Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtvorlage an EuGH durch das Finanzgericht kein Verfahrensfehler; keine Milch-Referenzmenge bei freiwilliger Nichtvermarktung
Leitsatz (NV)
1. Da das FG als Instanzgericht nicht verpflichtet ist, zur Auslegung des maßgebenden Gemeinschaftsrechts eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen, kann in dessen Nichtanrufung ein Verfahrensfehler nicht gesehen werden (Bestätigung der Rechtsprechung).
2. Die Frage, ob für Nichtvermarkter, die die Milchproduktion freiwillig eingestellt hatten, die Zuteilung einer spezifischen Referenzmenge in Betracht kommt, ist eindeutig zu verneinen und damit nicht von grundsätzlicher Bedeutung (nicht klärungsbedürftig).
3. Auch ,,nicht geregelte" Härtefälle können bei der Referenzmengenfeststellung nur bei Vorliegen einer entsprechenden Bescheinigung der Landwirtschaftsbehörde - Grundlagenbescheid - berücksichtigt werden (Bestätigung der Rechtsprechung).
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 42; AO 1977 § 351 Abs. 2; EWGVtr Art. 177 Abs. 2; EWGV Art. 177 Abs. 3; MGVO § 9 Abs. 2 Nr. 7
Tatbestand
Kurz nach Übernahme eines Milchviehbetriebes durch die Kläger und Beschwerdeführer - Kläger - am 1. Juli 1982 stellten diese die Milchkuhhaltung und Milchvermarktung ein, nach ihren Angaben nur vorübergehend und daher ohne Beteiligung an der gemeinschaftsrechtlichen Nichtvermarktungsaktion. Nach Einführung der Milchgarantiemengenregelung wurde den Klägern mangels Milchanlieferung im Basisjahr 1983 für den übernommenen Betrieb keine Referenzmenge zugeteilt. Sie beantragten später bei dem zuständigen Landwirtschaftsamt die Zuerkennung einer spezifischen Referenzmenge als ehemalige Nichtvermarkter. Eine entsprechende Bescheinigung gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 7 der Milch-Garantiemengen-Verordnung - MGVO - lehnte das Amt ab, weil die Kläger seinerzeit keine Nichtvermarktungsprämie beantragt hätten. Dieser Bescheid ist bestandskräftig. Mangels einer Bescheinigung sah sich auch das beklagte Hauptzollamt - HZA - außerstande, den Klägern eine spezifische Referenzmenge zuzuteilen.
Mit der Klage begehrten die Kläger, das HZA zur Festsetzung einer Referenzmenge auf der Basis einer Milchanlieferung 1981 zu verpflichten, hilfsweise: festzustellen, daß bei Aufnahme der Milcherzeugung für eine bestimmte Milchmenge keine Milchabgabe zu zahlen ist, anderenfalls: den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - zur Klärung der Frage anzurufen, ob es mit höherrangigem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, daß spezifische Referenzmengen nur Erzeugern zugeteilt werden, die sich aufgrund der einschlägigen Gemeinschaftsregelung zur Nichtvermarktung oder Umstellung verpflichtet hatten, nicht aber Erzeugern, die während desselben Zeitraums ohne Inanspruchnahme einer Prämie die Milcherzeugung vorübergehend eingestellt hatten. Das Finanzgericht - FG - wies die Klage ab. Es führte aus, die von den Klägern in Frage gestellte Rechtsgültigkeit der Milchgarantiemengenregelung sei nicht im Rahmen der Anfechtung der negativen Referenzmengenfeststellung des HZA (Folgebescheid), sondern im Verfahren der Anfechtung der Negativbescheinigung des Landwirtschaftsamtes (Grundlagenbescheid), also im Verwaltungsrechtswege, zu prüfen. Da auch die Milchabgabe durch Folgebescheid festgesetzt werde, könne die hilfsweise beantragte Negativfeststellung nicht getroffen werden. Eine Vorabentscheidung des EuGH wäre allenfalls im ,,verwaltungsrechtlichen Bescheinigungsverfahren" in Betracht gekommen.
Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision berufen die Kläger sich auf einen Verfahrensmangel und auf die grundsätzliche Bedeutung der Sache. Den Verfahrensmangel sehen die Kläger darin, daß das FG den EuGH nicht angerufen habe. Dazu sei es verpflichtet gewesen, nachdem es die Revision nicht zugelassen habe. Von grundsätzlicher Bedeutung sei die zu klärende Rechtsfrage der Gleichstellung von Nichtvermarktern, solchen, die die Prämienregelung in Anspruch genommen hätten, und anderen. Grundsätzliche Bedeutung hätte ferner die Frage, ob die Finanzbehörden in nicht ausdrücklich geregelten Härtefällen Referenzmengen feststellen dürften. Der Bundesfinanzhof - BFH - habe diese Frage nur verneint, weil er davon ausgegangen sei, daß auch in diesen Fällen eine Bescheinigung im Verwaltungsrechtsweg erstritten werden könne. Diese Erwartung habe sich jedoch nicht bestätigt. Nach späterer verwaltungsrechtlicher Rechtsprechung bestehe ein Anspruch auf Erteilung einer Bescheinigung nur in den ausdrücklich geregelten Fällen. Damit habe die Frage, ob das Bescheinigungsverfahren über diese Fälle hinaus erforderlich sei, erneut grundsätzliche Bedeutung erlangt. Würde der BFH an seiner Rechtsprechung festhalten, so entstände ein negativer Kompetenzkonflikt, da das Bundesverwaltungsgericht - BVerwG - ein Bescheinigungsverfahren für unbenannte Härtefälle nicht für erforderlich erachte. Noch nicht grundsätzlich geklärt sei schließlich die Teilfrage, ob auch unabhängig von einer als Grundlagenbescheid anzusehenden Bescheinigung der Landwirtschaftsbehörde aus verfassungsrechtlichen Gründen von der Abgabenerhebung abzusehen sei.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor.
1. Der gerügte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) ist nicht gegeben. Das FG war als Instanzgericht nicht verpflichtet, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. In dessen Nichtanrufung liegt kein Verfahrensfehler (Senat, Beschluß vom 3. Februar 1987 VII B 129/86, BFHE 148, 489, BStBl II 1987, 305). Wenn der im Klageverfahren vor dem FG unterlegene Beteiligte die Gültigkeit oder Auslegung einschlägigen Gemeinschaftsrechts für zweifelhaft hält, er aber mangels Zulassung der Revision durch das FG dieses Rechtsmittel noch nicht einlegen kann, so bleibt ihm die Möglichkeit - hier von den Klägern auch wahrgenommen -, eine auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützte Nichtzulassungsbeschwerde zu erheben. Auf eine nach erfolgreicher Beschwerde eingelegte Revision wäre - erst - der BFH als letztinstanzliches Gericht verpflichtet, eine etwaige Zweifelsfrage hinsichtlich der Gültigkeit oder Auslegung von Gemeinschaftsrecht dem EuGH vorzulegen (Art. 177 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft - EWGV -). Das Instanzgericht ist, auch wenn es die Revision nicht zulassen will, zu einem solchen Vorgehen nicht verpflichtet (vgl. Art. 177 Abs. 2 EWGV).
Unabhängig davon ist ein Verfahrensfehler auch deshalb nicht gegeben, weil es nach der materiell-rechtlichen Auffassung der Vorinstanz auf die von den Klägern für zweifelhaft gehaltene Frage nicht ankam. Das FG hat vielmehr ausgeführt, daß sich diese Frage ,,nur im verwaltungsrechtlichen Bescheinigungsverfahren" gestellt hätte. Die Bemerkung der Vorinstanz, bei Entscheidungserheblichkeit der Frage wäre diese nicht für klärungsbedürftig gehalten, geschweige denn im Sinne der Klägerin beantwortet worden, ist rein beiläufiger Art.
