Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablehnung eines Befangenheitsgesuchs; Streitgegenstand; rechtliches Gehör
Leitsatz (NV)
1. Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann grundsätzlich nicht auf die Ablehnung eines Befangenheitsgesuchs gestützt werden.
2. Streitgegenstand einer Anfechtungsklage im steuergerichtlichen Verfahren ist die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes im Ganzen.
3. Wer zur mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt nicht erscheint, kann regelmäßig anschließend nicht die Verletzung rechtlichen Gehörs rügen.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 2, §§ 96, 124 Abs. 2, § 128 Abs. 2
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 07.12.2004; Aktenzeichen 1 K 242/03) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Eigentümer eines Grundstücks, das Teilstück eines ehemaligen landwirtschaftlichen Betriebes mit einem vor 1895 errichteten Wohnhaus ist. In einzelnen Jahren von 1980 bis 1990 fanden Um- und Anbauarbeiten statt. 1996 richtete der Kläger in dem Gebäude eine Rechtsanwaltskanzlei ein; die übrigen Räume nutzte der Kläger für sich und seine Familie zu eigenen Wohnzwecken. Für das Grundstück sind zuletzt auf den 1. Januar 1984 die Grundstücksart Einfamilienhaus und der Einheitswert, ermittelt im Ertragswertverfahren, auf 45 700 DM festgestellt worden. Nachdem die Bewertungsstelle des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) im Jahre 2001 von der Einrichtung der Rechtsanwaltskanzlei erfahren hatte, führte das FA mit Bescheid vom 7. März 2002 eine Art- und Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1999 durch, in der es die Grundstücksart gemischt genutztes Grundstück und den Einheitswert --im Ertragswertverfahren-- auf 71 200 DM feststellte. Im Einspruchsverfahren hob das FA mit Einspruchsentscheidung vom 11. Juni 2003 die Artfortschreibung auf und stellte wieder die Grundstücksart Einfamilienhaus fest; die Höhe des weiterhin im Ertragswertverfahren ermittelten Einheitswerts ermäßigte es auf 51 900 DM.
Die Klage, mit der der Kläger eine weitere Herabsetzung des Einheitswerts auf 42 770 DM begehrte, wies das Finanzgericht (FG) mit der Begründung ab, dass die Wertfortschreibungsgrenzen gemäß § 22 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) nicht erreicht werden. Im Übrigen sei die Feststellung zwar rechtswidrig, weil der Einheitswert im Streitfall im Sachwertverfahren zu ermitteln sei; da eine fehlerberichtigende Fortschreibung, die dies korrigierte, gemäß § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG aber nicht auf den 1. Januar 1999 erfolgen könne, habe die Ermittlung des Einheitswerts auf den 1. Januar 1999 gleichwohl im Ertragswertverfahren zu erfolgen. Hierbei ergebe sich, selbst wenn man in allen streitigen Punkten von der für den Kläger günstigeren Möglichkeit ausgehe, ein höherer Wert als der vom FA festgestellte und damit keine Rechtsverletzung.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sowie Verfahrensmängel geltend (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde ist unzulässig, soweit sich der Kläger mit der Rüge eines Verfahrensmangels gegen die Zurückweisung seines Befangenheitsantrags durch Beschluss des FG vom 27. Oktober 2004 wendet. Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann grundsätzlich nicht auf die Ablehnung eines Befangenheitsgesuchs gestützt werden, da dem Endurteil vorangegangene Entscheidungen, die nach der FGO unanfechtbar sind, nicht der Beurteilung der Revision unterliegen (§ 124 Abs. 2 FGO). Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen können aber nach § 128 Abs. 2 FGO nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Mit einer Nichtzulassungsbeschwerde können nur solche Verfahrensmängel geltend gemacht werden, die als Folge der Ablehnung des Befangenheitsgesuchs dem angefochtenen Urteil anhaften. Ein Zulassungsgrund liegt daher nur vor, wenn die Ablehnung gegen das Willkürverbot verstößt oder ein Verfahrensgrundrecht verletzt wird, wie der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) oder auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Das Verfahrensgrundrecht auf den gesetzlichen Richter greift jedoch nur bei willkürlichen Verstößen gegen Verfahrensvorschriften ein. Deshalb hat eine Besetzungsrüge nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sich dem Beschwerdevorbringen entnehmen lässt, dass der Beschluss über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs nicht nur fehlerhaft, sondern greifbar gesetzwidrig und damit willkürlich ist (BFH-Beschlüsse vom 13. Januar 2003 III B 51/02, BFH/NV 2003, 640; vom 28. Mai 2003 III B 87/02, BFH/NV 2003, 1218; vom 22. Oktober 2003 III B 14/03, BFH/NV 2004, 224; vom 27. Oktober 2003 VII S 20/03 (PKH), BFH/NV 2004, 375).
