Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Aufhebung des besonderen Kraftfahrzeugsteuersatzes - Rückwirkung von Gesetzen bzw. Rechtsverordnungen
Leitsatz (amtlich)
Gegen die AufhVO vom 7.Juni 1991 (BGBl I 1991, 1223) und die in ihr vorgesehene rückwirkende Aufhebung von § 9a KraftStG 1979 bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Orientierungssatz
1. Die AufhVO vom 7.6.1991 (BGBl I 1991, 1223) beruht auf einer Ermächtigung (§ 15 Abs. 1 Nr. 10 KraftStG 1979 i.d.F. des StrBG --BGBl I 1990, 826--), die nach Inhalt und Ausmaß, aber auch nach ihrem (Ausgleichs-)Zweck hinreichend bestimmt, mithin wirksam ist.
2. Für die von einer gesetzlichen Neuregelung Betroffenen fällt das bis dahin gegebene schutzwürdige Vertrauen in den Fortbestand der ursprünglichen Rechtslage im Zeitpunkt des "endgültigen Gesetzesbeschlusses" über die normative Neuregelung weg (vgl. BVerfG-Rechtsprechung). Auf den "endgültigen" Normenbeschluß kommt es an, wenn die Normsetzung dem Verordnungsgeber übertragen ist, auch bei Verordnungen an, die eine Rückwirkung der in ihnen angeordneten Rechtsfolgen vorsehen. Erforderlich ist allerdings eine Publizität des Verordnungsbeschusses, die der eines Gesetzesbeschlusses etwa entspricht; bloße Initiativen oder Vorbereitungen normativer Regelungen reichen nicht aus.
Normenkette
KraftStG 1979 § 9a Fassung: 1990-04-30, § 15 Abs. 1 Nr. 10 Fassung: 1990-04-30; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 80 Abs. 1; KraftStGÄndV
Tatbestand
I. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) besteuerte das Halten des Lastkraftwagens der Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) für die Zeit ab 3.Juni 1991 zunächst nach dem in § 9a Abs.1 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) 1979 i.d.F. des Gesetzes über Gebühren für die Benutzung von Bundesfernstraßen mit schweren Lastfahrzeugen vom 30.April 1990 (BGBl I 1990, 826, BStBl I 1990, 240) --StrBG-- vorgesehenen besonderen --abgesenkten-- Kraftfahrzeugsteuersatz, später, nach der mit Wirkung vom 1.März 1991 erfolgten Aufhebung von § 9a KraftStG 1979 durch die Verordnung der Bundesregierung zur Aufhebung von kraftfahrzeugsteuerlichen Sondervorschriften vom 7.Juni 1991 (BGBl I 1991, 1223, BStBl I 1991, 662) --AufhVO--, zum allgemeinen Steuersatz.
Das Finanzgericht (FG) lehnte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Änderungsbescheides ab. Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheides sei nicht ernstlich zweifelhaft. Verfassungsrechtliche Zweifel an der Rechtsgültigkeit der AufhVO beständen nicht; die Norm sei durch die verfassungsmäßige Ermächtigung in § 15 Abs.1 Nr.10 KraftStG 1979 (in der damals geltenden Fassung des StrBG) gedeckt. Die --weggefallene-- Steuerermäßigung (§ 9a KraftStG 1979) sei Ausgleich für die Belastung mit Straßenbenutzungsgebühren; sie sollte mit deren Beseitigung entfallen. Der Ermächtigungszweck ("Koppelung" der Ermäßigung an jene Belastung) habe sich durch die Aufhebung der Straßenbenutzungsgebühr für inländische Kraftfahrzeuge realisiert. Unerheblich sei, daß der Vorteil der Entlastung von der Gebühr durch eine Belastung mit höherer Mineralölsteuer aufgezehrt werde. Auch auf fortbestehende Wettbewerbsnachteile der inländischen Verkehrswirtschaft, z.B. im Hinblick auf Kabotageeinsätze gebietsfremder Fahrzeuge, komme es nicht an. Die Ermächtigung enthalte keinen Vorbehalt dahin, daß Wettbewerbsnachteile zu Lasten inländischer Fahrzeughalter abzuwenden seien. Die Aufhebungsverordnung verstoße auch nicht gegen das Rückwirkungsverbot. Zum Zeitpunkt der Rückwirkung der AufhVO (1.März 1991) habe kein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand der Kraftfahrzeugsteuerermäßigung bestanden. Abzustellen sei auf den Tag der Beschlußfassung durch die Bundesregierung, wenn der Beschluß --wie hier geschehen (Ende Februar/1.März 1991)-- umgehend veröffentlicht werde.
