Entscheidungsstichwort (Thema)
Verstoß gegen Akteninhalt
Leitsatz (NV)
1. Ein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO kann vorliegen, wenn das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht, oder wenn es eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen hat und die angefochtene Entscheidung darauf beruht.
2. § 96 FGO gebietet nicht, alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht auch denjenigen Akteninhalt in Erwägung gezogen hat, mit dem es sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinander gesetzt hat.
3. Kein Verfahrensmangel, sondern nur ein materiell-rechtlicher Fehler liegt vor, wenn das FG sich nicht mit allen nach Auffassung eines Beteiligten erheblichen Teilen einer Aussage auseinandersetzt.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 96 Abs. 1
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 06.10.2005; Aktenzeichen 5 K 761/00) |
Tatbestand
I. Im Klageverfahren war streitig, ob der Verkauf eines Fahrgeschäfts (Karussell) nach Luxemburg als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung anzuerkennen ist.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen, weil der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung nicht nachgewiesen habe. Notwendig und ausreichend sei die Lieferung der Ware an einen beliebigen Ort im übrigen Gemeinschaftsgebiet. Der Kläger habe Zweifel daran nicht ausräumen können, dass die Lieferung auf einem Parkplatz in Luxemburg erfolgt sei; dies hätten die Fahrer zwar in ihren Aussagen bestätigt; sie hätten aber keine konkreten Aussagen zur Belegenheit des Parkplatzes machen können. Deren Aussagen seien auch insoweit unglaubhaft, als sie erklärten, sich weder von der Identität des ihnen gegenüber als Abnehmer auftretenden Mannes versichert zu haben, noch Lieferpapiere (Lieferscheine, Quittungen o.ä.) ausgetauscht zu haben. Es widerspreche kaufmännischem Denken und allgemeiner Lebenserfahrung, ein Karussell im Wert von mindestens 500 000 DM auf einem unbekannten Parkplatz zurück zu lassen, ohne zugleich den Kaufpreis, Sicherheiten oder einen quittierten Lieferschein erhalten zu haben. Dies gelte erst recht, wenn die Identität der als Abnehmer auftretenden Person nicht überprüft wurde. Des Weiteren sei auch aufgrund der Aussage des Zeugen W nicht auszuschließen, dass das Karussell an eine Firma im Inland geliefert worden sei.
Im Übrigen habe der Kläger den Belegnachweis für die innergemeinschaftlichen Lieferungen nicht erbracht und der Buchnachweis sei nicht ordnungsgemäß.
Das FG hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde, die der Kläger auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) stützt.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Hat das FG --wie hier-- seine Entscheidung auf mehrere Gründe gestützt, von denen jeder für sich allein das Entscheidungsergebnis trägt, so muss hinsichtlich jeder Begründung ein Zulassungsgrund geltend gemacht werden und vorliegen (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21. Januar 2005 VIII B 163/03, BFH/NV 2005, 835; vom 15. Juli 2004 V B 172/03, BFH/NV 2004, 1677, m.w.N.).
Das FG hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass das Fahrgeschäft in das übrige Gemeinschaftsgebiet gelangt ist. Diese Begründung trägt --ebenso wie die Begründung, der Kläger habe den für die Berücksichtigung einer innergemeinschaftlichen Lieferung erforderlichen Beleg- und Buchnachweis nicht erbracht-- für sich allein das Urteil. Die in Bezug auf die erstgenannte Begründung geltend gemachten Zulassungsgründe führen nicht zur Zulassung der Revision.
Der Kläger rügt insoweit einen Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO); er trägt insoweit vor, das FG habe Teile der Aussage des Fahrers C "in seiner Aussage vom 18. 08. 2000 und in seiner im Verfahren vor dem Finanzgericht verlesenen Aussage vom 26. 04. 2004 übersehen" sowie Teile "der in den Akten befindlichen Aussage" des Geschäftsführers, W.
a) Zur Darlegung (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO) des insoweit geltend gemachten Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) muss der Kläger den nach seiner Ansicht übergangenen Vortrag und die übergangenen Beweismittel genau angeben, wozu u.a. auch die Angabe der Fundstelle in den Verfahrensakten gehört hätte (z.B. BFH-Beschluss vom 13. Juni 2005 I B 138/04, BFH/NV 2005, 2212).
