Entscheidungsstichwort (Thema)
Versagung des rechtlichen Gehörs durch Ablehnung einer Terminsänderung trotz Vorliegens eines erheblichen Grundes
Leitsatz (NV)
1. Einem Verfahrensbeteiligten wird rechtliches Gehör versagt, wenn das Gericht mündlich verhandelt und in der Sache entscheidet, obwohl ein begründeter Antrag auf Terminsverlegung vorlag.
2. Ein erheblicher Grund für eine Terminsänderung kann sich auch aus Todesfällen und Fällen schwerer Erkrankung naher Familienangehöriger eines Prozessbevollmächtigten ergeben.
3. Zur Substantiierung bzw. Glaubhaftmachung der Gründe für einen Antrag auf Terminsänderung bei schwerer Erkrankung eines nahen Angehörigen.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 3, § 155; ZPO § 227
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 07.09.2007; Aktenzeichen 11 K 636/06) |
Tatbestand
I. Das Finanzgericht (FG) hatte im Rechtsstreit der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), einer Steuerberatungsgesellschaft mbH, Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 7. September 2007, 11.00 Uhr anberaumt. Vertreten wurde und wird die Klägerin durch den Geschäftsführer und Prozessbevollmächtigten, Steuerberater S (im Folgenden StB S).
Ausweislich eines von der Justizangestellten D etwa um 14.00 Uhr gefertigten Aktenvermerks rief StB S am 6. September 2007 beim FG an. Er teilte im Wesentlichen mit, seine Mutter befinde sich zurzeit im Krankenhaus. Die Ärzte hätten ihn und seine Schwester wegen des ernsten Gesundheitszustands der Mutter um Anwesenheit gebeten. Unter diesen Umständen werde er den morgigen Sitzungstermin wohl nicht wahrnehmen können. Er bat deshalb um eine Verlegung des Termins. D erwiderte u.a., sie werde versuchen, den zuständigen Richter von dem Telefongespräch in Kenntnis setzen. Sie bat zugleich um eine schriftliche Mitteilung des Sachverhalts (per Fax). StB S erwiderte darauf, er habe dazu momentan keine Gelegenheit; er sei bereits auf dem Weg zum Krankenhaus und wisse nicht, wann er dieses wieder verlassen werde.
Am Sitzungstag, morgens um 8.46 Uhr beantragte StB S per Fax beim FG, den Verhandlungstermin zu verlegen. Zur Begründung führte er --unter Bezugnahme auf das Ferngespräch am Tag zuvor-- ergänzend und im Wesentlichen an, seine Mutter liege seit sieben Wochen wegen eines Schlaganfalls in einem Krankenhaus in B. Die Ärzte hätten ihn gestern in das Krankenhaus gerufen; der Gesundheitszustand der Mutter mache eine sofortige Abrufbereitschaft erforderlich. Er --StB S-- habe gestern auch den zuständigen Beamten des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) entsprechend informiert.
In seinem klageabweisenden Urteil lehnte das FG (Einzelrichter) den Antrag der Klägerin, den Termin zu verlegen, ab. StB S habe die Erkrankung seiner Mutter nicht genau genug geschildert bzw. nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Nach den von StB S geschilderten Gründen habe sich das Gericht nicht selbst ein Bild von der Schwere der Erkrankung der Mutter machen können. StB S habe nicht angegeben, warum eine Abrufbereitschaft erforderlich gewesen sei und eine andere Person diese Aufgabe nicht habe wahrnehmen können. StB S habe es versäumt, sich ein ärztliches Attest über den Zustand der Mutter geben zu lassen und dem Gericht zu übermitteln.
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin u.a., das FG habe einen Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) begangen; es habe gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßen. Der Verhandlungstermin hätte wegen der besonderen Umstände verlegt werden müssen. StB S sei aus persönlichen Gründen nicht in der Lage gewesen, den Verhandlungstermin am 7. September 2007 wahrzunehmen. Am Tag zuvor sei er am frühen Nachmittag vom Krankenhaus in B telefonisch darüber informiert worden, dass sich der Gesundheitszustand seiner 81-jährigen Mutter erheblich verschlechtert habe. In Sorge um die Mutter habe er sich unverzüglich mit dem PKW von A auf den Weg nach B begeben. Aufgrund der Nachricht des Krankenhauses habe er davon ausgehen können, dass mit dem plötzlichen Tod der Mutter gerechnet werden müsse. Unterwegs habe er versucht, mit dem zuständigen Richter Kontakt aufzunehmen. Nachdem er auch den zuständigen Sachbearbeiter des FA von den gesundheitlichen Umständen der Mutter und der Notwendigkeit der Terminsverschiebung informiert habe, habe er der Geschäftsstelle des FG die Notwendigkeit der Terminsverlegung vorgetragen. Da sich der Gesundheitszustand der Mutter am frühen Morgen des Verhandlungstages nicht gebessert habe, habe er den telefonischen Verlegungsantrag nunmehr vom Büro aus schriftlich per Fax wiederholt und sich anschließend wieder auf den Weg in das Krankenhaus begeben.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung. Das angefochtene Urteil beruht auf einem Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Entscheidung der Vorinstanz verletzt den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO, § 119 Nr. 3 FGO), da die beantragte Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung zu Unrecht abgelehnt worden ist.
