Entscheidungsstichwort (Thema)
Nicht ordnungsgemäße Besetzung des FG bei Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch; fehlende dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters; vorangegangene Tätigkeit in anderen Klageverfahren
Leitsatz (NV)
- Der BFH als Beschwerdegericht darf über das Ablehnungsgesuch auch dann sachlich entscheiden, wenn das FG bei seiner Entscheidung über das Ablehnungsgesuch nicht ordnungsgemäß besetzt war.
- Ist die Einholung einer dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters unterblieben, ist dies für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ohne Bedeutung, wenn der für die Entscheidung erhebliche Sachverhalt unstreitig feststeht.
- Allein die Tätigkeit eines Richters in einem anderen Klageverfahren desselben Klägers rechtfertigt das Ablehnungsgesuch nicht; es müssen vielmehr konkrete Anhaltspunkte für eine Voreingenommenheit vorliegen. § 51 Abs. 2 FGO ist insoweit nicht analog auf eine richterliche Tätigkeit anwendbar.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1-2; ZPO § 41 Nr. 6, § 44 Abs. 3, § 45 Abs. 1
Tatbestand
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) haben Klage wegen Einkommensteuer 1987 bis 1996 erhoben, die beim … Senat des zuständigen Finanzgerichts (FG) anhängig ist. Sie machen geltend, der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) habe zu Unrecht geschätzte Einnahmen bei den Einkünften aus Kapitalvermögen angesetzt. Die Kläger lehnten den Vorsitzenden Richter am FG A und die Richter am FG B und C mit der Begründung als befangen ab, dass sie in dem Verfahren … mitgewirkt hätten, das die Einkommensteuer der Kläger für die Jahre 1979 bis 1986 betraf. In diesem Verfahren war streitig, ob und in welcher Höhe dem Kläger Einkünfte aus Kapitalvermögen zuzurechnen seien. Die Klage hatte nur zum Teil Erfolg. Die von den Klägern erhobene Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wies der Bundesfinanzhof (BFH) mit Beschluss vom … als unbegründet zurück.
Die abgelehnten Richter übergaben am 7. Februar 2000 in einer von ihnen unterschriebenen Erklärung das Verfahren zur weiteren Bearbeitung dem Richter am FG O, der Mitglied des selben Senats ist.
Nachdem den Klägern auf ihre Anfrage die Namen der voraussichtlich über das Ablehnungsgesuch entscheidenden Richter des FG mitgeteilt worden waren (Richter am FG O, E und F), lehnten sie mit Schriftsatz vom 14. Februar 2000 den Richter am FG E, der einem anderen Senat angehört, ebenfalls wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung trugen sie vor, dass Richter am FG E im Parallelverfahren … wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden sei. Die Befangenheit sei damit begründet worden, dass Richter am FG E in dem Verfahren …, dem Vorprozess zu …, tätig geworden sei. Die Befangenheit des Richters am FG E für das vorliegende Ablehnungsverfahren ergebe sich daraus, dass er mit seiner Entscheidung über die Befangenheit der Richter des … Senats mittelbar auch in eigener Sache entscheide.
Der Senat wies unter Mitwirkung der Richter O, G und F den Antrag auf Ablehnung des Vorsitzenden Richters am FG A und der Richter am FG B, C und E ab.
Die Kläger machen mit ihrer Beschwerde gegen diesen Beschluss geltend, das Gericht sei bei seiner Entscheidung über die Ablehnungsgesuche nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen. Richtigerweise hätte zunächst über das Ablehnungsgesuch gegen den Richter E entschieden werden müssen und erst nach Rechtskraft der Entscheidung über dieses Gesuch hätte der dann zuständige Spruchkörper über die Befangenheit der in der Hauptsache zuständigen Richter entscheiden müssen. Außerdem liege ein Verstoß gegen § 44 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO) vor, weil die abgelehnten Richter keine dienstliche Äußerung abgegeben hätten. Jedenfalls sei ihnen, den Klägern, eine solche nicht zur Kenntnis gegeben worden. Der angefochtene Beschluss sei auch in materiell-rechtlicher Hinsicht falsch. Sie hätten geltend gemacht, dass die abgelehnten Richter in dem Vorprozess … mitgewirkt hätten, in dem über den nämlichen Sachverhalt und die nämliche Rechtsproblematik zu entscheiden gewesen sei, so dass von den abgelehnten Richtern schlechterdings nicht zu erwarten gewesen sei, dass sie in dem anhängigen Verfahren unbefangen entscheiden würden. Wenn ein Richter nach § 51 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen sei, wenn er an dem vorangegangenen Verwaltungsverfahren beteiligt gewesen sei, sei es nahe liegend, den dieser Vorschrift inhärenten Regelungszweck auf den Fall zu übertragen, dass die abgelehnten Richter zur Entscheidung in einer Rechtssache berufen seien, über die sie sachlich bereits in einem Vorprozess zu entscheiden gehabt hätten. Es komme aufgrund der gebotenen analogen Anwendung des § 51 Abs. 2 FGO also nicht darauf an, ob sie, die Kläger, in der Lage gewesen seien, in konkreter Weise eine "zutage getretene Voreingenommenheit, Parteilichkeit oder unsachliche innere Einstellung" geltend zu machen. Auf die Gründe für das Befangenheitsgesuch gegen den Richter E sei das FG in dem angefochtenen Beschluss nicht eingegangen. Es liege auf der Hand, dass der Richter nicht bereit sein werde, über das gegen seine Kollegen gerichtete Befangenheitsgesuch zu ihren, der Kläger, Gunsten zu entscheiden, da er damit zugleich auch eine Vorgabe für die ihn betreffende Ablehnung in dem Verfahren … geliefert hätte. Insoweit werde auf das die Vermögensteuer betreffende Beschwerdeverfahren … Bezug genommen.