b) Daran fehlt es, soweit der Kläger auf "die Aussage des C. vom 18. 08. 2000" verweist, die im Übrigen weder im Urteil noch im Protokoll der mündlichen Verhandlung erwähnt ist. Vergleichbares gilt, soweit der Kläger sich auf den Inhalt der --weder nach Datum noch nach Fundstelle in den Akten bezeichnete-- "in den Akten befindliche(n) Aussage des Geschäftsführers der Firma H …, W …" beruft.
c) Auch soweit der Kläger die Beschwerde auf Fehler des FG im Zusammenhang mit der Aussage des C vom 26. April 2004 stützt, hat die Beschwerde keinen Erfolg. Ein sog. Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten liegt insbesondere dann vor, wenn das FG bei seiner Überzeugungsbildung eine nach Aktenlage feststehende Tatsache unberücksichtigt lässt bzw. bei seiner Entscheidung vom Nichtvorliegen einer solchen Tatsache ausgeht. Ein solcher Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten und damit gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO ist dann gegeben, wenn das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht, oder wenn es eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen hat und die angefochtene Entscheidung darauf beruht (z.B. BFH-Beschluss vom 9. März 2004 X B 68/03, BFH/NV 2004, 1112, m.w.N. der Rechtsprechung). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass § 96 FGO nicht gebietet, alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern. Es ist vielmehr im Allgemeinen davon auszugehen, dass ein Gericht auch denjenigen Akteninhalt in Erwägung gezogen hat, mit dem es sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinander gesetzt hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. Februar 2002 IX B 130/01, BFH/NV 2002, 802; vom 21. Dezember 2000 VII B 163/00, BFH/NV 2001, 917; vom 27. September 1999 I B 83/98, BFH/NV 2000, 673, m.w.N.).
Im Streitfall hat sich das Gericht mit den Aussagen der Fahrer, und damit auch des C, auseinander gesetzt und darauf abgestellt, dass diese angeblich weder Papiere ausgetauscht haben, noch sich von der Identität des ihnen gegenüber als Abnehmer aufgetretenen Mannes versichert haben. Dass dies dem protokollierten Inhalt der Aussage des C widerspricht, hat der Kläger nicht behauptet.
Soweit sich der Kläger darauf beruft, dass das FG sich mit Teilen der Aussage des C, die seiner, des Klägers, Ansicht nach erheblich sind, nicht ausdrücklich auseinander gesetzt habe, und die Schlussfolgerung des FG unzutreffend sei, greift er im Kern lediglich die tatrichterliche Beweiswürdigung an und rügt damit letztlich materiell-rechtliche Fehler des vorinstanzlichen Urteils, die keinen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO begründen können (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 27. November 2003 VI B 23/00, BFH/NV 2004, 338; vom 19. Juni 2002 IX B 74/01, BFH/NV 2002, 1331). Gleiches gilt hinsichtlich der beanstandeten Würdigung der Aussage des Geschäftsführers, Herrn W.
2. Da ein Zulassungsgrund in Bezug auf eine der beiden Begründungen des angefochtenen Urteils, die das Urteil selbständig trägt, nicht vorliegt, kann offen bleiben, ob die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe in Bezug auf die zweite Begründungsalternative (der erforderliche Buch- und Belegnachweis sei nicht ordnungsgemäß erbracht) vorlägen. Selbst wenn deshalb --wie der Kläger meint-- Verfahrensfehler im Zusammenhang mit der Aussage des Geschäftsführers des angeblichen Abnehmers in Luxemburg, D, vorlägen und wenn die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage betreffend die Anforderungen an den Beleg- und Buchnachweis bei innergemeinschaftlichen Lieferungen grundsätzliche Bedeutung hätte, könnte dies der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen.
3. Soweit der Kläger darlegt, die Bemessungsgrundlage für den Umsatz sei unzutreffend, rügt er einen materiell-rechtlichen Fehler, der --wenn nicht zugleich einer der Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt wird und vorliegt-- nicht zur Zulassung der Revision führen kann.
4. Nach § 145 FGO kann eine Kostenentscheidung grundsätzlich nur zusammen mit der Hauptsache angefochten werden. Diese Beschränkung gilt auch für die Nichtzulassungsbeschwerde. Eine --wie der Kläger meint-- unzutreffende Kostenentscheidung allein vermag nicht zur Zulassung der Revision führen. Vielmehr muss sich der Zulassungsgrund auf die Entscheidung zur Hauptsache beziehen (z.B. BFH-Beschluss vom 11. November 2002 VI B 83/02, BFH/NV 2003, 331).
Fundstellen
Haufe-Index 1571983 |
BFH/NV 2006, 2097 |