Entscheidungsstichwort (Thema)
Werbungskosten; wirtschaftliches Eigentum; Realisierung bei Veräußerungsgeschäften/Verfahrensmängel; Rügeverlust, Überraschungsentscheidung; Hinweispflicht, Akteninhalt
Leitsatz (NV)
1. Rechtsfragen zur Zuordnung von Werbungskosten und welcher Einkunftsart sie “erwachsen” (§ 9 Abs. 1 Satz 2 EStG) sowie zum Zeitpunkt des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO) sind nicht grundsätzlich bedeutsam, weil es für deren Beantwortung entscheidend auf die vom FG als Tatsacheninstanz zu würdigenden ―regelmäßig nicht klärungsbedürftigen― Umstände des Einzelfalls ankommt.
2. Nach der BFH-Rechtsprechung wird der Gewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften erst mit Zufluss des Veräußerungserlöses realisiert; in diesem Zeitpunkt sind auch die evtl. Werbungskosten zu berücksichtigen.
3. Ist die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen mit vor Abschluss des Klageverfahrens ergangenem geändertem Bescheid im Streitpunkt der gerügten Verfassungswidrigkeit des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG für vorläufig erklärt worden, so ist damit das Rechtsschutzbegehren des Steuerpflichtigen insoweit regelmäßig hinreichend gewahrt, so dass eine Aussetzung des Verfahrens (§ 74 FGO) nicht angebracht erscheint.
4. Wird eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht als (verzichtbarer) Verfahrensmangel in Gestalt des Übergehens von Beweisanträgen oder durch Unterlassen einer Amtsermittlung gerügt, verliert der ‐fachkundig vertretene- Kläger sein Rügerecht schon durch rügelose Verhandlung zur Sache. Zudem ist darzutun, dass die Nichterhebung der angebotenen Beweise in der mündlichen Verhandlung gerügt wurde oder weshalb diese Rüge nicht möglich war.
5. Ein Verstoß gegen die richterliche Hinweispflicht liegt nicht vor, wenn ein Beteiligter gerade bei umstrittener Sach- und Rechtslage nicht grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht zieht und seinen Vortrag darauf einrichtet.
Normenkette
AO § 39 Abs. 2 Nr. 1; EStG § 9 Abs. 1 S. 2, § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 1; FGO § 48 Abs. 1 Nrn. 4-5, § 60 Abs. 3, §§ 74, 76 Abs. 1-2, § 96 Abs. 1-2, § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 116 Abs. 3 S. 3; GG Art. 103 Abs. 1; ZPO §§ 165, 295
Verfahrensgang
FG München (Urteil vom 26.09.2007; Aktenzeichen 10 K 2201/06) |
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Zum Teil entspricht ihre Begründung nicht den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO); im Übrigen sind die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) geltend gemachten Zulassungsgründe nicht gegeben.
1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO; entsprechend ist auch keine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. FGO) erforderlich.
a) Die aufgeworfene Rechtsfrage nach der Zuordnung von Werbungskosten ist grundsätzlich geklärt; sie ergibt sich aus dem Gesetz: Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 EStG sind Werbungskosten bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen sind. Bei welcher Einkunftsart sie "erwachsen", welcher sie also zuzuordnen sind, richtet sich nach den vom Finanzgericht (FG) als Tatsacheninstanz zu würdigenden Umständen des Einzelfalls. In dieser Frage ist das FG auch nicht von den BFH-Urteilen vom 10. Oktober 2000 IX R 15/96 (BFHE 193, 318, BStBl II 2001, 787), vom 20. Februar 2001 IX R 49/98 (BFH/NV 2001, 1022) sowie vom 14. Dezember 2004 IX R 34/03 (BFHE 208, 232, BStBl II 2005, 343) und vom 17. Juli 2007 IX R 2/05 (BFHE 218, 353, BStBl II 2007, 941) abgewichen. Vielmehr ist es auf der Basis dieser Rechtsprechung zu dem Ergebnis gelangt, dass aufgrund der Einzelfallumstände die Reparaturaufwendungen durch die spätere Veräußerung des Mietobjekts veranlasst waren. Selbst eine vorliegende Mitveranlassung durch die bisherige Vermietungstätigkeit würde nicht ausreichen, wenn sie durch die vertragliche Verknüpfung mit der späteren Grundstücksveräußerung überlagert wird (vgl. BFH in BFHE 208, 232, BStBl II 2005, 343).
