Entscheidungsstichwort (Thema)

Revisionsbegründungsfrist; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

 

Leitsatz (NV)

Ein Rechtsanwalt, der nicht ständig mit Revisionen an den BFH befaßt ist, darf die Berechnung und Überwachung der Revisionsbegründungsfrist i. d. R. nicht seinem Kanzleipersonal überlassen, wenn dieses mit den Besonderheiten dieser Frist nicht vertraut ist.

 

Normenkette

FGO §§ 56, 120 Abs. 1 S. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Konkursverwalter über das Vermögen einer GmbH. Er machte gegenüber dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) Bergmannsprämien in Höhe von 166 295 DM geltend, die die Gemeinschuldnerin bis zur Konkurseröffnung an ihre Arbeitnehmer ausgezahlt, nicht aber mit der abzuführenden Lohnsteuer verrechnet hatte (vgl. § 3 Abs. 1 Sätze 1 und 2 des Gesetzes über Bergmannsprämien i. d. F. vom 12. Mai 1969 - BergPG -, BGBl I 1969, 434). Das FA erkannte die geltend gemachten Bergmannsprämien an und verrechnete sie mit vor der Konkurseröffnung aufgelaufenen Steuerrückständen der Gemeinschuldnerin. Der Kläger ist der Auffassung, die vom FA erklärte Aufrechnung sei gemäß § 55 Nr. 1 der Konkursordnung (KO) unzulässig, da der Erstattungsanspruch auf die Bergmannsprämien erst nach der Eröffnung des Konkursverfahrens entstanden sei. Das Finanzgericht (FG) wies seine nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage, mit der er die Aufhebung der Aufrechnungsverfügung und die Verpflichtung des FA zur Erstattung von Bergmannsprämien in Höhe von 166 295 DM an die Konkursmasse beantragt hatte, ab. Das Urteil des FG wurde dem Kläger laut Postzustellungsurkunde am 14. Juni 1984 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 27. Juni 1984, beim FG eingegangen am 28. Juni 1984, legte der Kläger dagegen Revision ein.Da die Revision nicht innerhalb der gesetzlichen Frist begründet wurde, machte der Vorsitzende des Senats mit Verfügung vom 23. August 1984 auf die Folgen der Fristversäumung (§ 124 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) aufmerksam; gleichzeitig wies er auf die Vorschrift des § 56 FGO (Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) hin. Die Verfügung wurde dem Kläger laut Postzustellungsurkunde am 28. August 1984 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 7. September 1984, der am 10. September 1984 beim Bundesfinanzhof (BFH) einging, beantragte der Kläger, ihm wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zugleich reichte er die Begründung der Revision nach.

Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsgesuchs trug er vor, er habe gleichzeitig mit Einlegung der Revision den Bürovorsteher H. beauftragt, die Revisionsbegründungsfrist im Fristenkalender einzutragen. H sei seit fünf Jahren bei ihm beschäftigt und seit dieser Zeit u. a. mit der Fristnotierung betraut. Diese sei stets korrekt und richtig gehandhabt worden, so daß noch niemals eine Frist versäumt worden sei. Er habe deshalb keine Veranlassung gesehen, gerade im vorliegenden Falle eine besondere Kontrolle vorzunehmen. Erst durch das Schreiben des Vorsitzenden des Senats sei er darauf aufmerksam geworden, daß der Bürovorsteher die Revisionsbegründungsfrist versehentlich nicht richtig notiert habe.

Zur Glaubhaftmachung nimmt der Kläger auf eine beigefügte eidesstattliche Versicherung des Bürovorstehers H Bezug. In dieser erklärt H, er habe weisungsgemäß die Revisionsbegründungfrist am 27. Juni 1984 notiert. Nach der dem angefochtenen Urteil des FG beigefügten Rechtsmittelbelehrung habe er nicht davon auszugehen brauchen, daß es sich bei der Revisionsbegründungsfrist um eine Frist handele, die nicht durch die Gerichtsferien gehemmt werde, und daß es sich um eine Notfrist handele. Denn in der Rechtsmittelbelehrung werde darauf hingewiesen, daß die Frist zur Begründung der Revision auf Antrag verlängert werden könne.

In der Sache beantragt der Kläger sinngemäß, das Urteil des FG sowie die Aufrechnungsverfügung und die Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben und das FA zu verpflichten, an ihn zur Konkursmasse 166 295 DM Bergmannsprämien zu erstatten.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise sie als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig, da der Kläger die Frist für die Begründung der Revision versäumt hat und ausreichende Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gegeben sind (§ 124 FGO). Sie ist deshalb durch Beschluß als unzulässig zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO).

