Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiederaufnahmeantrag -- maßgeblicher Mitwirkungsplan
Leitsatz (NV)
1. Die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeantrages setzt voraus, daß Tatsachen schlüssig dargelegt werden, aus denen sich der behauptete Wiederaufnahmegrund ergibt (st. Rechtspr.).
2. Der Antragsteller muß die Besetzung des Gerichts an den Regelungen des Geschäftsverteilungs- und des Mitwirkungsplans messen und unter Berücksichtigung der Prozeßgeschichte vortragen, weshalb seiner Meinung nach die Besetzung nicht dem einschlägigen Mitwirkungs- bzw. Geschäftsverteilungsplan entsprochen hat.
3. Maßgeblich für die vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts ist der Mitwirkungsplan, der für das Jahr aufgestellt ist, in dem die angegriffene Entscheidung gefällt worden ist. Mitwirkungspläne, die in früheren Geschäftsjahren gegolten haben, können für die Besetzung des Gerichts nur Bedeutung erlangen, sofern der einschlägige Mitwirkungsplan auf sie Bezug nimmt oder sofern es um die Frage geht, ob ein Mitwirkungsplan nichtig ist, weil er anhängige Verfahren anderen Richtern zuweist als ein früherer Mitwirkungsplan.
Normenkette
FGO § 134; ZPO § 579 Abs. 1 Nr. 1, § 588 Abs. 1; GVG § 21g Abs. 2
Tatbestand
Die Kläger und Antragsteller (Kläger) hatten wegen Einkommensteuer 1986 Klage erhoben, die vom Finanzgericht (FG) abgewiesen worden war. Die von den Klägern wegen der Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des FG erhobene Beschwerde, mit der im wesentlichen grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf die Frage der richtigen Adressierung und wirksamen Bekanntgabe eines an Ehegatten gerichteten Steuerbescheides geltend gemacht wurde, hat der Senat durch Beschluß vom 7. September 1995 unter Mitwirkung seines Vorsitzenden und der Richter am Bundesfinanzhof B und R als unzulässig verworfen.
Hiergegen beantragen die Kläger Wiederaufnahme des Verfahrens und machen geltend, der Senat sei bei der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 134 der Finanzgerichtsordnung -- FGO -- i. V. m. § 579 Abs. 1 Nr. 1 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --). Zur Begründung des Antrags führen die Kläger im wesentlichen aus, nach dem senatsinternen Geschäftsverteilungsplan für 1993 liege es im Belieben der Vorsitzenden, wer Berichterstatter wird. Der Mitwirkungsplan sei mit § 21 g Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar. Er sehe zwar vor, daß sich die Auswahl des Berichterstatters grundsätzlich nach der jeweils in Frage stehenden Rechtsmaterie richte; diese unsubstantiierte Vagheit reiche aber nicht aus, das Profil des grundgesetzlich vorgegebenen gesetzlichen Richters zu erreichen. Sie sei eine Ermächtigung zum Belieben. Bisher nicht berücksichtigt worden sei außerdem die Bedeutung des Art. 97 Abs. 1 GG für die interne Geschäftsverteilung.
Im übrigen werde in vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) schwebenden Verfahren Rechtsklarheit über die verfassungsmäßige Bildung der Beschluß-Senate beim Bundesfinanzhof (BFH) herbeigeführt werden; es werde beantragt, das Verfahren bis zum Ergehen dieser Entscheidungen auszusetzen.
Das FA hat sich zu dem Antrag nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Sache ist entscheidungsreif. Den Klägern ist rechtliches Gehör gewährt worden. Die für die rechtliche Würdigung in Betracht kommenden Mitwirkungspläne des Senats liegen ihrem Prozeßbevollmächtigten vor. Die Kläger hatten Gelegenheit, sich zu ihnen und zu den auf ihnen beruhenden Verfügungen des Vorsitzenden des Senats über die Bestellung des Berichterstatters und des Mitberichterstatters zu äußern.
Das Verfahren ist nicht, wie von den Klägern begehrt, in entsprechender Anwendung des § 74 FGO auszusetzen. Das folgt schon daraus, daß die Entscheidung über den Antrag vom Ausgang der in der Antragsschrift benannten, beim BVerfG anhängigen Verfahren, insbesondere auch von der Entscheidung aufgrund des Anrufungsbeschlusses des 1. Senats des BVerfG vom 10. August 1995 1 BvR 1644/94 (Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1995, 2703) nicht abhängt. Denn der Antrag ist unzulässig.
