Entscheidungsstichwort (Thema)
Einfluss der vorhandenen Bebauung auf die Feststellung des Mindestwerts eines fiktiv unbebauten Grundstücks
Leitsatz (NV)
Die Frage, ob bei der Feststellung des Mindestwerts nach § 146 Abs. 6 BewG für das fiktiv unbebaute Grundstück der Einfluss der tatsächlich vorhandenen Bebauung auf die rechtlich mögliche Bebauung zu berücksichtigen ist (bei Fortbestand der vorhandenen Bebauung lässt sich die rechtlich mögliche Bebaubarkeit nicht voll ausnutzen), ist nicht klärungsbedürftig. Eine derartige Berücksichtigung scheidet ‐ jedenfalls über die in R 176 Abs. 2 ErbStR 2003 vorgesehenen Ausnahmen hinaus ‐ von vornherein aus.
Normenkette
BewG § 145 Abs. 3, § 146 Abs. 6; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
Nachgehend
Tatbestand
I. Die 1997 verstorbene X war zur Hälfte Miteigentümerin eines 1 312 qm großen und mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks an der Y-Straße in Z. Sie ist zur Hälfte von A beerbt worden. A hat am 19. Dezember 1998 ihren Erbteil schenkweise der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) übertragen.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) stellte mit Bescheid vom 18. Februar 1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. März 2002 den Grundstückswert des Anteils der A an dem Grundstück zum 19. Dezember 1998 auf 249 250 DM fest. Bei dem festgestellten Wert handelt es sich um einen Mindestwert nach § 146 Abs. 6 des Bewertungsgesetzes (BewG), der mit 760 DM/qm ermittelt war.
Die Klage, mit der die Klägerin versucht hatte, mittels eines Privatgutachtens des öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen T einen niedrigeren gemeinen Wert von 193 500 DM nachzuweisen, blieb erfolglos. Der vom Gutachter ermittelte Wert sollte nach dessen Ausführungen dem Bodenwert des Anteils am Grundstück entsprechen, weil die baulichen Anlagen --abgesehen von dem daraus resultierenden Einfluss auf Art und Maß einer möglichen weiteren baulichen Nutzung-- unberücksichtigt zu bleiben hätten. Zur Berücksichtigung dieses Einflusses hatte der Sachverständige einen Abschlag vorgenommen, weil die auf dem Grundstück bereits realisierte Geschossflächenzahl und eine mit der vorhandenen Bebauung noch sinnvoll vereinbare zusätzliche Bebauung zu einer maximalen Geschossflächenzahl führten, die deutlich "unter der als gebietstypisch anzunehmenden Geschossflächenzahl der Bodenrichtwertausweisung" liege. Das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, mit dem Gutachten sei weder ein niedrigerer gemeiner Wert des Grundstücks im tatsächlich bebauten Zustand noch ein solcher des Grundstücks im (fiktiv) unbebauten Zustand nachgewiesen. Letzteres hätte vorausgesetzt, die tatsächlich vorhandene Bebauung und ihren Einfluss auf den Wert des Grund und Bodens vollständig außer Acht zu lassen. Dies habe der Gutachter bei der Ermittlung der realisierbaren Geschossflächenzahl nicht getan.
Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin geltend, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung wegen der "Notwendigkeit" zu, "die Bedarfsbewertung von Grundstücken nach § 146 Abs. 6 i.V.m. § 145 Abs. 3 BewG nach landesweit einheitlichen Grundsätzen durchzuführen". Mehrere FG hätten in näher zitierten Entscheidungen, die die §§ 145, 146 BewG beträfen, bereits die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die Vorinstanz habe zu Unrecht gefordert, bei der Bewertung eines fiktiv unbebauten Grundstücks den Einfluss der tatsächlichen Bebauung auf die rechtlich mögliche Bebauung außer Acht zu lassen. Mit dieser Forderung sei die Vorinstanz von der Entscheidung des FG Nürnberg vom 29. März 2001 IV 565/2000 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2001, 959) abgewichen, so dass die Zulassung der Revision auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich sei. Darüber hinaus rügt die Klägerin die Verfahrensmängel des § 119 Abs. 3 und 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Soweit die Klägerin geltend macht, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu, weil mehrere FG in Entscheidungen zu den §§ 145, 146 BewG die grundsätzliche Bedeutung der jeweiligen Streitsache bejaht und die Revision zugelassen hätten, ist die Beschwerde unzulässig, weil ihre Begründung insoweit nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entspricht.
