Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung, einer Divergenz und der Verletzung des rechtlichen Gehörs
Leitsatz (NV)
1. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache muss ‐ vom Fall ihrer Offenkundigkeit abgesehen ‐ schlüssig und substantiiert dargelegt werden. Dies erfordert ein konkretes Eingehen des Beschwerdeführers darauf, inwieweit die aufgeworfene Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen sie umstritten ist. Dazu gehört auch, dass der Beschwerdeführer mit der sich zu der von ihm für klärungsbedürftig gehaltenen Rechtsfrage bereits vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung auseinander setzt und substantiiert darlegt, weshalb nach seiner Ansicht diese Rechtsprechung bislang keine Klärung herbeigeführt habe.
2. Zur schlüssigen Darlegung einer Divergenz muss der Beschwerdeführer tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil einerseits und aus der behaupteten Divergenzentscheidung andererseits herausarbeiten und einander gegenüber stellen, um so eine Abweichung zu verdeutlichen.
3. Auf der Geltendmachung der Verletzung des rechtlichen Gehörs, kann ‐ wenn diese nicht den Gesamtinhalt des Verfahrens betrifft ‐ verzichtet werden (vgl. § 155 FGO i.V. mit § 295 ZPO). Auch wenn die Voraussetzungen eines solchen Rügeverzichts nicht vorliegen, verliert der Prozessbeteiligte sein Rügerecht, wenn er nicht alle prozessualen Möglichkeiten ausschöpft, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 116 Abs. 3 S. 3, § 119 Nr. 3, § 155; ZPO § 295
Verfahrensgang
FG Berlin (Urteil vom 26.08.2004; Aktenzeichen 1 K 1460/01) |
Gründe
Die Beschwerde des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) ist unzulässig, weil ihre Begründung nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entspricht.
1. Dies gilt zunächst für die Rüge des Klägers, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) habe.
a) Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung, wenn ihre Beantwortung durch den Bundesfinanzhof (BFH) aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Es muss sich um eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage handeln (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 23, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH).
Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache muss --vom hier nicht gegebenen Fall ihrer Offenkundigkeit abgesehen-- schlüssig und substantiiert dargelegt werden. Dies erfordert ein konkretes Eingehen des Beschwerdeführers darauf, inwieweit die aufgeworfene Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen sie umstritten ist. Dazu gehört auch, dass sich der Beschwerdeführer mit der zu der von ihm für klärungsbedürftig gehaltenen Rechtsfrage bereits vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung auseinander setzt und substantiiert darlegt, weshalb nach seiner Ansicht diese Rechtsprechung bislang keine Klärung herbeigeführt habe (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 32 und 33, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH).
b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung des Klägers nicht. Sie erschöpft sich in knappen Ausführungen darüber, dass der BFH "bisher noch keine Gelegenheit (gehabt habe), sich mit der Rechtsfrage auseinander zu setzen, welcher Zeitraum zwischen einem Schenkungsversprechen und der Aufrechnung aus einer Kaufpreisforderung liegen (müsse), damit bürgerlich-rechtlich die abgeschlossenen Verträge nicht als einheitliches Rechtsgeschäft angesehen werden (müssten)".
In einem vergleichbaren Sachverhalt habe der BFH "diese Frage letztendlich offen gelassen" (BFH-Urteil vom 10. Oktober 1991 XI R 1/86, BFHE 166, 136, BStBl II 1992, 239). Mit Urteil vom 18. Dezember 1990 VIII R 1/88 (BFHE 163, 444, BStBl II 1991, 911) sei ein Darlehen zwischen Kindern und Eltern aus zuvor von den Eltern an die Kinder geschenkten Mitteln anerkannt worden, weil Schenkung und Darlehen unabhängig voneinander vereinbart worden seien. Weiterhin seien mit BFH-Urteil vom 18. Januar 2001 IV R 58/99 (BFHE 194, 377, BStBl II 2001, 393) Darlehensverträge zwischen einer Personengesellschaft und den volljährigen, finanziell unabhängigen Söhnen der Gesellschafter anerkannt worden, bei denen die Darlehensbeträge aus zuvor von den Gesellschaftern geschenkten Mitteln herrührten.