Die Kläger beantragen, den angefochtenen Beschluss dahin zu ändern, dass das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt wird.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 128 Abs. 1 FGO zulässige Beschwerde der Kläger ist unbegründet.
1. Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 45 Abs. 1, 1. Halbsatz ZPO entscheidet über ein Richterablehnungsgesuch grundsätzlich das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, und zwar regelmäßig nach dienstlicher Äußerung des abgelehnten Richters über die geltend gemachten Ablehnungsgründe (§ 44 Abs. 3 ZPO) durch Beschluss (vgl. § 46 Abs. 2 ZPO) und ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters (§ 45 Abs. 1 ZPO). Wird ein Richter eines FG-Senats abgelehnt, so ist für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch zunächst der Senat des FG zuständig, dem der abgelehnte Richter angehört (vgl. BFH-Beschluss vom 29. Juli 1988 IX B 15/88, BFH/NV 1989, 238). Würde dieser Senat durch das Ausscheiden des oder der abgelehnten Richter beschlussunfähig, so träten an deren Stelle deren geschäftsplanmäßige Vertreter aus anderen Senaten (BFH-Beschluss vom 26. August 1997 VII B 80/97, BFH/NV 1998, 463).
Wird nun wiederum einer derjenigen Richter als befangen abgelehnt, der bei der dargestellten Vorgehensweise zur Entscheidung über das Befangenheitsgesuch zuständig ist, so ist den Klägern zuzugestehen, dass stufenweise zuerst über das Befangenheitsgesuch gegen den Richter hätte entschieden werden müssen, der für die Entscheidung über das Befangenheitsgesuch zuständig war, es sei denn, dieses weitere Befangenheitsgesuch wäre mit der Folge als offensichtlich missbräuchlich anzusehen, dass der abgelehnte Richter an der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch gegen die für die Entscheidung der Hauptsache zuständigen Richter hätte mitwirken können. Letztlich braucht der Senat diese Fragen aber nicht abschließend zu prüfen. Denn selbst wenn über das Befangenheitsgesuch gegen die für die Entscheidung der Hauptsache zuständigen Richter nicht die nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 45 Abs. 1 ZPO zuständigen Richter des FG entschieden haben und das Gericht bei der Entscheidung, die mit der vorliegenden Beschwerde angefochten wird, nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen ist, ist der Senat nicht gezwungen, die Vorentscheidung deshalb aufzuheben. Als zur Ermittlung des Sachverhalts und dessen Würdigung auch in tatsächlicher Hinsicht befugtes Beschwerdegericht darf der Senat vielmehr in der Sache selbst entscheiden. Es entspricht der inzwischen ständigen Rechtsprechung, dass der BFH als das Beschwerdegericht auch dann in der Sache selbst entscheiden kann, wenn das FG bei seiner Entscheidung über das Ablehnungsgesuch nicht ordnungsgemäß besetzt war (vgl. BFH-Beschlüsse vom 26. September 1989 VII B 75/89, BFH/NV 1990, 514, m.w.N.; vom 15. Oktober 1996 VII B 272/95, BFH/NV 1997, 357; vom 12. August 1997 VII B 73/97, BFH/NV 1998, 328; vgl. auch BFH-Beschluss in BFH/NV 1998, 463; Gräber/ Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 51 Rz. 67, m.w.N.). Damit erledigt sich auch das Befangenheitsgesuch gegen den Richter am FG E, der nach der Mitteilung des FG an die Kläger für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch gegen die in der Hauptsache zuständigen Richter zuständig war.
