Leitsatz (amtlich)
1. Hat der Kammervorsitzende über einen Kostenerlaß (§ 319 Abs. 2 Ziff. 2 AO) entschieden, so kann innerhalb zweier Wochen die Kammer angerufen werden.
2. Kostenerlaßentscheidungen der Finanzgerichte (§ 319 Abs. 2 Ziff. 1 AO) können in den Grenzen des § 286 Abs. 1 AO mit der Rb. angefochten werden.
Normenkette
AO § 319
Tatbestand
I.
Die Abgabenpflichtige war als Erbin wegen der Vermögensabgabe ihres Erblassers durch Pfändung einer ihr zustehenden Darlehnsforderung in Höhe von 40 000 DM in Anspruch genommen worden. Ihre Beschwerde gegen die Pfändungsverfügung wurde durch Beschluß des Finanzgerichts als unbegründet zurückgewiesen. Ihre hiergegen gerichtete Rb. nahm sie zurück. Das Finanzamt setzte daraufhin die Kosten des Beschwerdeverfahrens auf 400,90 DM, die des Rechtsbeschwerdeverfahrens auf 550 DM fest. Die von der Abgabenpflichtigen gegen den Kostenfestsetzungsbescheid eingelegte "Erinnerung" wurde, da die Richtigkeit der Kostenfestsetzung nicht beanstandet war und diese auch als richtig erschien, als Antrag auf Erlaß der Rechtsmittelkosten aus Billigkeitsgründen nach § 319 Abs. 1 AO angesehen. Durch Beschluß des Vorsitzenden der zuständigen Kammer des Finanzgerichts vom 4. März 1958 wurden die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens in Höhe von 550 DM erlassen, der Erlaß der Kosten des Beschwerdeverfahrens wurde abgelehnt.
Mit der hiergegen eingelegten "weiteren Beschwerde" erstrebt die Abgabenpflichtige Erlaß auch der Kosten des Beschwerdeverfahrens vor dem Finanzgericht.
Entscheidungsgründe
II.
Vor einer etwaigen Sachentscheidung durch den Senat war zu prüfen, welche verfahrensrechtliche Bedeutung der vorliegenden "weiteren Beschwerde" zukommt.
Wie der Bundesfinanzhof in seinem Urteil I 10/58 S vom 16. Februar 1960 (BStBl 1960 III S. 145, Slg. Bd. 70 S. 388), dem der erkennende Senat beitritt, entschieden hat, handelt es sich, wenn der Kammervorsitzende gemäß §§ 320 Abs. 2, 319 Abs. 2 Ziff. 2 AO den Streitwert feststellt, nicht um einen Akt der öffentlichen Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG), sondern um eine in den Rahmen der richterlichen Tätigkeit des Vorsitzenden fallende Handlung. Gegen die von ihm vorgenommene Feststellung des Streitwerts kann die Kammer angerufen werden, die durch Beschluß entscheidet. Der Antrag auf Entscheidung durch die Kammer muß in entsprechender Anwendung der §§ 264 Abs. 3, 271 Abs. 2 Satz 3 AO binnen zweier Wochen seit Bekanntgabe der Streitwertfeststellung an die Beteiligten gestellt werden.
Da die Zuständigkeit des Kammervorsitzenden für die Streitwertfeststellung und für den Kostenerlaß sich nach § 319 Abs. 2 Ziff. 2 AO bestimmt und nach Auffassung des Senats auch seine Entscheidung über einen Kostenerlaß als eine in den Rahmen seiner richterlichen Tätigkeit fallende Handlung anzusehen ist, erscheint es geboten, beide Entscheidungen auch hinsichtlich der Rechtsbehelfe gleichzustellen.
Auch im Falle einer nach Abs. 2 Ziff. 2 a. a. O. getroffenen Entscheidung des Kammervorsitzenden können daher die Betroffenen -- wie bereits das Niedersächsische Finanzgericht in Hannover in seinem Beschluß V U 144/59 vom 27. August 1959 (Entscheidungen der Finanzgerichte 1960 S. 120) ausgesprochen hat -- binnen zweier Wochen die Entscheidung der Kammer anrufen.
Da also entgegen der in der angefochtenen Entscheidung enthaltenen Rechtsmittelbelehrung weder die Berufung noch die Rb. gegeben war, ist die sogenannte weitere Beschwerde als Antrag auf Entscheidung der Kammer anzusehen. Dieser ist, da die Entscheidung des Vorsitzenden dem damaligen Bevollmächtigten der Abgabenpflichtigen am 12. März 1958 zugestellt worden und der Antrag am 25. März 1958 beim Finanzgericht eingegangen ist, rechtzeitig gestellt. Er hat die Wirkung, daß die Entscheidung des Kammervorsitzenden, soweit sie eine Beschwer für den Betroffenen enthält, entsprechend der Regelung in § 271 Abs. 2 AO als nicht ergangen gilt.
Auf diesen Antrag hin kann nicht der Senat, sondern nur die zuständige Kammer des Finanzgerichts entscheiden. Erst gegen deren Entscheidung ist, wie das erwähnte Urteil des Bundesfinanzhofs für Streitwertfeststellungen der Finanzgerichte trotz Fehlens einer besonderen Vorschrift in der AO ausgesprochen hat und was nach Auffassung des erkennenden Senats auch für Entscheidungen der Finanzgerichte über einen Kostenerlaß nach § 319 Abs. 2 AO zu gelten hat, in den Grenzen des § 286 Abs. 1 AO die Rb. gegeben.
In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, daß im vorliegenden Falle der Kammervorsitzende zu einer Entscheidung nach § 319 Abs. 2 Ziff. 2 AO nur insoweit zuständig war, als es um die Kosten der zurückgenommenen Rb. ging, daß aber hinsichtlich der Kosten der Beschwerde nach Ziff. 1 a. a. O. unmittelbar die Kammer zu entscheiden gehabt hätte.
Nach dem Vorstehenden war aus Gründen der Zuständigkeit der Rechtsstreit an das Finanzgericht zu verweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 410035 |
BStBl III 1961, 244 |
BFHE 1961, 669 |