Hierzu ist zunächst zu bemerken, dass es entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht für die entscheidungserhebliche Frage nach der Höhe der Anschaffungskosten im Falle eines vom Veräußerer schenkweise ausgesprochenen Kaufpreis(teil-)verzichts nach der ständigen Rechtsprechung des BFH, die im Übrigen bereits in dem vom Kläger zitierten BFH-Urteil in BFHE 166, 136, BStBl II 1992, 239 unmissverständlich zum Ausdruck gelangt, nicht auf die (formal) bürgerlich-rechtliche, sondern allein auf die steuerrechtliche Sichtweise ankommt. Insoweit wäre es für den Kläger --woran es mangelt-- geboten gewesen, sich mit der zu diesem Problem vorhandenen umfänglichen BFH-Rechtsprechung (vgl. nur BFH-Urteile vom 20. Dezember 1990 XI R 4/86, BFH/NV 1991, 384; vom 30. Januar 1991 XI R 6/84, BFH/NV 1991, 453; vom 26. Juni 1991 XI R 5/85, BFH/NV 1992, 24; vom 13. Oktober 1993 X R 86/89, BFHE 174, 45, BStBl II 1994, 451; vom 22. April 1998 X R 163/94, BFH/NV 1999, 24, jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung) auseinander zu setzen und (schlüssig) aufzuzeigen, warum trotz der dort entwickelten Rechtsgrundsätze ein weiterer Klärungsbedarf bestehe.
Der erkennende Senat hat in seinem Urteil in BFH/NV 1999, 24 unter Bezugnahme auf die BFH-Entscheidung in BFHE 166, 136, BStBl II 1992, 239 ausgeführt, dass Anschaffungskosten nicht vorliegen, soweit der Veräußerer dem Erwerber die zur Tilgung des Kaufpreises erforderlichen Mittel schenkt und beachtliche Gründe außer dem Ziel der Steuerminderung nicht erkennbar sind. Denn Anschaffungskosten setzen Aufwendungen voraus, die tatsächlich eine Veränderung der Rechtslage bewirkt haben, und nicht der privaten Lebensführung (Unterhaltsleistung oder freiwillige Zuwendung) zuzuordnen sind. Sinn und Zweck des steuerrechtlichen Begriffs der Anschaffungskosten gebieten es daher, weniger auf die formalen Erklärungen als auf den mit ihnen bewirkten wirtschaftlichen Sachverhalt abzustellen (z.B. Senatsurteil in BFHE 174, 45, BStBl II 1994, 451). Dies gilt insbesondere dann, wenn die formalen Erklärungen ein Bündel von Willenserklärungen sind, die auf ganz oder teilweise einander widersprechende --gegenläufige-- Rechtsfolgen abzielen und sich insoweit in ihrer Wirkung aufheben (vgl. Senatsurteile in BFHE 174, 45, BStBl II 1994, 451; vom 16. März 1988 X R 27/86, BFHE 153, 46, BStBl II 1988, 629, zu § 42 der Abgabenordnung --AO 1977--). Unberücksichtigt bleiben rechtliche Gestaltungen, die --gemessen am Maßstab der Wertungen des Gesetzgebers, die den jeweils maßgeblichen steuerrechtlichen Vorschriften zugrunde liegen-- allein der Erreichung einer Steuervergünstigung dienen, ohne durch andere wirtschaftliche oder sonst beachtliche außersteuerrechtliche Gründe gerechtfertigt zu sein (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 19. Mai 1993 I R 124/91, BFHE 172, 37, BStBl II 1993, 889, m.w.N.).
Deshalb liegen beispielsweise keine Anschaffungskosten vor, wenn
- der Veräußerer aus privaten Gründen auf die Entrichtung des Entgelts verzichtet hat (BFH-Urteile in BFHE 174, 45, BStBl II 1994, 451; in BFH/NV 1991, 384; in BFH/NV 1991, 453),
- eine Geldzahlung wieder an den Berechtigten zurückfließt (BFH-Urteil in BFH/NV 1992, 24),
- der Veräußerer dem Erwerber den zur Begleichung der Anschaffungskosten erforderlichen Betrag schenkt, ohne dass hierfür außersteuerliche Gründe erkennbar sind (BFH-Urteil in BFHE 166, 136, BStBl II 1992, 239),
- der Veräußerer den Kaufpreis, dessen Tilgung auf unabsehbare Zeit aufgeschoben ist, ohne Sicherung stundet (BFH-Urteil in BFHE 166, 136, 140, BStBl II 1992, 239).
Der Hinweis des Klägers auf die BFH-Urteile in BFHE 163, 444, BStBl II 1991, 911 und in BFHE 194, 377, BStBl II 2001, 393 reicht hierfür nicht aus, da sich diese Entscheidungen mit der hier nicht entscheidungserheblichen Frage der steuerrechtlichen Anerkennung von Darlehensvereinbarungen zwischen nahen Angehörigen beschäftigen, wenn dem Darlehensgeber die entsprechenden Mittel vom Darlehensnehmer (oder dessen beherrschenden Gesellschaftern) schenkweise zugewendet worden waren.
