Entscheidungsstichwort (Thema)
Darlegung von Revisionszulassungsgründen: Voraussetzungen für Stundung und Vollstreckungsaufschub
Leitsatz (NV)
1. Es ist nicht klärungsbedürftig, dass ein Vollstreckungsaufschub nicht gewährt werden kann, wenn im Fall seiner Gewährung der Steuerrückstand voraussichtlich erst nach mehreren Jahren beglichen würde.
2. Wurde ein bestimmter Akteninhalt zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem FG gemacht und hat sich der Kläger daraufhin weder inhaltlich geäußert noch eine Vertagung beantragt, so liegt in diesem Verhalten ein Verzicht auf die Rüge eines etwa gegebenen Verfahrensmangels.
3. Im Regelfall ist davon auszugehen, dass das FG sowohl den Inhalt der ihm vorgelegten Akten als auch den Vortrag in der mündlichen Verhandlung zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigt hat.
Normenkette
AO §§ 222, 258; FGO § 96 Abs. 1 S. 2, § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 119 Nr. 3
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (Urteil vom 21.07.2008; Aktenzeichen 12 K 4019/07 AO) |
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) im Hinblick auf rückständige Einkommensteuer eine Stundung gemäß § 222 der Abgabenordnung (AO) oder ein Vollstreckungsaufschub (§ 258 AO) gewährt werden muss. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) hat entsprechende Anträge des Klägers abgelehnt und die dagegen gerichteten Einsprüche zurückgewiesen. Das Finanzgericht (FG) hat die deshalb erhobene Klage abgewiesen, ohne die Revision gegen sein Urteil zuzulassen.
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger geltend, dass die Revision nach § 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen sei.
Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die vom Kläger geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision liegen, soweit sie ordnungsgemäß dargelegt worden sind, nicht vor.
1. Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision gegen ein finanzgerichtliches Urteil u.a. zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1) oder das Urteil auf einem geltend gemachten und vorliegenden Verfahrensmangel beruhen kann (Nr. 3). Wird auf einen dieser Gründe eine Nichtzulassungsbeschwerde gestützt, so muss der Grund in der Beschwerdebegründung dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Bei der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde können nur die ordnungsgemäß dargelegten Zulassungsgründe berücksichtigt werden.
2. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache erfordert Ausführungen dazu, dass im konkreten Fall eine Rechtsfrage entscheidungserheblich ist, die im Interesse der Allgemeinheit der Klärung bedarf. Daran fehlt es im Streitfall:
a) In der Beschwerdebegründung wird zunächst die Frage als klärungsbedürftig bezeichnet, ob ein Anspruch auf Stundung nach § 222 AO besteht, "solange über einen Antrag auf Anrechnung der in einem anderen Mitgliedstaat der EU geleisteten Ertragsteuern … noch nicht rechtskräftig entschieden ist, da der Steuergläubiger die Anrechnung von der Vorlage nicht verfügbarer ausländischer Steuerbescheide abhängig macht und auch ein wegen dieser Schuld laufendes Verständigungsverfahren noch nicht beendet ist". In diesem Zusammenhang legt der Kläger aber nicht dar, inwieweit erstens ein Interesse der Allgemeinheit an der Klärung dieser Frage bestehen und zweitens eine etwa notwendige Klärung im Streitfall erfolgen könnte. Er beschränkt sich vielmehr insoweit auf Ausführungen dazu, dass unter den genannten Umständen die sofortige Erhebung der Steuerforderung eine "erhebliche" Härte i.S. des § 222 AO sein könne; damit macht er aber letztlich nur geltend, dass die --davon abweichende-- Sicht des FG unzutreffend sei. Das reicht zur Darlegung eines Grundes für die Revisionszulassung nicht aus.
b) Im Ergebnis dasselbe gilt im Hinblick auf die vom Kläger formulierte Frage, ob die Vollstreckung des Steueranspruchs unter den vorstehend genannten Umständen auch dann als unbillig i.S. des § 258 AO anzusehen ist, wenn sich ein notwendiger Vollstreckungsaufschub über einen Zeitraum von etwa drei Jahren erstrecken würde. Insofern ist nämlich zum einen durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) geklärt, dass ein Vollstreckungsaufschub nur dann gewährt werden kann, wenn die Vollstreckung oder eine einzelne Vollstreckungsmaßnahme dem Schuldner einen unangemessenen Nachteil bringen würde und dieser Nachteil durch kurzfristiges Zuwarten oder durch eine andere Vollstreckungsmaßnahme vermieden werden könnte (BFH-Urteil vom 31. Mai 2005 VII R 62/04, BFH/NV 2005, 1743, 1744; BFH-Beschluss vom 12. Dezember 2005 VII R 63/04, BFH/NV 2006, 900, 901 f., m.w.N.). Zum anderen ist geklärt, dass von einem "kurzfristigen" Zuwarten nicht mehr ausgegangen werden kann, wenn eine vollständige Begleichung des Steuerrückstands erst nach mehreren Jahren zu erwarten ist (BFH-Urteil in BFH/NV 2005, 1743, 1744; BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 900, 902, m.w.N.). Angesichts dessen hätte der Kläger dartun müssen, dass und aus welchen Gründen dennoch im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig ist, ob unter den von ihm aufgezeigten sehr spezifischen Voraussetzungen ein Tilgungszeitraum von bis zu drei Jahren im Hinblick auf § 258 AO unschädlich sein kann. Das ist nicht geschehen. Der Kläger leitet aus den genannten Entscheidungen vielmehr die dort nicht getroffene Aussage ab, dass eine innerhalb von fünf Jahren zu erwartende Tilgung "kurzfristig" sei, und stützt darauf seine revisionsrechtliche Argumentation. Dieses Vorgehen kann der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zum Erfolg verhelfen.
