Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Parallelfall nicht vorgreiflich; Übertragungsbeschluss unanfechtbar; Begriff des Herstellens eines Gebäudes i.S. des § 3 FördG
Leitsatz (NV)
1. Anders als bei einem für andere Verfahren vorentscheidenden “Musterprozess” begründet die Anhängigkeit eines (bloßen) Parallelfalles keine Vorgreiflichkeit und rechtfertigt daher keine Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO, zumal es bei umfangreichen Baumaßnahmen für die Abgrenzung zwischen Anbau/Umbau/Neubau maßgebend auf die Einzelfallumstände und deren Würdigung ankommt. Daher liegt auch kein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vor.
2. Der Übertragungsbeschluss des FG nach § 6 Abs. 1 FGO ist nach § 6 Abs. 4 Satz 1 FGO unanfechtbar und kann regelmäßig auch im Rechtsmittelverfahren nicht überprüft werden. Eine gegen diesen Beschluss gerichtete Besetzungsrüge kann deshalb nur ausnahmsweise Erfolg haben, so etwa dann, wenn sich die Übertragung auf den Einzelrichter als “greifbar gesetzeswidrig” erweist. Die gleichen Grundsätze gelten auch für die in § 6 Abs. 3 Satz 1 FGO vorgesehene Möglichkeit der Rückübertragung des Rechtsstreits vom Einzelrichter auf den Senat.
3. Die von der BFH-Rechtsprechung zum Begriff des Herstellens einer/s Wohnung/Gebäudes entwickelten Grundsätze gelten auch für die Auslegung des § 3 FördG. Welche Umstände im Einzelfall dazu führen, ob die Alt- oder Neubauteile dem Gesamtkomplex das Gepräge geben, kann nur durch die Tatsacheninstanz aufgrund des Gesamtbildes der Verhältnisse entschieden werden. Entsprechend ist eine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO nicht gegeben; in derartigen Fällen bedarf es auch keiner Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. FGO.
4. Insbesondere bei unterschiedlichen Sachverhaltskonstellationen ist regelmäßig eine BFH-Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. FGO) nicht erforderlich.
Normenkette
FördG §§ 3, 4 Abs. 2; FGO § 6 Abs. 1, 4, §§ 74, 115 Abs. 2 Nrn. 1-3
Verfahrensgang
Sächsisches FG (Urteil vom 12.12.2005; Aktenzeichen 7 K 2002/04) |
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Zum Teil entspricht ihre Begründung nicht den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO); im Übrigen liegen die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vor.
1. Zwar ist beim Bundesfinanzhof (BFH) ein Verfahren unter dem Az. IX R 31/05 (Vorinstanz: Finanzgericht --FG-- Düsseldorf, Urteil vom 24. August 2005 13 K 5676/01 F, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2006, 330) anhängig. Hierbei handelt es sich aber nicht um einen für andere Verfahren vorentscheidenden "Musterprozess", sondern allenfalls um einen Parallelfall (s. dazu unter 3. b). Die Anhängigkeit eines Parallelfalles begründet aber keine Vorgreiflichkeit und rechtfertigt damit nicht die Aussetzung des Verfahrens (vgl. BFH-Beschluss vom 4. Februar 2003 X E 9/02, BFH/NV 2003, 650, unter 4.; Gräber/ Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 74 Rz. 17, m.w.N.), zumal es bei umfangreichen Baumaßnahmen für die Abgrenzung zwischen Anbau/Umbau/Neubau maßgebend auf die Einzelfallumstände und deren Würdigung ankommt. Daher liegt auch kein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vor.
2. Auch ist eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes --GG--, § 119 Nr. 1 FGO) nicht gegeben; die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter war nicht verfahrensfehlerhaft i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.
Nach § 6 Abs. 1 FGO kann der Rechtsstreit einem Senatsmitglied als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen werden. Hiervon hat das FG Gebrauch gemacht. Dieser Beschluss ist nach § 6 Abs. 4 Satz 1 FGO unanfechtbar und kann regelmäßig auch im Rechtsmittelverfahren nicht überprüft werden (vgl. § 124 Abs. 2 FGO; BFH-Beschluss vom 21. Oktober 1999 VII R 15/99, BFHE 190, 47, BStBl II 2000, 88). Eine Besetzungsrüge mit der Begründung, die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 FGO für eine Übertragung auf den Einzelrichter hätten nicht vorgelegen, kann deshalb nur ausnahmsweise Erfolg haben, so etwa dann, wenn sich die Übertragung auf den Einzelrichter als "greifbar gesetzeswidrig" erweist. Dies ist sie aber nur dann, wenn sie mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbar ist, weil sie jeder Grundlage entbehrt und inhaltlich dem Gesetz fremd ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 28. Januar 2003 VI B 75/02, BFH/NV 2003, 926; vom 21. März 2006 X B 94/05, BFH/NV 2006, 1142, m.w.N.). Die gleichen Grundsätze gelten auch für die in § 6 Abs. 3 Satz 1 FGO vorgesehene Möglichkeit der Rückübertragung des Rechtsstreits vom Einzelrichter auf den Senat (vgl. BFH-Beschluss vom 22. Juli 2004 VII B 359/03, BFH/NV 2005, 79, unter 3.).
