Leitsatz (amtlich)
1. Eine einstweilige Anordnung kommt nicht in Betracht, wenn ein Anspruch, der als Ausfluß eines umstrittenen Rechtsverhältnisses möglicher Gegenstand eines Verfahrens zur Hauptsache sein könnte, offensichtlich nicht besteht.
2. Das FA ist nicht verpflichtet, für Zwecke der Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuervorauszahlungen der Gesellschafter einer Personengesellschaft dieser Gesellschaft eine Bescheinigung darüber zu erteilen, wie hoch der Verlust sein werde, den die Gesellschaft in dem für die Bemessung der Vorauszahlungen maßgebenden Veranlagungszeitraum voraussichtlich erleiden wird.
2. Eine ausfüllungsbedürftige Lücke im Gesetz liegt nicht schon dann vor, wenn aus rechtspolitischen oder aus Gründen der Praktikabilität eine von der bestehenden abweichende Regelung in dem Sinne erwünscht wäre, daß ein Normenkomplex auf Sachverhalte angewandt werden soll, für die er nicht gedacht ist.
2. Anforderungen an eine Unterschrift für sogenannte bestimmende Schriftsätze.
Normenkette
FGO § 114 Abs. 1, § 155; AO § 213 Abs. 1-2, § 215 Abs. 2 Nr. 2, § 216 Abs. 1 Nr. 2; EStG 1971 § 35 Abs. 2 S. 2; EStG 1925 § 65 Abs. 1 Nr. 2; GewStG § 19 Abs. 3 S. 3 i.d.F. des Art. 3 des Gesetzes vom 17. April 1974 (BGBl I, S. 3 i.d.F. des Art. 949), S. 3 i.d.F. des § 28 Nr. 1 Buchst. a des Gesetzes vom 8. Juni 1967 (BGBl I, S. 3 i.d.F. des § 28 Nr. 1 Buchst. 582); ZPO § 130 Nr. 6
Tatbestand
1. Eine einstweilige Anordnung kommt nicht in Betracht, wenn ein Anspruch, der als Ausfluß eines umstrittenen Rechtsverhältnisses möglicher Gegenstand eines Verfahrens zur Hauptsache sein könnte, offensichtlich nicht besteht. 2. Das FA ist nicht verpflichtet, für Zwecke der Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuervorauszahlungen der Gesellschafter einer Personengesellschaft dieser Gesellschaft eine Bescheinigung darüber zu erteilen, wie hoch der Verlust sein werde, den die Gesellschaft in dem für die Bemessung der Vorauszahlungen maßgebenden Veranlagungszeitraum voraussichtlich erleiden wird. 3. Eine ausfüllungsbedürftige Lücke im Gesetz liegt nicht schon dann vor, wenn aus rechtspolitischen oder aus Gründen der Praktikabilität eine von der bestehenden abweichende Regelung in dem Sinne erwünscht wäre, daß ein Normenkomplex auf Sachverhalte angewandt werden soll, für die er nicht gedacht ist. 4. Anforderungen an eine Unterschrift für sogenannte bestimmende Schriftsätze.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
I. Die Zulässigkeit der Beschwerde wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß die Unterschrift des Bevollmächtigten, der am Ende der Beschwerdeschrift links unterzeichnet hat, möglicherweise nicht den Anforderungen entspricht, die nach der Rechtsprechung (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 1. Oktober 1969 VIII ZR 83/69, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1970 S. 82 - HFR 1970, 82 -; Beschluß des BGH vom 21. März 1974 VII ZB 2/74, Neue Juristische Wochenschrift 1974 S. 1090 - NJW 1974, 1090 -, jeweils mit Nachweisen) an eine Unterschrift für sogenannte bestimmende Schriftsätze (§ 155 FGO in Verbindung mit § 130 Nr. 6 ZPO) gestellt werden. Danach ist zwar nicht zu verlangen, daß die Unterschrift lesbar ist; es muß aber ein die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnender individueller Schriftzug sein, der einmalig ist, entsprechende charakteristische Merkmale aufweist und sich als Unterschrift eines Namens darstellt. Dazu gehört, daß mindestens einzelne Buchstaben zu erkennen sind, weil es sonst an dem Merkmal einer Schrift überhaupt fehlt (Beschluß des BGH VII ZB 2/74). Ob und inwieweit diese Voraussetzungen hinsichtlich der erwähnten Unterschrift eines der Bevollmächtigten erfüllt sind, kann für den Streitfall dahingestellt bleiben, weil die Unterschriften der beiden anderen Bevollmächtigten unzweifelhaft den erwähnten Anforderungen genügen. Jeder dieser Bevollmächtigten ist gesondert bevollmächtigt worden.
