Entscheidungsstichwort (Thema)
Tenor eines Zwischenurteils betreffend das Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts
Leitsatz (NV)
Hat der BFH in einem Zwischenstreit im ersten Rechtszug entschieden, daß einem Zeugen ein generelles Zeugnisverweigerungsrecht nicht zustehe, so kann auch der Tenor des im zweiten Rechtszug ergangenen Zwischenurteils - sofern eine solche Entscheidung überhaupt notwendig sein sollte - nur lauten, daß dem Zeugen ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht nicht zukomme. Die Entscheidung darüber, auf welche konkreten Fragen der Zeuge zu antworten haben wird, ist im Rahmen der Beweisaufnahme zu treffen.
Normenkette
FGO §§ 84, 126 Abs. 5 entspr; ZPO § 387
Tatbestand
Gegenstand des beim Finanzgericht (FG) unter dem Az. . . . anhängigen Hauptverfahrens ist im wesentlichen die Frage, ob und in welcher Höhe dem Kläger oder dem Zeugen und Beschwerdeführer (Zeuge) für die Streitjahre Umsätze und Gewinne aus einer vom Kläger im Jahre 1981 erworbenen Rechtsanwaltspraxis zuzurechnen sind.
Der Kläger hatte im Jahre 1981 von einem Rechtsanwalt A dessen Praxis erworben. Die zum 1. Januar 1982 vorgesehene Übernahme der Praxis scheiterte daran, daß der Kläger zunächst die Zulassung als Rechtsanwalt nicht erhielt. Für die Zwischenzeit berief der Senator für Justiz den Zeugen zum Abwickler für die Praxis.
Der Kläger geht davon aus, daß zwischen ihm und dem Zeugen ein Treuhandverhältnis bestand, aufgrund dessen der Zeuge im wesentlichen verpflichtet gewesen sein solle, nach Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft diesem die Abwicklungskanzlei A zu überlassen. Während der Streitjahre sei er als juristischer Mitarbeiter beim Zeugen tätig gewesen, wobei er zumindest in der Zeit vom 1. Juli 1982 bis 1. März 1983 angestellt gewesen sei. Zwischen ihm und dem Zeugen schwebe ein umfangreicher Zivilprozeß, der insbesondere ihm, dem Kläger, zustehende Verrechnungsguthaben gegenüber dem Zeugen aus der Zeit der Zusammenarbeit zum Gegenstand habe. Sämtliche Einnahmen aus den Jahren 1982 bis 1984 aus der Abwicklungskanzlei A seien dem Zeugen auch steuerlich zuzurechnen, falls letzterer im Zivilrechtsstreit obsiege.
Der Zeuge hat demgegenüber in mehreren mit dem Kläger geführten Zivilprozessen vorgetragen, daß dieser bei ihm freier Mitarbeiter gewesen sei. Es habe kein Treuhandverhältnis bestanden, vielmehr sei er, der Zeuge, Abwickler gewesen und dies keineswegs nur pro forma. Trotz mehrfacher Erinnerung habe der als freier Mitarbeiter beschäftigte Kläger ihm keine Rechnungen über seine Tätigkeit ausgestellt, sondern vielmehr systemlos Barbeträge aus Zahlungseingängen entnommen, weshalb im Oktober 1984 jegliche Zusammenarbeit mit dem Kläger aufgekündigt worden sei.
Das FG hat am 21. September 1987 beschlossen, den Zeugen dazu zu hören, wie die Zusammenarbeit mit dem Kläger in den Streitjahren tatsächlich und rechtlich gestaltet gewesen sei und ob, wie, in welchem Umfang und auf welcher rechtlichen Grundlage dem Kläger Umsätze und Erträge aus dieser Zusammenarbeit zugerechnet, ihm Einnahmen zugeflossen und Ausgaben von ihm getilgt worden seien.
Der Zeuge hat unter Berufung auf § 84 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 102 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b und § 103 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) die Aussage verweigert.