Im Streitfall sind für eine solche greifbare Gesetzeswidrigkeit weder entsprechende Anhaltspunkte vorgebracht worden noch sind sie aus den Akten ersichtlich. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) vertreten lediglich eine andere Ansicht zur Frage der grundsätzlichen Bedeutung dieser Rechtssache als das FG mit seinem Übertragungsbeschluss.
3. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage durch den BFH in dem angestrebten Revisionsverfahren aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder Rechtsentwicklung im Allgemeininteresse liegt; die Frage muss darüber hinaus klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig sein (vgl. BFH-Beschluss vom 27. Oktober 2003 VII B 196/03, BFH/NV 2004, 232, m.w.N.). Das ist vorliegend nicht der Fall.
a) Die von den Klägern aufgeworfene Rechtsfrage zu § 3, § 4 Abs. 2 des Fördergebietsgesetzes (FördG), ob eine beträchtliche Erweiterung vorhandener funktionstüchtiger Altbausubstanz infolge umfangreicher Umbaumaßnahmen noch (mit 40 % Sonderabschreibung begünstigte) Modernisierungsaufwendungen bzw. nachträgliche Herstellungskosten eines bereits angeschafften Wirtschaftsguts (Objekts) i.S. von § 3 Satz 1 FördG sind, oder Herstellungskosten für ein anderes und neues (nur mit 25 % Sonderabschreibung begünstigtes) Wirtschaftsgut (Objekt), hat keine grundsätzliche Bedeutung; sie ist vielmehr geklärt.
So hat der BFH mehrfach zum Begriff des Herstellens einer/s Wohnung/Gebäudes entschieden, dass darunter das Schaffen einer neuen, bisher nicht vorhandenen Wohnung (vgl. BFH-Urteile vom 15. Mai 2002 X R 36/99, BFH/NV 2002, 1158; vom 29. Januar 2003 III R 53/00, BFHE 202, 57, BStBl II 2003, 565; vom 20. November 2003 III R 14/03, BFH/NV 2004, 616), also insbesondere die Neu-oder erstmalige Herstellung (Erst-Herstellung) einer Wohnung (vgl. BFH-Urteil vom 23. November 2004 IX R 59/03, BFH/NV 2005, 543, unter II. 1. a) zu verstehen ist. Hingegen sind Baumaßnahmen an einer/m bereits bestehenden Wohnung/Gebäude nur dann als Herstellung einer Wohnung/eines Gebäudes anzusehen, wenn die Baumaßnahmen einem Neubau gleichkommen, d.h. die Wohnung bautechnisch neu ist (vgl. BFH-Urteile in BFHE 202, 57, BStBl II 2003, 565, und BFH/NV 2004, 616; s.a. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 21. Dezember 2004, BStBl I 2005, 305, Rz. 10, 11). Gleiches gilt für die Auslegung des hier einschlägigen § 3 FördG (vgl. BFH-Beschluss vom 15. Oktober 1999 IX B 91/99, BFH/NV 2000, 428). Auch umfangreiche Instandsetzungs-, Renovierungs- und Modernisierungsmaßnahmen an der Wohnung führen dann ebenso wenig zur Neuherstellung wie eine sog. Generalüberholung (vgl. BFH-Urteile in BFHE 202, 57, BStBl II 2003, 565; vom 5. Juni 2003 III R 49/01, BFH/NV 2003, 1400) oder die (bloße interne) Umgestaltung des durch Außenmauern umbauten Raums (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2000, 428). Welche Umstände im Einzelfall dazu führen, ob die Alt- oder Neubauteile dem Gesamtkomplex das Gepräge geben, kann nur durch die Tatsacheninstanz aufgrund des Gesamtbildes der Verhältnisse entschieden werden (vgl. BFH-Urteil vom 1. März 2005 IX R 60/04, BFH/NV 2005, 1505).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist das FG nach einer Gesamtwürdigung der Einzelfallumstände unter Einbeziehung der vorliegenden Fotografien und Bauzeichnungen zu dem Ergebnis gelangt, dass der von den Klägern errichtete Anbau (an das Altgebäude) in Verbindung mit der Neugestaltung des Dachaufbaus dem Gesamtkomplex das Gepräge eines Neubaus gibt. Mit ihrer davon abweichenden Ansicht werden indes Sachverhaltselemente und deren Würdigung angesprochen, die das FG als Tatsacheninstanz entschieden hat. Insoweit setzen die Kläger ihre eigene Ansicht anstelle des FG und wenden sich insoweit gegen eine angeblich fehlerhafte Tatsachen- und Beweiswürdigung; damit rügen sie materiell-rechtliche Mängel, die eine Zulassung der Revision --ohne dass willkürliche oder greifbar gesetzwidrige Fehler vorliegen-- nicht rechtfertigen können.