II. Die Beschwerde ist nicht begründet, weil die Voraussetzungen des § 114 Abs. 1 FGO nicht erfüllt sind.
1. Entgegen der Ansicht des FG ist für das Begehren der Beschwerdeführerin nicht § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO maßgebend. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Beziehung auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Im Streitfall kommt die Vorschrift nicht in Betracht, weil die Beschwerdeführerin nicht die Veränderung eines bestehenden Zustandes verhindern will; sie will vielmehr eine ihr vom FA versagte Regelung erreichen (vgl. dazu Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14. Juli 1971 II B 2/71, BFHE 102, 238, BStBl II 1971, 633). Abs. 1 Satz 1 des § 114 FGO erlaubt wortlautgemäß nur Regelungen im Interesse der Erhaltung des bestehenden Zustandes.
2. Als Grundlage für die begehrte Anordnung kommt - wie die Beschwerdeführerin in ihrem Antrag vom 23. August 1974 richtig erkannt hat - § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO in Betracht. Danach sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
Es braucht nicht erörtert zu werden, ob der Antrag schon deshalb unbegründet ist, weil durch die begehrte Verlustbescheinigung im Hinblick auf die erstrebte Berücksichtigung des die Beschwerdeführerin im Jahre 1974 angeblich treffenden Verlustes bei der Bemessung der Einkommensteuervorauszahlungen für 1974 und 1975 ihrer Kommanditisten keine Regelung eines vorläufigen, sondern eines endgültigen Zustandes erstrebt wird (vgl. Beschluß des BFH vom 9. Dezember 1969 VII B 127/69, BFHE 97, 575, BStBl II 1970, 222). Der Senat braucht daher nicht zu untersuchen, ob die Ansicht der Beschwerdeführerin zutrifft, daß die endgültige Entscheidung deshalb nicht vorweggenommen werde, weil es nur um die Vorauszahlungen gehe, während die endgültige Entscheidung erst durch die Jahres-Gewinn- und -Verlustfeststellungen getroffen werde, ob nicht vielmehr die von der Beschwerdeführerin erstrebte Verpflichtung des FA, den voraussichtlichen Verlust 1974 zum Zweck der Anpassung der Einkommensteuervorauszahlungen der Kommanditisten festzustellen, im Verhältnis zu der von den Gesellschaftern erstrebten Festsetzung niedrigerer Vorauszahlungen eine endgültige Regelung darstellt (vgl. dazu Beschluß des BFH vom 16. Januar 1974 II B 59/73, BFHE 111, 228, BStBl II 1974, 221).
3. Unabhängig von dieser Frage hat das FG den Antrag zu Recht abgelehnt. Ein Anspruch der Beschwerdeführerin, der als Ausfluß eines umstrittenen Rechtsverhältnisses möglicher Gegenstand eines Verfahrens zur Hauptsache (Klage auf Verpflichtung zur Erteilung einer Verlustbescheinigung) sein könnte, besteht offensichtlich nicht.