Mit Zwischenurteil vom 18. April 1988 hat das FG entschieden, daß der Zeuge zwar nicht aus § 102 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b AO 1977, wohl aber aus § 103 Satz 1 AO 1977, § 84 Abs. 1 FGO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt sei, weil er der Gefahr der Ahndung in dem inzwischen eingeleiteten ehrengerichtlichen Verfahren ausgesetzt sei. Allerdings gebe, so das FG, § 103 AO 1977 grundsätzlich kein generelles Zeugnisverweigerungsrecht, sondern räume nur das Recht ein, die Antwort auf einzelne Fragen zu verweigern, deren Beantwortung die Verfolgungsgefahr mit sich bringe. Da aber der Tatsachenvortrag des Klägers und die Vorwürfe, die er dem Zeugen gemacht habe - nämlich das Bestehen eines Treuhandverhältnisses, der ungetreue Verstoß gegen dieses Verhältnis und die Täuschung der Gerichte hierüber -, das Beweisthema direkt berührten, d. h. nach menschlichem Ermessen praktisch jede Antwort zu den Beweisfragen auch von Interesse bei der Prüfung der ehrengerichtlich zu klärenden Vorwürfe sei, verdichte sich im vorliegenden Fall das Auskunftsverweigerungs- zu einem Zeugnisverweigerungsrecht. Im Rahmen einer laufenden Ermittlung könne jede Antwort zu den Fragen des Beweisbeschlusses das fehlende Glied einer Beweiskette werden.
Auf Beschwerde des Beklagten (Finanzamt - FA -) ist dieses Urteil durch Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 2. Februar 1989 IV B 114/88 (BFH/NV 1989, 761) aufgehoben worden. Der Senat führte aus, das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 103 Satz 1 AO 1977 sei nicht umfassend, sondern gegenständlich beschränkt. Lasse sich ein weitgefaßtes Beweisthema in Bereiche mit und ohne Verfolgungsgefahr aufteilen, entfalle in letzteren Fall das Verweigerungsrecht. Das FG habe bisher nicht geprüft, ob die das Beweisthema betreffenden Fragen im obigen Sinne aufgeteilt werden könnten. Es komme offenbar maßgeblich auf die Frage an, welche Umsätze bzw. welche Einkünfte der Kläger tatsächlich erzielt habe. Insoweit könnten Fragen nach dem zwischen dem Kläger und dem Zeugen in den Streitjahren bestehenden Rechtsverhältnis ausgeklammert bleiben. Nur dieses Rechtsverhältnis scheine nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens aber der Anknüpfungspunkt für eine strafgerichtliche Verfolgung oder eine ehrengerichtliche Ahndung zu sein. Jedenfalls biete für eine gegenteilige Annahme weder die Vorentscheidung noch die Lage der Akten einen Anhaltspunkt. Damit sei aber nicht ersichtlich, weswegen dem Zeugen auf Fragen zu den tatsächlich erzielten Umsätzen und Gewinnen des Klägers ein Zeugnisverweigerungsrecht zustehen könnte. Entsprechendes gelte auch bezüglich anderer Fragen, die bei Ausschöpfung des weitgefaßten Beweisthemas gestellt werden könnten.
Nach Ergehen dieses Beschlusses machte der Zeuge erneut sein Zeugnisverweigerungsrecht geltend. Er trug vor, daß zwar das bisher anhängige Ehrengerichtsverfahren gemäß § 116 Abs. 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) i. V. m. § 153 a Abs. 2 der Strafprozeßordnung (StPO) eingestellt worden sei, daß aber weiterhin ein ehrengerichtliches Verfahren drohe. Das eingestellte Verfahren wegen schuldhafter Verletzung von Standespflichten beziehe sich nur auf seine, des Zeugen, Bestellung zum Abwickler der Kanzlei des ehemaligen Rechtsanwalts A, nicht aber auf die Vorwürfe, er habe dem Kläger diesem zustehende Einnahmen vorenthalten und ihm nach Zulassung zur Rechtsanwaltschaft die Herausgabe von Handakten verweigert. Derartige Vorgänge könnten nach wie vor berufsrechtliche Ahndung nach § 42 BRAO nach sich ziehen, wie auch eine strafrechtliche Verfolgung. Der Kläger habe auch bereits verschiedene Schritte in straf- bzw. standesrechtlicher Hinsicht unternommen.
