Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Voraussetzungen des Erlasses einer einstweiligen Anordnung
Leitsatz (NV)
1. Die beiden Möglichkeiten des Erlasses einer einstweiligen Anordnung in § 114 Abs. 1 FGO unterscheiden sich darin, daß im ersten Fall (Satz 1) die Sicherung eines bestehenden Zustandes und im zweiten Fall (Satz 2) eine Verbesserung der bisherigen Rechtsposition in Beziehung auf ein streitiges Rechtsverhältnis erreicht werden kann.
2. Sie stimmen insoweit überein, als auch für die einstweilige Anordnung gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO der Ast. den Anspruch und den Grund glaubhaft zu machen hat, wobei als Anspruch in diesem Sinne der Anspruch aus dem Rechtsverhältnis anzusehen ist, das vom Ast. in der Hauptsache verfochten wird oder verfochten werden soll.
Normenkette
FGO § 114 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
In einem beim FG anhängigen Hauptverfahren streitet die Antragstellerin mit dem FA darüber, ob dieses es zu Recht abgelehnt hat, die Umsatzsteuer-Vorauszahlung 12/1984 in Höhe von . . . DM zu stunden. Sie begehrt die Stundung im Hinblick darauf, daß nach ihrer Ansicht sich aus der Umsatzsteuer-Jahresveranlagung 1983 - insoweit ist das Einspruchsverfahren noch nicht abgeschlossen - ein Erstattungsanspruch in Höhe von . . . DM ergebe. Das FA nimmt dagegen an, daß die Umsätze der Antragstellerin auf Grund eines entsprechenden Organschaftsverhältnisses mit denen der . . . GmbH (GmbH) zusammenzufassen seien und daß angesichts dessen kein Erstattungsanspruch der Antragstellerin bestehe.
Nach der Klageerhebung beantragte die Antragstellerin beim FG, dem FA durch einstweilige Anordnung gemäß § 114 FGO zu untersagen, die Umsatzsteuer-Vorauszahlung 12/1984 vor Beendigung des Hauptverfahrens einzuziehen. Zur Begründung führte sie aus, das Guthaben an Umsatzsteuer 1983 stehe ihr zu, da die vom FA angenommene Organschaft nicht bestehe. Die beantragte Stundung sei zu gewähren. Das FA dürfe nicht einerseits die Entscheidung über den Einspruch wegen Umsatzsteuer 1983 aufschieben und sich andererseits im Stundungsverfahren auf die schwierige und zeitraubende Überprüfung der steuerlichen Verhältnisse berufen; die Antragstellerin bedürfe des vorläufigen Rechtsschutzes, da ihre finanzielle Lage durch den Konkurs der GmbH und die Gründung einer neuen Existenz sehr angespannt sei.
Das FG hat den Antrag abgelehnt und hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Es fehle an der schlüssigen Darlegung und an einer Glaubhaftmachung sowohl für den Anordnungsanspruch als auch für den Anordnungsgrund. Als Anordnungsanspruch komme der von der Antragstellerin im Hauptverfahren geltend gemachte Anspruch in Betracht, die ins Ermessen des FA gestellte Stundung zu erlangen. Wegen des Ermessenscharakters der Stundung genüge es für den Erlaß der beantragten einstweiligen Anordnung nicht, dem Gericht die Überzeugung zu vermitteln, daß das Bestehen eines Anspruchs auf Stundung möglich sei. Es müsse vielmehr dargetan und glaubhaft gemacht werden, daß für die Existenz eines solchen Anspruchs eine gewisse Wahrscheinlichkeit bestehe. Diese Anforderungen erfülle das Vorbringen der Antragstellerin nicht.
Die Stundungsvoraussetzung der erheblichen Härte i. S. des § 222 AO 1977 sei im Falle geltend gemachter Erstattungsansprüche nicht schon dann erfüllt, wenn nur eine unbestimmte Aussicht vorhanden sei, Steuer erstattet zu bekommen. Vielmehr müsse darüber hinaus angenommen werden können, daß der Betrag, um dessen Stundung es gehe, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit alsbald zurückgezahlt werden müsse. Diese Voraussetzung sei von der Antragstellerin weder schlüssig dargelegt noch glaubhaft gemacht worden. Angesichts des noch offenen Ausgangs des Einspruchsverfahrens wegen Umsatzsteuer 1983 lasse sich im Gegenteil annehmen, daß die Stundungsablehnung, insbesondere deren Begründung in der Beschwerdeentscheidung der OFD, frei von Ermessensfehlern sei, so daß das Vorhandensein eines Anordnungsanspruchs nicht anerkannt werden könne.
Auch ein Anordnungsgrund sei nicht schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht worden. Hierzu reiche der allgemein gehaltene Hinweis auf eine angespannte finanzielle Lage nicht aus. Insoweit wären schlüssige, glaubhaft gemachte Angaben darüber erforderlich gewesen, ob und inwieweit mit der Einziehung der Steuer Nachteile verbunden seien, die über die bloße Zahlung hinausgingen.
Gegen den ablehnenden Beschluß des FG hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt, der das FG nicht abgeholfen hat. Zur Begründung der Beschwerde verweist die Antragstellerin ,,auf den bisher geführten Schriftverkehr".
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Die Überprüfung der Vorentscheidung im Beschwerdeverfahren hat nicht ergeben, daß das FG den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zu Unrecht abgelehnt hätte.
1. Nach § 114 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Satz 2).
Beide Voraussetzungen für den Erlaß von einstweiligen Anordnungen unterscheiden sich darin, daß im ersteren Falle (Satz 1) die Sicherung eines bestehenden Zustandes und im zweiten Falle (Satz 2) eine Verbesserung der bisherigen Rechtsposition in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erreicht werden kann (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. Juli 1978 I B 14/78, BFHE 125, 351, BStBl II 1978, 598, und vom 26. Februar 1975 I B 96/74, BFHE 115, 17, BStBl II 1975, 449). Sie stimmen insoweit überein, als auch für die einstweilige Anordnung gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO auf Grund der Verweisung in § 114 Abs. 3 FGO auf Bestimmungen der ZPO der Antragsteller den Anspruch und den Grund für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung glaubhaft zu machen hat (vgl. §§ 920 Abs. 2 und 294 ZPO), wobei als Anspruch in diesem Sinne der Anspruch aus dem Rechtsverhältnis anzusehen ist, das vom Antragsteller in der Hauptsache verfochten wird oder werden soll (vgl. BFH-Beschluß vom 14. Juli 1971 II B 2/71, BFHE 102, 238, BStBl II 1971, 633), hier also der geltend gemachte Anspruch auf Stundung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung 12/1984.
2. Ihrer verfahrensmäßigen Last der hinreichenden Darlegung und Glaubhaftmachung ist die Antragstellerin weder vor dem FG noch im Beschwerdeverfahren nachgekommen. Das FG konnte mithin ohne Rechtsverstoß annehmen, daß die Antragstellerin weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund hinreichend dargetan, geschweige denn entsprechende Darlegungen glaubhaft gemacht hat. Auch in der Beschwerdeinstanz fehlt es an einer zureichenden Darlegung und Glaubhaftmachung; denn die Antragstellerin hat von einer eigenständigen Beschwerdebegründung abgesehen und nur auf den bisher geführten Schriftverkehr verwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 414618 |
BFH/NV 1988, 30 |