsatz für ein Kind betrug nach der Festsetzung zum 1.Juli 1990 (für das alte Bundesgebiet) bei durchschnittlichen Beträgen von 225 DM, 290 DM, 404 DM und 359 DM für die einzelnen Altersgruppen (vgl. dazu die Zusammenstellung bei Brühl, a.a.O., S.18) 320 DM. Zuzüglich eines Aufschlags von 30 v.H. belief sich das sozialhilferechtliche Existenzminimum für ein Kind also auf 416 DM monatlich bzw. 4 992 DM jährlich. Für drei Kinder ergibt sich dann ein sozialhilferechtliches Existenzminimum von 14 976 DM. Dieser Wert liegt unter den für den steuerrechtlichen Kinderlastenausgleich errechneten Beträgen von 15 252 DM (1989) und 16 872 DM (1990).
Das FG ist dagegen von einer Indexierung des Betrags von 14 040 DM ausgegangen, den das BVerfG in seiner Entscheidung in BStBl II 1990, 653, 661 für den Bedarf von drei Kindern bei einfachen Lebensverhältnissen angegeben hat. Der Senat braucht im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht zu prüfen, ob die vom FG auf dieser Grundlage vorgenommene Indexierung dem Grunde und der Höhe nach zu Recht erfolgt ist. Denn selbst wenn man von den vom FG errechneten Beträgen von 15 684 DM (1989) und 16 038 DM (1990) ausgehen würde, ergäbe sich --für 1989-- nach Auffassung des Senats keine intensive Ungleichbehandlung (vgl. auch dazu BVerfG-Entscheidung in BStBl II 1990, 653, 661 unter Bezugnahme auf BVerfG-Beschluß vom 8.Februar 1983 1 BvL 28/79, BVerfGE 63, 119, 128). Bei überschlägiger Prüfung ist mithin von einem Verfassungsverstoß in einem Fall der hier zu beurteilenden Art nicht auszugehen.
Zu Unrecht meinen die Antragsteller, evtl. Erstattungsansprüche, die sie oder der Antragsteller gegen das FA hätten, müßten zur Aussetzung der Vollziehung führen. Mögliche Erstattungsansprüche berühren die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheids 1989 ebensowenig wie eine Aufrechnungserklärung mit derartigen Ansprüchen (BFH-Urteil vom 23.Juni 1976 I R 165/74, BFHE 119, 418, BStBl II 1976, 676; Tipke/Kruse, a.a.O., § 226 AO 1977 Anm.18). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids 1989 bestehen mithin nicht.
Nichts anderes gilt auch für den Vorauszahlungsbescheid 1990, der sich nach dem für dieses Kalenderjahr voraussichtlich geschuldeten Einkommensteuerbetrag bemißt (§ 37 Abs.1 und 2 EStG). Hiervon ist auch das FG zu Recht ausgegangen. Auf die Voraussetzungen einer wirksamen Aufrechnung braucht der Senat deshalb nicht einzugehen.
Fundstellen
Haufe-Index 64183 |
BFH/NV 1992, 60 |
BStBl II 1992, 729 |
BFHE 168, 174 |
BFHE 1993, 174 |
BB 1992, 1620 |
BB 1992, 1620-1622 (LT) |
DB 1992, 2067 (L) |
DStR 1992, 1130 (KT) |
HFR 1992, 539 (LT) |
StE 1992, 438 (K) |