Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit einer Ersatzzustellung gem. § 182 ZPO
Leitsatz (NV)
1. Eine Ersatzzustellung gemäß § 182 ZPO ist auch dann zulässig, wenn der Postbeamte die Zustellung vergeblich in Räumen versucht hat, deren Anschrift der Zustellungsempfänger selbst als seine Wohnung angegeben hat.
2. Unter einer Wohnung i. S. d. Zustellungsrechts sind diejenigen Räumlichkeiten zu verstehen, die der Adressat zur Zeit der Zustellung tatsächlich zum Wohnen benutzt. Unerheblich ist, ob die Person, der zugestellt werden soll, in der betreffenden Räumlichkeit ihren Wohnsitz begründet hat oder ob der Adressat in dieser Wohnung polizeilich gemeldet ist.
Normenkette
VwZG § 3; ZPO § 182
Tatbestand
Die Beteiligten streiten in der Hauptsache um die Rechtmäßigkeit der Einkommensteuer- und Umsatzsteuerbescheide für 1976 und 1977 sowie 1982 und 1983 und außerdem der Einkommensteuer-Vorauszahlungsbescheide ab dem vierten Kalendervierteljahr 1979.
Mit Beschluß vom 18. November 1986 gab das Finanzgericht (FG) dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf, einen Bevollmächtigten zu bestellen. Zur Begründung seiner Anordnung führte es aus, die Ausführungen des Klägers enthielten zu einem großen Teil unsachliche und diskriminierende Äußerungen, die gegen den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) oder dessen Bedienstete gerichtet seien. Darüber hinaus reagiere der Kläger zum wiederholten Male nicht auf Anfragen und Stellungnahmen des FA, die ihm zur Beantwortung oder Gegenäußerung zugeleitet worden seien. Daneben häuften sich die Anträge, mit denen entweder Unsinniges begehrt werde (z. B. Sachverständigengutachten zur Bestätigung der Richtigkeit von eigenen Angaben des Klägers) oder die der Verfahrenslage nicht Rechnung trügen (z. B. Geltendmachen von Schadensersatz wegen angeblich unkorrekter Bearbeitung, sofortige Erstattung und Verzinsung streitiger, nicht ausgesetzter Steuerforderungen). Die getroffene Anordnung sei geboten, um einerseits einer weiteren mutwilligen Inanspruchnahme des Gerichts entgegenzutreten und weitere Äußerungen unsachlicher und diskriminierender Art zu verhindern und andererseits die anhängigen Verfahren im wohlverstandenen Interesse des Klägers zu fördern und zu einem sachgerechten Abschluß zu bringen.
Der Beschluß wurde zur Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde an die Anschrift des Klägers in D, B-Weg 20, aufgegeben. Da der Zustellungsbeamte dort weder den Kläger noch einen empfangsberechtigten Dritten antraf, legte er den Beschluß am 26. November 1986 bei der Postanstalt nieder. Ausweislich der Postzustellungsurkunde ist die Benachrichtigung über die Niederlegung an der Wohnungstür des Empfängers befestigt worden, weil die Abgabe in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise nicht tunlich war.
Nachdem der Kläger der Anordnung im Beschluß vom 18. November 1986 nicht gefolgt war, wurde ihm der Beschluß im Termin vom 31. August 1988 persönlich ausgehändigt.
Gegen den Beschluß des FG erhob der Kläger durch einen Prozeßbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 13. September 1988 Beschwerde und beantragte ,,vorsorglich", ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde zu gewähren. Der Beschluß vom 18. November 1986 sei dem Kläger nicht ordnungsgemäß zugestellt worden. Der Kläger sei seit dem 20. Juni 1985 unter der Anschrift F-Straße 28, D, wohnhaft und polizeilich gemeldet. Die vom FG angeführten Gründe rechtfertigten die getroffene Anordnung nicht.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, ist wegen Versäumung der Beschwerdefrist als unzulässig zu verwerfen.
Die Zustellung des Beschlusses des FG an die Anschrift des Klägers ,,B-Weg 20, D", ist durch Niederlegung des den Beschluß enthaltenden Briefes beim Postamt gemäß § 182 der Zivilprozeßordnung (ZPO) wirksam zustande gekommen. Dadurch ist die Beschwerdefrist in Lauf gesetzt worden.
Gemäß § 53 Abs. 1 FGO sind Anordnungen, durch die eine Frist in Lauf gesetzt wird, zuzustellen. Dazu gehört auch der mit der Beschwerde innerhalb der Zweiwochenfrist des § 129 Abs. 1 FGO anfechtbare Beschluß des FG. Das FA hat den Weg der Zustellung durch die Post mit Postzustellungsurkunde gewählt (§ 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes - VwZG -). In § 3 Abs. 3 VwZG wird für das Zustellen durch den Postbediensteten auf die Vorschriften der §§ 180 bis 186 und 195 Abs. 2 ZPO verwiesen. Eine Ersatzzustellung durch Niederlegung bei der Postanstalt nach § 182 ZPO setzt voraus, daß der Empfänger der zuzustellenden Sendung die Wohnung, in der der Zustellungsversuch unternommen wird, tatsächlich innehat, daß er in der Wohnung nicht angetroffen wird und daß schließlich ein Versuch der Ersatzzustellung nach § 181 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO nicht zum Erfolg führt. Das Vorliegen der beiden letztgenannten Voraussetzungen, das der zuständige Postbeamte in der Zustellungsurkunde vom 26. November 1986 vermerkt hat, stellt der Kläger nicht in Frage. Er macht jedoch geltend, er habe die Wohnung zum Zeitpunkt der versuchten Zustellung am 26. November 1986 nicht mehr innegehabt. Unter den gegebenen Umständen kann davon indes nicht ausgegangen werden.
Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15. Mai 1975 IV R 100/71 (BFHE 116, 90, BStBl II 1975, 791) ist die Ersatzzustellung nach § 182 ZPO, die - wie dargelegt - den Zustellungsversuch in der Wohnung des Zustellungsadressaten zur Voraussetzung hat, auch dann zulässig, wenn der Postbeamte die Zustellung vergeblich in - möglicherweise Bürozwecken dienenden - Räumen versucht hat, deren Anschrift der Zustellungsempfänger selbst als seine Wohnung angegeben hat. Maßgeblich dafür ist, daß sich der Kläger an dem von ihm aufgrund seiner eigenen Angaben erzeugten Rechtsschein festhalten lassen muß. Aus diesem Grunde hat er in einem solchen Fall die Wirksamkeit der erfolgten Zustellung gegen sich gelten zu lassen, solange dieser Rechtsschein nicht durch nachweisbare Tatsachen widerlegt ist. Insoweit kann es auch keinen Unterschied machen, ob die angegebene Wohnung schon von vornherein nicht bestanden hat oder erst später weggefallen sein soll.
Der Kläger hatte in den Klagen Az. . . . die Anschrift B-Weg 20, D, und daneben - wie auch in den übrigen Klagen und weiteren Schreiben an das FG - zunächst das Postfach . . ., D, angegeben. Mangels besonderer Anhaltspunkte bestand für das FG im Zeitpunkt der Zustellung des Beschlusses kein Anlaß zu der Annahme, die angegebene Wohnanschrift B-Weg 20 habe sich zwischenzeitlich geändert. Den somit - auch nach der angeblichen Änderung der Wohnverhältnisse des Klägers - gegenüber dem FG jedenfalls bestehenden Rechtsschein hat der Kläger nicht beseitigt. Er hat diesbezüglich zwar ausgeführt, er sei seit dem 20. Juni 1985 unter der Anschrift F-Straße 28, D, wohnhaft und polizeilich gemeldet. Damit hat der Kläger aber nicht vorgetragen, er habe nur und ausschließlich eine Wohnung in der F-Straße unterhalten und seine bisherige Wohnung B-weg 20 aufgegeben. Unter einer Wohnung im Sinne des Zustellungsrechts sind diejenigen Räumlichkeiten zu verstehen, die der Adressat zur Zeit der Zustellung tatsächlich zum Wohnen benutzt. Unerheblich ist, ob die Person, der zugestellt werden soll, in der betreffenden Räumlichkeit ihren Wohnsitz begründet hat oder ob der Adressat in dieser Wohnung polizeilich gemeldet ist (BFH-Urteil vom 26. November 1975 I R 157 /73, BFHE 117, 344, BStBl II 1976, 137; Urteil des Bundesgerichtshofs vom 24. November 1977 III ZR 1/76, Neue Juristische Wochenschrift 1978, 1858). Infolgedessen ergibt die Erklärung des Klägers zum Wohnsitz über seine - maßgeblichen - tatsächlichen Wohnverhältnisse keine eindeutige, für die Frage der Wirksamkeit der Zustellung entscheidende Klärung. Das Vorbringen des Klägers läßt die Möglichkeit offen, daß er die Wohnung weiterhin - möglicherweise als Zweitwohnung - benutzt hat. Nach den Feststellungen des FG hat sie ihm auch weiterhin gehört. Für das Fortbestehen der Wohnung B-Weg 20 spricht ebenfalls, daß auch der - mit den Verhältnissen erfahrungsgemäß vertraute - Postbeamte diese Anschrift offensichtlich als die Wohnanschrift des Klägers angesehen hat. Ausweislich der dem Senat vorliegenden Einkommensteuererklärungen 1982 und 1983 hat der Kläger die Wohnung F-Straße 28 - ebenso wie die Wohnung B-weg 20 - in den Vorjahren selbst genutzt. Auch nach der Ummeldung ist hinsichtlich der tatsächlichen Wohnverhältnisse möglicherweise alles beim alten geblieben.
Die Behauptungs- und Beweis- bzw. Darlegungslast dafür, daß die Postzustellungsurkunde - mit der Feststellung des Zustellungsbeamten: ,,In der Wohnung des in der Anschrift bezeichneten Empfängers . . . habe ich . . . den Empfänger nicht angetroffen" - gemäß §§ 417 ff. ZPO unrichtig sei, trägt derjenige, der sich darauf beruft (Urteil in BFHE 116, 90, BStBl II 1975, 791). Der vom Kläger selbst durch die Angaben über seine Wohnung geschaffene Rechtsschein wurde von ihm nicht widerlegt. Danach ist für die Frage der Wirksamkeit der Ersatzzustellung davon auszugehen, daß ihr der Versuch einer Zustellung in der Wohnung des Klägers nach § 181 ZPO vorausgegangen war.
Die vom Kläger beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) kann schon deshalb nicht in Betracht kommen, weil seit dem Ende der versäumten Frist mehr als ein Jahr verstrichen ist (§ 56 Abs. 3 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 416594 |
BFH/NV 1990, 749 |