Entscheidungsstichwort (Thema)
PKH-Antrag: Fehlende Begründung einer PKH-Ablehnung, Behauptung unzutreffender „Anlage U“
Leitsatz (NV)
- Der Beschluss über die Ablehnung von PKH ist zu begründen (§ 128 Abs. 1 FGO a.F. i.V.m. § 113 Abs. 2 Satz 1 FGO a.F.; nunmehr § 113 Abs. 2 Satz 2 FGO n.F.).
- Hat das FG den PKH-Antrag abgelehnt, ohne den Sachverhalt darzulegen und die Ablehnung zu begründen und sind auch den Akten die erforderlichen Sachverhaltsangaben nicht zu entnehmen, so ist der Beschluss in entsprechender Anwendung von § 119 Nr. 6 FGO n.F. aufzuheben. Der BFH kann die Sache in entsprechender Anwendung des § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO an das FG zurückverweisen.
- Ist der Beschluss des FG zwar ohne Begründung ergangen, ergibt sich aber aus dem den Akten zu entnehmenden Sachverhalt, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, so ist der Antrag auf PKH abzulehnen.
- Der erstmalige Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Verfahren vor dem FG ist beim FG zu stellen.
- Hat der Steuerpflichtige die "Anlage U" unterschrieben, bevor diese (vollständig) ausgefüllt war, so ist bei der im PKH-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung davon auszugehen, dass er damit einen Rechtsschein gesetzt hat, dessen Rechtsfolgen er gegen sich gelten lassen muss, wenn er sich darauf beruft, die Eintragungen seien unzutreffend.
Normenkette
FGO § 119 Nr. 6, § 126 Abs. 3 Nr. 2, § 142 Abs. 1, § 128 Abs. 1, § 113 Abs. 2 Sätze 1-2; EStG § 22 Nr. 1a
Tatbestand
I. Die Klägerin, Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) beantragte Prozesskostenhilfe (PKH) für ihre Klagen gegen den Beklagten (Finanzamt ―FA―) wegen Einkommensteuer 1992 bis 1995 und 1997 sowie Erlass von Zinsen zur Einkommensteuer 1993 und 1994.
In Sachen Einkommensteuer 1992 und 1993 wendet sie sich dagegen, dass das FA die Unterhaltszahlungen, die sie von ihrem seit März 1992 von ihr dauernd getrennt lebenden Ehegatten erhalten hatte, als sonstige Leistungen nach § 22 Nr. 1a des Einkommensteuergesetzes (EStG) der Besteuerung unterworfen hat (Anwendung des sogenannten Realsplittings). Der Ehemann hatte die Zahlungen als Sonderausgaben abgezogen und dem zuständigen FA die hierfür erforderlichen Zustimmungen der Klägerin in Form der von ihr am … bzw. am … unterzeichneten "Anlagen U" vorgelegt. Den Einspruch der Klägerin gegen den Steuerbescheid 1992 verwarf das FA als unzulässig, weil verspätet eingelegt; den Einspruch betreffend Einkommensteuer 1993 wies es als unbegründet zurück. Die ihr entstandenen steuerlichen Nachteile könnten nur auf zivilrechtlichem Wege gegen den Ehemann geltend gemacht werden. Die Anlage U sei von der Klägerin eigenhändig unterschrieben; die Folgen der Unterschrift seien auf der Rückseite der Anlage U erläutert. Sie müsse sich entgegenhalten lassen, die Formulare blanko unterschrieben zu haben.
Das Finanzgericht (FG) gewährte mit Beschluss vom … PKH für die Verfahren wegen des Erlasses von Zinsen zur Einkommensteuer 1993 und 1994 und wegen Einkommensteuer 1995 und 1997; im Übrigen wies es den Antrag zurück. Soweit die PKH abgelehnt werde ―für die Veranlagungszeiträume 1992 bis 1994― werde auf das Schreiben des Gerichts vom … Bezug genommen. Die steuerlichen Folgen aus dem Realsplitting seien nicht im Steuerfestsetzungsverfahren, sondern auf dem Zivilrechtsweg auszutragen.
