Entscheidungsstichwort (Thema)
Besorgnis der Befangenheit wegen Prozessleitung durch FG-Richter
Leitsatz (NV)
- Die Besorgnis der Befangenheit gegenüber einem Richter des FG ist nur dann begründet, wenn ein Verfahrensbeteiligter einen vernünftigen Grund zu der Annahme hat, dass der Richter aus persönlichen Gründen den Rechtsstreit nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Spannungen zwischen dem Richter und dem Prozessbevollmächtigten eines Beteiligten reichen hierfür nur dann aus, wenn die Besorgnis begründet ist, dass diese Spannungen sich im konkreten Fall zum Nachteil des Beteiligten auswirken können.
- Wer einen Richter als befangen ablehnt, muss die die Ablehnung tragenden Gründe substantiiert darlegen und glaubhaft machen.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1 S. 1; ZPO § 42 Abs. 2
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) den zuständigen Einzelrichter des Finanzgerichts (FG) zu Recht wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hat.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) erließ gegenüber der Klägerin für das Streitjahr (1996) u.a. einen Körperschaftsteuerbescheid, einen Bescheid zur Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes und einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer. Dabei hatte er jeweils die Besteuerungsgrundlagen geschätzt, nachdem zuvor Steuererklärungen nicht abgegeben worden waren. Die Klägerin erhob nach erfolglosen Einspruchsverfahren gegen diese Bescheide Klage, wobei sie durch ihren Prozessbevollmächtigten vertreten wurde.
Im Verlauf des Klageverfahrens lehnte die Klägerin den ursprünglich zuständigen Berichterstatter, Richter am FG X, mit Erfolg wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Daraufhin übertrug der Senat des FG den Rechtsstreit dem geschäftsplanmäßigen Vertreter des Richters am FG X, Richter am FG Y, als Einzelrichter. Dieser beraumte mit Schreiben vom 13. April 1999 eine mündliche Verhandlung auf den 18. Mai 1999 an und setzte der Klägerin mit Schreiben vom selben Tage eine Frist von zwei Wochen zur Vorlage der Steuererklärungen.
Wenige Tage vor dem anberaumten Termin reichte die Klägerin beim FG nicht unterschriebene Kopien von Steuererklärungen sowie eine Kopie des Jahresabschlusses für das Streitjahr ein, wobei sie angab, die Unterlagen würden nach Unterschriftsleistung "parallel hierzu" dem FA zugestellt. Zugleich beantragte sie eine Aussetzung der Vollziehung (AdV) der angefochtenen Bescheide.
In der mündlichen Verhandlung vor dem FG überreichte die Klägerin unterschriebene Steuererklärungen sowie den Jahresabschluss für das Streitjahr. Die Sitzungsvertreterin des FA erklärte hierzu, sie sei nicht imstande, sogleich zu den vorgelegten Unterlagen Stellung zu nehmen. Zudem sei die Klage mangels rechtzeitiger Bezeichnung des Streitgegenstandes unzulässig. Richter am FG Y wies darauf hin, dass es seiner Ansicht nach hinsichtlich der ebenfalls angefochtenen Feststellung nach § 47 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) an einer Beschwer der Klägerin fehle. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung wurden der Rechtsstreit wegen Feststellung nach § 47 Abs. 1 KStG abgetrennt und die Klage insoweit abgewiesen. Das übrige Verfahren wurde vertagt; außerdem wurde der Klägerin in diesem Verfahren eine Verzögerungsgebühr auferlegt.
Das FA änderte im weiteren Verlauf die angefochtenen Bescheide und erklärte den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Auf die Anfrage hin, ob sie ebenfalls eine Erledigungserklärung abgebe, lehnte die Klägerin Richter am FG Y wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Der Senat des FG wies den Ablehnungsantrag zurück. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vorliegend zu beurteilenden Beschwerde.