b) Auch die Rechtsfrage nach dem Zeitpunkt des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung --AO--) ist nicht grundsätzlich bedeutsam. Abgesehen davon, dass es bereits an der erforderlichen Auseinandersetzung mit dazu in Rechtsprechung (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 6. Dezember 2002 III B 58/02, BFH/NV 2003, 443; vom 23. Februar 2005 IX B 198/03, BFH/NV 2005, 1005; vom 20. Dezember 2005 X B 128/05, BFH/NV 2006, 704) und Literatur (vgl. z.B. P. Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 39 AO Rz 39 ff.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 39 AO Rz 24 ff.; Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, § 39 Rz 14 ff.) vertretenen Auffassungen fehlt, kommt es für die Anwendung des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO entscheidend auf das --regelmäßig nicht klärungsbedürftige-- Gesamtbild der Verhältnisse des Einzelfalls an (vgl. BFH-Beschlüsse vom 26. August 2004 II B 117/03, BFH/NV 2004, 1625; vom 23. März 2007 IX B 114/06, BFH/NV 2007, 1272; P. Fischer in HHSp, § 39 AO Rz 53). Überdies ist nicht dargetan, inwieweit dies angesichts der BFH-Rechtsprechung zur zeitlichen Erfassung des Gewinns aus privaten Veräußerungsgeschäften (s. unter 2.b) entscheidungserheblich sein soll.
2. Ebenso ist eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. FGO) nicht erforderlich.
a) Das FG weicht nicht von den BFH-Urteilen in BFHE 193, 318, BStBl II 2001, 787, und in BFH/NV 2001, 1022, sowie in BFHE 208, 232, BStBl II 2005, 343, und in BFHE 218, 353, BStBl II 2007, 941, ab (s. dazu oben 1.a).
b) Mit der BFH-Rechtsprechung ist das FG davon ausgegangen, dass der Gewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften erst mit Zufluss des Veräußerungserlöses realisiert wird; in diesem Zeitpunkt sind auch die evtl. Werbungskosten zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteile vom 2. April 1974 VIII R 76/69, BFHE 112, 348, BStBl II 1974, 540; vom 17. Juli 1991 X R 6/91, BFHE 165, 85, BStBl II 1991, 916); entsprechend liegt auch keine Divergenz zum BFH-Urteil vom 3. Juni 1992 X R 91/90 (BFHE 168, 272, BStBl II 1992, 1017) vor.
c) Das FG hat sich (Urteil S. 12-14) hinsichtlich der Inventarbewertung ausführlich mit dem Vertragswerk unter Beachtung der allgemeinen Auslegungsregeln befasst und ist dabei zu dem --jedenfalls möglichen-- Ergebnis gelangt, dass der vereinbarte Kaufpreis allein auf die Immobilie und nicht auch auf das Inventar entfiel. Angesichts der vom FG auf die Besonderheiten des Einzelfalls abstellenden Würdigung ist eine Divergenz zum BGH-Urteil vom 19. Dezember 2001 XII ZR 281/99 (Neue Juristische Wochenschrift 2002, 1260, Wertpapier-Mitteilungen/Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 2002, 825) nicht gegeben.
3. Hinsichtlich der gerügten Verfassungswidrigkeit des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402) steht eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf den Vorlage-Beschluss des Senats vom 16. Dezember 2003 IX R 46/02 (BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284) zwar noch aus. Jedoch ist die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen mit vor Abschluss des Klageverfahrens ergangenem, durch die Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2006 geändertem Bescheid in diesem Streitpunkt für vorläufig erklärt worden (vgl. auch Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen vom 16. Februar 2006 und 10. November 2006, BStBl I 2006, 214, 692). Damit ist das Rechtsschutzbegehren der Klägerin insoweit hinreichend gewahrt, so dass eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO nicht angebracht erscheint (vgl. BFH-Beschluss vom 27. März 2008 IX B 36/07, BFH/NV 2008, 1149).