1. Nach § 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann das Gericht "aus erheblichen Gründen" auf Antrag oder von Amts wegen einen Termin aufheben oder verlegen. Liegen erhebliche Gründe für eine Terminsänderung vor, so verdichtet sich die in dieser Vorschrift grundsätzlich eingeräumte Ermessensfreiheit des Gerichts zu einer Rechtspflicht. Der Termin (hier) zur mündlichen Verhandlung muss dann zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs verlegt werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits durch die Verlegung verzögert würde (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8. April 1998 VIII R 32/95, BFHE 186, 102, BStBl II 1998, 676, 682; Beermann in Beermann/Gosch, FGO, § 119 Rz 48.3, Stichwort Vertagung, m.w.N.).
2. Welche Gründe i.S. des § 227 Abs. 1 ZPO als erheblich anzusehen sind, richtet sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles. Der Prozessstoff und die persönlichen Verhältnisse der Beteiligten sind dabei ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass im finanzgerichtlichen Verfahren nur eine Tatsacheninstanz besteht (s. hierzu Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 91 FGO Rz 9) und die Beteiligten ein Recht darauf haben, ihre Sache in mündlicher Verhandlung vorzutragen (z.B. BFH-Urteil vom 20. März 1992 VI R 125/87, BFH/NV 1993, 105; eingehend hierzu auch Lange, Deutsche Steuer-Zeitung 1996, 577, insbesondere 582). Ein erheblicher Grund kann sich auch aus Todesfällen und Fällen schwerer Erkrankungen naher Familienangehöriger ergeben (u.a. Stöcker in Beermann/Gosch, a.a.O., § 91 Rz 103; Stein/Jonas/ Roth, ZPO, 22. Aufl., § 227 Rz 6; vgl. auch BFH-Beschluss vom 24. April 2006 VII B 78/05, BFH/NV 2006, 1668); dies kann sich auch auf die Familie eines Prozessbevollmächtigten beziehen (vgl. BFH-Beschluss vom 15. Dezember 1994 X B 159/94, BFH/NV 1995, 533, m.w.N.). In solchen Fällen ist auch aus Gründen der Pietät auf die Belange der betroffenen Partei in besonderer Weise Rücksicht zu nehmen (vgl. auch Wieczorek/Schütze/Gerken, 3. Aufl., § 227 ZPO Rz 9).
3. Nach Maßgabe dieser Rechtsgrundsätze hatte die Klägerin einen Anspruch darauf, dass der Verhandlungstermin verlegt wird. Ein Erscheinen von StB S im Verhandlungstermin konnte nicht erwartet werden.
Auch wenn für die Annahme eines "erheblichen Grundes" i.S. des § 227 Abs. 1 ZPO eine gewisse Strenge angezeigt sein mag (vgl. hierzu z.B. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 66. Aufl., § 227 Rz 8) und es dem Beteiligten obliegt, seine Hinderungsgründe schlüssig vorzutragen und ggf. glaubhaft zu machen, dürfen doch an die Substantiierung des Hinderungsgrundes keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Dies ist im Streitfall indessen geschehen.
Aus dem wiederholten Vorbringen von StB S war mit hinlänglicher Deutlichkeit zu entnehmen, dass sich dessen Mutter in einem ernsten Gesundheitszustand befunden haben muss. Dies ergab sich nicht nur daraus, dass die Mutter seit sieben Wochen nach einem Schlaganfall in einem Krankenhaus stationär behandelt worden war. Diese Folgerung erschloss sich auch daraus, dass die Ärzte den Sohn (StB S) und seine Schwester an das Krankenbett der Mutter in das für ihn rd. 80 km entfernte Krankenhaus in B gerufen haben und eine "sofortige Abrufbereitschaft" als erforderlich ansahen. Derartige Maßnahmen verdeutlichen hinlänglich, dass sich der Gesundheitszustand der Mutter augenfällig zu verschlechtern drohte und --wie StB S annehmen konnte-- mit dem Tod der Mutter gerechnet werden musste.
Anders als das FG meint, ist es in einem solchen Fall auch nicht angängig, einen Verlegungsantrag u.a. mit der Begründung abzulehnen, es sei nicht angegeben worden, warum eine Abrufbereitschaft erforderlich sei und warum eine andere Person die Aufgabe nicht übernehmen könne. Dies bedarf bei den vorliegenden Umständen keiner näheren Begründung.
Entsprechendes gilt für die Auffassung des FG, es wäre StB S möglich gewesen, sich am Tag vor der Verhandlung aus Anlass des Gesprächs mit dem Krankenhausarzt ein ärztliches Attest geben zu lassen. Ungeachtet dessen, dass nach § 227 Abs. 2 ZPO die Hinderungsgründe erst auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen sind (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 19. August 2003 IX B 36/03, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2004, 540), hat das FG auch insoweit die besondere Situation der Familie des StB S, in der nach den gegebenen Gesamtumständen auch mit dem Ableben der Mutter gerechnet werden musste, nicht hinreichend in den Blick genommen und gebührend gewürdigt.
Im Übrigen liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die verweigerte Terminsverlegung deshalb ermessensgerecht gewesen wäre, weil die Klägerseite die ihr obliegende Prozessförderungspflicht verletzt haben könnte (vgl. hierzu Beermann in Beermann/Gosch, a.a.O., § 119 Rz 48.3, Stichwort Vertagung, m.w.N.; u.a. BFH-Beschluss vom 28. August 2002 V B 71/01, BFH/NV 2003, 178). Solche Umstände hat auch das FG nicht angeführt.
4. Der Senat hält es für sachgerecht, die Vorentscheidung wegen des Verfahrensfehlers aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO).
Fundstellen