1. Der Antrag ist zwar statthaft. Nach § 134 FGO kann ein rechtskräftig beendetes Verfahren nach den Vorschriften der §§ 578 ff. ZPO wieder aufgenommen werden. § 578 Abs. 1 ZPO sieht die Wiederaufnahme zwar nur für ein durch rechtskräftiges Endurteil abgeschlossenes Verfahren vor. Nach der Rechtsprechung des BFH kann jedoch auch ein durch Beschluß rechtskräftig beendetes Verfahren wieder aufgenommen werden (BFH-Beschlüsse vom 29. Januar 1992 VIII K 4/91, BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252; vom 13. Februar 1986 III K 1/85, BFHE 145, 500, BStBl II 1986, 415; zuletzt vom 8. Dezember 1994 VII K 1/94, BFH/NV 1995, 795). In diesem Fall ist -- wie es die Kläger getan haben -- ein Antrag auf Wiederaufnahme zu stellen (BFH-Beschlüsse in BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252, und vom 18. März 1988 V K 1/88, BFHE 152, 426, BStBl II 1988, 586).
2. Der Antrag ist jedoch unzulässig, weil der behauptete Wiederaufnahmegrund, daß das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei (§ 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), nicht hinreichend dargetan ist.
a) Nach der Rechtsprechung des BFH setzt die Zulässigkeit eines Wiederaufnahme antrags bzw. einer Wiederaufnahmeklage voraus, daß Tatsachen schlüssig dargelegt werden, aus denen sich -- ihre Richtigkeit unterstellt -- der behauptete Wiederaufnahmegrund ergibt (BFH-Beschlüsse in BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252; vom 11. April 1990 I K 1/90, BFH/NV 1990, 790, und in BFH/NV 1995, 795). Zwar gehört die Bezeichnung des Anfechtungsgrundes nach § 588 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht zum gesetzlich vorgeschriebenen Mindestinhalt der Klage- bzw. Antragsschrift. Daraus folgt aber nur, daß die Tatsachen, aus denen sich der Wiederaufnahmegrund ergeben soll, nicht schon innerhalb der Klagefrist vorgetragen werden müssen; sie können vielmehr in einem späteren Schriftsatz oder, wenn eine mündliche Verhandlung stattfindet, in dieser nachgeschoben werden.
b) Zur schlüssigen Darlegung der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts ist es erforderlich, daß der Antragsteller die Besetzung des Gerichts an den Regelungen des Geschäftsverteilungs- und des Mitwirkungsplans mißt. Der Antragsteller muß unter Berücksichtigung der dafür gegebenenfalls maßgeblichen Umstände der Prozeßgeschichte, über die er sich Aufschluß verschaffen muß, vortragen, weshalb seiner Meinung nach die Besetzung bei Erlaß der angegriffenen Entscheidung nicht dem einschlägigen Mitwirkungs- bzw. Geschäftsverteilungsplan entsprochen hat.
c) Aus den Darlegungen der Kläger ergibt sich der von ihnen behauptete Wiederaufnahmegrund nicht schlüssig.
Die Kläger tragen vor, der Mitwirkungsplan des erkennenden Senats für 1993 -- an anderer Stelle ihrer Antragsschrift ist auch von dem Mitwirkungsplan für 1992 die Rede -- habe den Anforderungen des § 21 g Abs. 2 GVG nicht genügt. Nach dieser Vorschrift bestimmt der Vorsitzende vor Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer, nach welchen Grundsätzen die Mitglieder seines Spruchkörpers an den Verfahren mitwirken; er darf diese Anordnung u. a. ändern, wenn dies wegen Wechsels einzelner Mitglieder des Spruchkörpers nötig wird.
Maßgeblich für die vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts ist also nach der vorgenannten Gesetzesbestimmung der Mitwirkungsplan (einschließlich gegebenenfalls zu ihm ergangener Änderungen), der für das Jahr aufgestellt ist, in dem die angegriffene Entscheidung gefällt worden ist. Mitwirkungspläne, die in früheren Geschäftsjahren gegolten haben -- etwa bei Eingang der Sache oder bei ihrer (erstmaligen) Zuschreibung an einen Berichterstatter --, können daher für die Besetzung des Gerichts nur Bedeutung erlangen, sofern der einschlägige Mitwirkungsplan auf sie Bezug nimmt oder sofern es um die Frage geht, ob ein Mitwirkungsplan möglicherweise nichtig ist, weil er Verfahren, die bei Beginn des Geschäftsjahres schon anhängig sind, anderen Richtern zuweist als ein früherer, für sie damals einschlägiger Mitwirkungsplan (vgl. jedoch den Beschluß des Bundesgerichtshofs -- BGH -- vom 5. Mai 1994 VGS 1--4/93, NJW 1994, 1735, 1739).
