Entscheidungsstichwort (Thema)
Mehrfache Ablehnung derselben Richter
Leitsatz (NV)
1. Ein pauschal gegen sämtliche Berufsrichter eines Senats beim FG gerichtetes Ablehnungsgesuch verstößt gegen den Grundsatz der Individualablehnung und ist unzulässig.
2. Da in der Beschwerdeentscheidung nur über die in den jeweiligen Ablehnungsanträgen enthaltenen Gründe zu entscheiden ist, können andere Befangenheitsgründe in der Beschwerde nicht zulässig geltend gemacht werden.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 42 Abs. 1-2
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) wies aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. Mai 1995 die Klage des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) gegen die Umsatzsteuerbescheide für 1976, 1978 bis 1981 im wesentlichen ab. Es bestätigte, daß der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) berechtigt war, abgezogene Vorsteuerbeträge aus Abrechnungen von Werbern nicht anzuerkennen, weil der Kläger nicht bewiesen habe, daß er von ihnen zum Vorsteuerabzug geeignete Rechnungen erhalten habe.
Am 18. Mai 1995 ging um 19.04 Uhr beim FG per Telefax ein Schreiben des Klägervertreters mit u. a. folgendem Inhalt ein: ". . . wird höchstvorsorglich die unterlassene Belehrung und Zeugenmahnung A und B zur Wahrheitspflicht gerügt. Es wird davon ausgegangen, daß aufgrund dieses Verfahrensfehlers in jedem Fall die Revision zugelassen wird. Die Berufsrichter des Senats ... werden auch neben den oben angegebenen Gründen wegen der Nichtzulassung von Fragen an die Zeugen durch den Klägervertreter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt".
Durch Beschluß vom 15. Juni 1995 entschieden die in dem Schreiben erwähnten Berufsrichter, der Antrag des Klägers vom 18. Mai 1995 auf Ablehnung der Berufsrichter wegen Befangenheit werde abgelehnt. Zur Begründung führte das FG u. a. aus, der Antrag sei erst nach Verkündung des Urteils am 18. Mai 1995 um 16.50 Uhr eingegangen. Darüber hinaus sei er unzulässig, weil er das Gebot der Individualablehnung nicht beachte. Das Gesuch sei nicht gegen einzelne Richter, sondern pauschal gegen den gesamten Spruchkörper gerichtet worden.
Mit der Beschwerde im Schriftsatz vom 23. August 1995 gegen die Ablehnung des bezeichneten Antrags wendet der Kläger (im Verfahren V B 121/95) ein: Der Beschluß sei nicht in Rechtskraft erwachsen, weil er von den spezifiziert abgelehnten, an dem finanzgerichtlichen Urteil beteiligten Berufsrichtern und nicht von dem für die Entscheidung über den Ablehnungsantrag zuständigen Senat gefaßt worden sei. Höchstvorsorglich bestreite er, der Kläger, daß das finanzgerichtliche Urteil bereits um 16.50 Uhr verkündet worden sei. Weder aus der Sitzungsniederschrift noch aus dem Urteil sei der Zeitpunkt der Verkündung ersichtlich. Um 16.50 Uhr sei das FG bereits geschlossen und der Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich gewesen. Die an dem Urteil beteiligten Berufsrichter lehne er, der Kläger, erneut ab.
Das FG wies den zuletzt bezeichneten Ablehnungsantrag des Klägers im Schriftsatz vom 23. August 1995 durch den Beschluß vom 2. Oktober 1995 als unzulässig ab, weil der Antrag keinen substantiiert und nachvollziehbar dargelegten Ablehnungsgrund enthalte und außerdem erst nach Verkündung des Urteils vom 18. Mai 1995 gestellt worden sei.