Mit der vom FG nachträglich zugelassenen Beschwerde trägt die Antragstellerin vor, schon der Wortlaut der Ermächtigung setze eine wesentliche Änderung der Belastung mit sonstigen Abgaben schlechthin voraus. Auch nach dem Ziel des StrBG --Abbau der Wettbewerbsnachteile-- müsse die gesamte Kostenbelastung der betroffenen inländischen Unternehmer berücksichtigt werden. Mithin sei von Bedeutung, daß ein mit der Entlastung von Straßengebühren verbundener Vorteil durch die Erhöhung der Mineralölsteuer aufgezehrt werde. Die AufhVO verstoße auch gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil die Wiederanhebung der Kraftfahrzeugsteuer auf den ursprünglichen Tarif zu einer Benachteiligung deutscher Unternehmer gegenüber dem Einsatz gebietsfremder Fahrzeuge (Kabotage; Steuerfreiheit durch bilaterale Abkommen) führe. Die vorgesehene Rückwirkung sei unzulässig. Auf die Beschlußfassung durch die Bundesregierung dürfe nicht abgestellt werden, zumal die AufhVO zustimmungsbedürftig gewesen sei. Der Vertrauensschutz dauere somit jedenfalls bis "zum tatsächlichen Inkrafttreten".
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist zulässig (Art.1 Nr.3 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs; Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 10.Oktober 1991 XI B 18/90, BFHE 165, 565, BStBl II 1992, 301), aber nicht begründet. Das FG hat richtig entschieden, daß die von der Antragstellerin vorgebrachten verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts (§ 69 Abs.3 Satz 1, Abs.2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) nicht zu begründen vermögen.
1. Die AufhVO beruht auf einer Ermächtigung, die nach Inhalt und Ausmaß, aber auch nach ihrem (Ausgleichs-)Zweck hinreichend bestimmt, mithin wirksam ist; Art.80 Abs.1 des Grundgesetzes --GG-- (ebenso Aretz/Bühler, Betriebs-Berater --BB-- 1991, 2199 f.). Auch die Antragstellerin äußert insoweit keine Bedenken.
2. Die AufhVO war durch die Ermächtigung in § 15 Abs.1 Nr.10 KraftStG 1979 (i.d.F. des StrBG) gedeckt. Nach dieser Ermächtigung, die inzwischen eine andere Fassung erhalten hat (durch Art.19 Nr.7 des Steueränderungsgesetzes --StÄndG-- 1991 vom 24.Juni 1991, BGBl I 1991, 1322, BStBl I 1991, 665), konnte die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats im Verordnungswege die vorzeitige Aufhebung der zeitlich befristeten Änderungen in § 9a ... KraftStG 1979 verfügen, "wenn sich die Belastung mit sonstigen Abgaben in wesentlichem Umfang ändert". Die in der Ermächtigungsnorm angesprochenen Abgaben sind zwar nicht näher bezeichnet. Indessen kann nicht zweifelhaft sein, daß auch und insbesondere eine wesentliche Belastungsänderung in Hinblick auf die Straßenbenutzungsgebühr den Tatbestand der Ermächtigung erfüllt. Das ergibt sich bereits aus dem engen Verhältnis zwischen der Gebühr und der ebenfalls im StrBG (Art.2 Nr.1, Einfügung von § 9a KraftStG 1979) geregelten zeitweiligen Absenkung des Kraftfahrzeugsteuertarifs. Beide Maßnahmen zusammen bezwecken eine ausgeglichenere Anlastung der Wegekosten auf in- und ausländische Nutzfahrzeuge. Die durch das StÄndG 1991 neugefaßte Ermächtigung, die eine Wiedereinführung der Absenkung bei Wiedererhebung der Gebühr ermöglicht, verdeutlicht nochmals den zwischen Gebühr und Kraftfahrzeugsteuer bestehenden Zusammenhang. Die Ermächtigung setzt für die vorzeitige Aufhebung der Kraftfahrzeugsteuerabsenkung nicht voraus, daß Wettbewerbsnachteile für das deutsche Verkehrsgewerbe abgebaut sind. Erforderlich, aber auch ausreichend ist eine wesentliche Änderung der Belastung mit sonstigen Abgaben, sei es auch nur der Belastung durch eine einzige "andere" Abgabe als die Kraftfahrzeugsteuer (hier: Straßenbenutzungsgebühr). Ist insoweit eine wesentliche Änderung durch die Verringerung oder den Wegfall einer Abgabe eingetreten, so ist der Ermächtigungstatbestand verwirklicht. Dabei bleibt es auch dann, wenn anderweitige Belastungen (z.B. Mineralölsteuererhöhung) den Vorteil, wirtschaftlich gesehen, verringern oder gar entfallen lassen.
