Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung rechtlichen Gehörs durch unterlassene Terminsverlegung wegen kurzfristigen Anwaltswechsels; Rechtsfortbildung; Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung; Betriebsstätte im Zulagenrecht
Leitsatz (NV)
1. Ob erhebliche Gründe für eine Verlegung eines Termins zur mündlichen Verhandlung vorliegen, hängt von den Verhältnissen des Einzelfalles ab, dem Prozessstoff, den persönlichen Verhältnissen des Beteiligten bzw. seines Prozessbevollmächtigten. Liegen erhebliche Gründe vor, so verdichtet sich das dem Gericht eingeräumte Ermessen zu einer Rechtspflicht, so dass der Termin zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs verlegt werden muss.
2. Ein Wechsel des Prozessvertreters während des gerichtlichen Verfahrens kann einen erheblichen Grund darstellen. Dies setzt allerdings voraus, dass es sich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht um eine schwierige Sache handelt, der Wechsel kurz vor der mündlichen Verhandlung stattfindet und vom Kläger nicht verschuldet ist.
3. Der Beteiligte hat jedoch die maßgebenden Gründe dem Finanzgericht so genau mitzuteilen, dass sich das Gericht auf Grund dieser Schilderung ein Urteil über deren Erheblichkeit bilden kann. Bloße formelhafte, nicht im Einzelnen nachprüfbare Begründungen rechtfertigen keine Terminsverlegung.
4. Die Voraussetzungen für den Grundtatbestand der Betriebsstätte gemäß § 12 Satz 1 AO 1977 im Zulagenrecht sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt.
Normenkette
AO 1977 § 12 S. 1; FGO § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 116 Abs. 3 S. 3; GG Art. 103 Abs. 1; InvZulG 1991 § 2; InvZulG 1993 § 2; InvZulG 1996 § 2; ZPO § 227 Abs. 1-2
Verfahrensgang
FG Nürnberg (Urteil vom 15.07.2004; Aktenzeichen VI 280/2003) |
Gründe
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abgesehen.
Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 FGO).
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dargelegt (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 und 3, § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
1. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Abwesenheit des ordnungsgemäß geladenen Prozessbevollmächtigten eines Beteiligten kann den Anspruch auf rechtliches Gehör des vertretenen Klägers verletzen (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG-- i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO), wenn einem vor dem Termin gestellten Antrag auf Terminsverlegung nicht stattgegeben worden ist.
Die schlüssige Rüge einer Verletzung rechtlichen Gehörs erfordert insoweit auch keine Ausführungen darüber, was bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen worden wäre und dass dieser Vortrag die Entscheidung des Gerichts hätte beeinflussen können, wenn das Gericht verfahrensfehlerhaft in Abwesenheit des Klägers bzw. seines Bevollmächtigten aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden hat (Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. September 2001 GrS 3/98, BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802).
Der Kläger hat indes keinen die Verlegung rechtfertigenden Grund ordnungsgemäß dargelegt.
Nach § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 155 FGO kann das Gericht aus erheblichen Gründen einen Termin aufheben oder verlegen. Ob erhebliche Gründe für eine Verlegung vorliegen, hängt von den Verhältnissen des Einzelfalles ab, dem Prozessstoff, den persönlichen Verhältnissen des Beteiligten bzw. seines Prozessbevollmächtigten (BFH-Beschlüsse vom 3. November 2003 III B 55/03, BFH/NV 2004, 506, m.w.N.; vom 7. Dezember 1990 III B 102/90, BFHE 163, 115, BStBl II 1991, 240).
In jedem Fall kann die Verlegung des Termins abgelehnt werden, wenn die Absicht einer Prozessverschleppung offensichtlich ist oder wenn die prozessualen Mitwirkungspflichten in anderer Weise erheblich verletzt worden sind (BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 506).
Liegen erhebliche Gründe vor, so verdichtet sich das in § 227 Abs. 1 ZPO eingeräumte gerichtliche Ermessen zu einer Rechtspflicht, d.h. der Termin muss zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs verlegt werden (BFH-Urteil vom 5. Dezember 1979 II R 56/76, BFHE 129, 297, BStBl II 1980, 208; BFH-Beschlüsse vom 18. August 2003 X S 5/03 (PKH), BFH/NV 2004, 66; in BFHE 163, 115, BStBl II 1991, 240).
