Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Akteneinsicht durch einen Prozeßbevollmächtigten
Leitsatz (NV)
Der Prozeßbevollmächtigte eines Klägers hat keinen Anspruch darauf, daß ihm Akteneinsicht durch Übersendung der Akten in sein Büro gewährt wird. Es ist Sache des Prozeßbevollmächtigten, eine Übersendung der Akten an das nächstgelegene Amtsgericht oder Finanzamt zur Akteneinsicht zu beantragen.
Normenkette
FGO §§ 51, 78; GG Art. 103
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), die vor dem Finanzgericht (FG) Klage wegen Einkommensteuer und Umsatzsteuer 1983 erhoben haben, beantragten am 29. Oktober 1985, ihrem Prozeßbevollmächtigten ,,die beigezogenen Verwaltungsakten zur Einsichtnahme zukommen zu lassen". Der Berichterstatter, Richter am FG . . . teilte dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger durch Schreiben vom 4. November 1985 mit, daß er die Steuerakten dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) übersandt habe, und bat den Prozeßbevollmächtigten, sich zur Abstimmung eines Termin zur Akteneinsicht unmittelbar mit dem FA in Verbindung zu setzen. Mit dem am 8. November 1985 beim FG eingegangenen Ablehnungsgesuch lehnen die Kläger den Berichterstatter wegen Besorgnis der Befangenheit ab.
Das FG gab dem Ablehnungsgesuch nicht statt.
Es begründete dies u.a. damit, daß die Art und Weise, in der der Berichterstatter dem Kläger die Möglichkeit der Akteneinsicht gewährt habe, weder den Anschein der Willkür noch den einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Behandlung der Sache erwecke. Dabei könne offenbleiben, ob die vom Berichterstatter gewählte Form der Gewährung von Akteneinsicht - Übersendung der Steuerakten an das FA - objektiv rechtmäßig oder rechtswidrig sei, insbesondere, ob es sich hierbei um einen Verfahrensfehler handle. Das Vorgehen des Berichterstatters erscheine jedenfalls nicht sachwidrig. Das ergebe sich bereits daraus, daß es sich im Rahmen einer langjährigen Übung im finanzgerichtlichen Verfahren halte, die zudem vom Bundesfinanzhof (BFH) wiederholt für rechtmäßig erklärt worden sei. - Auch die Unterlassung des Berichterstatters, die Akten dem für den Prozeßbevollmächtigten der Kläger nächstgelegenen Amtsgericht zu übersenden, erwecke schon deshalb nicht den Eindruck der Voreingenommenheit, weil der Berichterstatter im damaligen Stadium des Verfahrens ohne einen entsprechenden Antrag der Kläger keinen Anlaß gehabt habe, diese Form der Gewährung von Akteneinsicht zu wählen.
Mit ihrer Beschwerde machen die Kläger geltend, ein unparteiischer Richter behandle beide Parteien in einem Verfahren gleich. Dieses Prinzip der Gleichbehandlung habe der abgelehnte Richter verletzt. Er habe offen zur Kenntnis gegeben, daß er die Gerichtsakte mit Beiakten einer Partei bedenkenlos zur Verfügung stelle, während er diese der anderen Partei nur in einem eingeschränkten Rahmen zugänglich machen wolle. Es gebe von der Sachlage her keine Begründung für diese unterschiedliche Behandlung der Parteien. Weil der abgelehnte Richter das beklagte FA prozessual besser behandle als die Kläger, liege ein objektiver Grund vor, der geeignet sei, Mißtrauen gegen die Neutralität des Richters zu rechtfertigen. Die Klägerpartei müsse nach dem Verhalten des abgelehnten Richters davon ausgehen, daß er die Gegenpartei für objektiv vertrauenswürdiger und zuverlässiger halte.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 51 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i.V.m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Der BFH hat wiederholt entschieden, Prozeßbevollmächtigte der Kläger hätten keinen Anspruch, daß ihnen Akteneinsicht durch Übersendung der Akten in ihr Büro gewährt werde (Beschlüsse vom 10. August 1978 IV B 20/77, BFHE 126, 1, BStBl II 1978, 677, und vom 24. März 1981 VII B 64/80, BFHE 133, 8, BStBl II 1981, 475). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat diese Rechtsprechung als mit Art. 103 des Grundgesetzes für vereinbar erklärt (Beschluß vom 26. August 1981 2 BvR 637/81, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1982, 77).
Gerade aus der Rechtsprechung des BVerfG muß hergeleitet werden, daß hinsichtlich des Orts, an dem Akteneinsicht gewährt werden soll, ein gewisser Unterschied in der Behandlung von FA und Steuerpflichtigem in Kauf genommen werden muß. Ein Richter, der in diesem Sinne verfährt, begründet damit keinen Umstand, der geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Im Streitfall kommt hinzu, daß der abgelehnte Richter - wie das FG zutreffend ausführt - zur Zeit seiner Entscheidung keine Veranlassung hatte, eine Übersendung der Akten an das dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger nächstgelegene Amtsgericht in Erwägung zu ziehen.
Fundstellen
Haufe-Index 414523 |
BFH/NV 1987, 36 |