2. Die Sache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Die von den Klägern für grundsätzlich gehaltenen Fragen sind nicht klärungsbedürftig, zum Teil auch nicht klärungsfähig.
a) Nicht klärungsbedürftig ist die Frage, ob auch für Nichtvermarkter wie die Kläger die Zuteilung einer spezifschen Referenzmenge in Betracht kommt. Sie ist unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH eindeutig zu verneinen.
Spezifische Referenzmengen werden unter bestimmten Voraussetzungen - nur - Erzeugern gewährt, die in Erfüllung einer nach der Verordnung (EWG) Nr. 1078/77 des Rates vom 17. Mai 1977 zur Einführung einer Prämienregelung für die Nichtvermarktung von Milch und Milcherzeugnissen und die Umstellung der Milchkuhbestände (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - L 131/1) eingegangenen Verpflichtung im Referenzjahr keine Milch geliefert haben. In diesem Sinne ist die Verordnung (EWG) Nr. 857/84 (VO Nr. 857/84) des Rates vom 31. März 1984 über Grundregeln für die Anwendung der Abgabe . . . im Sektor Milch und Milcherzeugnisse (ABlEG L 90/13), die ursprünglich keine derartige Vorschrift enthielt, ergänzt worden. Die Ergänzung - neuer Art. 3a der VO Nr. 857/84 (vgl. auch § 6a, § 9 Abs. 2 Nr. 7 MGVO) - beruht auf den EuGH-Urteilen vom 28. April 1988 Rs. 120/86 und 170/86 (EuGHE 1988, 2321 und 2355). Mit diesen Urteilen hat der EuGH die ursprüngliche Regelung wegen Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes insoweit für ungültig erklärt, als sie keine Referenzmengenzuteilung an die betreffenden Nichtvermarkter vorsah. Der EuGH ist in seinen Entscheidungen (ebenso im Urteil vom 21. März 1991 Rs. C-314/89; noch nicht veröffentlicht) davon ausgegangen, daß ein Wirtschaftsteilnehmer, der seine Erzeugung für eine bestimmte Zeit freiwillig eingestellt hat, grundsätzlich keinen Vertrauensschutz beanspruchen kann; eine Ausnahme gelte jedoch, wenn er durch eine ,,Handlung der Gemeinschaft" veranlaßt worden sei, die Vermarktung im Allgemeininteresse und gegen Zahlung einer Prämie für eine begrenzte Zeit einzustellen. Die Kläger sind keine Nichtvermarkter, die unter den inzwischen geregelten besonderen Tatbestand (Art. 3a VO Nr. 857/84) fallen. Sie haben vielmehr die Produktion freiwillig, in der Absicht, diese kurzfristig wieder aufzunehmen, eingestellt. Für sie gilt damit der vom EuGH aufgestellte Grundsatz, daß ein Wirtschaftsteilnehmer, der eine freiwillige unternehmerische Entscheidung über die Nichtvermarktung trifft, keinen Vertrauensschutz genießt. Daß denjenigen, die aufgrund einer Verpflichtung im Sinne der gemeinschaftsrechtlichen Nichtvermarktungs- und Umstellungsregelung die Vermarktung eingestellt haben, eine Prämie gewährt wird, ist lediglich Folge der eingegangenen Verpflichtung. Unterschieden wird gemeinschaftsrechtlich zwischen ,,verpflichteten" und nichtverpflichteten, nicht aber zwischen prämienberechtigten und nichtprämienberechtigten Nichtvermarktern. Die im Gemeinschaftsrecht getroffene Unterscheidung und der mit ihr verbundene Ausschluß ,,anderer" Nichtvermarkter von der Zuteilung spezifischer Referenzmengen ist aus den Gründen der EuGH-Rechtsprechung bedenkenfrei. Zweifel an der Rechtsgültigkeit dieser Regelung bestehen nicht. Damit wäre auch eine Vorlagepflicht eines letztinstanzlichen Gerichts nicht gegeben (dazu Senat, Urteil vom 23. Februar 1988 VII R 31/86 usw., BFHE 152, 382, 392).