b) Dem stehen auch die angeführten Vergleichsfälle schon wegen der erforderlichen, maßgebend auf die Einzelfallumstände abzustellenden Gesamtwürdigung nicht entgegen. Das trifft sowohl auf den (anders gelagerten) Sachverhalt des beim BFH unter dem Az. IX R 31/05 anhängigen Verfahrens zu (Vorinstanz: FG Düsseldorf, Urteil vom 24. August 2005 13 K 5676/01 F, EFG 2006, 330: Umbau von bisher 10 Wohnungen in nunmehr 20 Wohnungen; s.a. dessen Urteil vom 17. März 2005 11 K 691/03 EZ, EFG 2005, 931, Rev. IX R 19/05: Umbau von Studentenzimmern in eine Eigentumswohnung) wie auch auf den dem Urteil des FG Köln vom 8. Dezember 2004 7 K 1308/02 (EFG 2005, 551, rkr.) zugrunde liegenden Sachverhalt (Umbau eines als Schule mit Anbau errichteten Gebäudes in ein Mehrfamilienhaus). Die Urteile des FG München vom 30. Januar 2004 8 K 3406/03 (nicht veröffentlicht --n.v.--; juris Nr.STRE200471575) und 8 K 3589/02 (EFG 2004, 1853) hat der BFH mit Gerichtsbescheiden vom 12. Oktober 2005 IX R 37/04 (BFH/NV 2006, 1067) und IX R 39/04 (n.v.) aufgehoben und die Klage jeweils abgewiesen (Umbau eines bisher nicht ausgebauten Dachgeschosses/Spitzboden in eine Eigentumswohnung als Herstellung eines neuen Wirtschaftguts).
c) In derartigen --durch die Einzelfallumstände gekennzeichneten Fällen-- bedarf es auch keiner Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO; vgl. BFH-Beschluss vom 19. Dezember 2002 IX B 79/02, BFH/NV 2003, 501, m.w.N.).
4. Ebenso ist eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) nicht erforderlich; die geltend gemachten Abweichungen liegen --insbesondere angesichts der unterschiedlichen Sachverhaltskonstellationen-- nicht vor. Das Urteil des FG München in EFG 2004, 1853, wurde aufgehoben (BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 1067). Die gerügte Abweichung vom BFH-Urteil vom 5. Juni 2003 V R 32/02 (BFHE 203, 200, BStBl II 2004, 28) ist nicht gegeben; in diesem Fall wurde lediglich ein ehemaliges Eisenbahnverwaltungsgebäude in ein Büro- und Schulungsgebäude mit mehreren Wohnungen --unstreitig ohne bautechnische Erneuerung-- umgebaut. Auch liegt keine Abweichung vom BFH-Urteil vom 15. Mai 2002 X R 36/99 (BFH/NV 2002, 1158) vor, in dem eine zeitgemäße Modernisierung mit Dachgeschoss-Ausbau für rd. 65 000 DM (bei Anschaffungskosten von 340 000 DM) nicht als Herstellung einer neuen Wohnung beurteilt wurde. Schließlich fehlten im Fall des BFH-Urteils vom 17. Dezember 1997 X R 54/96 (BFH/NV 1998, 841: umfangreicher Um- und Ausbau eines zweigeschossigen Wohnhauses) für eine abschließende Beurteilung entsprechende Feststellungen, so dass die Sache zur Aufklärung an das FG zurückverwiesen wurde.
Fundstellen
Haufe-Index 1684046 |
BFH/NV 2007, 447 |