In dem vom Berichterstatter gezeichneten Schreiben des Gerichts vom … an die Klägerin wird auf den Schriftsatz des FA vom … verwiesen. Die darin enthaltenen Ausführungen träfen zu. Insbesondere befänden sich bei den Akten für die Streitjahre 1992 und 1993 von der Klägerin unterschriebene Formulare "Anlage U". Ferner wird vom FG darauf hingewiesen, dass nach zivilrechtlicher Rechtsprechung der Unterhaltsverpflichtete die beim Unterhaltsberechtigten anfallende Einkommensteuer zu tragen habe. Dies sei aber nicht gegenüber dem FA, sondern gegenüber dem Ehemann ―gegebenenfalls vor dem Zivilgericht― geltend zu machen.
Unter Angabe der Az. … legte die Klägerin gegen den Beschluss des FG Beschwerde ein, soweit der Antrag auf Gewährung von PKH für die Veranlagungszeiträume 1992 bis 1994 zurückgewiesen worden sei. Ferner beantragte sie insoweit, als auch für die Verfahren für die bereits das FG PKH bewilligt hatte, die Beiordnung des unterzeichnenden Rechtsanwalts. Der grundsätzlich zutreffende Hinweis auf den Zivilrechtsweg könne nur gelten, wenn die Steuerfestsetzung korrekt erfolgt sei. Vorliegend sei keine korrekte Festsetzung erfolgt, weil die Erklärungen in den vom geschiedenen Ehemann dem FA vorgelegten Formular "Anlage U" nicht von der Klägerin stammten. In den Formularen sei offenbar manipuliert worden, was dem FA auch frühzeitig mitgeteilt worden sei.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist zum Teil begründet. Sie führt hinsichtlich des Antrags für das Klageverfahren betreffend Einkommensteuer 1994 zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Das FG wird dabei insoweit auch über die beantragte Beiordnung zu entscheiden haben. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
1. Die Beschwerde ist statthaft. Nach Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757) richtet sich die Zulässigkeit der Beschwerde nach den bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Vorschriften der Finanzgerichtsordnung (FGO), wenn die Entscheidung vor dem 1. Januar 2001 verkündet oder von Amts wegen anstelle einer Verkündung zugestellt wurde; danach ist das alte Recht anzuwenden.
2. Nach § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) wird einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH gewährt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Rechtsverfolgung verspricht hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn bei summarischer Prüfung für seinen Eintritt eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht; eine abschließende Prüfung darf bei der Abwägung nicht vorgenommen werden (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 15. September 1992 VII B 62/92, BFH/NV 1994, 149, und vom 6. Juni 1994 VII B 2/94, BFH/NV 1995, 281, m.w.N.).
3. Der Beschluss betreffend die Klage wegen Einkommensteuer 1994 ist in entsprechender Anwendung von § 119 Nr. 6 FGO aufzuheben, weil er ohne Begründung ergangen ist.
Das FG hat den PKH-Antrag zur Einkommensteuer 1994 abgelehnt, ohne in dem Beschluss den Sachverhalt darzulegen und die Ablehnung zu begründen. Da der Beschluss über die Ablehnung von PKH mit der Beschwerde anfechtbar ist (§ 128 Abs. 1 FGO a.F.), hätte er einer Begründung bedurft (§ 113 Abs. 2 Satz 1 FGO a.F.; vgl. auch § 113 Abs. 2 Satz 2 FGO n.F., wonach eine Begründung spezialgesetzlich vorgeschrieben wird, weil der Beschluss nach der Neufassung des § 128 Abs. 2 FGO nicht mehr anfechtbar ist).
Da weder dem Beschluss des FG noch dem in Bezug genommenen Schreiben des Berichterstatters beim FG vom … an die Klägerin noch dem dort angeführten Schriftsatz des FA vom … Ausführungen zur Einkommensteuerfestsetzung 1994 zu entnehmen sind, hält es der Senat für sachgerecht, nicht selbst zu entscheiden, sondern von der in entsprechender Anwendung des § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO auch im Beschwerdeverfahren möglichen Zurückverweisung der Sache an das FG Gebrauch zu machen (vgl. BFH-Beschluss vom 30. November 1993 VII B 52/93, BFH/NV 1994, 735, m.w.N.). Das FG wird dabei insoweit auch über die beantragte Beiordnung zu entscheiden haben.
