Entscheidungsstichwort (Thema)
Festsetzungs-, Erhebungs- und Billigkeitsverfahren im Kindergeldrecht
Leitsatz (NV)
Unbeschadet der Befugnis der Familienkasse, verschiedene Verwaltungsakte äußerlich zusammenzufassen, ist auch im steuerlichen Kindergeldrecht zwischen den Regelungen im Festsetzungsverfahren, im Erhebungsverfahren und im Billigkeitsverfahren zu unterscheiden.
Normenkette
AO 1977 § 1 Abs. 1, § 37 Abs. 1-2, § 155 Abs. 4, §§ 163, 218; EStG §§ 31, 70 Abs. 2, § 64
Tatbestand
Der Beklagte (das Arbeitsamt ―Familienkasse―) zahlte dem Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) von Juli 1997 bis einschließlich Januar 1998 Kindergeld für seine drei minderjährigen Kinder. Nachdem die Familienkasse davon Kenntnis erlangt hatte, dass die Ehefrau des Antragstellers und die Kinder seit Juni 1997 nicht mehr im Haushalt des Antragstellers lebten, erließ sie nach § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) einen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid. Hierin hob sie die Festsetzung des Kindergeldes für die angeführten Monate auf und forderte das gezahlte Kindergeld in Höhe von 5 180 DM vom Antragsteller zurück. Zugleich stellte die Familienkasse fest, dass das Kindergeld nach ihren Feststellungen nicht weitergeleitet worden sei.
Gegen den Bescheid der Familienkasse legte der Antragsteller Einspruch ein. Unter Bezugnahme auf ein Schreiben seines Rechtsanwaltes in Familiensachen führte er an, das Kindergeld sei in die unterhaltsrechtlichen Regelungen miteinbezogen und deshalb weitergeleitet worden.
Nach erfolglosem Vorverfahren erhob der Antragsteller Klage. Zugleich stellte er beim Finanzgericht (FG) den Antrag, ihm für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe (PKH) zu gewähren. Das FG hat den Antrag mit dem angefochtenen Beschluss mangels Erfolgsaussichten abgelehnt. Zur Begründung führte es im Wesentlichen an, der Antragsteller wende sich nur gegen den Rückforderungsbescheid nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977). Gegen diesen öffentlich-rechtlichen Anspruch könnten zivilrechtliche Einwendungen nicht geltend gemacht werden. Soweit der Antragsteller einwende, das Kindergeld sei an die Ehefrau als vorrangige Kindergeldberechtigte weitergeleitet worden, könne er im vorliegenden Verfahren nicht gehört werden. Hierfür sei ein gesondertes, auf Erlass einer Ermessensentscheidung gerichtetes Verfahren erforderlich, über das die Familienkasse noch nicht entschieden habe.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß, ihm unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses PKH zu gewähren.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
2. Der Senat geht mit der Vorinstanz davon aus, dass der Aufhebungsbescheid der Familienkasse vom 8. Juni 1998 nicht angefochten worden ist. Dieser Bescheid ist im Übrigen in der Sache rechtmäßig (vgl. Bundesfinanzhof ―BFH―, Beschlüsse vom 18. Dezember 1998 VI B 215/98, BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231; vom 10. November 1998 VI B 125/98, BFHE 187, 477, BStBl II 1999, 137).
3. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz richten sich die Einwendungen des Antragstellers aber nicht nur gegen den ―mit dem Aufhebungsbescheid verbundenen― Rückforderungsbescheid, sondern auch gegen die ablehnende Billigkeitsentscheidung der Familienkasse. Die Vorinstanz geht zu Unrecht davon aus, insoweit liege noch keine Entscheidung der Familienkasse vor. Wie sich aus den Gründen des Bescheids vom 8. Juni 1998 und der angefochtenen Einspruchsentscheidung ergibt, hat die Familienkasse ―wenngleich ohne ausführliche Begründung― angeführt, eine Weiterleitung des Kindergeldes sei nicht erfolgt. Offenbar stützt sich die Familienkasse hierbei auf die Dienstanweisung des Bundesamts für Finanzen zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs zu § 64 EStG (vgl. hierzu im Einzelnen: BFH-Beschlüsse vom 19. Mai 1999 VI B 364/98, BFH/NV 1999, 1592, m.w.N.; vom 22. Juli 1999 VI B 344/98, BFH/NV 2000, 36).
4. Der Senat hält es für angebracht, die Sache unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Für die Prüfung hinreichender Erfolgsaussichten der Klage wird das FG auch der Rechtmäßigkeit der Billigkeitsentscheidung der Familienkasse nachzugehen haben.
5. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens wird dem FG übertragen (§ 143 Abs. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 519087 |
BFH/NV 2001, 423 |