Der mit dem Wiederaufnahmeantrag angegriffene Beschluß des Senats in dem Verfahren III B 161/90 ist im Jahre 1995 ergangen. Folglich ist für ihn der für die Dauer des Jahres 1995 aufgestellte Mitwirkungsplan und seine durch § 21 g Abs. 2 Halbsatz 2 GVG zugelassene, durch das Hinzutreten eines weiteren Mitglieds des Senats, des Richters R, notwendig gewordene Änderung vom 7. Juni 1995 einschlägig (vgl. Urteile des BFH vom 14. November 1969 III 218/65, BFHE 98, 189, BStBl II 1970, 302, und des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Oktober 1990 3 C 19/88, NJW 1991, 1370). Das Vorbringen der Kläger, das allein auf den Mitwirkungsplan 1993 (oder 1992) abstellt, gibt daher für einen Wiederaufnahmegrund nach § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO offenkundig von vornherein nichts her.
Mit den Regelungen des Mitwirkungsplans 1995 und seiner Änderung haben sich die Kläger hingegen nicht auseinandergesetzt. Die von ihnen erhobenen Rügen treffen auch in der Sache auf diese Regelungen, die sich wesentlich von den in den Mitwirkungsplänen 1992 und 1993 getroffenen unterscheiden, nicht zu.
d) Ohne Erfolg muß der Wiederaufnahmeantrag aber auch dann bleiben, wenn er dahin verstanden wird, daß die Kläger deshalb auf den Mitwirkungsplan 1993 meinen abstellen zu können, weil der Richter B bereits 1993 zum Berichterstatter bestellt worden ist und der Mitwirkungsplan 1995 nach seiner Ziffer IV. Satz 2 für Fälle nicht gilt, die vor dem 1. Januar 1995 eingegangen sind und für die bereits eine Zuschreibung an den Berichterstatter erfolgt ist. Denn selbst wenn man von dem Mangel absehen könnte, daß es die Kläger versäumt haben, diese Tatsachen darzulegen, könnte die Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Senats auch bei Berücksichtigung der vorgenannten Tatsachen nicht durchgreifen.
Zwar kann zweifelhaft sein, ob Ziffer IV. Satz 2 des Mitwirkungsplans 1995 ohne Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG die Besetzung des Senats hätte regeln können, wenn der Mitwirkungsplan, nach dem die Zuschreibung an den Berichterstatter erfolgt ist, den Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und des § 21 g Abs. 2 GVG seinerseits nicht genügt haben sollte. Denn die Anordnung der Ziffer IV. Satz 2, daß die Mitwirkungsregelungen des Mitwirkungsplanes 1995 bei bereits einem Berichterstatter zugeschriebenen Verfahren nicht gelten sollen, bedeutet im Ergebnis, daß insoweit die Besetzung des Senats auch im Jahr 1995 durch frühere Mitwirkungspläne geregelt wird, so daß die vorschriftsmäßige Besetzung des Senats bei solchen Verfahren von der Wirksamkeit jener Mitwirkungspläne abhängen mag.
Das kann jedoch auf sich beruhen, weil B auch dann zur Mitwirkung an der angegriffenen Entscheidung berufen gewesen wäre, wenn die genannte Schlußbestimmung des Mitwirkungsplans 1995 nichtig wäre. Denn dann griffen auch für Verfahren, in denen bei Beginn des Geschäftsjahres 1995 bereits eine Zuschreibung erfolgt war, die allgemeinen Mitwirkungsregeln des Mitwirkungsplanes 1995 ein, mit denen sich die Kläger nicht auseinandergesetzt haben und die B ebenfalls zur Mitwirkung an der angegriffenen Entscheidung berufen. Denn nach Ziffer II. 1. a) letzter Absatz des Mit wirkungsplans 1995 wirkt B an den Entscheidungen des Senats mit, wenn der Schwerpunkt der Einwendungen bei Verfahrensfragen im Sinne der Abgabenordnung (AO 1977) oder FGO liegt. Dies ist bei dem Verfahren III B 161/90 offenkundig der Fall.
e) Schlüssige Einwände gegen die Mitwirkung des Richters R sind dem Antrag nicht zu entnehmen.
Für die Mitwirkung von R ist der Mitwirkungsplan 1993 (oder 1992), auf den die Kläger abstellen, unter jedem erdenklichen rechtlichen Gesichtspunkt bedeutungslos, weil R erst im Laufe des Jahres 1995 zum Senat hinzugetreten ist und seine Mitwirkung unabhängig von früheren Mitwirkungsplänen geregelt worden ist und aufgrund des § 21 g Abs. 2 Halbsatz 2 GVG geregelt werden konnte.
3. Der Senat entscheidet über den Wiederaufnahmeantrag gemäß § 121 i. V. m. § 90 Abs. 1 Satz 2 FGO. Da sich der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gegen einen ein Beschwerdeverfahren abschließenden Beschluß richtet, ist über den Wiederaufnahmeantrag ebenfalls durch Beschluß zu entscheiden (BFH-Beschlüsse vom 16. August 1979 I K 2/79, BFHE 128, 349, BStBl II 1979, 710, und in BFH/NV 1995, 795).
Fundstellen
Haufe-Index 421469 |
BFH/NV 1996, 901 |