2. Der Beschwerde vermag auch der Einwand der Kläger nicht zum Erfolg zu verhelfen, es seien keine dienstlichen Äußerungen (§ 44 Abs. 3 ZPO) der abgelehnten Richter eingeholt oder deren Äußerungen ihnen jedenfalls nicht zugänglich gemacht worden. Die in § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 44 Abs. 3 ZPO vorgesehene Einholung einer dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters dient der vollständigen Aufklärung des für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch erheblichen Sachverhalts. Steht dieser unstreitig fest und bedarf es daher keiner weiteren Aufklärung, so ist das Unterbleiben einer Einholung der dienstlichen Äußerung für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ohne Bedeutung (vgl. BFH-Beschlüsse vom 7. September 1994 II B 70/94, BFH/NV 1995, 414; vom 27. März 1997 XI B 190/96, BFH/NV 1997, 780; vom 23. Juli 1998 VII B 92/98, BFH/NV 1999, 70). So verhält es sich im Streitfall. Die Kläger haben ihr Ablehnungsgesuch gegen die für die Entscheidung der Hauptsache zuständigen Richter damit begründet, dass diese in einem früheren Verfahren mit den gleichen Fragen befasst gewesen seien, über die sie nunmehr erneut zu entscheiden haben. Diese Tatsache war aber unstreitig. Da die Kläger keine darüber hinausgehenden Tatsachen vorgetragen haben, war die Abgabe einer dienstlichen Äußerung der abgelehnten Richter entbehrlich.
3. Der von den Klägern vorgetragene unstreitige Sachverhalt ist nicht geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der abgelehnten Richter zu rechtfertigen (§ 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO). Das FG hat sich in seiner Entscheidung eingehend mit der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu der vorangegangenen Tätigkeit eines Richters in anderen Verfahren derselben Kläger auseinandergesetzt. Es ist bei Anwendung der von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze auf den Streitfall zu dem zutreffenden Ergebnis gelangt, dass das Ablehnungsgesuch der Kläger nicht gerechtfertigt ist, weil sie keine Umstände oder Ereignisse vorgetragen haben, die in konkreter Weise auf eine zutage getretene Voreingenommenheit, Parteilichkeit oder unsachliche innere Einstellung und damit auf eine Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter hindeuten könnten. Da die Beschwerde somit aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückzuweisen ist, sieht der Senat gemäß § 113 Abs. 2 Satz 3 FGO von einer weiteren Begründung ab.
Soweit die Kläger im Beschwerdeverfahren die Rechtsauffassung vertreten, in einem Fall wie dem vorliegenden sei unabhängig von irgendwelchen konkreten Anhaltspunkten für eine Voreingenommenheit der abgelehnten Richter die Besorgnis der Befangenheit allein aufgrund einer analogen Anwendung des § 51 Abs. 2 FGO zu bejahen, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Nach § 51 Abs. 2 FGO ist von der Ausübung des Amtes als Richter ausgeschlossen, wer bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat. Es soll kraft Gesetzes ausgeschlossen sein, dass ein Richter (mit-)entscheidet, der dem Einwand ausgesetzt werden könnte, er habe vor der Übernahme des Richteramtes an der im Verwaltungsverfahren getroffenen Entscheidung mitgewirkt. Dieser Regelung liegt auch die Überlegung zugrunde, dass der zu Kontrollierende nicht gleichzeitig der Kontrolleur sein soll. Auf diesem Grundsatz beruht auch die in § 41 Nr. 6 ZPO getroffene Regelung, wonach ein Richter von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist in Sachen, in denen er in einem früheren Rechtszug oder im schiedsrichterlichen Verfahren bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat. Aus dieser Vorschrift lässt sich aber im Umkehrschluss folgern, dass bei anderen Arten von vorangegangenen richterlichen Tätigkeiten gerade kein genereller Ausschluss gelten soll, sondern dass hier weitere konkrete Anhaltspunkte hinzu kommen müssen, die geeignet sind, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten Richters zu rechtfertigen.
Im Übrigen gilt auch für den Ausschluss gemäß § 51 Abs. 2 FGO aufgrund einer vorausgegangenen Verwaltungstätigkeit, dass die Mitwirkung in dieser Klagesache erfolgt sein muss. Es muss eine finale Beziehung zwischen dem Verwaltungsverfahren und dem Erlass des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen (BFH-Urteil vom 14. Juli 1988 IV R 74/87, BFH/NV 1989, 441). Eine Tätigkeit in anderen Verwaltungsangelegenheiten der beklagten Behörde reicht ebenso wenig aus (BFH-Beschluss vom 13. September 1989 IV B 40/88, BFH/NV 1989, 793) wie das Tätigwerden bei der Festsetzung einer anderen Steuerart, selbst wenn ein identischer Lebenssachverhalt parallel zu werten gewesen sein sollte (vgl. BFH-Beschlüsse vom 9. Juli 1997 IV B 52/97, BFH/NV 1998, 176; vom 26. Februar 1998 III R 107/96, BFH/NV 1998, 1229).
Fundstellen
Haufe-Index 510262 |
BFH/NV 2001, 176 |