Derartiges Vorbringen enthält die Beschwerde nicht. Der Kläger trägt keine Umstände vor, aus denen sich eine greifbar gesetzeswidrige Ablehnung seines Befangenheitsantrags und damit eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter ergeben könnte. Er beschränkt sich stattdessen darauf zu begründen, dass die Ablehnung seines Befangenheitsgesuchs --lediglich-- rechtsfehlerhaft war.
2. Die Beschwerde ist unbegründet, soweit der Kläger als Verfahrensmangel geltend macht, das FG habe unter Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht über sein Klagebegehren entschieden. Ein solcher Verfahrensmangel liegt nicht vor.
a) Die Ausführungen des Klägers, wonach er "unter Anerkennung" der im "Einheitswertbescheid getroffenen Feststellungen zu Wert, Art und Zurechnung" lediglich einzelne, streitige Rechtsfehler geltend gemacht habe, ergeben keine Beschränkung des Klagebegehrens dergestalt, dass das FG --nur-- über dieses eingeschränkte Begehren befinden könne.
Der Streitgegenstand und damit das Klagebegehren bei Anfechtung eines Feststellungsbescheids ergibt sich aus der Art der gesonderten Feststellung (z.B. Einheitswertfeststellung) und dem Zeitpunkt, auf den die Feststellung getroffen worden ist (BFH-Urteil vom 8. Oktober 1971 III R 79/67, BFHE 103, 400, BStBl II 1972, 59). Die Anfechtungsklage ist auch gegeben, soweit eine niedrigere Feststellung begehrt wird (BFH-Beschluss vom 10. Juli 1979 VIII B 84/78, BStBl II 1979, 567). Streitgegenstand einer Anfechtungsklage im steuergerichtlichen Verfahren ist die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts im Ganzen. Sie wird im Rahmen der Anträge in vollem Umfange nachgeprüft. Das Gericht wird nicht dadurch in seiner Nachprüfung beschränkt, dass der Kläger aus dem gesamten Sachverhalt, der dem Steuerbescheid zu Grunde liegt, nur einen Ausschnitt vorträgt (BFH-Beschluss des Großen Senats vom 17. Juli 1967 GrS 1/66, BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344; BFH-Urteil in BFHE 103, 400, BStBl II 1972, 59).
Die in einem Einheitswertbescheid über ein Grundstück getroffenen Feststellungen zu Wert, Art und Zurechnung sind selbständige Feststellungen, die für sich allein, d.h. unabhängig vom übrigen Inhalt eines solchen Bescheides, in Bestandskraft erwachsen oder angefochten und damit zum Gegenstand eines Rechtsstreits gemacht werden können und damit den Streitgegenstand und das Klagebegehren bezeichnen (vgl. BFH-Urteile vom 16. September 1987 II R 237/84, BFH/NV 1988, 690, und vom 5. Mai 1999 II R 44/96, BFH/NV 2000, 8).
