Entscheidungsstichwort (Thema)
Zweigniederlassung eines Güterfernverkehrsunternehmens als Teilbetrieb
Leitsatz (NV)
1. Auf den Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme kann sich nicht berufen, wer eine rechtzeitige Rüge unterläßt.
2. Von der Lebenserfahrung, daß weit entfernt liegende Niederlassungen eines Güterfernverkehrsunternehmens selbständige Wirkungs- und Kundenkreise haben und daher Teilbetriebe darstellen, kann trotz unterschiedlicher Güterverkehrsgenehmigungen mit beschränkter Reichweite nicht ausgegangen werden, wenn von diesen Standorten der Güterverkehr in und aus dem ehemaligen Ostblock für einen festen Kundenkreis durchgeführt werden konnte.
Normenkette
EStG § 16 Abs. 1 Nr. 1; FGO § 81; GüKG § 6 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine Zweigniederlassung eines Speditions- und Güterverkehrsunternehmens ein Teilbetrieb ist.
Die Sache befindet sich im 2. Rechtsgang; sie war Gegenstand des Senatsurteils vom 29. April 1993 IV R 88/92 (BFH/NV 1994, 694). Der Senat hatte damals das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Finanzgericht (FG) zurückverwiesen. Der Sachverhalt stellt sich nunmehr wie folgt dar:
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betreibt ein Speditions- und Güterfernverkehrsunternehmen mit Hauptsitz in A. Sie unterhielt Zweigniederlassungen in B. und C. Diese veräußerte sie 1986, dem Streitjahr. Die Klägerin meint, der erzielte Veräußerungsgewinn sei tarifbegünstigt.
Der Senat ging in seinem Urteil in BFH/NV 1994, 694 noch davon aus, die Klägerin habe für die Zweigniederlassung B. eine sog. blaue Konzession gehabt, mit der sie mit dem Lkw im Umkreis von nur 150 km von B. aus habe tätig werden können und zu 90 % für Stammkunden Transporte vom Hamburger Hafen erledigt habe. Demgegenüber ist das FG zu der Feststellung gelangt, von B. aus seien -- auch zulässigerweise mit der blauen Konzession -- im wesentlichen der Ostblockverkehr betrieben, aber auch zahlreiche Fahrten ins Inland und die Niederlande unternommen worden. Die Niederlassung habe Anhänger der Hauptniederlassung sowie Anhänger des Sohnes (S.) der Eheleute X. in D. genutzt. Das Unternehmen des S. -- mit Zweigniederlassung in E. und F. -- habe über zwei Güterfernverkehrskonzessionen für den Standort D. verfügt.
Die Niederlassung C. habe -- entgegen der Annahme im Urteil in BFH/NV 1994, 694 -- bereits im Jahr 1983 die gelben Konzessionen gegen rote getauscht. Dadurch sei es möglich gewesen, auf der Hinfahrt in den Ostblock andere Güter als nur Möbel zu transportieren. Auch die Niederlassung C. habe Anhänger der Hauptniederlassung und des S. genutzt. Ausnahmsweise sei auch eine Zugmaschine der Hauptniederlassung eingesetzt worden.
Von A. aus seien zu ca. 38 % Fahrten in den Ostblock ausgeführt worden.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das FG führte u. a. aus, die Niederlassungen B. und C. seien keine Teilbetriebe i. S. von § 16 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gewesen. Das FG verweist für den Begriff des Teilbetriebs auf das Senatsurteil in BFH/NV 1994, 694.
Die Revision ließ das FG nicht zu.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Das FG hat der Beschwerde nicht abge holfen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Dabei kann dahinstehen, ob die Klägerin die Abweichung von einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs -- BFH -- (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) sowie die geltend gemachten Verfahrensmängel entsprechend den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO bezeichnet hat. Denn jedenfalls ist die Beschwerde unbegründet.
1. Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO)
Die geltend gemachten Verfahrensmängel sind jedenfalls unbegründet. Wie die Klägerin einräumt, gilt der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 81 Abs. 1 FGO) nicht ausnahmslos. Im übrigen kann ein etwaiger Verstoß geheilt sein. Denn die Beteiligten können auf die Einhaltung der Vorschriften der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verzichten (BFH-Beschluß vom 26. März 1991 VII R 72/90, BFH/NV 1992, 115 unter 3. c, m. w. N.). Da die Klägerin den jetzt gerügten Verstoß gegen die Verwertung der vom FA eingeführten telefonischen Auskunft -- ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung am 14. Dezember 1995 vor dem FG nicht gerügt hat, hat sie ihr Rügerecht -- falls ein solches bestanden hat -- verloren. Bei den sog. verzichtbaren Verfahrensmängeln geht das Rügerecht nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge; ein Verzichtswille ist nicht erforderlich (BFH-Beschluß, a. a. O.).
