Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die schlüssige Darlegung von Verfahrensmängeln
Leitsatz (NV)
- Wird als Verfahrensmangel gerügt, das FG habe gestellte Beweisanträge übergangen (Rüge mangelnder Sachaufklärung gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), so ist in der Beschwerdebegründung substantiiert darzulegen,
- welche (genauen) Tatfragen aufklärungsbedürftig sind;
- welche Beweise zu welchem Beweisthema das FG nicht erhoben hat;
- die genauen Fundstellen (Schriftsatz mit Datum und Seitenzahl, Terminprotokoll), in denen die Beweismittel und Beweisthemen angeführt worden sind;
- das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme;
- inwiefern das angefochtene Urteil ‐ unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des FG ‐ auf der unterbliebenen Beweisaufnahme beruhen kann
- und
- dass die Nichterhebung der Beweise vor dem FG rechtzeitig gerügt worden ist oder aufgrund des Verhaltens des FG nicht mehr vor diesem gerügt werden konnte.
- Die schlüssige Rüge, das FG habe den Sachverhalt auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen näher aufklären müssen, setzt u.a. den substantiierten Vortrag darüber voraus,
- aus welchen (genau bezeichneten) Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung (Beweiserhebung) auch ohne entsprechenden Antrag aufdrängen musste,
- welche (entscheidungserheblichen) Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung voraussichtlich ergeben hätten und
- inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können.
- Zur schlüssigen Rüge der Verletzung des Rechts auf Gehör muss der Beschwerdeführer u.a. substantiiert darlegen ,dass er keine Möglichkeit gehabt habe, die Verletzung des rechtlichen Gehörs bereits vor dem FG zu beanstanden oder dass er den Verfahrensverstoß vor dem FG gerügt habe. Bezieht sich der (vermeintliche) Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs ‐ wie hier ‐ nur auf einzelne Feststellungen, muss der Beschwerdeführer überdies schlüssig ausführen, inwiefern die Entscheidung des FG ‐ auf der Grundlage dessen materiell-rechtlicher Auffassung ‐ ohne diesen Verstoß anders hätte ausfallen können.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig, weil ihre Begründung nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757) ―im Folgenden FGO n.F.― entspricht.
1. Wird als Verfahrensmangel gerügt, das Finanzgericht (FG) habe gestellte Beweisanträge übergangen (Rüge mangelnder Sachaufklärung gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), so ist in der Beschwerdebegründung substantiiert darzulegen,
a) welche (genauen) Tatfragen aufklärungsbedürftig sind;
b) welche Beweise zu welchem Beweisthema das FG nicht erhoben hat;
c) die genauen Fundstellen (Schriftsatz mit Datum und Seitenzahl, Terminprotokoll), in denen die Beweismittel und Beweisthemen angeführt worden sind;
d) das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme;
e) inwiefern das angefochtene Urteil ―unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des FG― auf der unterbliebenen Beweisaufnahme beruhen kann
und
f) dass die Nichterhebung der Beweise vor dem FG rechtzeitig gerügt worden ist oder aufgrund des Verhaltens des FG nicht mehr vor diesem gerügt werden konnte
(ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ―BFH―, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 17. März 2000 VII B 1/00, BFH/NV 2000, 1125; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 120 Rz. 69 i.V.m. § 116 Rz. 50, m.w.N.).
Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) nicht. Vor allem hat der Kläger nicht vorgetragen, dass er ―obwohl er in der (letzten) mündlichen Verhandlung vor dem FG am 17. Oktober 2001 fachkundig vertreten war― die Nichterhebung von angebotenen Beweisen gerügt habe oder weshalb eine solche Rüge nicht möglich gewesen sei. Auch aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 17. Oktober 2001 ergibt sich nicht, dass der Kläger eine entsprechende Rüge erhoben hat.
2. Die vom Kläger erhobene Sachaufklärungsrüge ist aber auch dann unschlüssig, wenn man sie in der Weise auffasst, dass das FG den Sachverhalt auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen hätte weiter aufklären müssen. In diesem Zusammenhang fehlt es jedenfalls an den gebotenen substantiierten Ausführungen darüber,
a) aus welchen (genau bezeichneten) Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung (Beweiserhebung) auch ohne entsprechenden Antrag aufdrängen musste,
b) welche (entscheidungserheblichen) Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung voraussichtlich ergeben hätten und
c) inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können
(ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z.B. die Nachweise bei Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz. 70).
