Leitsatz (amtlich)

Das Verfahren der Vorabentscheidung vor dem EGH gemäß Art. 177 EWGV bildet kostenrechtlich einen Abschnitt des Ausgangsverfahrens vor dem nationalen Gericht. Ein besonderer Streitwert für das Verfahren vor dem EGH ist deshalb nur in Fällen festzusetzen, in denen die dem EGH zur Entscheidung vorgelegte Rechtsfrage lediglich für einen Teil des Streitgegenstandes des Ausgangsverfahrens Bedeutung hat.

 

Normenkette

FGO § 140 Abs. 3; EWGV Art. 177

 

Tatbestand

In dem von den Parteien geführten, nunmehr in der Revisionsinstanz anhängigen Rechtsstreit ficht die Klägerin die Erhebung von Umsatzausgleichsteuer für von ihr aus Luxemburg eingeführtes Milchpulver an. Das FG hatte gemäß Art. 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EGH) zur Auslegung des Art. 95 EWGV eingeholt. Darin führte der EGH u. a. aus, daß für die Parteien des vor dem FG anhängigen Rechtsstreits das Verfahren vor dem EGH den Charakter eines Zwischenstreits habe, die Kostenentscheidung daher dem FG obliege. Das FG gab der Klage statt und erlegte der beklagten Behörde die Kosten des Verfahrens auf.

Die Klägerin beantragte die Festsetzung der zu erstattenden Gebühren und Auslagen des Anwalts, und zwar nach einem Streitwert von 1 324 DM für das Verfahren vor dem FG und nach einem Streitwert von 2 500 000 DM für das Verfahren vor dem EGH, wobei sie zu prüfen bat, ob hierfür als Streitwert nicht der Höchstwert nach § 113 BRAGebO von 5 000 000 DM anzusetzen sei.

Das FG setzte daraufhin den Streitwert für das finanzgerichtliche Verfahren auf 1 324 DM und für das Verfahren vor dem EGH auf 500 000 DM fest. Die Festsetzung eines besonderen Streitwerts für das Verfahren vor dem EGH begründete das Gericht aus der für Verfahren vor den Verfassungsgerichten des Bundes und der Länder vorgesehenen Regelung des § 113 BRAGebO, welche es auch auf Zwischenstreite vor dem EGH über die Gültigkeit einer Rechtsnorm für anwendbar hält. Bei der Bemessung des Streitwerts habe es berücksichtigt, daß es sich um die Entscheidung einer nicht einfachen Rechtsfrage gehandelt habe, welche auch erhebliche Auswirkungen besitze.

Gegen diese Streitwertfestsetzung legten sowohl das Hauptzollamt (HZA) als auch die Steuerpflichtige Beschwerde ein.

Das beklagte HZA hält die Vorschrift des § 113 Abs. 2 BRAGebO für auf den Streitfall nicht anwendbar, da diese Norm eng ausgelegt werden müsse und das Verfahren der Vorlage an den EGH in entscheidenden Punkten vom Verfahren der Vorlage an das BVerfG abweiche. U. a. macht es geltend, daß die Entscheidungen des EGH nur für den einzelnen Fall bindend seien. Der mangels einer Gebührenregelung für das Verfahren vor dem EGH eingreifende § 2 BRAGebO führe zur sinngemäßen Anwendung des § 8 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 114 BRAGebO. Danach sei der Gegenstandswert nach billigem Ermessen zu bestimmen und könne entsprechend dem vermögensrechtlichen Interesse der Klägerin an der von ihr begehrten Entscheidung nicht höher als 1 324 DM sein.

Der Beklagte beantragt, für das Verfahren vor dem EGH den für das finanzgerichtliche Verfahren maßgebenden Streitwert in Höhe von 1 324 DM festzusetzen.

Die Klägerin erstrebt die Festsetzung eines höheren Streitwerts für das Verfahren vor dem EGH.

Nach ihrer Ansicht handelt es sich bei § 113 BRAGebO nicht um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift. Die Parallelen zwischen dem Verfahren vor dem EGH und den in der genannten Norm geregelten Verfahren vor den Verfassungsgerichten lägen auf der Hand. Beide Gerichte hätten über die Auslegung und Gültigkeit von Rechtsnormen zu entscheiden. Auch komme den Entscheidungen des EGH de facto eine generelle und weit über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu, weshalb sie in ihrer Wirkung einer Entscheidung des BVerfG nach § 31 Abs. 2 BVerfGG entsprächen.

Die Ähnlichkeit der Verfahren vor den beiden Gerichten würde besonders deutlich, wenn man Art. 100 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) mitberücksichtige. Danach habe das BVerfG darüber zu entscheiden, ob eine Regel des Völkerrechts unmittelbare Rechte und Pflichten für den einzelnen erzeugen könne, und gerade um eine derartige Frage sei es auch im Verfahren vor dem EGH gegangen. Beiden Gerichten sei die Aufgabe der abstrakten Normeninterpretation zugewiesen.

Zur Höhe des Streitwerts macht die Klägerin geltend, daß die vom EGH in seiner Vorabentscheidung aufgestellten Grundsätze sicherlich für mehr als 50 000 000 DM von Bedeutung seien. Der Gegenstand müßte deshalb höher als 500 000 DM sein.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Beschwerde des Beklagten hat Erfolg.