c) Schließlich beanstandet der Kläger, dass die vom FG vorgenommene Auslegung des § 222 AO und des § 258 AO mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar sei. Auch insoweit beschränkt er sich jedoch auf Ausführungen zum materiellen Recht ohne revisionsrechtlichen Bezug. Daher fehlt es insgesamt an einer Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
3. Einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO sieht der Kläger zunächst darin, dass das FG Akteninhalt verwertet habe, der ihm --dem Kläger-- erst in der mündlichen Verhandlung bekannt geworden und insbesondere nicht Bestandteil der von ihm zuvor eingesehenen Akten gewesen sei. Mit dieser Rüge beanstandet er eine Verletzung des Rechts auf Gehör (§ 119 Nr. 3 FGO). Im Ergebnis kann er mit ihr aber nicht durchdringen.
Denn nachdem das FG den betreffenden Akteninhalt --es geht um das Ergebnis einer Liquiditätsprüfung seitens des FA-- zum Gegenstand der Verhandlung gemacht hat, wäre es dem Kläger möglich gewesen, sich dazu zu äußern. Wenn er sich dazu nicht in der Lage sah, hätte er eine Vertagung der Verhandlung beantragen können. Das ist nicht geschehen, womit der Kläger auf die Rüge eines insoweit etwa vorliegenden Verfahrensmangels verzichtet hat. Ein solcher Verzicht ist wirksam und führt dazu, dass die betreffende Rüge im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht mehr mit Erfolg erhoben werden kann (Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 119 Rz 12, m.w.N.). Zudem hat der Kläger nicht angegeben, was er zusätzlich vorgetragen hätte, wenn er frühzeitiger über die Liquiditätsprüfung und deren Ergebnis unterrichtet worden wäre; auch das gehört jedoch zu einer ordnungsgemäßen Rüge der Verletzung des Rechts auf Gehör (BFH-Beschluss vom 15. Oktober 2008 X B 170/07, BFH/NV 2009, 167; Ruban in Gräber, a.a.O., § 119 Rz 15, m.w.N.).
4. Ebenso geht die Rüge des Klägers fehl, dass das angefochtene Urteil einer nachvollziehbaren Begründung entbehre. Insoweit ist zwar einzuräumen, dass die die Entscheidung tragenden Erwägungen im Urteil nur kurz ausgeführt sind und sich inhaltlich auf eine Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung des FA beschränken. Doch besagt das Urteil jedenfalls, dass das FG dem Begehren des Klägers vor allem deshalb nicht gefolgt ist, weil seiner Ansicht nach weder eine Stundung noch ein Vollstreckungsaufschub zu einer über mehrere Jahre gestreckten Tilgung führen darf. Damit macht es die letztlich maßgebliche Überlegung des FG deutlich, womit den Begründungsanforderungen genügt ist.
5. Schließlich beanstandet der Kläger zu Unrecht, dass das FG verschiedene von ihm --dem Kläger-- im Klageverfahren vorgetragene Argumente nicht berücksichtigt habe. Denn im Grundsatz ist davon auszugehen, dass das FG sowohl den Inhalt der ihm vorliegenden Akten als auch den Vortrag in der mündlichen Verhandlung zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigt hat; das gilt auch dann, wenn es auf einzelne Punkte in seinem Urteil nicht ausdrücklich eingeht. Eine abweichende Würdigung ist nur dann angezeigt, wenn konkrete Umstände darauf hinweisen, dass das FG bestimmte Punkte außer Acht gelassen hat (Senatsbeschluss vom 24. September 2008 I B 58/08, BFH/NV 2009, 176, m.w.N.); solche Umstände zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf. Zudem bezieht sich die genannte Rüge auf das Übergehen des Vortrags, die in anderen Verfahren verfolgte Anrechnung oder Erstattung italienischer Steuer werde zur Verminderung des Steuerrückstands führen; dass dieser Vortrag im angefochtenen Urteil nicht erwähnt wird, lässt sich damit erklären, dass er vom Rechtsstandpunkt des FG aus nicht entscheidungserheblich war. Daher liegt auch unter diesem Gesichtspunkt kein möglicherweise entscheidungserheblicher Verfahrensmangel vor.
Fundstellen
Haufe-Index 2204530 |
BFH/NV 2009, 1596 |