Im Streitfall ist angefochten die Wertfeststellung. Über das sich hiernach ergebende Klagebegehren auf Änderung des Bescheids vom 7. März 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Juni 2003 hat das FG entschieden.
b) Die weiteren Ausführungen des Klägers, wonach das FG eine Feststellung getroffen habe, die nicht beantragt war, und damit eine unzulässige Veränderung des angefochtenen Bescheides vorgenommen habe, weil "der Änderungsbescheid über den Einheitswert … in der Form der Einspruchsentscheidung … insoweit bestandskräftig (war), als er mit der Klage nicht angefochten worden ist", ergeben ebenfalls keinen Verfahrensmangel.
Soweit der Kläger mit diesen Ausführungen begründen will, dass seinem Antrag, den Einheitswert auf 42 770 DM festzustellen, die Wertänderungsgrenzen des § 22 Abs. 1 BewG deswegen nicht entgegenstehen, weil die Wertänderung am Einheitswert nach dem Einheitswertbescheid vom 7. März 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung zu messen sei, so ist dies schon deswegen unbehelflich, weil dadurch nicht dargelegt wird, dass das FG nicht über seinen Klageantrag, nämlich den Einheitswert auf 42 770 DM festzustellen, entschieden habe. Das FG hat insoweit entschieden. Dass es nicht mit dem vom Kläger gewünschten Ergebnis entschieden hat, begründet keinen Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO. Im Übrigen beantwortet sich die Frage, ob die Wertgrenzen des § 22 Abs. 1 BewG erreicht sind, wie sich ohne weiteres aus dem Gesetz ergibt, am Maßstab "des letzten Feststellungszeitpunkts" (§ 22 Abs. 1 BewG; vgl. hierzu etwa BFH-Urteil vom 21. Februar 2002 II R 18/00, BFHE 198, 150, BStBl II 2002, 456) und nicht am Umfang des Klageantrags gemessen am angefochtenen Einheitswertbescheid.
3. Die Beschwerde ist unbegründet, soweit der Kläger geltend macht, das FG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (vgl. Art. 103 Abs. 1 GG; § 96 Abs. 2 FGO) durch eine Überraschungsentscheidung verletzt. Das FG hat seine Entscheidung nicht auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt unddamit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht rechnen musste (z.B. BFH-Beschluss vom 9. Januar 2004 III B 33/03, BFH/NV 2004, 534, m.w.N.). Wie der Kläger --im Sachzusammenhang insbesondere mit seiner allerdings unzulässigen Rüge der Ablehnung seines Befangenheitsantrags-- in der Beschwerdeschrift wiederholt vorträgt, war ihm bekannt, dass die Frage des Bewertungsverfahrens streitig war und das FG aus diesem Grund eine Klageabweisung erwog. Darin, dass das FG diese Klageabweisung wegen § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG (vgl. BFH-Urteile vom 13. November 1991 II R 15/89, BFHE 166, 571, BStBl II 1994, 393, und vom 15. Oktober 1981 III R 96/80, BFHE 134, 184, BStBl II 1982, 15) offenkundig nicht auf die Anwendung des Sachwertverfahrens stützen konnte --womit er als gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter rechnen musste-- und deswegen der Klageabweisung mit der Anwendung des Ertragswertverfahrens eine andere Begründung gegeben hat als die, von der der Kläger nach seinen Ausführungen ausging, liegt zum einen keine Wendung im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung. Zum anderen liegt hierin auch deswegen keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, weil das FG der Anwendung des Ertragswertverfahrens die jeweils dem Kläger günstigeren Annahmen zu Grunde gelegt hat. Der Kläger hat in der Beschwerdeschrift nicht vorgetragen, dass dies im Hinblick auf die Anwendung des Ertragswertverfahrens unzutreffend sei.