4.a) Soweit die Klägerin eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) als (verzichtbaren) Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) in Gestalt des Übergehens von Beweisanträgen (zu den Darlegungsanforderungen vgl. BFH-Beschlüsse vom 27. Oktober 1998 X B 115/97, BFH/NV 1999, 630; vom 15. September 2006 IX B 209/05, BFH/NV 2007, 80, m.w.N.) oder durch Unterlassen einer Amtsermittlung (zu den Darlegungsanforderungen vgl. BFH-Beschlüsse vom 28. Juli 2004 IX B 136/03, BFH/NV 2005, 43; vom 6. September 2006 VIII B 187/05, BFH/NV 2007, 74) rügt, hat die Klägerin --in der mündlichen Verhandlung vor dem FG fachkundig vertreten-- ihr Rügerecht durch rügelose Verhandlung zur Sache (s. Sitzungsprotokoll; zu dessen Beweiskraft s. § 94 FGO i.V.m. § 165 der Zivilprozessordnung --ZPO--) und damit durch bloßes Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge verloren (§ 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO; vgl. BFH-Beschlüsse vom 29. Oktober 2002 IV B 98/01, BFH/NV 2003, 326; vom 15. September 2006 IX B 209/05, BFH/NV 2007, 80, unter 3.b). Auch fehlt der Vortrag, dass die Nichterhebung der angebotenen Beweise in der mündlichen Verhandlung gerügt wurde oder weshalb diese Rüge nicht möglich war (vgl. BFH-Beschluss vom 15. März 2007 IX B 234/06, BFH/NV 2007, 1179). Im Übrigen musste sich dem FG angesichts dessen maßgebenden materiell-rechtlichen Standpunkts (vgl. BFH-Beschluss vom 25. Februar 2005 III B 13/04, BFH/NV 2005, 1065) eine weitere Sachaufklärung durch Beweiserhebung auch nicht aufdrängen.
b) Gleiches gilt für die gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2 FGO) als (verzichtbaren) Verfahrensmangel. Insbesondere liegt keine Überraschungsentscheidung vor, wenn die für den Schluss der Sitzung im Anschluss an die Beratung angekündigte Entscheidung ein (End-)Urteil war. Auch hat das FG nicht gegen die richterliche Hinweispflicht (§ 76 Abs. 2 FGO) verstoßen. Vielmehr muss ein Beteiligter gerade bei --wie hier-- umstrittener Sach- und Rechtslage grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einrichten (vgl. BFH-Beschlüsse vom 29. Dezember 2006 IX B 139/05, BFH/NV 2007, 1084, unter 3.a; vom 18. Dezember 2007 XI B 178/06, BFH/NV 2008, 562, unter 2.a, jeweils m.w.N.).
c) Die Rüge der unterlassenen notwendigen Beiladung greift nicht durch. Die Kommanditisten der Klägerin, die Eheleute H, waren mangels entsprechender Klagebefugnis nicht gemäß § 60 Abs. 3 FGO notwendig beizuladen (§ 60 Abs. 3 Satz 2 FGO). Bezogen auf die festgestellten Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften waren keine Gesichtspunkte i.S. von § 48 Abs. 1 Nrn. 4, 5 FGO konkret berührt, die ihre Beteiligung, die Verteilung dieser Beteiligung oder eine Frage des persönlichen Angehens betrafen.
d) Das FG hat auch nicht gegen den klaren Inhalt der Akten verstoßen. Ein derartiger Verstoß setzte eine Verletzung des § 96 Abs. 1 FGO dadurch voraus, dass das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der schriftlich festgehaltenem Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht oder eine nach den Akten eindeutig festgestellte Tatsache unberücksichtigt lässt (BFH-Beschluss vom 11. Februar 1999 III B 51/98, BFH/NV 1999, 970). Hingegen stellt --wie hier-- die unzureichende Würdigung des Vorbringens der Beteiligten grundsätzlich keinen Verfahrensfehler dar (vgl. BFH-Beschluss vom 12. September 1996 X B 76/96, BFH/NV 1997, 246, m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 2059342 |
BFH/NV 2008, 2022 |