Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen der Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Beschwerdefrist
Leitsatz (NV)
Die Versäumung der Beschwerdefrist in eigener Sache kann schuldhaft sein, wenn ein Rechtsanwalt beim "Durchgehen" der (wenigen) Fristakten mit seiner Kanzleiangestellten es versäumt, einen Blick in die Akte oder das Fristenbuch zu werfen.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1, § 116 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Hessisches FG (Urteil vom 18.07.2003; Aktenzeichen 10 K 482/03) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine Rechtsanwaltssozietät. Wegen Nichtabgabe der Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 2001 setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die Umsatzsteuer für dieses Jahr im Schätzungswege auf … € fest. Den hiergegen erhobenen Einspruch, den die Klägerin nicht begründete, wies das FA als unbegründet zurück.
Dagegen erhob die Klägerin Klage. Mit Verfügung vom 12. Februar 2003 wurde die Klägerin auf Anordnung des Vorsitzenden unter Hinweis auf §§ 62, 65 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebeten, binnen eines Monats
- den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen,
- einen Klageantrag zu stellen,
- zahlenmäßig bestimmt anzugeben, was sie mit der Klage begehrt,
- die Klage unter Angabe von Tatsachen und geeigneten Beweismitteln zu begründen.
Nachdem die Klägerin dieser Aufforderung nicht nachgekommen war, wurde sie von der Berichterstatterin mit Verfügung vom 14. März 2003 nochmals gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO aufgefordert, bis zum 25. April 2003 den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen; dies setze einen substantiierten Klagevortrag im Sinne der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) voraus (Hinweis auf Urteil vom 16. März 1988 I R 93/84, BStBl II 1988, 895). Gleichzeitig wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass nach Ablauf dieser Ausschlussfrist gemachte Angaben nicht mehr berücksichtigt werden könnten. Außerdem wurde sie ebenfalls mit Verfügung vom 14. März 2003 gemäß § 79b FGO aufgefordert, die Tatsachen zu bezeichnen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung sie sich beschwert fühle; auch hierzu wurde ihr eine Frist mit ausschließender Wirkung bis zum 25. April 2003 gesetzt.
Am 25. April 2003 beantragte die Klägerin, "den Bescheid über Umsatzsteuer für 2001 gemäß Bescheid vom 03.09.2002 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.01.2003 aufzuheben und die Umsatzsteuer auf DM … = € … festzusetzen". Zur Begründung verwies sie "auf die dem Beklagten vorliegende Steuererklärung".
Nachdem das FA mitgeteilt hatte, dass ihm die Steuererklärung nicht vorliege, schickte die Klägerin dem FA und dem Finanzgericht (FG) eine Kopie der Steuererklärung. Diese ging beim FG am Vortag der mündlichen Verhandlung (am 17. Juli 2003) per Fax ein. Zur mündlichen Verhandlung sind die Beteiligten nicht erschienen.
Das FG wies die Klage als unzulässig ab, da die Klägerin den Gegenstand des Klagebegehrens nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO bezeichnet habe. Die Revision ließ das FG nicht zu. Das Urteil wurde der Klägerin am 28. August 2003 zugestellt.
Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 14. Oktober 2003, der dem BFH am 15. Oktober 2003 zuging, legte die Klägerin daraufhin Beschwerde ein und beantragte wegen der Versäumung der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Ausweislich der dem Wiedereinsetzungsgesuch beigefügten Kopien hatte die Klägerin in ihrem Fristenbuch für die Einlegung der Beschwerde unter dem 22. September 2003 eine Vorfrist und unter dem 29. September 2003 den Fristablauf notiert.
Nach dem Vortrag der Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist die Kontrolle der Fristerledigung und Fristeinhaltung bei dieser wie folgt organisiert:
a) Die zuständigen Rechtsanwaltsfachangestellten suchen sowohl am Tage der Vorfrist wie auch am Tage des Fristablaufs die Akten anhand des Fristenbuchs heraus.
b) Sodann werden die Akten mit dem zuständigen Anwalt, hier Herrn Rechtsanwalt B, besprochen.
c) Dabei wird seitens der Rechtsanwaltsfachangestellten Herr Rechtsanwalt B immer darauf hingewiesen, wenn es sich um eine Auslauf- oder Notfrist handelt.
Für den Fall, dass Rechtsmittel einzulegen sind, ist das Büro so organisiert, dass die "Rechtsmitteleinlegungsschriften" bereits mit Besprechung am Tage des Fristablaufs seitens der Rechtsanwaltsfachangestellten vorgefertigt werden, und Herr Rechtsanwalt B nur noch entscheidet, ob das Rechtsmittel eingelegt werden soll und er die Unterschrift leistet oder nicht.
Die Klägerin behauptet, im Streitfall habe sich der Ablauf wie folgt zugetragen:
a) Rechtsanwaltsfachangestellte Frau A sei mit Herrn B alle Fristakten durchgegangen.
b) Sie habe Herrn Rechtsanwalt B nicht darauf hingewiesen, dass es sich um eine Beschwerdefrist und somit um eine auslaufende Notfrist handele.
c) Sie habe auch keine vorgefertigte "Rechtsmitteleinlegungsschrift" vorgelegt; vielmehr habe Frau A auf Nachfrage von Herrn Rechtsanwalt B bejaht, dass diese Frist auch noch am 1. Oktober 2003 erledigt werden könne.
Frau A habe bereits am Montag, den 29. September 2003 Fieber und Grippe gehabt; sie habe deshalb bereits am Nachmittag dieses Tages früher gehen müssen und erst wieder am 6. Oktober 2003 arbeiten können.
Am Mittwoch, dem 1. Oktober 2003 sei Herrn Rechtsanwalt B die Akte vorgelegt worden; er habe dann erkannt, dass die Beschwerdefrist bereits am Montag, dem 29. September 2003, abgelaufen gewesen sei.
Die Klägerin beantragt, die Revision unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zuzulassen.
Das FA ist der Beschwerde und dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. 1. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig, weil die Klägerin die Beschwerdefrist versäumt hat.
a) Nach § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO ist die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils einzulegen. Diese Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde hat die Klägerin nicht erfüllt. Sie hat die Beschwerde nicht bis zum Ablauf der Beschwerdefrist am 29. September 2003, sondern erst am 15. Oktober 2003 eingelegt.
b) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist ist der Klägerin nicht zu gewähren. Nach § 56 Abs. 1 FGO setzt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand voraus, dass jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten.
Die Klägerin konnte nicht glaubhaft machen, dass sie die Frist ohne ihr Verschulden versäumt hat. Vielmehr hätte Rechtsanwalt B bei hinreichend sorgfältigem "Durchgehen" der wenigen Fristakten erkennen können, dass es um die im Fristenbuch notierte Beschwerde seiner eigenen Rechtsanwaltssozietät ging. Statt Frau A zu fragen, ob die Frist auch noch am 1. Oktober 2003 erledigt werden könne, hätte er einen Blick in die Akte oder das Fristenbuch werfen sollen.
2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).
Fundstellen