4. Die Beschwerde ist unbegründet, soweit der Kläger geltend macht, das FG sei seinen Fürsorgepflichten gegenüber dem Kläger nach § 76 Abs. 2 FGO deswegen nicht nachgekommen, weil es nicht spätestens mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung auf bislang nicht angesprochene Gesichtspunkte hingewiesen habe. Die Pflichten des Gerichts aus § 76 Abs. 2 FGO stehen mit der prozessualen Mitwirkung der Beteiligten in einer gewissen Wechselwirkung (vgl. BFH-Urteil vom 19. Oktober 1993 VIII R 61/92, BFH/NV 1994, 790, unter Ziff. 1. b der Gründe). Wer etwa zur mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt nicht erscheint, kann regelmäßig anschließend nicht die Verletzung des § 76 Abs. 2 FGO rügen (vgl. BFH-Beschluss vom 9. August 2000 IX B 40/00, BFH/NV 2001, 63, m.w.N.). Die vom Kläger geltend gemachten "Gesamtumstände" führen im Streitfall zu keinem anderen Ergebnis. Das Gericht ist an den beiderseitigen Verzicht auf mündliche Verhandlung nicht positiv gebunden (BFH-Urteil vom 29. April 1999 V R 102/98, BFH/NV 1999, 1480); zur Gewährung rechtlichen Gehörs kann eine mündliche Verhandlung sogar geboten sein (BFH-Beschluss vom 8. Oktober 1991 VII B 186/91, BFH/NV 1992, 358). Wenn das FG entgegen einem beiderseitigen Verzicht auf mündliche Verhandlung gleichwohl eine mündliche Verhandlung ansetzt --also Verhandlungsbedarf bezogen auf den Stand des schriftlichen Verfahrens sieht--, kann der Kläger nicht davon ausgehen, der Sach- und Rechtsstand sei im schriftlichen Verfahren ausreichend und abschließend dargelegt und erörtert, und deswegen der mündlichen Verhandlung fernbleiben.
5. Die Beschwerde ist auch unbegründet, soweit der Kläger Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG; § 96 Abs. 2 FGO) bzw. einen Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO geltend macht im Hinblick auf die Annahme des FG, das streitgegenständliche Grundstück sei im Sachwertverfahren zu bewerten. Auf den gerügten Verfahrensfehlern --wobei offen bleiben kann, ob sie tatsächlich vorliegen-- kann die Entscheidung des FG nicht beruhen, da das FG seiner Entscheidung die Anwendung des Ertragswertverfahrens zu Grunde gelegt hat. Die Frage der Anwendung des Sachwertverfahrens ist insoweit nicht entscheidungserheblich geworden.
6. Die Beschwerde ist ebenfalls unbegründet, soweit der Kläger grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht. Die vom Kläger formulierte Rechtsfrage ist weder klärungsfähig noch klärungsbedürftig. Ihr liegt die Annahme zu Grunde, das FG habe, soweit der Kläger einen niedrigeren Einheitswert begehrt, die Klage mangels Klagebefugnis abgewiesen. Dies kann der Entscheidung des FG nicht entnommen werden. Der Senat versteht die Formulierung, dass "die Klage bereits aus formellen Gründen nicht durchdringen" kann, weil "die Wertfortschreibungsgrenzen nicht erreicht werden", nicht dahin, dass das FG das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers verneint und die Klage insoweit als unzulässig angesehen hat. Vielmehr geht der Senat davon aus, dass das FG die Sachurteilsvoraussetzungen (§ 40 Abs. 2 FGO) bejaht und den Anspruch des Klägers auf Feststellung des begehrten Einheitswerts der Sache nach ohne weiteres und deswegen verneint hat, weil schon nach dem Antrag des Klägers --worauf sich die Formulierung "aus formellen Gründen" verständigerweise nur beziehen kann-- die Wertfortschreibungsgrenzen des § 22 Abs. 1 BewG nicht erreicht werden.
7. Die Beschwerde ist schließlich auch unbegründet, soweit der Kläger geltend macht, eine Entscheidung des BFH sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die geltend gemachten Divergenzen sind nicht klärungsfähig. Sie beziehen sich allesamt auf die Anwendung des Sachwertverfahrens, auf das es für den Streitfall aber deswegen nicht ankommt, weil das FG entscheidungserheblich --zutreffend (vgl. BFH-Urteile in BFHE 166, 571, BStBl II 1994, 393, und in BFHE 134, 184, BStBl II 1982, 15)-- auf das Ertragswertverfahren abgestellt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 1480527 |
BFH/NV 2006, 782 |