Sie bringt im Wesentlichen vor, ihr Prozessbevollmächtigter habe in anderen Verfahren sowohl Richter am FG X als auch den Senatsvorsitzenden als befangen abgelehnt. Einige Ablehnungsgesuche seien erfolgreich gewesen. Der Senat habe daraufhin die "Technik" entwickelt, unabhängig von den Voraussetzungen des § 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) alle Verfahren auf Richter am FG Y als Einzelrichter zu übertragen, in denen der Prozessbevollmächtigte tätig werde. Dieses unsachliche Vorgehen werde vom Richter am FG Y mitgetragen, weshalb dieser ebenfalls als befangen anzusehen sei. Zudem habe Richter am FG Y durch die im Streitfall getroffenen Entscheidungen den Eindruck erweckt, den Prozessbevollmächtigten gegenüber der Klägerin in Misskredit bringen zu wollen. Ähnliches sei in anderen Verfahren geschehen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat das Befangenheitsgesuch zu Recht abgelehnt:
1. Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Das ist der Fall, wenn ein Verfahrensbeteiligter bei Würdigung aller Umstände einen vernünftigen und bei objektiver Betrachtung anzuerkennenden Grund zu der Annahme hat, der Richter werde aus einer in seiner Person liegenden individuellen Ursache heraus nicht unvoreingenommen entscheiden (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 23. September 1999 VI B 397/98, BFH/NV 2000, 337; vom 14. Oktober 1999 IV B 72/99, BFH/NV 2000, 459; vom 10. März 2000 I B 52/99, BFH/NV 2000, 1114, m.w.N.). Eine solche Situation kann auch dadurch verursacht sein, dass der Richter zwar nicht zu dem Beteiligten, wohl aber zu dessen Prozessbevollmächtigtem ein gespanntes Verhältnis hat; ein solches rechtfertigt jedoch nur dann eine Ablehnung, wenn die Besorgnis begründet ist, dass es sich im konkreten Fall zu Ungunsten des Beteiligten ausgewirkt haben könnte (BFH-Beschlüsse vom 31. Januar 1991 VI B 128/90, BFH/NV 1991, 696; vom 22. Mai 1991 IV B 48/90, BFH/NV 1992, 395). Derjenige Beteiligte, der einen Richter als befangen ablehnt, muss die die Ablehnung tragenden Gründe substantiiert darlegen und erforderlichenfalls glaubhaft machen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 51 Rz. 51, m.w.N.).
2. Im Streitfall sind die von der Klägerin vorgebrachten Umstände bei verständiger Betrachtung nicht geeignet, die Besorgnis zu rechtfertigen, dass Richter am FG Y sich bei der Bearbeitung des Rechtsstreits von sachfremden Erwägungen habe leiten lassen:
a) Das gilt zunächst für den Umstand, dass Richter am FG Y auf denselben Tag wie den Streitfall mehrere weitere Verfahren verhandelt hat, in denen ebenfalls der Prozessbevollmächtigte der Klägerin tätig war. Es bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass dies u.a. deshalb geschehen sei, um dem Bevollmächtigten ―wie die Klägerin meint― gebündelt Formfehler vorhalten zu können. Vielmehr ergibt sich aus der dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters, dass die zusammenhängende Terminierung der betreffenden Sachen vor allem mit der gleichzeitigen Entscheidungsreife der Verfahren zusammen hing. Zudem hat das FG in dem angefochtenen Beschluss zu Recht darauf hingewiesen, dass eine solche Vorgehensweise nicht zuletzt dem Interesse des Bevollmächtigten diene.