Allerdings hat das FA sich im Schriftsatz vom 6. September 1995 für seine Behauptung, daß es der Erwerberin nur auf die Konzessionen angekommen sei, auf die nur telefonisch erteilte Auskunft von Y. berufen. Diese Auskunft hatte die Klägerin auch vorsorglich bestritten, sich jedoch nicht mehr zu der später vorgelegten schriftlichen Bestätigung vom 24. November 1995 durch Y. geäußert und auch dessen Einvernahme als Zeuge nicht beantragt.
Ebenso hatte die Klägerin zunächst vorsorglich zwar der Behauptung des FA widersprochen, die Erwerberin habe für die Niederlassung C. kein Entgelt für ein Wettbewerbsverbot und den Kundenstamm gezahlt, es dann auf den detaillierten, auf das dann vollständig vorgelegte Urteil des FG gestützten Sachvortrag des FA hin aber unterlassen, sich erneut zu äußern und entsprechende Beweisanträge zu stellen.
Es kann daher dahinstehen, ob das angefochtene Urteil auf den gerügten Verfahrensmängeln beruhen kann.
2. Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO)
Das angefochtene Urteil beruht nicht auf einer Abweichung von einer Entscheidung des BFH. Zu Recht macht das FA darauf aufmerksam, daß das FG sich nicht nur ausdrücklich auf die vom erkennenden Senat im 1. Rechtsgang aufgestellten Grundsätze bezogen, sondern diese auch erkennbar berücksichtigt hat. Die Auffassung des erkennenden Senats im Urteil in BFH/NV 1994, 694 unter 5. a, daß es sich um mehrere selbständige, örtlich weit von einander entfernt liegende Wirkungskreise handele, fußte auf der damals unstrittigen Feststellung, daß für B. eine sog. blaue Konzession mit 90 % Festaufträgen für Stammkunden und für C. sog. gelbe Konzessionen vorgelegen hatten. Es stand zudem nicht fest, ob die Niederlassung B. über die für die Annahme der gewissen Selbständigkeit erforderliche Ausstattung verfügte.
Von der Rechtsauffassung des Senats ist auch das FG ausgegangen. Es hat aber -- aufgrund hier nicht mehr strittiger Feststellungen (vgl. zur dann fehlenden Bindungs wirkung Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 126 Anm. 21) -- angenommen, daß es für B. -- u. a. mangels wirklicher Begrenzung durch die blaue Konzession -- die im Urteil des erkennenden Senats vorausgesetzten, weit entfernt liegenden selbständigen Wirkungs- und Kundenkreise nicht gegeben hat. Da somit von C. aus der Güterverkehr in und aus dem Ostblock durchgeführt werden konnte, griff auch die vom erkennenden Senat herangezogene Lebenserfahrung nicht. Das galt wegen des Umtauschs der sog. gelben in rote Konzessionen und damit mangels wirklich fester Kundenstämme für Transporte in den Ostblock auch für die Niederlassung C., zumal die Kunden für den Transport aus dem Ostblock weit entfernt in Bayern und Österreich waren. Zudem waren beide Niederlassungen nach den Feststellungen des FG immer wieder auf die Übernahme von Transporten durch die Hauptniederlassung angewiesen, die ihrerseits ebenfalls in beträchtlichem Umfang Transporte von und in den Ostblock durchführte. Die Niederlassungen B. und C. waren zudem auch ständig auf Anhänger der Hauptniederlassungen angewiesen.
Das FG ist auch nicht etwa deshalb von den genannten Entscheidungen des BFH vom 27. Juni 1978 VIII R 26/76 (BFHE 125, 538, BStBl II 1978, 672) und vom 12. September 1979 I R 146/76 (BFHE 129, 62, BStBl II 1980, 51) abgewichen, weil es entgegen dem dort aufgestellten Grundsatz nicht auf die Verhältnisse des Veräußerers, sondern die des Erwerbers abgestellt hätte. Zwar hat das FG ausgeführt, daß es den Erwerbern der beiden Niederlassungen wirtschaftlich allein um die Konzessionen gegangen sei. Aber das waren nur Erwägungen im Zusammenhang damit, ob es für die Annahme einer Teilbetriebsveräußerung ausreiche, daß die beiden Niederlassungen die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 des Güterkraftverkehrsgesetzes erfüllten. Das ist aber nach dem Senatsurteil in BFH/NV 1994, 694 allein nicht entscheidend, vielmehr kommt es danach zusätzlich darauf an, ob die Niederlassungen die notwendige personelle und sachliche Ausstattung haben, damit die notwendige gewisse Selbständigkeit bejaht werden kann. Gerade das hat das FG verneint. Ob diese Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse zwingend oder zutreffend ist, ist für die Frage der Abweichung jedoch unerheblich (BFH-Beschluß vom 20. Februar 1980 II B 26/79, BFHE 129, 313, BStBl II 1980, 211).
Von einer weiteren Begründung wird gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs abgesehen.
Fundstellen
Haufe-Index 422196 |
BFH/NV 1997, 761 |