Die maßgebenden Gründe hat der Beteiligte dem Finanzgericht (FG) allerdings mitzuteilen. Die erheblichen Gründe sind nach § 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 2 ZPO zwar grundsätzlich erst auf Verlangen glaubhaft zu machen. Indes berührt das nicht die Pflicht des Beteiligten, selbst die Gründe so genau anzugeben, dass sich das Gericht aufgrund dieser Schilderung ein Urteil über deren Erheblichkeit bilden kann (BFH-Beschlüsse vom 21. Juli 2003 VII B 199/02, BFH/NV 2004, 199; vom 21. Januar 2004 V B 25,26/03, BFH/NV 2004, 962; vom 23. Oktober 2002 III B 167/01, BFH/NV 2003, 80; vom 15. Juni 2001 IV B 25/00, BFH/NV 2001, 1579; vom 26. August 1999 X B 58/99, BFH/NV 2000, 441, m.w.N.; vom 17. März 1992 XI B 38/91, BFH/NV 1992, 679).
Deshalb rechtfertigen formelhafte, nicht im Einzelnen nachprüfbare Begründungen eine Terminsverlegung nicht (BFH-Beschlüsse vom 30. Januar 2003 IV B 137/01, BFH/NV 2003, 795; vom 31. August 1995 VII B 160/94, BFH/NV 1996, 228).
Nach der Rechtsprechung des BFH kann der Wechsel des Prozessvertreters während des gerichtlichen Verfahrens ein erheblicher Grund i.S. von § 227 Abs. 1 ZPO sein. Dies setzt indes voraus, dass es sich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht um eine schwierige Sache handelt, der Wechsel kurz vor der mündlichen Verhandlung stattfindet und vom Kläger nicht verschuldet ist (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2004, 66; in BFH/NV 2003, 795, und vom 30. Oktober 1997 X B 12/97, BFH/NV 1998, 599, m.w.N.).
Insbesondere stellt ein Anwaltswechsel vor der mündlichen Verhandlung nur dann einen Grund zur Vertagung dar, wenn er nicht durch die Prozesspartei verschuldet ist oder jedenfalls aus schutzwürdigen Gründen erforderlich ist (BFH-Urteil vom 26. Januar 1977 I R 163/74, BFHE 121, 286, BStBl II 1977, 348; BFH-Beschluss vom 14. Juni 1995 VIII B 126-127/94, BFH/NV 1996, 144).
In dem Verlegungsantrag haben die Bevollmächtigten zwar darauf hingewiesen, das Mandat sei von den bisherigen Prozessvertretern kurzfristig niedergelegt worden. Aber bereits daraus ergibt sich nicht unmissverständlich, wann genau das Mandat niedergelegt wurde. Aus der Tatsache, dass am selben Tag, unter dem der Verlegungsantrag datiert, die Bevollmächtigten beauftragt worden sind und die neue Prozessvollmacht ebenfalls am 14. Juli 2004 vom Kläger unterzeichnet worden ist, ergibt sich noch keineswegs eindeutig, wann die Mandatsniederlegung erfolgt ist.
Vor allem ergibt sich aus der lediglich abstrakten Angabe der für die Annahme eines möglicherweise erheblichen Grundes rechtfertigenden drei Kriterien nicht auch aufgrund tatsächlicher, nachvollziehbarer Angaben, warum der Wechsel stattgefunden hat. Das FG war deshalb nicht in der Lage zu beurteilen, ob der Wechsel durch den Kläger verschuldet war.
Zu Unrecht meint der Kläger, es genüge, erstmals mit der Nichtzulassungsbeschwerde die genaueren Gründe anzugeben, hier insbesondere die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen den früheren Bevollmächtigten zum ihm, dem Kläger.
In welcher Weise und in welcher Intensität die Bevollmächtigten im Zusammenhang mit dem Strafverfahren mit dem Problem vorher befasst gewesen sind, hat der Kläger bzw. haben die jetzigen Bevollmächtigten ebenfalls nicht näher ausgeführt, insbesondere haben sie diese Sachverhalte erstmals im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vorgetragen. Ob das FG ermessensfehlerhaft eine Verlegung des Termins abgelehnt hat, ist indes auf der Grundlage der dem FG bekannten und von ihm festgestellten Tatsachen revisionsrechtlich zu prüfen (§ 118 Abs. 2 FGO). Neue Tatsachen können im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht vorgetragen und berücksichtigt werden.