1. Die Revision ist beim FG innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils oder nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision schriftlich einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Im Streitfall ist das Urteil des FG dem Kläger am 14. Juni 1984 zugestellt worden. Die Monatsfrist für die Einlegung der Revision endete am (Montag, dem) 16. Juli 1984 (§ 54 Abs. 2 FGO i. V. m. § 222 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Die Monatsfrist für die Begründung der Revision endete mit Ablauf des 16. August 1984 (vgl. BFH-Urteil vom 12. Juli 1972 I R 206/70, BFHE 106, 483, BStBl II 1972, 957). Zu diesem Zeitpunkt lag die Revisionsbegründung nicht vor. Es war auch vor dem Ablauf der Frist kein Verlängerungsantrag gestellt worden, so daß eine Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist nach § 120 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht in Betracht kam.

2. Dem Kläger kann wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Die Wiedereinsetzung setzt voraus, daß jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO). Eine Fristversäumnis kann nur dann als entschuldigt angesehen werden, wenn sie durch die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte (BFH-Urteil vom 29. April 1976 IV R 17/76, BFHE 119, 212, BStBl II 1976, 626). Diese Voraussetzungen haben im Streitfall nicht vorgelegen.

Es ist nicht glaubhaft gemacht worden, daß den Kläger an der Versäumung der Frist kein Verschulden trifft. Zwar kann ein Rechtsanwalt (ebenso Steuerberater und sonstige Personen, die die Rechtsberatung berufsmäßig ausüben) ohne schuldhaft zu handeln, die Berechnung und Überwachung einfacher und seinem Büro geläufiger Fristen gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Angestellten überlassen. Fehler, die diesen dabei unterlaufen - sog. Büroversehen -, können dem Rechtsanwalt nicht zugerechnet werden. Das gilt auch dann, wenn der Berufsträger - wie im Streitfall - seinem Büro eine eigene Sache zur Bearbeitung überträgt (Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 110 AO 1977 Tz. 22). Zu den einfachen Fristen gehört aber nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht die Revisionsbegründungsfrist im Finanzstreitverfahren (BFH-Beschluß vom 27. März 1984 IV R 47/81, BFHE 140, 428, BStBl II 1984, 446; ebenso für die - in gleicher Weise zu berechnende - Revisionsbegründungsfrist im Verwaltungsstreitverfahren: Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 5. März 1982 8 C 159/81, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1983, 171, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Finanzgerichtsordnung, § 56, Rechtsspruch 345).

Diese Frist beginnt nicht mit der Einlegung der Revision, sondern schließt sich an die Revisionseinlegungsfrist an. Verlängert sich diese, weil ihr Ende auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag fällt, verschiebt sich auch der Beginn der Begründungsfrist (BFHE 106, 483, BStBl II 1972, 957). Die genannten Berechnungsschwierigkeiten verpflichten den Prozeßbevollmächtigten zu besonderer Sorgfalt bei der Notierung der Frist und der Überwachung des damit betrauten Personals. Er muß deshalb grundsätzlich im Zusammenhang mit der Notierung der Frist auf die Besonderheiten bei der Berechnung der Frist für die Revisionsbegründung hinweisen. Diese Pflicht entfällt nur ausnahmsweise dann, wenn es sich wegen der Häufigkeit der zu bearbeitenden Sachen um eine dem Büro geläufige Fristenberechnung handelt (BFHE 140, 428, BStBl II 1984, 446, und BVerwG-Entscheidung in HFR 1983, 171, StRK, Finanzgerichtsordnung, § 56, Rechtsspruch 345).

Daß der Kläger häufig mit Revisionen an den BFH befaßt sei und der mit der Fristennotierung beauftragte Bürovorsteher deswegen mit der Berechnung der Revisionsbegründungsfrist vertraut gewesen sei, ist weder dargetan noch glaubhaft gemacht worden. Nach der eidesstattlichen Erklärung des Bürovorstehers muß vielmehr davon ausgegangen werden, daß diesem die rechtliche Bedeutung der Frist für die Begründung der Revision, die Einzelheiten ihrer Berechnung und die Voraussetzung für eine Fristverlängerung - Antragstellung vor Fristablauf (§ 120 Abs. 1 Satz 2 FGO) - nicht bekannt waren. Darauf ist es zurückzuführen, daß dem Kläger die Sache nicht rechtzeitig vor Fristablauf zur Anfertigung der Revisionsbegründung oder zur Stellung eines Fristverlängerungsantrags vorgelegt worden ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob - wie der Kläger vorträgt - die Revisionsbegründungsfrist im Fristenkalender versehentlich nicht richtig notiert worden ist oder ob die Eintragung der Frist - so die eidesstattliche Erklärung des Bürovorstehers - weisungsgemäß erfolgt ist, daraus aber nicht die rechtlich notwendigen Folgerungen gezogen worden sind. Der Kläger hätte den Bürovorsteher über die Berechnung der Frist und über die Folgen des Fristablaufs informieren oder sich selbst um die Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist kümmern müssen. Da er dies unterlassen hat, beruht die Fristversäumnis auf seinem eigenen Verschulden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414886

BFH/NV 1987, 589

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