Mit der gegen den Beschluß des FG vom 2. Oktober 1995 gerichteten Beschwerde (Verfahren V B 124/95) wendet sich der Kläger gegen den vom FG bezeichneten Zeitpunkt der Urteilsverkündung und rügt, daß das Urteil unter Ausschluß der Öffentlichkeit verkündet worden sei. Zur Begründung dafür, daß der Antrag auf Ablehnung der Berufsrichter rechtzeitig gestellt worden sei, beantragt er Vernehmung des zuständigen Urkundsbeamten, daß am "Freitag, dem 25. August 1994, um 16.50 Uhr der Dienstschluß des Finanzgerichts bereits eingetreten" sei. Hilfsweise beantragt der Kläger, daß "von gerichtswegen die erforderlichen Beweise für den Vortrag der fehlenden Öffentlichkeit erhoben werden". Der Ablehnungsantrag, so führt der Kläger weiter aus, sei auch hinreichend bestimmt, weil jeder einzelne Berufsrichter "eklatante Grundregeln für die Zeugenvernehmung" verletzt habe. Das Urteil sei auf die Aussagen der nicht über die Wahrheitspflicht belehrten Zeugen gestützt worden. Das FG habe in seinem Urteil den Wahrheitsgehalt widersprüchlicher Zeugenaussagen nicht gegeneinander abgewogen und die wegen der unterlassenen Ermahnung zur Wahrheit nicht verwertbare Aussage des Zeugen A als entscheidungserheblich beurteilt. Aus der Sicht des Klägers seien sämtliche zur ordnungsmäßigen Prozeßführung verpflichteten Berufsrichter befangen. Die Vorsitzende Richterin habe außerdem Fragen seines, des Klägers, Prozeßbevollmächtigten nicht zugelassen und den Spruchkörper nachträglich veranlaßt, ihre Entscheidung durch Beschluß zu bestätigen. Damit hätten sich sämtliche Berufsrichter "solidarisiert zur Deckung von Verfahrensfehlern".
Im übrigen sei die Individualisierung der Ablehnung gegen den jeweiligen Berufsrichter unmöglich gemacht worden, weil sich die beteiligten Berufsrichter am Beginn der mündlichen Verhandlung am 18. Mai 1995 nicht vorgestellt hätten und bei der Aufnahme der Niederschrift nicht namentlich aufgeführt worden seien. Ihre Namen seien erst bei der Anfertigung der Niederschrift durch den Urkundsbeamten hinzugefügt worden.
Das FA ist den Beschwerden entgegenge treten.
Entscheidungsgründe
Der Senat verbindet die Beschwerden gegen die Beschlüsse des FG vom 15. Juni 1995 V B 121/95 und vom 2. Oktober 1995 V B 124/95 zu gemeinsamer Entscheidung (§ 73 Abs. 1 Satz 1, §§ 121, 132 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Dies ist zweckmäßig, weil ihnen ein im wesentlichen gleicher Sachverhalt zugrunde liegt.
3. Die Beschwerden haben keinen Erfolg. Sie sind unbegründet. Das FG hat die Ablehnungsanträge rechtsfehlerfrei zurückgewiesen.
a) Eine Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit ist begründet, wenn ein Anlaß vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 51 Abs. 1 FGO i. V. m. § 42 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung). Gründe für ein derartiges Mißtrauen sind vor handen, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden (Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH --vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555, m. w. N.).
b) Die Beschwerde gegen den Beschluß des FG vom 15. Juni 1995 ist unbegründet, weil das FG den Ablehnungsantrag des Klägers vom 18. Mai 1995 zu Recht in der geschäftsplanmäßigen Besetzung einschließlich der abgelehnten Richter ohne Einholung einer dienstlichen Äußerung als unzulässig abgelehnt hat (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 13. Juni 1991 VII B 246/90, BFH/NV 1992, 253). Der Antrag ist pauschal gegen sämtliche Berufsrichter gerichtet worden. Dies verstößt gegen den Grundsatz der Individualablehnung (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 7. Mai 1986 I B 70/85, BFH/NV 1987, 653). Die in dem Antrag als Ablehnungsgrund bezeichneten Verfahrensfehler (unterlassene Ermahnung der vernommenen Zeugen zur Wahrheit und Nichtzulassung von Fragen) lassen keine konkreten Anhaltspunkte erkennen, die auf eine Voreingenommenheit der abgelehnten Richter schließen lassen.
