Leitsatz (amtlich)

Nach Art. 1 Nr. 4 Satz 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 8. Juli 1975 (BGBl I 1975, 1861 - BFH-EntlastG -) ist gegen Entscheidungen der Finanzgerichte in Streitigkeiten über die Festsetzung des Streitwerts im Verwaltungsverfahren (§ 255 AO) die Beschwerde zum Bundesfinanzhof nicht gegeben.

 

Normenkette

BFH-EntlastG Art. 1 Nr. 4 S. 1; FGO § 128; AO § 255

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe des Streitwerts in einem Einspruchsverfahren.

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (FA) stellte den Gewinn der Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), einer OHG, für das Kalenderjahr 1972 wegen Nichtabgabe der Steuererklärung im Wege der Schätzung mit Bescheid vom 9. Dezember 1974 einheitlich und gesondert auf 102 000 DM fest. Den Einspruch verwarf das FA, nachdem ihn die Antragstellerin trotz wiederholter Aufforderung nicht begründet hatte, mit Entscheidung vom 11. März 1975 als unzulässig. Den Streitwert setzte das FA auf 25 000 DM fest. Auf die Beschwerde, mit der die Antragstellerin beantragte, den Streitwert auf 250 DM festzusetzen, setzte die OFD den Streitwert auf 6 600 DM herab.

Den Antrag gemäß § 255 Abs. 3 AO auf Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und niedrigere Festsetzung des Streitwertes wies das FG zurück. Es belehrte die Antragstellerin dahingehend, daß gegen diesen Beschluß den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an den BFH zustehe. Nach dem Wortlaut des Art. 1 Nr. 4 BFH-EntlastG (BGBl I 1975, 1861) sei zwar gegen Entscheidungen der FG in Streitigkeiten über die Festsetzung des Streitwerts die Beschwerde nicht gegeben; es sei jedoch unklar, ob diese Vorschrift nur die Entscheidungen in Streitigkeiten über die Festsetzung von Streitwerten der gerichtlichen Veriahren oder auch Entscheidungen nach § 255 Abs. 3 AO betreffe. Solange der BFH diese Frage nicht entschieden habe, halte es das FG für sinnvoll, Art. 1 Nr. 4 BFH-EntlastG auf Entscheidungen nach § 255 Abs. 3 AO nicht anzuwenden.

Der Beschwerde der Antragstellerin half das FG nicht ab. Die Antragstellerin begehrt weiterhin, den Streitwert auf 250 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unzulässig. Gegen die Entscheidung des FG gemäß § 255 Abs. 3 AO ist die Beschwerde zum BFH nicht gegeben (Art. 1 Nr. 4 Satz 1 BFH-EntlastG).

Gegen Streitwertfestsetzungen im Verwaltungsverfahren gemäß § 255 Abs. 1 AO (neu gefaßt durch die FGO vom 6. Oktober 1965, BGBl I 1965, 1477, BStBl I 1965, 564 mit Wirkung vom 1. Januar 1966) war gemäß § 255 Abs. 2 AO die Beschwerde gegeben. Gegen die Beschwerdeentscheidung (§ 249 AO) konnte binnen zwei Wochen die Entscheidung des FG angerufen werden. Dieses entschied durch Beschluß (§ 255 Abs. 3 AO). Gegen diese Entscheidung war durch § 128 Abs. 1 FGO die Beschwerde zum BFH eröffnet. Davon ist der BFH in ständiger Rechtsprechung entgegen einer in der Literatur und in der Rechtsprechung der FG vertretenen Auffassung ausgegangen; nach dieser Auffassung war die Beschwerde nach § 128 FGO nur gegen Entscheidungen der FG gegeben, die aufgrund der Finanzgerichtsordnung, nicht dagegen auf Entscheidungen, die aufgrund eines in der Abgabenordnung geregelten Verfahrens ergangen waren (vgl. BFH-Beschlüsse vom 12. April 1967 I B 29/66, BFHE 89, 63, BStBl III 1967, 521, und vom 3. August 1971 VII B 149/69, BFHE 102, 462, BStBl II 1971, 739, zu der ähnlich gelagerten Frage des § 257 Abs. 2 AO mit Hinweisen auf die abweichende Meinung).

Wie der BFH im Beschluß VII B 149/69 ausführt, erfaßte die Regelung in § 128 FGO alle Entscheidungen der FG, die nicht Urteile oder Vorbescheide waren. Aus dieser Vorschrift könne eine Beschränkung auf solche Entscheidungen, die ausschließlich nach den Vorschriften der FGO ergangen waren, nicht entnommen werden.

Geht man von diesen Ausführungen des BFH aus, denen der Senat folgt, so ist für die von der Vorinstanz aufgeworfenen Zweifel über den Geltungsbereich des Art. 1 Nr. 4 Satz 1 BFH-EntlastG kein Raum. Nach dieser Vorschrift ist gegen eine Entscheidung der FG in Streitigkeiten über die Festsetzung des Streitwertes die Beschwerde nicht gegeben. Da nach § 128 FGO - wie oben ausgeführt - vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs in Streitigkeiten über die Festsetzung des Streitwertes die Beschwerde gegeben war, schränkt Art. 1 Nr. 4 Satz 1 BFH-EntlastG diese Vorschrift ein. Erfaßte aber § 128 FGO auch die Entscheidungen, die aufgrund eines in der Reichsabgabenordnung geregelten Verfahrens ergangen waren, so gilt dies auch für die durch Art. 1 Nr. 4 Satz 1 BFH-EntlastG getroffene Regelung; eine nur teilweise Einschränkung der Beschwerde nach § 128 FGO kann der Vorschrift des Art. 1 Nr. 4 Satz 1 BFH-EntlastG nicht entnommen werden; sie erfaßt auch die Beschwerden gegen Entscheidungen der FG über Streitigkeiten nach § 255 AO (vgl. v. Wallis/List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 128 FGO Rdnr. 19). Dieses Ergebnis entspricht der Zielsetzung des Gesetzes, den BFH zu entlasten, zumal die bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs geltende Regelung ein Übermaß an Rechtsschutz in einer Nebensache gewährte (vgl. Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl. § 255 AO Rdnr. 4).

Die Ausführungen der Vorinstanz können auch nicht dahingehend verstanden werden, daß sie die Beschwerde zugelassen habe. Eine Zulassung der Beschwerde ist in Art. 1 Nr. 4 BFH-EntlastG entgegen der für Aussetzungssachen geltenden Vorschrift des Art. 1 Nr. 3 BFH-EntlastG nicht vorgesehen. Ebensowenig ist in der Finanzgerichtsordnung oder im Gesetz zur Entlastung des Bundesfinanzhofs die Nichtzulassungsbeschwerde für Rechtsmittel wegen der Streitwertfestsetzung vorgesehen; Art. 1 Nr. 4 Satz 2 BFH-EntlastG läßt lediglich die - im Streitfall nicht gegebene - Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision unberührt.

Da die Rechtsmittelbelehrung des FG danach unrichtig war, sieht der Senat gemäß § 8 des Gerichtskostengesetzes von der Erhebung von Gerichtskosten ab. Die außergerichtlichen Kosten hat die Antragstellerin zu tragen (§ 143 Abs. 1, § 135 Abs. 1 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 72082

BStBl II 1977, 692

BFHE 1978, 416

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