Leitsatz (amtlich)
Der Steuerpflichtige verschuldet die Versäumung der Revisionsfrist, wenn er es unterläßt, seinen Anwalt, dessen ablehnende Rechtsauffassung ihm bekannt ist, unmißverständlich mit der Einlegung der Revision zu beauftragen.
Normenkette
FGO § 56
Tatbestand
Das Urteil des FG war den Prozeßbevollmächtigten des Steuerpflichtigen, Rechtsanwälten Dr. T. u. a. , am 28. Januar 1971 zugestellt worden. Am 1. Februar 1971 übersandte Rechtsanwalt Dr. T. dem Steuerpflichtigen und dessen Steuerbevollmächtigtem M. je ein Urteilsexemplar. In dem Begleitschreiben wies er darauf hin, daß eine Revision bis zum 28. Februar 1971 eingelegt werden müsse. Er rate jedoch von einer Revision ab. Zugleich reichte er dem Steuerpflichtigen die von diesem überlassenen Unterlagen zurück.
Am 18. Februar 1971 wies Rechtsanwalt Dr. T. nochmals vorsorglich auf den Ablauf der Rechtsmittelfrist hin. Das Schreiben schloß mit den Worten: "Wenn ich bis zum 27. Februar 1971 nichts Gegenteiliges von Ihnen höre, gehe ich deshalb davon aus, daß Revision nicht eingelegt werden soll."
Nach einer von Rechtsanwalt Dr. T. dem Senat vorgelegten eidesstattlichen Versicherung erhielt der Anwalt am 19. oder 22. Februar 1971 einen Anruf des Steuerbevollmächtigten M., demzufolge der Steuerpflichtige Revision einlegen wolle. Dr. T. habe sofort bei dem Steuerpflichtigen angerufen.
Zu Beginn des Gespräches habe der Steuerpflichtige erklärt, er wolle in jedem Falle Revision einlegen, Dr. T. habe erneut darauf hingewiesen, daß die Erfolgsaussicht äußerst gering sei. Er habe dies sodann eingehend begründet. Der Steuerpflichtige habe nun festgestellt, daß ihm das FG-Urteil nicht vorliege. Dr. T. habe versprochen, ihm sofort nochmals ein Exemplar zu übersenden, das er daraufhin durchzulesen bitte. Er habe hinzugefügt, daß, falls der Steuerpflichtige nach Durchsicht des Urteils doch Revision einlegen wolle, vor dieser Einlegung nochmals ein Gespräch über diese Frage stattfinden solle, um das auch der Steuerbevollmächtigte M. gebeten habe. Der Steuerpflichtige möge ihn anrufen, wenn er die Einlegung des Rechtsmittels wünsche und dazu diese Besprechung führen wolle. Er, Dr. T., habe noch am selben Abend dem Steuerpflichtigen ein neues Exemplar des Urteils übersandt.
Rechtsanwalt Dr. T. führte in einer dem Senat eingereichten eidesstattlichen Versicherung aus:
"Ich habe aus jenem Telefongespräch den sicheren Eindruck gewonnen, daß zwischen dem Kläger und mir Einverständnis darüber bestand, daß der Kläger mich benachrichtigen würde, falls er die Revision einlegen wolle. Daß ich mithin - wie in meinem Schreiben vom 18. Februar 1971 ausgeführt - Revision nicht einlegen würde, falls der Kläger mich nicht doch noch beauftragen werde. Ich habe daher den Auftrag zur Revisionseinlegung nicht als erteilt angesehen. Ich habe deshalb die Revision auch nicht eingelegt, nachdem ich von dem Kläger keine entsprechende Nachricht mehr erhielt.
Der Kläger dagegen hat seine Erklärung zu Beginn des ersten Telefongesprächs so verstanden, daß auf jeden Fall Revision eingelegt werden solle, unabhängig davon, welches Ergebnis die Durchsicht des Urteils und ein etwaiges neues Gespräch haben werde. Der Kläger ist deshalb nach jenem Gespräch als sicher davon ausgegangen, daß ich auf jeden Fall Revision einlegen würde."