Hinsichtlich der Straßenbenutzungsgebühr hatte sich eine wesentliche Belastungsänderung ergeben. Auf Grund vorläufiger Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- (zu ihnen näher Senat, Beschluß vom 10.September 1991 VII B 208/90, BFH/NV 1992, 398) über die Aussetzung der inzwischen durch EuGH-Urteil vom 19.Mai 1992 C-195/90 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1992 C 153/14) als gemeinschaftsrechtswidrig erkannten Gebührenerhebung war eine allgemeine Aussetzung der Gebühr angeordnet worden (zunächst durch das Gesetz zur Änderung des StrBG vom 6.Dezember 1990, BGBl I 1990, 2597, später durch die Verordnung zur weiteren Aussetzung der Gebührenerhebung für die Benutzung von Bundesfernstraßen mit schweren Lastfahrzeugen vom 19.Juli 1991, BGBl I 1991, 1573). Mit dem dadurch eingetretenen Wegfall der Gebühr war die Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Ermächtigung gegeben.
3. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin verstößt die vorzeitige Aufhebung des besonderen Kraftfahrzeugsteuertarifs nicht gegen den Gleichheitssatz (Art.3 Abs.1 GG). Mit dieser Maßnahme wurde lediglich die Rechtslage wieder hergestellt, die kraftfahrzeugsteuerrechtlich vor Inkrafttreten des StrBG am 1.Juli 1990 bestand. Insoweit, nämlich auf Grund des allgemeinen Kraftfahrzeugsteuertarifs für Nutzfahrzeuge (§ 9 Abs.1 Nr.3 KraftStG 1979), ergibt sich keine Ungleichbehandlung in kraftfahrzeugsteuerrechtlicher Hinsicht. Der Umstand, daß die deutschen Transportunternehmen höher als ausländische Unternehmen in den betreffenden Ländern mit verkehrsspezifischen Abgaben belastet sind und daß das ausländische Verkehrsgewerbe ggf. Kabotagemöglichkeiten und zwischenstaatlich vereinbarte Steuerbefreiungen nutzen kann, zwang nicht dazu, von der Aufhebung des befristeten Sondertarifs Abstand zu nehmen. Wenn sich die Bundesregierung entschloß, "aus finanz-, umwelt- und verkehrspolitischen Gründen" für die Dauer der Nichterhebung der Straßenbenutzungsgebühr die Kraftfahrzeugsteuer nicht abgesenkt zu lassen (amtliche Begründung zur AufhVO, BRDrucks 137/91, S.3, 312/91, S.3; vgl. auch BTDrucks 12/219, S.45), so läßt sich dies verfassungsrechtlich nicht beanstanden. Auf diese Erwägungen, jedenfalls auf den Gesichtspunkt des Umweltschutzes (zu ihm Senat, Urteil vom 10.Juli 1990 VII R 12/88, BFHE 162, 141, 143, BStBl II 1990, 929), konnte die Aufhebung des Sondertarifs gestützt werden. Das gilt auch im Hinblick darauf, daß damit die Kraftfahrzeugsteuerbelastung wieder auf die aus dem allgemeinen Tarif sich ergebende Höhe zurückgeführt wurde. Ein zufriedenstellender Ausgleich bei der Belastung des in- und ausländischen Güterverkehrs mit Wegekosten kann nur in gemeinschaftsrechtlichem Rahmen erreicht werden (zum derzeitigen Verhandlungsstand Keßler, Deutsche Steuer-Zeitung 1992, 749, 752).