b) Auf die weitere Frage, ob die Finanzbehörden in nicht ausdrücklich geregelten Härtefällen selbst, ohne Bindung an eine Bescheinigung der zuständigen Verwaltungsstelle, Referenzmengen feststellen dürfen, könnte es im Streitfall nur insoweit ankommen, als es um Feststellungen zugunsten eines Wirtschaftsteilnehmers geht, der - wie die Kläger - die Vermarktung freiwillig eingestellt hat. Die Frage ist ebenfalls eindeutig zu verneinen und damit nicht klärungsbedürftig (vgl. vorstehend Buchst. a). Sie wäre aber auch nicht klärungsfähig. Der Senat hat bereits entschieden (insbesondere Urteil vom 28. Oktober 1986 VII R 41/86, BFHE 148, 84, 87; Beschluß vom 20. Oktober 1987 VII B 128/87, BFH/NV 1988, 473; vgl. auch Dänzer-Vanotti, Recht der Internationalen Wirtschaft 1987, 47 f.), daß das Bescheinigungserfordernis für jede gemeinschaftsrechtliche Härtefallregelung gilt, auch für eine ,,ungeschriebene", erst durch Auslegung festzustellende und vor Gericht zu erstreitende Härteklausel; fehlt die Bescheinigung (Grundlagenbescheid), so kann ein dementsprechend ergangener negativer Referenzmengenfeststellungsbescheid nicht angegriffen werden (§ 42 FGO i. V. m. § 351 Abs. 2 der Abgabenordnung). In einem Verfahren über die Anfechtung dieses Bescheides können somit keine Gründe geltend gemacht werden, die gegenüber der Ablehnung einer Bescheinigung vorzubringen und zu prüfen wären. Es ist kein Anlaß dafür ersichtlich, diese Rechtsprechung einer Überprüfung zu unterziehen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, daß das BVerwG inzwischen die Auffassung vertritt, für ,,unbenannte" Härtefälle sei eine Bescheinigung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren von vornherein nicht einklagbar. Gerade das von den Klägern angeführte Urteil des BVerwG (vom 24. März 1988 3 C 36/87, BVerwGE 79, 180, 190 f. - Nr. 4 a. E. der Entscheidungsgründe) spricht für die gegenteilige Annahme. Dort wird nämlich dargelegt, das Problem einer unzureichenden Härtefallregelung stelle sich . . . nicht, da für das Gemeinschaftsrecht keinerlei Veranlassung vorliege, . . . bloße Chancen, die der Milcherzeuger bisher nicht genutzt habe, diesem auch für die Zukunft zu erhalten. Diese Ausführungen können nur dahin verstanden werden, daß auch das BVerwG es nicht für ausgeschlossen erachtet, die Ablehnung einer Bescheinigung bei ,,unzureichender Härtefallregelung" im Verwaltungsrechtsweg anzugreifen. Ein negativer Kompetenzkonflikt besteht somit nicht, auch nicht die konkrete Gefahr eines solchen Konflikts (dazu BFHE 148, 84, 89 f.). Im übrigen wäre ein oberster Gerichtshof des Bundes, wollte er von der Rechtsprechung des Senats abweichen, zur Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe verpflichtet (vgl. auch BFH/NV 1988, 473, a. E.).
c) Auch die Frage, ob die Erhebung der Milchabgabe ohne Bescheinigung (und entsprechende Referenzmengenfeststellung) aus verfassungsrechtlichen Gründen zu unterbleiben hat, ist bereits höchstrichterlich geklärt. Nach der Rechtsprechung des Senats (BFHE 148, 84 f. mit Nachweisen) ist die Bescheinigung materiell-rechtliche Voraussetzung für die Referenzmengenfestsetzung und damit für die sich nur daraus ergebende Nichterhebung der Abgabe; fehlt die Bescheinigung, so kann die Finanzbehörde auch dann nicht zugunsten des Beteiligten entscheiden, wenn dieser sich auf verfassungsrechtliche Gründe beruft. Diese Gründe können nur im Verfahren gegen die Versagung der Bescheinigung vorgebracht werden.
Fundstellen