Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweilige Anordnung: Wegfall des Rechtsschutzinteresses

 

Leitsatz (NV)

1. Wendet sich der Antragsteller mit dem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gegen die drohende Zwangsversteigerung seines Einfamilienhauses, so entfällt das Rechtsschutzinteresse für den Antrag, wenn die Versteigerung des Hauses durchgeführt worden ist.

2. Bei dem Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung im Wege der einstweiligen Anordnung müssen die den Anordnungsgrund rechtfertigenden Umstände über die Nachteile hinausgehen, die im Regelfall bei einer Vollstreckung zu erwarten sind.

 

Normenkette

FGO § 114; ZPO § 920 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) beantragten beim Finanzgericht (FG), im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 114 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Beitreibung ihrer Steuerrückstände, insbesondere die vom Finanzamt (FA) betriebene Zwangsversteigerung ihres Einfamilienhauses, bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Klageverfahrens über ihren Antrag auf Steuererlaß auszusetzen. Das FG lehnte den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit der Begründung ab, daß ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden sei. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Antragsteller. Die Zwangsversteigerung des Einfamilienhauses wurde am . . . durchgeführt; die Verteilung des Versteigerungserlöses erfolgte am . . .

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde, mit der die Antragsteller ihr Begehren weiterverfolgen, ist unbegründet und dementsprechend, wie vom FA beantragt, zurückzuweisen.

1. Sieht man das Rechtsschutzziel der Antragsteller allein darin, bis zur gerichtlichen Entscheidung über ihren Erlaßantrag die Zwangsversteigerung des Einfamilienhauses zu verhindern - wofür insbesondere die Antrags- und Beschwerdebegründung spricht -, so ist mit der Versteigerung des Hauses im Zwangsversteigerungstermin . . . das Rechtsschutzinteresse für die begehrte einstweilige Anordnung entfallen. Der Antrag der Antragsteller ist gegenstandslos geworden, weil der begehrte gerichtliche Rechtsschutz nach Versteigerung des Einfamilienhauses und Verteilung des Versteigerungserlöses tatsächlich nicht mehr gewährt werden kann. Mit dem Wegfall des Rechtsschutzinteresses ist der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz unzulässig geworden; die Beschwerde gegen die ablehnende Entscheidung des FG ist damit unbegründet (vgl. Beschluß des Senats vom 8. August 1989 VII S 1-3/89, BFH/NV 1990, 259, m. w. N.; dort für den Fall der Verwertung von beweglichen Pfandgegenständen).

2. Auch wenn der Rechtsschutzantrag der Antragsteller weitergehen und auf die einstweilige Einstellung jeglicher Vollstreckungsmaßnahmen gerichtet sein sollte - dafür spricht der Antrag an das FG -, ist die Ablehnung des Antrags durch das FG im Ergebnis nicht zu beanstanden. Dabei braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob die Vorinstanz im Zeitpunkt ihrer Entscheidung zu Recht einen Anordnungsanspruch nicht für glaubhaft gemacht angesehen hat. Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, daß nicht nur ein Anordnungsanspruch, sondern auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden (§ 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung). Die Vorentscheidung ist jedenfalls deshalb zutreffend, weil die Antragsteller für die begehrte einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung keinen Anordnungsgrund dargelegt und glaubhaft gemacht haben, abgesehen von den Beeinträchtigungen durch die Zwangsversteigerung ihres Einfamilienhauses, die nunmehr nicht mehr berücksichtigt werden können.

Für die hier beantragte Regelungsanordnung setzen die in § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO genannten Gründe Maßstäbe für die Beurteilung der Frage, ob ein Anordnungsgrund vorliegt (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Juli 1986 VII B 42/86, BFH/NV 1987, 39; vom 30. Juli 1986 V B 31/86, BFH/NV 1987, 42, und Senatsbeschluß vom 14. Juni 1988 VII B 15/88, BFH/NV 1989, 75, 76). Danach kommt eine einstweilige Anordnung grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen bedroht ist (BFH-Beschlüsse vom 12. April 1984 VIII B 115/82, BFHE 140, 430, BStBl II 1984, 492, und vom 17. Januar 1985 VI B 106/84, BFH/NV 1986, 219). In jedem Fall müssen die den Anordnungsgrund rechtfertigenden Umstände über die Nachteile hinausgehen, die im Regelfall bei einer Vollstreckung zu erwarten sind.

Derartige Gründe sind im Streitfall lediglich für den Fall der Zwangsversteigerung des Einfamilienhauses behauptet worden (Existenzvernichtung, irreparabler Schaden). Sie können, nachdem die Versteigerung des Hauses erfolgt und die Vollstreckung insoweit abgeschlossen ist, als Gründe für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht mehr berücksichtigt werden. Hinsichtlich etwaiger weiterer Vollstreckungsmaßnahmen des FA, gegen die der Rechtsschutzantrag gerichtet sein könnte, haben die Antragsteller weder vorgetragen, welche Vollstreckungsmaßnahmen zu erwarten sind, noch, warum diese zu Nachteilen führen könnten, die über die üblichen und vom Schuldner hinzunehmenden Beeinträchtigungen einer Vollstreckung hinausgehen. Auch nach der Aktenlage sind sonstige drohende Vollstreckungsmaßnahmen, die die Existenz der Antragsteller beeinträchtigen konnten, nicht ersichtlich.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417968

BFH/NV 1992, 319

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