Daraufhin entschied das FG in einem weiteren Zwischenurteil, daß der Zeuge nicht generell zur Zeugnisverweigerung berechtigt sei. Allerdings erscheine die Gefahr einer Verfolgung in einem Strafbzw. auch einem Ehrengerichtsverfahren noch als möglich. Im Rahmen des Beweisthemas könnten jedoch Fragen an den Zeugen gestellt werden, die nicht geeignet seien, ihn einer Verfolgungsgefahr auszusetzen. Zur Verweigerung des Zeugnisses werde der Zeuge insbesondere bei solchen Fragen berechtigt sein, deren Beantwortung das Eingeständnis beinhalte, dem Kläger zustehende Einnahmen diesem vorenthalten zu haben. Es sei jedoch im derzeitigen Verfahrensstadium weder erforderlich noch zweckmäßig, im Vorgriff auf die dem Zeugen zum Beweisthema zu stellenden Fragen im einzelnen zu befinden, ob ein Zeugnisverweigerungsrecht bestehe oder nicht. Hierüber sei bei der Beweisaufnahme anhand der konkret an den Zeugen gerichteten Fragen im einzelnen zu befinden. Es sei praktisch ausgeschlossen, bereits jetzt eine Abgrenzung zwischen jenen Fragen, die der Zeuge zu beantworten habe, und anderen Fragen, deren Beantwortung er verweigern dürfe, zu finden.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Zeugen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, daß sich der Zeuge auf ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht beruft. Angesichts des im ersten Rechtszug ergangenen BFH-Beschlusses vom 2. Februar 1989 IV B 114/88 mußte der Tenor der im zweiten Rechtszug ergangenen Entscheidung des FG - wenn sie in dieser Form überhaupt notwendig war - lauten, daß dem Zeugen ein generelles Zeugnisverweigerungsrecht nicht zustehe. Denn nach dem genannten Beschluß steht dem Zeugen ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 102 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b AO 1977 nicht und ein solches nach § 103 Satz 1 AO 1977 nicht uneingeschränkt zu. An diese Rechtsauffassung sind das FG und der beschließende Senat im zweiten Rechtszug gebunden (BFH-Beschluß vom 26. März 1980 I B 11/80, BFHE 130, 17, BStBl II 1980, 334; Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 132 FGO Tz. 18). Neue Tatsachen, die eine andere Beurteilung erfordern könnten, sind nicht vorgetragen.
Die Entscheidung des FG im Zwischenstreit hat zunächst nur zur Folge, daß der Zeuge verpflichtet ist, zum Beweisaufnahmetermin zu erscheinen, da die Voraussetzungen des § 386 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO) nicht (in vollem Umfang) vorliegen (vgl. Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Zivilprozeßordnung, § 386 Anm. 2). Die Entscheidung des FG darüber, auf welche konkreten Fragen der Zeuge zu antworten haben wird, steht somit noch aus.
Zur Vermeidung weiterer Mißverständnisse wird auf folgendes hingewiesen: Dem im ersten Rechtszug ergangenen Senatsbeschluß vom 2. Februar 1989 IV B 114/88 liegt die Erwägung zugrunde, daß zwischen dem Kläger und dem Zeugen seinerzeit unstreitig ein Mitarbeiterverhältnis bestand, daß jedoch Gegenstand ihrer zivil-, straf- und ehrengerichtlichen Auseinandersetzungen das vom Kläger behauptete Treuhandverhältnis ist. Auch derzeit sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß sich der Zeuge mit Aussagen über die Höhe der von ihm in verschiedenen Zivilrechtsstreitigkeiten behaupteten ,,Entnahmen" des Klägers belasten könnte. Das gleiche gilt für die Höhe etwaiger Lohn- oder Honorarzahlungen oder die der vom Kläger behaupteten ,,Einlagen" bzw. vom Kläger getragene Ausgaben.
Demgegenüber hat das FG zutreffend festgestellt, daß der Zeuge zur Zeugnisverweigerung insbesondere bei solchen Fragen berechtigt sein wird, deren Beantwortung das Eingeständnis beinhalten würde, dem Kläger zustehende Einnahmen diesem vorenthalten zu haben. Hierbei wird es sich insbesondere um Fragen handeln, die das zwischen dem Zeugen und dem Kläger streitige Treuhandverhältnis betreffen. Ob darunter auch - wie vom Zeugen befürchtet - die Frage nach der Höhe der Umsätze in den vom Kläger in den Streitjahren betreuten Fällen gehört, wird vom FG zu klären sein, wenn eine solche Frage gestellt und die Aussage hierauf verweigert wird.
Die vom Zeugen geltend gemachten Bedenken gegen die Sachdienlichkeit einzelner Beweisfragen sind bei der Prüfung des Zeugnisverweigerungsrechts nicht zu untersuchen.
Fundstellen
Haufe-Index 417726 |
BFH/NV 1992, 391 |