Entscheidungsstichwort (Thema)
Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage; Verwertung strafgerichtlicher Feststellungen im finanzgerichtlichen Verfahren; Beiziehung der Strafakten
Leitsatz (NV)
1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache kommt nur wegen einer klärungsbedürftigen und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähigen Rechtsfrage in Betracht. An der Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage fehlt es, wenn sie nach den für den BFH bindenden Feststellungen des FG in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich wäre.
2. Das Finanzgericht ist berechtigt, tatsächliche Feststellungen aus einem in das finanzgerichtliche Verfahren eingeführten Strafurteil zu verwerten, wenn die Beteiligten keine substantiierten Einwendungen gegen die Feststellungen erheben und keine verfahrenserheblichen Beweisanträge stellen. Dies gilt auch, wenn das Strafurteil gegenüber einem Dritten ergangen ist, der nicht Beteiligter des finanzgerichtlichen Verfahrens ist.
3. Berücksichtigt das Finanzgericht bei der Bildung seiner Überzeugung von dem tatsächlichen Geschehen strafgerichtliche Feststellungen, ist es nicht verpflichtet, neben dem Strafurteil die Akten des Strafverfahrens beizuziehen, solange keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass darin weitere für das finanzgerichtliche Verfahren entscheidungserhebliche Tatsachen enthalten sein könnten.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1 S. 1, § 96 Abs. 1 S. 1, § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3
Verfahrensgang
FG München (Urteil vom 23.07.2003; Aktenzeichen 3 K 295/03) |
Nachgehend
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) versandte mit begleitenden Verwaltungsdokumenten vom 7. Mai, 25. Juni, 15. Juli und 10. November 1997 Alkohol unter Steueraussetzung von Italien nach Tschechien. Der Alkohol wurde unter Vorlage gefälschter Ausfuhrpapiere und als Profileisen sowie andere nicht verbrauchsteuerpflichtige Waren deklariert über das Zollamt X nach Tschechien ausgeführt.
Das Hauptzollamt Y, dessen Zuständigkeit zwischenzeitlich auf den Beklagten und Beschwerdegegner (Hauptzollamt) übergegangen ist, setzte mit Bescheid vom 27. Juli 1999 gegen die Klägerin als Versenderin des Alkohols Branntweinsteuer fest.
Das Finanzgericht (FG) wies die von der Klägerin nach erfolglosem Einspruch (Einspruchsentscheidung vom 25. Februar 2000) erhobene Klage ab. Zur Begründung führte das FG im Wesentlichen aus, die Branntweinsteuer sei nach § 143 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über das Branntweinmonopol (BranntwMonG) i.d.F. des Art. 3 des Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I, 2150, 2166) entstanden. Der Alkohol habe sich im Steueraussetzungsverfahren befunden, dem er dadurch entzogen worden sei, dass bei der Ausgangszollstelle eine andere als die in das Verfahren übergeführte Ware angemeldet worden sei und hierbei gefälschte Versandpapiere vorgelegt worden seien. Die tatsächliche Ausfuhr des Alkohols nach Tschechien stehe der Annahme der Steuerentstehung nicht entgegen. Der Sachverhalt sei unstreitig und ergebe sich im Übrigen aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts (LG) Z vom 2. September 1999, mit dem der Fahrer der Alkoholtransporte wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden sei. Die Klägerin sei als Versenderin Steuerschuldnerin geworden, ohne dass es darauf ankomme, ob sie die Ware selbst dem Steueraussetzungsverfahren entzogen habe, ob sie eine Zuwiderhandlung begangen habe oder ob ihr ein schuldhaftes Verhalten vorzuwerfen sei. Die deutsche Zollverwaltung sei für die Erhebung der Branntweinsteuer zuständig. Aus dem Strafurteil des LG ergebe sich, dass der Ort der Zuwiderhandlung in der Bundesrepublik Deutschland gelegen habe, weil hier die Papiere ausgetauscht worden seien und bei der deutschen Ausgangszollstelle unter Vorlage gefälschter Versandpapiere eine andere als die in das Verfahren übergeführte Ware angemeldet worden sei. Die Steuer habe noch festgesetzt werden dürfen, weil die Festsetzungsfrist im Streitfall gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zehn Jahre betrage. Die Branntweinsteuer sei hinterzogen worden. Die Verlängerung der Festsetzungsfrist treffe auch die Klägerin, welche die Steuerhinterziehung nicht selbst begangen habe. Die Klägerin könne sich nicht nach § 169 Abs. 2 Satz 3 AO 1977 entlasten, weil an der Tat eine Person beteiligt gewesen sei, deren sie sich zur Erfüllung ihrer steuerlichen Pflichten bedient habe. Sie sei als Versenderin verpflichtet gewesen, den unter Steueraussetzung stehenden Alkohol zu befördern und auszuführen. Hierzu habe sie sich einer Spedition und des Fahrers A als deren Hilfsperson bedient. Unbeschadet dessen könne die Klägerin nicht nachweisen, dass die Steuerhinterziehung nicht darauf beruhe, dass sie die im Verkehr erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen unterlassen habe. Aus der von ihr vorgelegten Anzeige vom 30. März 1998 gehe hervor, dass es bereits bei einem am 21. März 1997 ausgestellten begleitenden Verwaltungsdokument zu keiner Rückmeldung gekommen sei. Gleichwohl habe sie ab Mai 1997 noch weitere vier Lieferungen Alkohol ohne weitere Sicherungsmaßnahmen mit demselben Frachtführer versendet.
Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, weil die Frage zu klären sei, inwieweit die nicht kontrollierbare und somit unvermeidbare strafbare Handlung eines fremden Dritten einem Steuerpflichtigen derart zugerechnet werden könne, dass eine daraufhin ergehende Steuererhebung unmittelbar zum wirtschaftlichen Ruin des Steuerpflichtigen führe. Die Vorentscheidung beruhe zudem auf einem Verfahrensmangel. Dem FG hätten die Strafakten nicht vorgelegen, obwohl im Urteil auf das Strafurteil des LG Bezug genommen worden sei.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Ungeachtet der Mängel in der Darlegung der benannten Revisionszulassungsgründe (§ 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) liegen diese jedenfalls nicht vor.
1. Die Revision ist nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache kommt nur wegen einer klärungsbedürftigen und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähigen Rechtsfrage in Betracht (vgl. Senatsbeschluss vom 8. April 2004 VII B 110/03, BFH/NV 2004, 1310, 1312). Die von der Klägerin aufgeworfene Frage ist nicht klärungsfähig. An der Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage fehlt es, wenn sie nach den für den Bundesfinanzhof (BFH) bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) in dem erstrebten Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich wäre (vgl. BFH-Beschluss vom 15. September 1995 V B 59/95, BFH/NV 1996, 439, 440; Senatsbeschluss vom 28. August 2003 VII B 260/02, BFH/NV 2004, 69, 71). So liegt es hier.
Das FG hat nicht festgestellt, dass die Steuererhebung im Streitfall unmittelbar zum wirtschaftlichen Ruin der Klägerin führt. Schon deshalb könnte der Senat die von ihr formulierte Frage in einem Revisionsverfahren nicht klären. Unbeschadet dessen könnte die Frage, ob die Erhebung der Branntweinsteuer die wirtschaftliche Existenz der Klägerin gefährdet, allenfalls in einem Billigkeitsverfahren (§§ 163, 227 AO 1977) geprüft werden, das jedoch materiell-rechtlich und verfahrensrechtlich unabhängig von der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids ist (vgl. etwa BFH-Urteil vom 1. Juli 2003 VIII R 45/01, BFHE 203, 5, 8, BStBl II 2004, 35, 36).
Soweit die Klägerin im Übrigen geltend macht, der Fahrer A sei keine Person gewesen, deren sie sich zur Erfüllung ihrer steuerlichen Pflichten bedient habe, und sie könne sich daher nach § 169 Abs. 2 Satz 3 AO 1977 entlasten, wendet sie sich gegen die materielle Richtigkeit der Vorentscheidung. Dies kann nicht zur Zulassung der Revision führen, weil hiermit kein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO dargetan wird (vgl. BFH-Beschlüsse vom 6. Oktober 2000 III B 16/00, BFH/NV 2001, 202; vom 4. Juli 2002 IX B 169/01, BFH/NV 2002, 1476).
2. Die Revision ist auch nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zuzulassen. Der behauptete Verfahrensmangel liegt nicht vor.
Das FG war berechtigt, das Strafurteil des LG, das die Klägerin selbst mit ihrer Klageschrift vorgelegt hatte, bei der Bildung seiner Überzeugung von dem tatsächlichen Geschehen und bei der Wertung der Ereignisse zu berücksichtigen. Nach feststehender Rechtsprechung des BFH kann sich ein FG die tatsächlichen Feststellungen eines in das finanzgerichtliche Verfahren eingeführten Strafurteils zu eigen machen, es sei denn, die Beteiligten erheben gegen die strafgerichtlichen Feststellungen substantiierte Einwendungen und stellen entsprechende Beweisanträge, die das FG nach den allgemeinen für die Beweiserhebung geltenden Grundsätzen nicht unbeachtet lassen kann (vgl. etwa Senatsurteil vom 26. April 1988 VII R 124/85, BFHE 153, 463, 467; BFH-Beschluss vom 29. Januar 1999 V B 112/97, BFH/NV 1999, 1103, 1104). Das FG ist auch nicht gehindert, Feststellungen aus einem Strafurteil in einem Verfahren zu berücksichtigen, an dem der Betroffene des finanzgerichtlichen Verfahrens nicht beteiligt war (vgl. Senatsurteil in BFHE 153, 463, 467).
Das FG war auch nicht nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verpflichtet, für seine Überzeugungsbildung die Akten des Strafverfahrens beizuziehen (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 1103, 1104). Anhaltspunkte dafür, dass darin für das finanzgerichtliche Verfahren entscheidungserhebliche Tatsachen hätten enthalten sein können, hat die Klägerin bis zum Ablauf der bis zum 6. November 2003 verlängerten Frist für die Begründung ihrer Beschwerde nicht bezeichnet. Soweit sie mit Schriftsatz vom 8. Juni 2004 vorträgt, bei einer weiteren Sachaufklärung hätte sich ergeben, dass der Fahrer A nicht als Erfüllungsgehilfe habe angesehen werden können, darf dieser verspätete Vortrag --sollte es sich überhaupt um einen Vortrag von entscheidungserheblichen Tatsachen handeln-- nicht berücksichtigt werden (vgl. BFH-Beschluss vom 22. April 1997 IX B 2/97, BFH/NV 1997, 694).
Fundstellen