In seinem am 22. März 1971 beim BFH eingegangenen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand läßt der Steuerpflichtige durch seinen Bevollmächtigten Rechtsanwalt Dr. T. ausführen, er sei auf Grund des dargestellten Sachverhalts an der fristgerechten Einlegung der Revision dadurch verhindert gewesen, daß zwischen ihm und Dr. T. ein beiderseits unverschuldetes Mißverständnis über die Beauftragung zur Einlegung der Revision entstanden sei.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist unzulässig, da sie verspätet eingelegt wurde und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO nicht gewährt werden kann.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt voraus, daß jemand ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO). Im vorliegenden Falle beruhte die Fristversäumnis nicht auf einem Verschulden des Bevollmächtigten, welches nach allgemeinen Grundsätzen (§ 155 FGO in Verbindung mit § 232 Abs. 2 ZPO; vgl. § 86 Abs. 1 Satz 2 AO; BFH-Beschluß VI R 155/66 vom 27. Januar 1967, BFH 88, 106, BStBl III 1967, 290) dem Steuerpflichtigen zuzurechnen wäre, sondern auf einem eigenen Verschulden des Steuerpflichtigen.
a) Eine Verletzung der Sorgfaltspflicht des Anwalts ist nicht erkennbar. Nach den Darlegungen des Rechtsanwalts Dr. T. in seiner eidesstattlichen Erklärung über den Verlauf des letzten Telefongespräches, deren Richtigkeit der Steuerpflichtige nicht in Abrede gestellt hat und die anzuzweifeln der Senat keinen Anlaß sieht, konnte Dr. T. davon ausgehen, daß der Steuerpflichtige ihn benachrichtigen werde, falls er an seinem ursprünglichen Entschluß festhalten sollte. Daher lag auch keine Verletzung der Sorgfaltspflicht darin, daß der Anwalt sich vor dem Ablauf der Frist nicht mehr bei dem Steuerpflichtigen erkundigte, zu welchem Entschluß dieser inzwischen gelangt sei.
b) Zu den Sorgfaltspflichten einer Prozeßpartei, die durch einen Anwalt vertreten ist oder sich von ihm vertreten lassen will, gehört es, durch klare Weisungen sicherzustellen, daß die beabsichtigten Prozeßhandlungen vorgenommen, vor allem Rechtsmittelfristen eingehalten werden (vgl. Beschlüsse des BGH VII ZB 17/67 vom 16. November 1967, Versicherungsrecht 1968 S. 74, StRK, Finanzgerichtsordnung, § 56, Rechtsspruch 46 - nur Leitsatz -; VII B 21/69 vom 29. September 1969, Versicherungsrecht 1969 S. 1093, StRK, Finanzgerichtsordnung, § 56, Rechtsspruch 108 - nur Leitsatz -). Von einem Prozeßführenden muß erwartet werden, daß er sich - vor allem wenn Fristablauf droht - Gewißheit darüber verschafft, in welcher Weise er mit Sicherheit eine Rechtsmittelfrist wahren kann und muß (vgl. BFH-Beschluß II R 121/70 vom 17. November 1970, BFH 100, 490, BStBl II 1971, 143).
Nachdem Rechtsanwalt Dr. T. am Schluß des zuletzt geführten Telefongespräches zum Ausdruck gebracht hatte, daß er ohne besondere Benachrichtigung keine Revision einlegen werde, konnte der Steuerpflichtige nicht mehr davon ausgehen, daß sein Anwalt sich an die zu Beginn des Telefonats geäußerte Erklärung gebunden sehe, er, der Steuerpflichtige, wolle in jedem Falle Revision einlegen. Er mußte erkennen, daß Dr. T. sich nicht als beauftragt betrachte. Der Steuerpflichtige hätte sich deshalb, nachdem er entsprechend der Ankündigung des Anwalts wenige Tage nach dem Telefongespräch in den Besitz eines neuen Exemplars des Urteils des FG gelangt war, bei Dr. T. vergewissern müssen, ob dieser nun - entgegen dessen mehrfachen bestimmten Äußerungen - das Rechtsmittel einlegen werde. Das Mißverständnis beruhte somit darauf, daß sich der Steuerpflichtige bei dem entscheidenden Telefongespräch nicht klar genug dahin ausgedrückt hat, er wolle entgegen dem Rat seines Anwalts und ohne den Inhalt des Urteils des FG zu prüfen, Revision einlegen. Tatsachen, die die Annahme einer anderen Ursache für das Mißverständnis rechtfertigen könnten, hat der Steuerpflichtige nicht vorgetragen, viel weniger glaubhaft gemacht.
Fundstellen
Haufe-Index 69620 |
BStBl II 1972, 91 |
BFHE 1972, 307 |