Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerpflicht eines Mitglieds der NATO-Truppen
Leitsatz (NV)
1. Auch wenn Mitglieder einer Truppe oder eines zivilen Gefolges des Entsendestaates im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind sie nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig, wenn sie sich “nur in dieser Eigenschaft” in der Bundesrepublik aufhalten.
2. Ein Mitglied einer Truppe oder eines zivilen Gefolges hält sich dann nur “in dieser Eigenschaft” im Inland auf, wenn nach den gesamten Lebensumständen erkennbar ist, dass die betreffende Person in dem maßgeblichen Zeitraum fest entschlossen ist, nach Beendigung ihres Dienstes in ihren Heimatstaat zurückzukehren.
Normenkette
EStG § 1 Abs. 1 S. 1; AO § 8; NATOTrStat Art. 10 Abs. 1; FGO § 139 Abs. 4
Verfahrensgang
FG Köln (Urteil vom 02.06.2008; Aktenzeichen 15 K 2322/05) |
Tatbestand
Rz. 1
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist belgische Staatsangehörige und lebte von 1977 bis 2006 in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik). Als Angehörige der belgischen Streitkräfte konnte sie über eine Wohnung in X frei verfügen. Sie wohnte dort mit dem Beigeladenen, mit dem sie von 1978 bis 2000 verheiratet war, und den fünf gemeinsamen Kindern. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) veranlagte mit Bescheid für 1996 vom 21. Dezember 2004 und für 1997 vom 16. Dezember 2004 die Klägerin und den Beigeladenen zusammen zur Einkommensteuer. Hiergegen machte die Klägerin geltend, sie habe die Zustimmung zur Zusammenveranlagung nur erteilt, um gegen die Einkommensteuerbescheide selbst vorgehen zu können. Gemäß Art. X Abs. 1 Satz 1 des Abkommens zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen vom 19. Juni 1951 --NATOTrStat-- (BGBl II 1961, 1190) habe sie als Angehörige der belgischen Streitkräfte nicht der unbeschränkten Steuerpflicht unterlegen, was eine Zusammenveranlagung ausschließe.
Rz. 2
Das Finanzgericht (FG) hob den Einkommensteuerbescheid 1997 in der Fassung der Einspruchsentscheidung auf und wies die Klage im Übrigen ab. Es entschied, die Klägerin sei im Jahr 1997 nicht unbeschränkt steuerpflichtig gewesen. Sie habe sich nur noch in ihrer Eigenschaft als Angehörige der belgischen Streitkräfte in der Bundesrepublik aufgehalten, da eine intakte Ehe im Jahr 1997 nicht mehr bestanden habe. Im Jahr 1996 jedoch seien die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung erfüllt.
Rz. 3
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde wegen Einkommensteuer 1996 macht die Klägerin die Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) sowie Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) geltend. Das FG habe das Wohnen der Klägerin innerhalb der den Angehörigen der belgischen Streitkräfte vorbehaltenen Wohnbereiche nicht als das entscheidende, gegen ihre unbeschränkte Steuerpflicht sprechende Beurteilungskriterium angesehen. Dies lasse auf eine Divergenz zum BFH-Urteil vom 9. November 2005 I R 47/04 (BFHE 211, 500, BStBl II 2006, 374) schließen. Angesichts der festgestellten Arbeitseinkünfte der Klägerin im Streitjahr von 43.446 DM und des in Belgien für Wohnzwecke zur Verfügung stehenden Wohnhauses sei zudem die Tatsachenschlussfolgerung des FG, allein von dem Einkommen der Klägerin habe die Familie nicht leben können, nicht nachvollziehbar. Das FG habe gegen seine Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs sowie gegen § 76 Abs. 2 FGO und § 96 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz FGO verstoßen, weil es nicht auf einen Verpflichtungsantrag hingewirkt habe. Der Einspruch gegen die Zusammenveranlagung mit dem Beigeladenen habe zwangsläufig die fehlende Zustimmung zur Zusammenveranlagung bzw. den Widerruf ihrer zunächst förmlich erteilten Zustimmung enthalten, was mit dem auf getrennte Veranlagung gerichteten Verpflichtungsbegehren einhergegangen sei. Auf die Frage, ob die Klägerin überhaupt unbeschränkt steuerpflichtig ist, komme es gar nicht mehr an.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
II. Die Beschwerde ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
Rz. 5
1. Das FG-Urteil weicht nicht von dem BFH-Urteil in BFHE 211, 500, BStBl II 2006, 374 ab. Unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind nach § 1 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und nutzen wird (§ 8 der Abgabenordnung --AO--). Nach diesen Maßgaben hat das FG die Wohnung der Klägerin in X, über die sie frei verfügen konnte und die sie gemeinsam mit ihrer Familie zu Wohnzwecken nutzte, als Wohnsitz der Klägerin i.S. des § 8 AO angesehen. Gemäß Art. X Abs. 1 Satz 1 NATOTrStat gelten allerdings die Zeitabschnitte, in denen sich ein Mitglied einer Truppe oder eines zivilen Gefolges des Entsendestaates nur in dieser Eigenschaft in der Bundesrepublik aufhält, nicht als Zeiten des Aufenthalts oder Wohnsitzes i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG. Nach dem BFH-Urteil in BFHE 211, 500, BStBl II 2006, 374 hält sich ein Mitglied einer Truppe oder eines zivilen Gefolges immer dann "nur in dieser Eigenschaft" i.S. des Art. X Abs. 1 Satz 1 NATOTrStat im Inland auf, wenn nach den gesamten Lebensumständen erkennbar ist, dass die betreffende Person in dem maßgeblichen Zeitraum fest entschlossen ist, nach Beendigung ihres Dienstes in ihren Heimatstaat zurückzukehren. Diesen Grundsätzen hat sich das FG in der angefochtenen Entscheidung ausdrücklich angeschlossen. Im Kern rügt die Klägerin, das FG habe falsch entschieden. Die Fehlerhaftigkeit des Urteils --falls sie vorläge-- kann aber die Zulassung der Revision nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO begründen, da sie jedenfalls nicht geeignet wäre, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen.
Rz. 6
2. Die Revision ist auch nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO aufgrund eines Verfahrensmangels zuzulassen. Ob das FG auf einen Verpflichtungsantrag der Klägerin hätte hinwirken müssen und ob die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Verpflichtungsklage erfüllt gewesen wären (vgl. Senatsurteil vom 19. Mai 2004 III R 18/02, BFHE 206, 201, BStBl II 2004, 980), kann dahinstehen. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO kann nur ein Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann, die Zulassung der Revision nach sich ziehen. Ausgehend von der materiell-rechtlichen Auffassung des FG wäre aber auch eine Verpflichtungsklage in der Sache ohne Erfolg geblieben. Im Übrigen wird mit der Rüge einer vermeintlich fehlerhaften rechtlichen Würdigung oder einer unzutreffenden Würdigung des Sachverhalts ein Verfahrensmangel nicht bezeichnet (BFH-Beschluss vom 29. Mai 2006 VIII B 191/05, BFH/NV 2006, 1658).
Rz. 7
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.
Rz. 8
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 1 i.V.m. § 135 Abs. 2 FGO und § 139 Abs. 4 FGO. Da der Beigeladene das Beschwerdeverfahren durch Sachvortrag wesentlich gefördert hat, entspricht es der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen im Beschwerdeverfahren der Klägerin aufzuerlegen (vgl. BFH-Beschluss vom 29. Mai 2009 IV B 143/08, BFH/NV 2009, 1452).
Fundstellen
Haufe-Index 2298559 |
BFH/NV 2010, 630 |