a) Dies gilt zunächst dann, wenn die Beschwerde wörtlich genommen und daher so verstanden wird, dass mit ihr der Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO geltend gemacht werden soll. Zur schlüssigen Darlegung dieses Revisionszulassungsgrundes hätte nämlich gehört, eine im Interesse der Allgemeinheit klärungsbedürftige und im Streitfall auch klärungsfähige Rechtsfrage aufzuwerfen (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5. September 2002 XI B 111/99, BFH/NV 2003, 184). Diesem Erfordernis ist durch die Verweisung auf die Entscheidungen mehrerer FG zu den §§ 145, 146 BewG nicht genügt. Bei Anwendung der §§ 145, 146 BewG ergeben sich eine Vielzahl von Rechtsfragen, die aber nicht gleichermaßen in jedem Einzelfall entscheidungserheblich und damit klärungsfähig sind.
aa) So betrifft die von der Klägerin angeführte Entscheidung des FG Nürnberg vom 19. März 2002 1 K 491/98 (EFG 2002, 1572) die Rechtsfrage, ob bei der Ermittlung eines Mindestwerts nach § 146 Abs. 6 i.V.m. § 145 Abs. 3 BewG wegen extremer Übergröße des Grundstücks (5 790 qm) ein weiterer Abschlag von den Bodenrichtwerten vorzunehmen ist, und damit nicht den Einfluss der bestehenden Bebauung auf die Bewertung des Grundstücks. Dass die Klägerin wegen der Größe des Grundstücks von 1 312 qm im Rahmen eines Angriffs auf den vom FG gemäß § 146 Abs. 6 BewG festgestellten Mindestwert möglicherweise eine vergleichbare Rechtsfrage hätte aufwerfen können, ist unbeachtlich, weil sie es nicht getan hat. Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, sich aus einer Mehrzahl von möglichen Rechtsfragen selbst eine passende auszusuchen.
bb) In der von der Klägerin zitierten Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz vom 24. Juli 2001 2 K 1704/00 (EFG 2002, 118) ging es zwar u.a. auch um den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts, allerdings eines solchen nach § 146 Abs. 7 BewG. Der Nachweis sollte mit einem Gutachten des Prozessbevollmächtigten der klagenden Beteiligten, eines Wirtschaftsprüfers, geführt werden. Auch durch die Bezugnahme auf diese Entscheidung wird nicht erkennbar, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung die Klägerin im Streitfall aufwerfen will.
b) Legt man das Beschwerdevorbringen zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache dahin aus, dass die Klägerin damit eine Abweichung der Vorentscheidung von den angeführten Entscheidungen der FG geltend machen will, ist die Beschwerde ebenfalls unzulässig, weil es an der Gegenüberstellung voneinander abweichender Rechtssätze fehlt (vgl. zu diesem Erfordernis BFH-Beschluss vom 26. März 2003 III B 92/02, BFH/NV 2003, 939).
c) Soweit das weitere Vorbringen im Zusammenhang mit der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung (Nr. 1 der Beschwerdebegründung) nicht lediglich eine Rüge fehlerhafter Rechtsanwendung darstellt und ihm die Rechtsfrage entnommen werden kann, ob bei der Bewertung eines fiktiv unbebauten Grundstücks der Einfluss der tatsächlichen Bebauung auf die rechtlich mögliche Bebauung außer Acht zu lassen ist, ist die Beschwerde unbegründet. Diese Frage ist im Streitfall entweder nicht klärungsbedürftig oder nicht klärungsfähig. Die Klägerin stellt diese Rechtsfrage im Zusammenhang sowohl mit der Mindestbewertung nach § 146 Abs. 6 BewG als auch mit der Möglichkeit, gemäß Abs. 7 der Vorschrift einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen.