2. Aus denselben Erwägungen kann auch die Rüge des Klägers keinen Erfolg haben, dass die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des BFH erfordere (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO; zur Einordnung dieses Zulassungsgrundes als Spezialfall der "Grundsatzrevision" i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 38).
3. Ebenso unschlüssig ist auch die Rüge des Klägers, dass eine Entscheidung des BFH im Hinblick auf die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich sei (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO).
a) Sollte der Kläger mit dieser Rüge (konkludent) zum Ausdruck bringen wollen, dass das Finanzgericht (FG) mit dem angefochtenen Urteil von einer Entscheidung des BFH und/oder eines anderen Gerichts abgewichen sei, hätte er --woran es fehlt-- tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeiten und einander gegenüber stellen müssen, um so eine Abweichung zu verdeutlichen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 12. Juli 2002 XI B 152/01, BFH/NV 2002, 1484; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 42).
b) Sofern der Kläger mit seiner auf § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO gestützten Rüge hat (stillschweigend) geltend machen wollen, die angefochtene Vorentscheidung sei (objektiv) willkürlich und deshalb geeignet, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen, hätte er --was nicht geschehen ist-- substantiiert darlegen müssen, weshalb die Vorentscheidung unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar sei (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 12. Dezember 2002 X B 99/02, BFH/NV 2003, 496; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 45).
4. Schließlich vermag auch die vom Kläger erhobene Rüge der Verletzung seines rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, §§ 96 Abs. 2, 119 Nr. 3 FGO) die Zulassung der Revision nicht zu begründen.
a) Der Kläger trägt hierzu vor, dass die Streitsache während der Dauer des FG-Verfahrens "ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der rechtsmissbräuchlichen Gestaltung im Sinne des § 42 AO geführt (worden sei). Die überraschende Wende in der mündlichen Verhandlung stelle (deshalb) eine Verletzung des rechtlichen Gehörs … dar".
b) Diese Verfahrensrüge ist schon nach dem eigenen Vortrag des Klägers unschlüssig; denn er räumt selbst ein, dass die vom FG im angefochtenen Urteil vertretene Auffassung, dass es zur Entscheidung des Streitfalles eines Rekurses auf § 42 AO 1977 nicht bedürfe, bereits in der mündlichen Verhandlung angesprochen worden sei. Damit hatte der in der mündlichen Verhandlung vor dem FG durch seinen Prozessbevollmächtigten vertretene Kläger schon nach eigenem Bekunden Gelegenheit, sich zur vorgeblich gewandelten bzw. anders akzentuierten Rechtsauffassung des FG zu äußern und damit sein Recht auf Gehör zu wahren.
Der beschließende Senat kann daher offen lassen, ob nicht der im FG-Prozess fachkundig vertretene Kläger --nicht zuletzt im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung des BFH-- von sich aus --auch ohne entsprechenden, vor der mündlichen Verhandlung gegebenen Hinweis durch das FG-- gewärtigen musste, dass das FG die entscheidungsrelevanten Streitfragen ohne den Rückgriff auf § 42 AO 1977 beantworten werde. Selbst wenn sich aber der Klägervertreter durch den nach seinem Vortrag erst in der mündlichen Verhandlung dokumentierten Wandel in der rechtlichen Blickrichtung des FG überrascht sehen durfte und sich mangels hinlänglicher Überlegungszeit zu einer effektiven rechtlichen Stellungnahme zu diesem "Sinneswandel" außer Stande sah, so muss er sich fragen lassen, wieso er nicht von sich aus um eine Vertagung oder Unterbrechung der mündlichen Verhandlung bzw. um einen Schriftsatznachlass nachsuchte. Der angerufene Senat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass auf die Geltendmachung des Rechts auf Gehör verzichtet werden kann (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz. 12, m.w.N.) und dass der Prozessbeteiligte sein Rügerecht --auch wenn die Voraussetzungen eines Rügeverzichts i.S. von § 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung nicht vorliegen-- verliert, wenn er nicht alle prozessualen Möglichkeiten ausschöpft, sich rechtliches Gehör zu verschaffen (ständige Rechtsprechung; vgl. hierzu die Nachweise bei Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz. 13).
5. Von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung sieht der beschließende Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.
Fundstellen
Haufe-Index 1341758 |
BFH/NV 2005, 1126 |