4. Der Antrag auf PKH betreffend die Klage wegen Einkommensteuer 1992 und 1993 ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Zwar hat das FG auch insoweit den PKH-Antrag abgelehnt, ohne in dem Beschluss selbst den Sachverhalt darzulegen und die Ablehnung zu begründen, also gegen § 113 Abs. 2 Satz 1 FGO a.F. verstoßen (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1994, 735). Aus dem den Akten zu entnehmenden Sachverhalt ergibt sich indes, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Die Klägerin macht nicht geltend, die Unterschriften auf den beiden Formularen der "Anlage U" stammten nicht von ihr. Zwar könnte ihr Vorbringen in der Beschwerdebegründung: "weil die Erklärungen in den seitens des geschiedenen Ehemanns der Beschwerdeführerin dem Antragsgegner vorgelegten Formulare 'Anlage U' nicht von der Beschwerdeführerin stammten" in diesem Sinne verstanden werden. Es heißt dann aber im Weiteren: "In den Formularen ist offenbar manipuliert worden …". Dementsprechend hat die Klägerin im Einspruchsverfahren ―so die Einspruchsentscheidung des FA― vorgetragen, sie sei von ihrem Mann arglistig getäuscht worden, indem er versichert habe, ihr entstünden durch die Unterschrift keine Nachteile. Außerdem seien die Eintragungen erst erfolgt, nachdem sie bereits ihre Unterschrift geleistet habe. Die Anlage U sei daher rechtlich unwirksam, was das FA habe erkennen müssen.
Aus dieser Sachverhaltsdarstellung ergibt sich, dass die Klägerin die "Anlage U" jeweils unterschrieben hat, bevor diese (vollständig) ausgefüllt war. Bei der im PKH-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung ist demnach davon auszugehen, dass sie mit ihrer Unterschrift einen Rechtsschein gesetzt hat, dessen Rechtsfolgen sie gegen sich gelten lassen muss. Umstände, warum das FA habe erkennen müssen, dass der Inhalt der Formulare nicht den Tatsachen oder nicht ihrem Willen entsprochen habe, hat die Klägerin weder dargetan, noch sind sie anderweitig ersichtlich. Sie hat auch nicht konkret vorgetragen, obwohl ihr das ohne weiteres möglich gewesen wäre, wann und wie dem FA angeblich mitgeteilt wurde, die Formulare seien unrichtig. Erst hieraus ließe sich aber gegebenenfalls der Vorwurf ableiten, das FA habe eventuell vor Anerkennung des Sonderausgabenabzugs gegen seine Ermittlungspflicht verstoßen.
Den Einspruch gegen den Steuerbescheid 1992 hat das FA zudem als unzulässig, weil verspätet, verworfen.
5. Soweit die Klägerin darüber hinaus in dem Beschwerdeverfahren erstmalig die Beiordnung ihres Rechtsanwalts für die FG-Verfahren … und … beantragt, kann die Beschwerde keinen Erfolg haben. Der PKH bewilligende Beschluss des FG betreffend die Verfahren … und … enthält insoweit keine Beschwer der Klägerin; denn sie hatte beim FG keinen Beiordnungsantrag gestellt. Da vor dem FG kein Vertretungszwang besteht, ist auf Antrag ein Rechtsanwalt oder Steuerberater beizuordnen, wenn die Vertretung erforderlich erscheint (§ 142 FGO i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO). Die Klägerin hat die Möglichkeit, diesen Antrag nunmehr beim FG zu stellen.
6. Die von der Klägerin zu zahlende Gerichtsgebühr wird nur zur Hälfte erhoben (Nr. 3401 des Kostenverzeichnisses zu § 11 des Gerichtskostengesetzes). Soweit die Beschwerde Erfolg hat, ist keine Kostenentscheidung zu treffen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 142 Rdnr. 29).
Fundstellen
Haufe-Index 838678 |
BFH/NV 2002, 1470 |