Die pauschalen Hinweise des Klägers, die vom FG bestätigten Schätzungen der Besteuerungsgrundlagen seien überhöht, was durch verschiedene Umstände (z.B. Vornahme falscher Buchungen durch den vom Kläger eingesetzten "steuerlichen Betreuer" F; Mitteilung der Steuerberatungsgesellschaft A, wonach im Streitjahr 1995 allenfalls mit einem Gewinn von 97 000 DM zu rechnen sei; Einbeziehung auch der letzten drei Monate des Streitjahrs, obwohl selbst die Steuerfahndung davon ausgegangen sei, dass der Kläger seit Oktober des Streitjahres 1995 das Gewerbe nicht mehr betrieben habe; Berücksichtigung eines unrealistischen Wareneinsatzes; Außerachtlassen des Umstandes, dass ein Teil der verkauften Güter Kommissionsware gewesen sei) genügen diesen Anforderungen nicht, zumal die vom Kläger beanstandeten Schätzungen auf mehr oder minder konkreten, im Fahndungsbericht vom 27. Juli 2000 nebst umfänglichem Tabellenanhang spezifizierten Feststellungen des Fahndungsprüfers beruhen.
3. Ebenso unsubstantiiert ist die Rüge des Klägers, das FG habe sein Recht auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ―GG―; § 96 Abs. 2 FGO) verletzt. Zur schlüssigen Rüge der Verletzung des Rechts auf Gehör muss der Beschwerdeführer u.a. substantiiert darlegen, dass er keine Möglichkeit gehabt habe, die Verletzung des rechtlichen Gehörs bereits vor dem FG zu beanstanden oder dass er den Verfahrensverstoß vor dem FG gerügt habe (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz. 12, m.w.N.). Bezieht sich der (vermeintliche) Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs ―wie hier― nur auf einzelne Feststellungen, muss der Beschwerdeführer überdies schlüssig ausführen, inwiefern die Entscheidung des FG ―auf der Grundlage dessen materiell-rechtlicher Auffassung― ohne diesen Verstoß anders hätte ausfallen können (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz. 14, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH).
Daran fehlt es im Streitfall.
4. Unzulässig ist schließlich auch die Rüge des Klägers, das FG habe sein Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt. Dem Vortrag des Klägers lassen sich keine substantiierten Angaben darüber entnehmen, dass sich das FG ihm gegenüber widersprüchlich verhalten, die gebotene Rücksichtnahme auf seine berechtigten Belange außer Acht gelassen oder seine Unkenntnis, Unerfahrenheit oder Unbeholfenheit ausgenutzt habe (vgl. hierzu z.B. Gräber/von Groll, a.a.O., Vor § 33 Rz. 19 und § 76 Rz. 40).
Der vom Kläger in diesem Zusammenhang erhobene pauschale Vorwurf, es sei bei ihm der Eindruck entstanden, das FG habe sich seine Unbeholfenheit und Schreibunkundigkeit in rechtlichen Fragen bewusst zunutze gemacht, reicht dafür vor dem Hintergrund nicht aus, dass das FG in der vorliegenden Streitsache zwischen Januar und Oktober 2001 insgesamt drei mündliche Verhandlungen durchgeführt und dem Kläger trotz der seit langem (mit Ablauf des Monats Mai 1996) verstrichenen Frist zur Abgabe der Steuererklärungen ausgiebig Gelegenheit zur Konkretisierung seiner Einwände gegen die angefochtenen Schätzungsbescheide und zur Vorlage von verwertbaren Belegen und Unterlagen gewährt hat sowie der Kläger ―jedenfalls ab Ende Juni 2001― durch seine jetzigen Prozessbevollmächtigten fachkundig vertreten war.
5. Im Kern richten sich die Angriffe des Klägers ―nach Art einer Revisionsbegründung― gegen die vom FG bestätigte Höhe der vom FA geschätzten Besteuerungsgrundlagen. Die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen gehört zu den tatsächlichen Feststellungen i.S. von § 118 Abs. 2 FGO. Der BFH kann die Schätzung durch das FG nur daraufhin überprüfen, ob sie überhaupt zulässig ist ―was im Streitfall außer Frage steht― und ob das FG anerkannte Schätzungsgrundsätze, Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze beachtet hat (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 1. Dezember 1967 III R 19/65, BFHE 91, 254, BStBl II 1968, 332; Gräber/Ruban, a.a.O., § 118 Rz. 31, m.w.N.). Verstöße gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze, Denkgesetze und Erfahrungssätze sind revisionsrechtlich grundsätzlich dem materiellen Recht zuzuordnen und deshalb der Prüfung durch den BFH im Rahmen einer Verfahrensrüge entzogen (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 83, m.w.N.).
6. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO n.F. abgesehen.
Fundstellen
Haufe-Index 776718 |
BFH/NV 2002, 1332 |