Entscheidungsstichwort (Thema)
Übersendung von Kindergeldakten an Prozessbevollmächtigten
Leitsatz (NV)
Die Entscheidung, Kindergeldakten einem Prozessbevollmächtigten zur Akteneinsicht in dessen Geschäftsräume zu überlassen, ist eine Ermessensentscheidung, die eine Abwägung der für und gegen eine Versendung sprechenden Interessen erfordert. Allerdings ist die Übersendung auf eng begrenzte Sonderfälle zu beschränken.
Normenkette
FGO § 78 Abs. 1, § 128 Abs. 2
Verfahrensgang
Hessisches FG (Beschluss vom 30.05.2007; Aktenzeichen 13 K 381/07) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) die Festsetzung von Kindergeld ab April 2005 aufhob.
Im finanzgerichtlichen Verfahren beantragte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin, die Kindergeldakte in die Kanzleiräume zu übersenden oder eine vollständige Kopie der Akte zu überlassen. Der mit der Streitsache befasste Berichterstatter bot an, die Akte beim Hessischen Finanzgericht (FG) einzusehen oder sie an das Amtsgericht B zur Akteneinsicht zu übersenden. Auf einen weiteren Antrag hin lehnte der Einzelrichter, dem der Rechtsstreit zuvor gemäß § 6 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) übertragen worden war, mit Beschluss vom 30. Mai 2007 die Übersendung der Kindergeldakte in die Kanzleiräume der Prozessbevollmächtigten ab. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.
Entscheidungsgründe
II. 1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist nicht durch § 128 Abs. 2 FGO ausgeschlossen. Die Entscheidung über die Art und Weise von Akteneinsicht ist keine prozessleitende Verfügung im Sinne dieser Vorschrift (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH--, vgl. Senatsbeschluss vom 26. Januar 2006 III B 166/05, BFH/NV 2006, 963).
2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
a) Die Beteiligten können nach § 78 Abs. 1 Satz 1 FGO die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen und sich durch die Geschäftsstellen auf ihre Kosten Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften erteilen lassen. Aus dem Begriff "einsehen" und der Regelung über die Erteilung von Abschriften u.ä. durch die Geschäftsstelle des Gerichts ergibt sich, dass die Einsichtnahme der Akten bei Gericht die Regel sein soll und eine vorübergehende Überlassung der Akten an den Prozessbevollmächtigten nur ausnahmsweise in Betracht kommt (BFH-Beschluss vom 1. August 2002 VII B 65/02, BFH/NV 2003, 59; Senatsbeschluss in BFH/NV 2006, 963).
b) Die Entscheidung, die Akten einem Prozessbevollmächtigten zur Akteneinsicht in dessen Geschäftsräumen zu überlassen, ist eine Ermessensentscheidung. Dabei sind die für und gegen eine Aktenversendung sprechenden Interessen gegeneinander abzuwägen, also insbesondere die Vermeidung von Aktenverlusten sowie die jederzeitige Verfügbarkeit der Akten der möglichen Kosten- und Zeitersparnis für den Prozessbevollmächtigten gegenüberzustellen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 11. Juni 2002 V B 5/02, BFH/NV 2002, 1464; vom 19. November 2002 V B 166/01, BFH/NV 2003, 484, und in BFH/NV 2006, 963, jeweils m.w.N.). Die Abwägung hat dabei allerdings das Regel-Ausnahme-Verhältnis zu beachten, wonach die Übersendung die Ausnahme und daher auf eng begrenzte Sonderfälle zu beschränken ist. Diese Grundsätze gelten auch für die Übersendung von Kindergeldakten (Senatsbeschluss in BFH/NV 2006, 963).
c) Das FG ist in dem mit der Beschwerde angegriffenen Beschluss von diesen Grundsätzen ausgegangen und hat zu Recht entschieden, dass ein Fall, in dem ausnahmsweise eine Übersendung der Akte in die Kanzleiräume oder ein vollständiges Kopieren der Akte in Betracht kommt, nicht vorliegt. Es hat zutreffend ausgeführt, dass Unbequemlichkeiten, die regelmäßig mit der Akteneinsicht außerhalb der Kanzleiräume verbunden sind, keine Ausnahme von der Regel rechtfertigen, Akteneinsicht grundsätzlich bei dem FG, bei einem anderen Gericht oder einer anderen Behörde zu nehmen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 12. Januar 2000 VI B 418/98, BFH/NV 2000, 855, und in BFH/NV 2003, 59). Gleiches gilt für die vorgetragenen Kostengründe.
d) Der BFH ist als Beschwerdegericht und Tatsacheninstanz gehalten, eigenes Ermessen auszuüben (vgl. BFH-Beschluss vom 15. November 2004 V B 182/04, BFH/NV 2005, 569). Allerdings sieht auch der Senat im Streitfall keine die Aktenübersendung ausnahmsweise rechtfertigenden Besonderheiten.
Fundstellen