a) Die Beschwerdeführerin begehrt nicht eine einheitliche Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß §§ 215 Abs. 2 Nr. 2, 216 AO. Denn nach § 216 Abs. 1 Nr. 2 AO muß bei der einheitlichen und gesonderten Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb entschieden werden, wem der Gegenstand (die Einkünfte) bei der Besteuerung zuzurechnen ist und wie sich der festgestellte Betrag auf die einzelnen Beteiligten verteilt. Hiervon abgesehen beziehen sich die §§ 215 Abs. 2 Nr. 2 und 216 Abs. 1 Nr. 2 AO als Ausfluß der Regelung des § 213 Abs. 2 AO nur auf die Feststellung der Einkünfte, die während eines in der Vergangenheit abgelaufenen Zeitraums erzielt wurden (vgl. § 218 AO), nicht aber auf die Feststellung der künftig von einer Personengesellschaft oder Gemeinschaft möglicherweise zu erzielenden und nach Maßgabe steuerrechtlicher Vorschriften zu ermittelnden Gesamtgewinne oder -verluste. Feststellungen im Sinne des § 216 Abs. 1 Nr. 2 AO erstrebt die Beschwerdeführerin ohnehin nicht. Einen Feststellungsbescheid der von der Beschwerdeführerin begehrten Art kennt das Gesetz nicht. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist die in Nr. 1 des Erlasses des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalen vom 29. Februar 1972 - S 2297 - 5 - VB 2 - (Der Betriebs-Berater 1972 S. 344 - BB 1972, 344 -; Der Betrieb 1972 S. 506 - DB 1972, 506 -) enthaltene Regelung nicht auf die Erteilung eines Feststellungsbescheides im Sinne des § 215 Abs. 2 AO gerichtet. In diesem Erlaß heißt es nur, daß Anträgen auf Herabsetzung der Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuervorauszahlungen entsprochen werden kann, wenn
a) das für die Gesellschaft zuständige FA erklärt hat, daß ihm die Entstehung eines voraussichtlichen Verlustes in bestimmter Höhe für den betreffenden Veranlagungszeitraum glaubhaft gemacht worden ist, und
b) die Gesellschaft bestätigt, welcher Anteil an diesem Verlust auf den Gesellschafter entfällt.
Aus der Verwaltungsanordnung ergibt sich - vom Mangel der Rechtsnormqualität kann hier abgesehen werden - weder, daß Personengesellschaften oder ihre Gesellschafter einen Rechtsanspruch auf Feststellung eines im Laufe eines Veranlagungszeitraums voraussichtlich entstehenden Verlustes haben, noch ist auch nur ersichtlich, daß die Betriebs-FÄ zu Feststellungen dieser Art verpflichtet seien und daß sich aus dieser Pflicht ein Rechtsreflex zugunsten der Personengesellschaften oder ihrer Gesellschafter ergebe.
b) Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist § 35 Abs. 2 EStG in Verbindung mit §§ 215 ff. AO nicht plan- oder prinzipwidrig unvollständig. Eine solche Unvollständigkeit kann insbesondere nicht aus § 19 Abs. 3 Satz 3 GewStG i. d. F. des Art. 3 des Gesetzes zur Reform des Vermögensteuerrechts und zur Änderung anderer Steuergesetze vom 17. April 1974 (BGBl I, 949; BStBl I 1974, 233) abgeleitet werden.
aa) Die Ermächtigung des § 19 Abs. 3 Satz 3 GewStG in der erwähnten Fassung und in der Fassung des § 28 Nr. 1 Buchst. a des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967 (BGBl I, 582, BStBl I 1967, 266) oder des § 19 Abs. 3 Satz 2 GewStG i. d. F. der Bekanntmachung vom 25. Mai 1965 (BGBl I, 458, BStBl I 1965, 281) beruht auf der Erwägung, daß die FÄ, denen als Landesfinanzbehörden Verwaltungskompetenz hinsichtlich der Gewerbesteuer insoweit zusteht, als die Verwaltung nicht den Gemeindebehörden übertragen ist (vgl. hierzu mit Nachweisen das Urteil des BFH vom 21. Oktober 1970 I R 81, 82, 92-94/68, BFHE 100, 295 [298 f.], BStBl II 1971, 30), für die Bemessung auch der Gewerbesteuervorauszahlungen maßgebliche Grundlagen aus Anlaß der Ermittlung des Gewinns aus Gewerbebetrieb für Zwecke der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer und der Einheitswerte des Betriebsvermögens ohnehin feststellen (vgl. §§ 6, 7, 11, 12-15 GewStG) und somit einheitliche Grundlagen für die Bemessung der Vorauszahlungen zur Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer zur Verfügung stehen.