Im Zusammenhang mit Abs. 7 der Vorschrift ist die Frage nicht klärungsfähig, weil es sich bei dem nachzuweisenden niedrigeren gemeinen Wert im Sinne dieser Regelung um den (anteiligen) Wert des bebauten Grundstücks handelt, wie sich ohne weiteres aus dem Gesetz ergibt (vgl. Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, § 146 BewG Anm. 342; Knobel in Viskorf/Glier/Hübner/Knobel/Schuck, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, Kommentar, 2. Aufl. 2004, § 146 BewG Anm. 80) und die Klägerin einen derartigen Wert nicht nachgewiesen hat. Im Zusammenhang mit den §§ 146 Abs. 6, 145 Abs. 3 Satz 3 BewG ist die Frage nicht klärungsbedürftig, weil eine Berücksichtigung der tatsächlich vorhandenen Bebauung bei der Ermittlung des gemeinen Werts des fiktiv unbebauten Grundstücks jedenfalls über die in R 176 Abs. 2 der Erbschaftsteuer-Richtlinien (ErbStR) 2003 vorgesehenen Ausnahmen hinaus von vornherein ausscheidet (vgl. BFH-Urteil vom 8. Oktober 2003 II R 27/02, BFHE 204, 306, BStBl II 2004, 179, unter II. 2.). Angesichts der in § 146 Abs. 7 BewG geregelten Möglichkeit, einen niedrigeren gemeinen Wert des bebauten Grundstücks auch in den Fällen eines Mindestwerts gemäß § 146 Abs. 6 BewG nachzuweisen, besteht keine Notwendigkeit, diesen Mindestwert entgegen der Fiktion eines unbebauten Grundstücks über die in R 176 Abs. 2 ErbStR 2003 vorgesehenen Ausnahmen hinaus, deren Berechtigung im Streitfall dahingestellt bleiben kann, von der tatsächlich vorhandenen Bebauung wertmindernd beeinflussen zu lassen.
2. Soweit die Klägerin mit Nr. 2 ihrer Beschwerdebegründung den Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO wegen Abweichung der Vorentscheidung von der Entscheidung des FG Nürnberg in EFG 2001, 959 geltend macht, sind die Voraussetzungen aus denselben Gründen wie oben zu 1. b nicht ausreichend dargelegt (vgl. BFH-Beschluss vom 20. Dezember 2002 VII B 66/02, BFH/NV 2003, 592).
3. Auch die Verfahrensfehler sind nicht ausreichend gerügt. Soweit sowohl zur Benennung als auch zur Begründung der geltend gemachten Verfahrensfehler auf einen Schriftwechsel mit dem FG --noch dazu geführt von einem Prozessbevollmächtigten, dessen Postulationsfähigkeit gemäß § 62a FGO nicht erkennbar ist-- verwiesen wird, stellt dies keine ausreichende Beschwerdebegründung i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dar. Soweit konkret gerügt wird, das FG habe das Recht der Klägerin auf Gehör verletzt, weil es ihren damaligen Prozessbevollmächtigten daran gehindert habe, im Zusammenhang mit einer Mindestbewertung nach § 146 Abs. 6 BewG den Antrag auf Ableitung des Bodenwerts nach der Formel in R 161 Abs. 2 ErbStR 2003 so zu stellen, wie er im Schriftsatz der Klägerin vom 1. Oktober 2002 an das FG enthalten ist, ist die Beschwerde deshalb unzulässig, weil das FG diesen Schriftsatz ausweislich des zweiten Absatzes seiner Entscheidungsgründe zur Kenntnis genommen hat. Im Übrigen übersieht die Klägerin, dass in R 161 ErbStR 2003 unter einer von der Geschossflächenzahl des Bodenrichtwertgrundstücks abweichenden Geschossflächenzahl nicht die tatsächlich auf dem Grundstück verwirklichte Geschossflächenzahl zu verstehen ist, sondern die rechtlich mögliche, falls das Grundstück noch unbebaut wäre.
Ein im Zeitpunkt der Verkündung noch nicht vollständig abgefasstes Urteil ist erst dann nicht mit Gründen i.S. des § 119 Nr. 6 FGO versehen, wenn es nicht binnen fünf Monaten schriftlich niedergelegt und unterschrieben der Geschäftsstelle übergeben worden ist (so Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27. April 1993 GmS-OGB 1/92, Neue Juristische Wochenschrift 1993, 2603).
Fundstellen
Haufe-Index 1248963 |
BFH/NV 2005, 16 |