4. Die in der AufhVO --Art.2-- vorgesehene Rückwirkung auf den 1.März 1991 läßt unter den hier vorliegenden Umständen auch keinen Verstoß gegen das rechtsstaatliche Prinzip der Rechtssicherheit --Art.20 Abs.3 GG-- erkennen (gleicher Ansicht Halaczinsky, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht --UVR-- 1991, 241).
Eine Rückwirkung (bzw. Rückbewirkung von Rechtsfolgen; zur Terminologie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- Senat in BFHE 162, 141, 145), wie sie hier vorliegt, ist ausnahmsweise zulässig, wenn z.B. ein schutzbedürftiges Vertrauen des Steuerpflichtigen in den Bestand der bisherigen Rechtsfolgenlage nicht oder nicht mehr vorliegt. Es kann dahinstehen, ob angesichts der engen Verknüpfung zwischen Straßenbenutzungsgebühr und Kraftfahrzeugsteuersenkung (vorstehend Nr.2) überhaupt noch ein schutzbedürftiges Vertrauen in den Fortbestand der befristeten Steuerermäßigung vorliegen konnte, nachdem die Gebührenerhebung (normativ) ausgesetzt worden war (vgl. in diesem Zusammenhang auch Halaczinsky, UVR 1991, 16, 18). Ein dem Grunde nach etwa anzuerkennendes Vertrauen ist jedenfalls ab 1.März 1991 entfallen. Nach der Rechtsprechung des BVerfG (Beschlüsse vom 14.Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 261 f., BStBl II 1986, 628, 647 f., und 10.März 1971 2 BvL 3/68, BVerfGE 30, 272, 287) kann davon ausgegangen werden, daß für die von einer gesetzlichen Neuregelung Betroffenen das bis dahin gegebene schutzwürdige Vertrauen in den Fortbestand der ursprünglichen Rechtslage im Zeitpunkt des "endgültigen Gesetzesbeschlusses" über die normative Neuregelung wegfällt. Auf den "endgültigen" Normenbeschluß kommt es, wenn die Normsetzung dem Verordnungsgeber übertragen ist, auch bei Verordnungen an, die eine Rückwirkung der in ihnen angeordneten Rechtsfolgen vorsehen (anders Aretz/Bühler, BB 1991, 2199, 2202, die bei zustimmungsbedürftigen Verordnungen auf die Zuleitung an den Bundesrat abstellen und darüber hinaus die Zulässigkeit der Rückwirkung der AufhVO selbst auf diesen Zeitpunkt verneinen). Es macht keinen Unterschied, ob die normative Neuregelung durch ein förmliches Gesetz oder durch Rechtsverordnung getroffen wird; "Solennitäten" im Zusammenhang mit der Beschlußfassung (an denen es bei einer nicht zustimmungsbedürftigen Verordnung gänzlich fehlt) spielen keine entscheidende Rolle. Erforderlich ist allerdings eine Publizität des Verordnungsbeschlusses, die der eines Gesetzesbeschlusses etwa entspricht; bloße Initiativen oder Vorbereitungen normativer Regelungen reichen nicht aus. Die erforderliche Publizität hat der Beschluß der AufhVO indessen erlangt (was das FG Rheinland-Pfalz im Beschluß vom 8.Oktober 1991 4 V 2053/91, BB 1991, 2509 nicht berücksichtigt), und zwar insbesondere durch die amtliche Begründung in BRDrucks 137/91 vom 28.Februar 1991 (vgl. im übrigen die Hinweise in der in Deutsches Steuerrecht 1992, 185 wiedergegebenen Verwaltungsanweisung). Aufgrund dessen mußten die Betroffenen ab 1.März 1991 mit der Verkündung und dem Inkrafttreten der AufhVO rechnen. Damit ist die Voraussetzung für eine noch zulässige Rückwirkung auf diesen Zeitpunkt erfüllt.
Fundstellen
Haufe-Index 64432 |
BStBl II 1993, 201 |
BFHE 169, 486 |
BFHE 1993, 486 |
BB 1993, 352 (L) |
DStR 1993, 278 (KT) |
HFR 1993, 197 (LT) |
StE 1993, 90 (K) |