Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung des rechtlichen Gehörs und Prozessverantwortung des Klägers; im finanzgerichtlichen Verfahren anwendbare Vorschriften der ZPO über die Beweiskraft öffentlicher Urkunden
Leitsatz (NV)
- Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalles deutlich ergibt, dass ein Tatsachenvortrag entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist.
- Auch den Kläger trifft bei der Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts eine besondere Prozessverantwortung. Er hat alles in seinen Kräften Stehende und nach Lage der Dinge Erforderliche zu tun, um sein Recht auf Gehör zu verwirklichen.
- Nach § 418 ZPO, der im finanzgerichtlichen Verfahren entsprechend anwendbar ist, begründen bestimmte öffentliche Urkunden vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. Ein notariell beurkundeter Kaufvertrag ist keine öffentliche Urkunde im Sinne dieser Vorschrift.
- Öffentliche Urkunden, die über eine abgegebene Erklärung errichtet worden sind, begründen nach § 415 ZPO vollen Beweis des beurkundeten Vorgangs. Abgesehen davon, dass diese Vorschrift im finanzgerichtlichen Verfahren nicht ‐ auch nicht sinngemäß ‐ gilt, beweist die notarielle Beurkundung eines Kaufvertrags nur, dass die beurkundeten Erklärungen abgegeben wurden, nicht hingegen, dass der angegebene Kaufpreis auch tatsächlich bezahlt worden ist.
Normenkette
FGO §§ 76, 79b, 82, 96, 115; ZPO §§ 415, 418
Gründe
1. Der Senat lässt offen, ob die Beschwerde bereits deswegen unzulässig ist, weil der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) den geltend gemachten Verfahrensmangel der Verletzung rechtlichen Gehörs nicht ausreichend bezeichnet hat (§ 115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung ―FGO― i.d.F. vor In-Kraft-Treten des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze ―2.FGOÄndG― vom 19. Dezember 2000, BGBl I 2000, 1757; vgl. Art. 4 2.FGOÄndG). Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet.
Das Recht auf Gehör verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist verletzt, wenn sich aus besonderen Umständen des Einzelfalles deutlich ergibt, dass ein Tatsachenvortrag entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 6. Juni 1991 2 BvR 324/91, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1992, 1031, und vom 10. März 1992 2 BvR 430/91, NJW 1992, 2217; Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 29. November 1990 IV R 30/90, BFH/NV 1991, 531).
Indes trifft auch den Kläger bei der Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts (§ 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) eine besondere Prozessverantwortung. Er ist nach § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO bei der Erforschung des Sachverhalts heranzuziehen und hat sich u.a. auf Aufforderung des Gerichts zu den vom Finanzamt vorgebrachten Tatsachen zu erklären (§ 76 Abs. 1 Satz 3 FGO). Er hat alles in seinen Kräften Stehende und nach Lage der Dinge Erforderliche zu tun, um sein Recht auf Gehör zu verwirklichen (§ 96 Abs. 2 FGO; vgl. BFH-Beschluss vom 31. Juli 1995 V B 1/95, BFH/NV 1996, 216, unter 3. a der Gründe, m.w.N.). Daran fehlt es im Streitfall. Trotz Aufforderung gemäß § 79b FGO gab der Kläger nicht fristgemäß die Tatsachen an, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühlte. Die Klagebegründung ging mehr als zwei Monate nach Ablauf der gemäß § 79b FGO gesetzten Frist und nur vier Tage vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung beim Finanzgericht (FG) ein. Obwohl die Anschaffungskosten seines vom Schwiegervater übernommenen Eigenheims und somit die Bemessungsgrundlage für die Steuerbegünstigung nach § 10e Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) im Klageverfahren wegen Einkommensteuer 1993 und 1994 streitig gewesen waren und seine Klage mangels diesbezüglicher Substantiierung bzw. wegen fehlenden Nachweises abgewiesen worden war, werden in der Klagebegründung die Anschaffungskosten nicht schlüssig dargelegt. Vielmehr wird lediglich auf die im Steuerfestsetzungsverfahren vorgelegten Aufstellungen und Belege verwiesen, die großenteils identisch mit den Nachweisen waren, die dem FG bereits im Verfahren wegen Einkommensteuer 1993 und 1994 vorgelegen hatten. Den Kläger, der eine Steuervergünstigung begehrt, trifft die Feststellungslast.
Aus § 418 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers nichts anderes. Zwar ist die Vorschrift trotz der fehlenden Verweisung in § 82 FGO als allgemeiner Rechtsgedanke auch im finanzgerichtlichen Verfahren anwendbar. Doch handelt es sich bei dem notariellen Kaufvertrag, den der Kläger offensichtlich mit dem Hinweis auf § 418 Abs. 1 ZPO anspricht, um keine Urkunde im Sinne dieser Bestimmung. § 415 ZPO ist im finanzgerichtlichen Verfahren auch nicht sinngemäß anzuwenden, weil die richterliche Beweiswürdigung bewusst nicht eingeengt werden soll (Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, § 82 Rz. 40). Im Übrigen bewirkt eine notarielle Beurkundung nur vollen Beweis für die Abgabe der beurkundeten Erklärung, nicht jedoch für deren inhaltliche Richtigkeit, auf die es im Streitfall ankäme. Zudem ist durch den Vortrag des Klägers im finanzgerichtlichen Verfahren wegen Einkommensteuer 1993 und 1994 (dort wurden die Anschaffungskosten mit insgesamt 261 590 DM beziffert, obwohl in der notariellen Urkunde ein Kaufpreis in Höhe von 330 000 DM verbrieft ist) die inhaltliche Richtigkeit des beurkundeten Kaufpreises bereits widerlegt.
Der Kläger musste bei diesem prozessualen Verhalten damit rechnen, dass das FG seinem Vortrag zur Höhe der Anschaffungskosten seines Eigenheims nicht folgen würde. Der Umstand, dass dies geschehen ist, ist eine Folge dieses Verhaltens und keine Verweigerung des rechtlichen Gehörs.
2. Die Rüge, das FG habe einen Beweisantrag übergangen, hat bereits deswegen keinen Erfolg, weil dieser Verfahrensmangel nicht innerhalb der ―am 4. Mai 2000 abgelaufenen― Beschwerdefrist eingegangen ist. Die Frist für die Begründung der Beschwerde konnte (anders als die Frist für die Begründung der Revision, § 120 Abs. 1 Satz 2 FGO) nach der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung des § 115 Abs. 3 Satz 1 FGO nicht verlängert werden. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde insbesondere hinsichtlich der Anforderungen an ihre Begründung grundsätzlich nur nach den innerhalb der gesetzlichen Beschwerdefrist vorgebrachten Ausführungen zu beurteilen; nach Ablauf dieser Frist ist nur noch eine Erläuterung oder Vervollständigung von Zulassungsgründen möglich, die ―anders als im Steitfall― innerhalb der Frist substantiiert worden sind (BFH-Beschlüsse vom 27. März 1992 III B 547/90, BFHE 168, 17, BStBl II 1992, 842, unter 1. der Gründe, und vom 24. November 1994 V B 80/94, BFH/NV 1995, 691).
Im Übrigen sieht der Senat von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung nach Maßgabe des § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO i.d.F. des 2.FGOÄndG ab.
Fundstellen
Haufe-Index 592381 |
BFH/NV 2001, 1034 |