bb) Inwiefern im übrigen die §§ 215 ff. AO im Hinblick auf die Festsetzung der Vorauszahlungen zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer lückenhaft sein sollen, kann der Senat nicht feststellen. Die von der Beschwerdeführerin erstrebte Lückenausfüllung könnte nicht auf Sachverhalte der vorliegenden Art beschränkt bleiben, sondern müßte für alle Fälle gelten, in denen aus Anlaß der Anpassung der Vorauszahlungen auch voraussichtliche Einkünfte zu berücksichtigen wären, die einheitlich und gesondert festzustellen sind. Die erwähnten Vorschriften sind - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin - auf die (abschließende) Steuerfestsetzung für einzelne Veranlagungszeiträume bezogen (vgl. §§ 213, 218 AO). Aus Praktikabilitätsgründen sieht das Gesetz, nach dem die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen regelmäßig ein unselbständiger (mit Rechtsbehelfen nicht selbständig anfechtbarer) Teil des Steuerbescheides ist (§ 213 Abs. 1 AO), nur für bestimmt bezeichnete Ausnahmefälle eine gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen vor; diese gesonderte Feststellung bildet, auch wenn sie mit der Steuerfestsetzung in einem Bescheid verbunden ist, eine selbständige (mit Rechtsbehelfen selbständig anfechtbare) Entscheidung (§ 213 Abs. 2 AO). Aus dem Regel-Ausnahme-Verhältnis der Abs. 1 und 2 des § 213 AO ergibt sich eindeutig, daß grundsätzlich die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen unselbständige Vorfrage für die Steuerfestsetzung ist. § 35 Abs. 2 Satz 2 EStG 1971 überläßt die (unselbständige) Feststellung der voraussichtlichen Besteuerungsgrundlagen des FA, das die Steuerfestsetzung künftig vorzunehmen haben wird. Für die Annahme einer Lücke ist daher kein Raum.
Die Erwägungen, mit denen die Beschwerdeführerin die angebliche Lücke zu belegen sucht, sind nicht geeignet, eine plan- oder prinzipwidrige Unvollständigkeit der erwähnten Rechtsnormen zu belegen. Ihre Erwägungen beziehen sich auf die Praktikabilität der Regelung des § 35 Abs. 2 Satz 2 EStG 1971 für den Fall, daß eine Vielzahl von Gesellschaftern einer Personengesellschaft am Verlust oder am Gewinn einer Personengesellschaft beteiligt ist und die Höhe des (künftig eintretenden) Verlustes oder (zu erzielenden) Gewinnes gemäß § 213 Abs. 2 AO einheitlich und gesondert festzustellen sein wird. Eine Norm ist jedoch nicht deshalb lückenhaft, weil sie im Hinblick auf die Praktikabilität in Einzelfällen unerfreuliche Folgen zeitigt. Die Beschwerdeführerin verkennt, daß eine ausfüllungsbedürftige Lücke nicht schon dann vorliegt, wenn aus rechtspolitischen oder aus Gründen der Praktikabilität eine von der bestehenden abweichende Regelung in dem Sinne erwünscht wäre, daß ein Normenkomplex (§§ 215 ff. AO) entgegen einer vorhandenen Regelung (§ 35 Abs. 1 Satz 2 EStG 1971) auf Sachverhalte angewandt werden soll, für die er nach dem eindeutigen Wortlaut der gesetzlichen Regelung nicht gedacht ist. Nichts anderes aber erstrebt die Beschwerdeführerin, wenn sie die §§ 215 ff. AO entgegen der Regelung der Reichsabgabenordnung und dem Wortlaut des § 35 Abs. 2 EStG 1971 nicht nur auf die Feststellung in der Vergangenheit erzielter Einkünfte, sondern auch auf die Fälle angewandt wissen will, in denen eine Vielzahl von Steuerpflichtigen in dem Veranlagungszeitraum, für den Vorauszahlungen festgesetzt werden sollen, voraussichtlich Einkünfte erzielen werden, die später einheitlich und gesondert festzustellen sind. Allerdings will die Beschwerdeführerin - wie ihr Antrag erkennen läßt - für Fälle dieser Art nicht genau nach §§ 215 ff. AO verfahren wissen; sie will nur den Gesamtverlust der Gesellschaft in einer Bescheinigung ausgewiesen wissen, wie er im Falle bereits erzielter Einkünfte wortlautgemäß nach der Regelung des § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1925 festzustellen gewesen wäre.
c) Auch unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben kann die Beschwerdeführerin keinen Erfolg haben. Sie meint, selbst wenn man davon ausgehe, daß das Verfahren der Finanzverwaltung gemäß dem Erlaß vom 29. Februar 1972 der gesetzlichen Grundlage entbehre, so müsse sich doch die Finanzverwaltung im Streitfall nach Treu und Glauben an dem einmal eingeschlagenen Verfahren festhalten lassen.