2. Der Kläger hat auch die Notwendigkeit einer Rechtsfortbildung nicht hinreichend dargelegt.
Eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts ist insbesondere in Fällen erforderlich, in denen über bisher ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden ist, so beispielsweise, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Grundsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen. Erforderlich ist eine Entscheidung des BFH nur dann, wenn die Rechtsfortbildung über den Einzelfall hinaus im allgemeinen Interesse liegt und wenn die Frage nach dem "Ob" und ggf. "Wie" der Rechtsfortbildung klärungsbedürftig ist (BFH-Beschluss vom 29. Juli 2003 X B 12/03, BFH/NV 2003, 1575). Es gelten insoweit die zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung höchstrichterlich entwickelten strengen Darlegungsanforderungen in gleicher Weise (BFH-Beschlüsse vom 17. Oktober 2001 III B 65/01, BFH/NV 2002, 217; vom 22. Dezember 2004 III B 169/03, nicht veröffentlicht --n.v.--, juris).
Die Rechtsfrage, ob eine Betriebsstätte i.S. von § 2 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1991 im Fördergebiet besteht, zu deren Anlagevermögen im Zeitpunkt der Anschaffung der beweglichen Wirtschaftsgüter, für die eine Investitionszulage begehrt wird, richtet sich nach § 12 der Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 InvZulG 1991 ff.
Der BFH hat die Voraussetzungen für die Annahme einer Betriebsstätte nach dem Grundtatbestand in § 12 Satz 1 AO 1977 als geklärt beurteilt (BFH-Urteil vom 4. Dezember 2003 III R 30/01, BFHE 203, 568, BStBl II 2004, 250; BFH-Beschluss vom 30. April 2004 III B 90/03, n.v., juris).
Der Kläger hat weder die bislang zur Frage der erforderlichen Verfügungsmacht und zur Mitbenutzung von als Betriebsstätte in Anspruch genommenen Räumen durch Dritte dargestellt noch sich insoweit mit der Rechtsprechung und Äußerungen im Fachschrifttum auseinander gesetzt und auf dieser Grundlage einen erneuten oder weiteren Klärungsbedarf dargestellt (vgl. dazu auch BFH-Beschluss vom 9. August 2002 III B 34/02, BFH/NV 2002, 1616).
Ebenso wenig hat er ausgeführt, dass die Rechtsprechung, losgelöst von den besonderen Umständen des Einzelfalls, überhaupt zusätzliche abstrakte Kriterien hierfür entwickeln könnte und ggf. welche (vgl. dazu BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2002, 1616; vom 18. Mai 2000 V B 178/99, BFH/NV 2000, 1504, 1505).
3. Ebenso wenig hat der Kläger die Voraussetzung für eine Zulassung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO wegen der Notwendigkeit der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung hinreichend schlüssig dargelegt bezüglich der Frage, ob eine Betriebsstätte zu Recht vom FG wegen vermeintlich fehlender unternehmerischer Tätigkeit des Klägers in dieser Betriebsstätte verneint worden sei.
a) Für die Darlegung der Divergenz im engeren Sinne muss vorgetragen werden, dass das FG seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt habe, der mit den tragenden Rechtsausführungen in der Entscheidung eines anderen Gerichts nicht übereinstimmt (BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 1616, m.w.N.).
Der Kläger hat insoweit keinerlei Divergenzentscheidung bezeichnet.
b) Ebenso fehlt ein schlüssiger Vortrag, dass die Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts durch das FG Fehler von einigem Gewicht erkennen lassen, die geeignet wären, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen oder dass es sich gar um eine willkürliche, jeder gesetzlichen Grundlage entbehrenden Entscheidung handelte, d.h. dass ein sog. qualifizierter Rechtsanwendungsfehler vorläge (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 1616).
Fundstellen
Haufe-Index 1381467 |
BFH/NV 2005, 1373 |