b) Ebenso ist eine Besorgnis der Befangenheit nicht deshalb gerechtfertigt, weil der abgelehnte Richter am 18. Mai 1999 die Klage gegen den Feststellungsbescheid gemäß § 47 Abs. 1 KStG abgewiesen und das Verfahren wegen der übrigen Streitgegenstände ―dem Hilfsantrag der Klägerin entsprechend― vertagt hat. Diese Handhabung war vielmehr erkennbar dadurch veranlasst, dass der Rechtsstreit wegen des Feststellungsbescheids entscheidungsreif war, während die Rechtmäßigkeit der weiteren angefochtenen Bescheide unter Berücksichtigung der abgegebenen Steuererklärungen überprüft werden musste. Die Überprüfung unmittelbar in der mündlichen Verhandlung vorzunehmen, wäre nicht nur unwirtschaftlich, sondern auch mit der Gefahr einer Fehlbeurteilung verbunden gewesen. Es ist sachgerecht und zeugt nicht von einer Voreingenommenheit des Gerichts gegenüber einem Verfahrensbeteiligten, wenn in einer solchen Situation das Verfahren wegen der noch prüfungsbedürftigen Bescheide vertagt, über den entscheidungsreifen Teil der Klage hingegen sogleich entschieden und zu diesem Zweck ein Teil des Klageverfahrens abgetrennt wird. Der gegenteiligen Darlegung der Klägerin vermag der Senat umso weniger zu folgen, als ausweislich des Sitzungsprotokolls des FG der abgelehnte Richter den aus seiner Sicht maßgeblichen Gesichtspunkt ―fehlende Beschwer der Klägerin durch den Feststellungsbescheid― in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich angesprochen hatte.
c) Der Hinweis der Klägerin, dass das am 18. Mai 1999 ergangene Urteil sowie der Beschluss über die Verzögerungsgebühr ihr selbst zugestellt worden seien, vermag eine Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters ebenfalls nicht zu begründen. Zum einen ist die Zustellung der Entscheidungen durch die Geschäftsstelle des FG veranlasst worden; für den Senat ist nicht erkennbar, dass Richter am FG Y überhaupt Einfluss auf diese Maßnahme genommen hat. Zum anderen ist die Zustellung unmittelbar an die Klägerin für diese unter keinem denkbaren Gesichtspunkt nachteilig, weshalb eine der Klägerin ungünstige Gesinnung des Gerichts hieraus nicht abgeleitet werden kann. Ergänzend wird zu diesem Punkt auf die Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss verwiesen.
d) Mit ihrer Rüge, dass ihr Antrag auf AdV nicht bearbeitet worden sei, weist die Klägerin zwar auf einen Fehler bei der Sachbehandlung durch des FG hin. Dieses hat jedoch in dem angefochtenen Beschluss mit zutreffenden Gründen ausgeführt, dass hieraus nicht auf eine Befangenheit des abgelehnten Richters geschlossen werden könne.
e) Soweit die Klägerin sich auf das Verhalten des abgelehnten Richters in anderen Verfahren beruft, kann sie hiermit ebenfalls keinen Erfolg haben. Denn zum einen sind alle in jenen Verfahren gestellten Befangenheitsanträge inzwischen rechtskräftig abgelehnt worden; das gilt auch für den von der Klägerin hervorgehobenen Rechtsstreit, in dem der Senat mit Beschluss vom 15. März 2000 I B 56/99 (nicht veröffentlicht) die Beschwerden der Klägerin gegen den Beschluss des FG zurückgewiesen hat. Zum anderen betrafen die weiteren Verfahren nicht die Klägerin, und es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass eine dort zum Ausdruck gekommene Voreingenommenheit des Richters am FG Y sich auch in dem hier zu beurteilenden Rechtsstreit auswirken könnte.
f) Unerheblich ist schließlich der Vortrag der Klägerin dazu, dass der betreffende Senat des FG die von ihrem Prozessbevollmächtigten betreuten Verfahren aus sachfremden Gründen generell auf den Einzelrichter übertrage (§ 6 FGO). Denn selbst wenn diese Darstellung in der Sache zuträfe, könnten hieraus in Bezug auf den abgelehnten Richter schon deshalb keine Schlüsse gezogen werden, weil dessen Abstimmungsverhalten bei den betreffenden Entscheidungen nicht bekannt ist und wegen des Beratungsgeheimnisses (§ 43 des Deutschen Richtergesetzes) auch nicht aufgeklärt werden kann. Die Annahme der Klägerin, dass Richter am FG Y die ihrer Ansicht nach rechtswidrige Übertragungspraxis des FG-Senats "mittrage", ist rein spekulativ und kann kein Anknüpfungspunkt für eine Besorgnis der Befangenheit dieses Richters sein.
Fundstellen
Haufe-Index 547065 |
BFH/NV 2001, 625 |