Der Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung - auf den sich die Beschwerdeführerin mit ihrem Einwand letztlich bezieht - greift im Streitfall nicht ein. Als Ausgangspunkt einer zu einem Anspruch führenden Selbstbindung der Verwaltung kommen Verwaltungsvorschriften nur dort in Betracht, wo die Verwaltung nach der objektiven Rechtsordnung Entscheidungsfreiheit für den Einzelfall oder für Gruppen von Einzelfällen hat, d. h. nur im Bereich einer ihr durch das objektive Recht eingeräumten Ermächtigung, beim Vorliegen bestimmter Tatbestandsmerkmale letztverbindlich nach ihrem Ermessen zu entscheiden (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 10. Dezember 1969 VIII C 104/69, BVerwGE 34, 278 [280 f.], NJW 1970, 675 mit Nachweisen). Hieran fehlt es im Streitfall.
Angesichts der oben dargestellten Rechtslage ist es nicht zulässig, der Anpassung der Einkommensteuervorauszahlungen ein Verfahren der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung potentieller Einkünfte der in § 215 Abs. 2 AO bezeichneten Art vorzuschalten. Eine Verwaltungsanordnung, die dieses vorschiebe, wäre - weil dem Gesetz widersprechend - rechtswidrig; das gleiche gälte für eine entsprechende Verwaltungspraxis. Die Verwaltungsanordnung vom 29. Februar 1972 schreibt ein derartiges Verfahren aber auch nicht vor. Durch sie ist im Interesse der Finanzverwaltung aber auch in dem der Steuerpflichtigen angeordnet worden, bei der Bearbeitung von Anträgen auf Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlungen durch die Wohnsitz-FÄ in Fällen der vorliegenden Art die Betriebs-FÄ einzuschalten, die für die Ermittlung der einheitlich und gesondert festzustellenden künftigen Einkünfte zuständig sein werden. In der Verwaltungsanordnung ist nicht bestimmt, daß das Betriebs-FA den voraussichtlichen Verlust förmlich festzustellen habe. Vielmehr heißt es dort nur, daß Anträgen auf Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlungen unter den dort näher bezeichneten Voraussetzungen (vgl. oben II. 3. a) entsprochen werden könne.
Daraus folgt jedoch nicht, daß das Betriebs-FA verpflichtet ist, den voraussichtlichen Verlust einheitlich und gesondert festzustellen. Die Erklärung des für die Gesellschaft zuständigen FA - die für die einzelnen Wohnsitz-FÄ bestimmt ist-, ihm sei die Entstehung eines voraussichtlichen Verlustes in bestimmter Höhe für den betreffenden Veranlagungszeitraum glaubhaft gemacht worden, ist überdies kein Verwaltungsakt und für die begehrte Anpassung der Vorauszahlungen ebensowenig verbindlich wie die Bestätigung der Gesellschaft, welcher Anteil an diesem Verlust auf den einzelnen Gesellschafter entfalle.
Schon aus diesem Grunde kann die Beschwerde auch unter dem Gesichtspunkt des Widerspruches zu eigenem früheren Verhalten keinen Erfolg haben. Hiervon abgesehen begründet der Umstand, daß das FA der Beschwerdeführerin für das Jahr 1973 die beantragte Bescheinigung über den behaupteten Verlust erteilt und sich auch wegen des behaupteten voraussichtlichen Verlustes für den Veranlagungszeitraum 1974 mit dem Antrag der Beschwerdeführerin beschäftigt hat, keinen auf Übung zurückzuführenden Vertrauenstatbestand dergestalt, daß das FA die beantragte Bescheinigung - für deren Erteilung es an einer Rechtsgrundlage fehlt - für 1974 und für alle Zukunft erteilen müsse.
Fundstellen
Haufe-Index 71098 |
BStBl II 1975, 449 |
BFHE 1975, 17 |