Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschwerde gegen ein Urteil; Auslegung von Prozeßhandlungen
Leitsatz (NV)
1. Legt ein Kläger gegen das Urteil des FG "Beschwerde" ein, so ist diese im Regelfall als Nichtzulassungsbeschwerde zu verstehen.
2. Dies gilt auch, wenn der Kläger nachträglich erklärt, keine Beschwerde i. S. des §115 Abs. 3 FGO eingelegt zu haben.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 3; BGB §§ 133, 157
Verfahrensgang
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) gegen den Beklagten und Beschwerdegegner wegen Kirchensteuer 1995 durch Urteil vom 5. Juni 1997 als unbegründet zurückgewiesen, ohne die Revision zuzulassen. Das Urteil wurde dem Kläger am 20. Juni 1997 zugestellt. Er legte am 15. Juli 1997 gegen das Urteil beim FG "Beschwerde" ein und beantragte die Aufhebung des Urteils sowie die Fortführung bzw. Wiedereinsetzung der Verhandlung mit Sachstand mit Beginn 5. Juni 1997. Zur Begründung führte er auf 2 1/2 Seiten aus, daß für ihn der Rechtsstreit vor dem FG noch nicht beendet sei. Er warf dem FG vor, weder Schriften zu lesen noch richtig zuzuhören und statt dessen auf der Grundlage einer vorgefaßten Meinung zu urteilen.
Das FG behandelte die Beschwerde als eine solche gemäß §115 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Es half ihr nicht ab und legte sie dem Bundesfinanzhof (BFH) zur Entscheidung vor. Nach entsprechender Belehrung erklärte der Kläger, er habe mit seinem Schreiben vom 12. Juli 1997 keine Zulassung beim BFH beantragt. Ihm sei die dort bestehende Vertretungspflicht bekannt gewesen. Er könne sich aus finanziellen Gründen keinen Berater leisten. Er habe lediglich erhofft, daß sein Verfahren wegen "verfahrenstechnischem Fehlverhalten" des FG neu angesetzt und aus diesem Grunde das Urteil für nichtig erklärt worden wäre. Auf entsprechendes Anschreiben durch die Senatsgeschäftsstelle des BFH lehnte der Kläger es ab, die eingelegte Beschwerde zurückzunehmen.
Entscheidungsgründe
Die vom Kläger mit Schriftsatz vom 12. Juli 1997 eingelegte Beschwerde ist als eine solche i. S. des §115 Abs. 3 Satz 1 FGO zu behandeln.
Wer sich mit einem Rechtsschutzbegehren an ein Gericht wendet, nimmt eine Prozeßhandlung vor, für deren Auslegung die §§133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) entsprechend gelten (vom 23. Oktober 1989 GrS 2/87, BFHE 159, 4, BStBl II 1990, 327; vom 14. Mai 1992 V R 57/89, BFH/NV 1993, 278; vom 14. Juni 1995 II R 70/92, BFH/NV 1996, 142). Dabei ist der wirkliche Wille so zu erforschen, wie er aus der Sicht des Empfängers der Erklärung verstanden werden muß. Hiervon ausgehend hat der Kläger mit seinem Schriftsatz vom 12. Juli 1997 eine Beschwerde erhoben. Die Beschwerde hatte erkennbar die Fortführung des Verfahrens und die Aufhebung des ergangenen Urteils zum Ziel. Der Kläger rügte mit der Begründung der Beschwerde angebliche Verfahrensfehler, die dem FG unterlaufen seien. Da von dem Kläger das von ihm erklärtermaßen angestrebte Ziel allenfalls mit einer Beschwerde i. S. des §115 Abs. 3 Satz 1 FGO erreicht werden konnte, mußte die Beschwerde in diesem Sinne verstanden werden. Die Tatsache, daß der Kläger mit Schriftsatz vom 10. Oktober 1997 erklärte, er habe keine Beschwerde i. S. des §115 Abs. 3 Satz 1 FGO einlegen wollen, ändert daran nichts. Es handelt sich um eine weitere Prozeßhandlung, der keine Rückwirkung beigemessen werden kann.
Die vom Kläger eingelegte Beschwerde ist unzulässig. Sie war deshalb durch Beschluß zu verwerfen. Vor dem BFH muß sich -- wie auch aus der Rechtsmittelbelehrung in dem angefochtenen Urteil hervorgeht -- jeder Beteiligte, sofern es sich nicht um eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder um eine Behörde handelt, durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen (Art. 1 Nr. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs -- BFHEntlG -- vom 8. Juli 1975, BGBl I 1975, 1861, BStBl I 1975, 932, i. d. F. des Gesetzes vom 26. November 1996, BGBl I 1996, 1810, BStBl I 1996, 1522). Dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde (Art. 1 Nr. 1 Satz 2 BFHEntlG). Fehlt es, wie offensichtlich im Streitfall, an diesem Erfordernis der ordnungsgemäßen Vertretung durch einen Angehörigen der in Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG aufgeführten Berufsgruppen (Prozeßhandlungsvoraussetzung; vgl. dazu Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 15. Aufl., §45 II 1, 233), so ist die betreffende Prozeßhandlung -- im Streitfall: die Einlegung der Beschwerde -- unwirksam.
Fundstellen
Haufe-Index 66360 |
BFH/NV 1998, 712 |