Hinzu kommt, daß das Ablehnungsgesuch auch deshalb unzulässig war, weil darin die Ablehnungsgründe nicht substantiiert und nachvollziehbar so dargelegt und glaubhaft gemacht worden sind, daß sie -- ihre Richtigkeit unterstellt -- bei objektiver Betrachtung die Besorgnis rechtfertigen können, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 22. Januar 1993 III S 44, 45/92, Juris- Dok. 311547; vom 11. August 1992 III S 21/92, BFH/NV 1993, 183). Bei einem mit Verfahrensfehlern begründeten Ablehnungsgesuch wird diesen Voraussetzungen nur entsprochen, wenn nicht nur der Verfahrensfehler, sondern auch Gründe dafür schlüssig dargetan werden, daß die fehlerhafte Handhabung des Verfahrensrechts auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegen den ihn ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht (vgl. BFH-Beschlüsse vom 30. August 1995 XI B 114/95, BFH/NV 1996, 225; vom 22. Juni 1995 IV B 37/95, BFH/NV 1996, 145). Das FG hat zutreffend entschieden, daß der Ablehnungsantrag des Klägers vom 18. Mai 1995 diesen Anforderungen nicht entspricht.
c) Die Beschwerde gegen den Beschluß vom 2. Oktober 1995 ist ebenfalls unbegründet, weil das FG den im Schriftsatz vom 23. August 1995 gestellten Ablehnungsantrag zutreffend als unzulässig abgelehnt hat.
In diesem Antrag werden "höchst vorsorglich erneut die Richter X, Y, Z wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt", ohne daß schlüssig erkennbar ist, worin die Voreingenommenheit gegen den Kläger bestanden haben könnte. Soweit er beanstandet, daß die abgelehnten Richter an dem Beschluß vom 15. Juni 1995 über die Ablehnung des Befangenheitsantrags vom 18. Mai 1995 mitgewirkt hätten und soweit er darin eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör erblickt, ist nicht verständlich, weshalb dieses -- unterstellt -- verfahrensfehlerhafte Verhalten auf Voreingenommenheit der einzelnen Richter beruht. Dazu hätte der Kläger über die von ihm für fehlerhaft gehaltene Entscheidung hinaus Tatsachen bezeichnen müssen, die für einen objektiven Beurteiler auf Voreingenommenheit beruhendes Fehlverhalten des abgelehnten Richters ergeben könnten. Der artige Tatsachen hat der Kläger in seinem Ablehnungsantrag vom 23. August 1995 nicht bezeichnet, wie das FG zutreffend dargelegt hat.
Da in der Beschwerdeentscheidung nur über die in den jeweiligen Ablehnungsanträgen enthaltenen Gründe zu entscheiden ist und andere Befangenheitsgründe mit der Beschwerde gegen den einen Antrag ablehnenden Beschluß des FG nicht zulässig geltend gemacht werden können (vgl. BFH- Beschluß vom 7. Februar 1996 X B 195/95, BFH/NV 1996, 616), braucht auf die späteren weitergehenden Darlegungen des Klägers nicht eingegangen zu werden.
d) Es ist unter den gegebenen Umständen auch nicht zu prüfen, ob der Kläger die Ablehnungsgründe verwirkt hat, weil er z. B. die angeblich von den Richtern unterlassene Ermahnung der Zeugen zur Wahrheit nicht schon vor ihrer Vernehmung vorgebracht hat (vgl. dazu BFH-Beschluß in BFH/NV 1996, 616). Ebensowenig kommt es darauf an, ob das Ablehnungsgesuch nach Beendigung der Instanz gestellt worden ist.
Fundstellen