Für die Festsetzung des Streitwerts war das FG auch insoweit zuständig, als es um das Verfahren der Vorabentscheidung durch den EGH geht. Allerdings entscheidet dieser Gerichtshof gemäß Art. 35 seiner Satzung und Art. 69 § 1 seiner Verfahrensordnung selbst über die Kosten der vor ihm durchgeführten Verfahren. Gemäß Art. 74 § 1 der Verfahrensordnung ist er ferner für Streitigkeiten über die erstattungsfähigen Kosten der Parteien zuständig. Das bedeutet, daß im Falle des Art. 177 EWGV das vorlegende nationale Gericht nur dann eine den Kostenpunkt betreffende Entscheidung treffen kann, wenn das genannte Verfahren vor dem EGH hinsichtlich der Kosten kein selbständiges Verfahren bildet, sondern zu dem vor dem nationalen Gericht schwebenden Ausgangsverfahren gehört.

Das ist der Fall. Das Verfahren der Vorabentscheidung über Gültigkeit und Auslegung von Normen des europäischen Rechts erwächst aus dem vor dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit. Es wird nicht durch Prozeßhandlungen der Parteien, sondern durch einen Beschluß des nationalen Gerichts eröffnet. Sein Gegenstand stimmt mit dem des Ausgangsverfahrens überein, wobei sich die Verhandlung und Entscheidung vor dem EGH auf einzelne für die Entscheidung des nationalen Gerichts erhebliche Rechtsfragen beschränkt.

Von der sich daraus ergebenden kostenrechtlichen Einheit beider Verfahren geht auch der EGH aus, wenn er in seinem im Streitfall erlassenen Urteil vom ... ausführt, daß das vor ihm durchgeführte Verfahren für die Parteien des vor dem FG anhängigen Rechtsstreits den Charakter eines Zwischenstreits habe und deshalb diesem Gericht die Entscheidung über die Kosten obliege. Die Auffassung des Senats steht ferner in Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG zur konkreten Normenkontrolle gemäß Art. 100 Abs. 1 GG, wonach auch dieses Verfahren kostenrechtlich als Abschnitt des Ausgangsverfahrens gesehen werden muß (BVerfG-Urteil 1 BvL 126/52 vom 23. Juli 1957, BVerfGE 7, 87 [88]).

Bildet aber das Verfahren vor dem EGH kostenrechtlich einen Teil des vor dem nationalen Gericht anhängigen Steuerrechtsstreits, so gilt der dafür festgesetzte Streitwert in der Regel zugleich für das Verfahren vor dem EGH. Ein besonderer - niedrigerer - Streitwert ist dafür nur ausnahmsweise in den Fällen festzusetzen, in denen die vom EGH entschiedene Rechtsfrage lediglich für einen abtrennbaren Teil des Streitgegenstandes des finanzgerichtlichen Verfahrens von Bedeutung ist. Dies trifft auf den Streitfall nicht zu.

Demgegenüber läßt sich aus §§ 2, 113 BRAGebO nichts für eine gesonderte Streitwertfestsetzung für das genannte Verfahren vor dem EGH herleiten. Eine sinngemäße Anwendung von Vorschriften der BRAGebO kommt nach deren § 2 nur in Betracht, soweit über die Gebühren für eine Berufstätigkeit des Rechtsanwalts nichts bestimmt ist. Der für die Gebühren eines Rechtsanwalts maßgebende Gegenstandswert ist aber für die Verfahren vor den Steuergerichten in §§ 8, 9 BRAGebO geregelt und gilt, wie ausgeführt, auch für das Zwischenverfahren vor dem EGH.

Weist demnach in diesem Punkt die gesetzliche Regelung der Anwaltsgebühren keine Lücke auf, so scheidet eine sinngemäße Anwendung des § 113 BRAGebO aus. Sie kommt aber auch deshalb nicht in Betracht, weil für das Verfahren der konkreten Normenkontrolle gemäß Art. 100 Abs. 1 GG, dem einzigen Verfahren vor dem BVerfG, mit welchem das Vorlageverfahren nach Art. 177 EWGV allenfalls verglichen werden könnte, ebenfalls kein besonderer Streitwert festzusetzen ist. Art. 113 BRAGebO enthält nämlich nach seinem Sinn und Zweck keine Regelung darüber, für welche Verfahren vor dem BVerfG ein eigener Streitwert festzusetzen ist, sondern bietet nur für diejenigen Fälle, in denen sich die Notwendigkeit der Streitwertfestsetzung für ein solches Verfahren ergibt, einen besonderen von den sonstigen Vorschriften abweichenden Maßstab. Wo dagegen das Verfahren vor dem BVerfG kostenrechtlich lediglich einen Abschnitt eines anderen Verfahrens bildet - wie dies bei der konkreten Normenkontrolle der Fall ist (vgl. die o. a. Entscheidung des BVerfG) - wird durch die genannte Vorschrift nicht die Möglichkeit eröffnet, für diesen Verfahrensabschnitt einen besonderen, von dem Ausgangsverfahren abweichenden Streitwert festzusetzen.

Da sonach im Streitfall für das Verfahren vor dem EGH kein besonderer Streitwert festzusetzen war, war entsprechend dem Antrag des HZA der Beschluß des FG dahin abzuändern, daß der für das Verfahren vor dem FG festgesetzte Streitwert von 1 324 DM auch für das Verfahren vor dem EGH maßgebend ist. Zugleich erweist sich damit die Beschwerde der Steuerpflichtigen als unbegründet.

 

Fundstellen

Haufe-Index 68238

BStBl II 1969, 83

BFHE 1969, 49

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