Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Anordnung: Einstellung der Zwangsvollstreckung - Anordnungsgrund
Leitsatz (NV)
Ein Anordnungsgrund für eine Regelungsanordnung nach § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO i. V. m. § 258 AO 1977 (einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung) kann nur gegeben sein, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Antragstellers durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht ist.
Normenkette
FGO § 114 Abs. 1 S. 2, Abs. 3, § 138 Abs. 1; ZPO § 920 Abs. 2; AO 1977 § 258
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) beantragte beim Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -), ihr für ihre rückständige Lohn- und Kirchensteuer Juni bis August 1988 und die rückständigen Umsatzsteuervorauszahlungen März bis Juni 1988 eine Verrechnungsstundung zu gewähren. Sie berief sich auf Abtretungsanzeigen des B und der Eheleute S, nach denen ihr die Einkommensteuer- und Umsatzsteuererstattungsansprüche 1987 und 1988 des B und der Einkommensteuererstattungsanspruch 1986 der Eheleute S abgetreten worden waren. Das FA lehnte die beantragte Stundung der Steuerrückstände ab. Über die dagegen eingelegte Beschwerde hat die zuständige Oberfinanzdirektion (OFD) noch nicht entschieden.
Beim Finanzgericht (FG) beantragte die Antragstellerin ferner, im Wege der einstweiligen Anordnung das FA zu verpflichten, von Vollstreckungsmaßnahmen Abstand zu nehmen bis durch die OFD bzw. das FG geklärt sei, ob sie Anspruch auf eine Verrechnungsstundung habe. Das FG lehnte den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ab.
Es führte aus, die Antragstellerin habe weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund i. S. des § 114 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) komme nur dann in Betracht, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen bedroht sei. Derartige Gründe seien im Streitfall nicht ersichtlich. Die Antragstellerin habe nicht vorgetragen, daß eine Vollstreckung wegen der streitbefangenen Steuerrückstände zur Vernichtung ihrer Existenz führe. Mit ihrem Vorbringen, es sei ihr nicht zuzumuten, die Steuern zu entrichten, während über die eingelegten Rechtsmittel noch nicht entschieden sei, mache sie keine Gründe geltend, die über die Nachteile hinausgingen, die im Regelfall bei einer Vollstreckung zu erwarten seien.
Die Berufung auf die Verrechnungsstundung begründe auch keinen Anordnungsanspruch. Eine solche Stundung komme nur dann in Betracht, wenn der zu zahlende Betrag alsbald zu erstatten sei. Das habe die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Damit fehle es auch an der schlüssigen Darlegung eines Anspruchs auf Vollstreckungsschutz nach § 258 der Abgabenordnung (AO 1977).
Die Antragstellerin hat gegen die Entscheidung des FG Beschwerde eingelegt.
Während des Beschwerdeverfahrens hat das FA die abgetretenen Erstattungsansprüche des B freigegeben und antragsgemäß auf die Steuerrückstände der Antragstellerin umgebucht. Gegen den Erstattungsanspruch aus der zwischenzeitlich durchgeführten Einkommensteuerveranlagung 1986 der Eheleute S hat das FA gemäß § 226 Abs. 1 AO 1977 i. V. m. § 406 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) die Aufrechnung mit rückständiger Einkommensteuer der Eheleute S für 1982 erklärt und den abgetretenen Erstattungsanspruch auf diese Steuerrückstände der Zedenten umgebucht. Zur Sicherung seiner Steueransprüche gegen die Antragstellerin hat das FA deren Konten gepfändet. Die Kontenpfändungen wurden hinsichtlich bestimmter Teilbeträge zurückgenommen und auf die noch bestehenden Restschulden beschränkt. Am . . . hat die Antragstellerin die Steuerrückstände beglichen.
Mit der Beschwerde hielt die Antragstellerin daran fest, daß ihr ein Anspruch auf Stundung und damit ein Anordnungsanspruch im vorliegenden Verfahren zustehe, da die von ihr zu zahlenden Steuern im Hinblick auf die Abtretung von zur Verrechnung geeigneten Erstattungsansprüchen alsbald wieder zu erstatten seien. Sie habe deshalb einen Anspruch auf Vollstreckungsschutz nach § 258 AO 1977.
Das FA habe gegen den an sie abgetretenen Einkommensteuererstattungsanspruch 1986 der Eheleute S zu Unrecht aufgerechnet. Eine Aufrechnung wäre gemäß § 406 BGB nur möglich gewesen, wenn ihm vor Bekanntwerden der Abtretungsanzeige auch bekannt gewesen wäre, daß es für das Kalenderjahr 1982 von diesen Steuerpflichtigen noch Steuern nachfordern konnte. Das sei aber nicht der Fall gewesen, da der berichtigte Einkommensteuerbescheid 1982 gegenüber den Eheleuten S erst am . . . aufgrund eines zum selben Zeitpunkt ergangenen Grundlagenbescheids über deren Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung ergangen sei.
Es liege auch ein Anordnungsgrund i. S. des § 114 FGO vor. Die Pfändung der Geschäftskonten führe dazu, daß ihr Geschäftsbetrieb lahmgelegt und Kreditmöglichkeiten verwirkt würden. Die Vollstreckung führe damit zu Nachteilen, die über die Folgen einer Steuerzahlung hinausgingen.
Die Antragstellerin beantragte zunächst, unter Aufhebung der Vorentscheidung ihr im Wege der einstweiligen Anordnung Vollstreckungsschutz in Höhe der zur Aufrechnung geeigneten Beträge zu gewähren und die bereits durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen (Pfändungen) aufzuheben. Nachdem die Antragstellerin die rückständigen Steuerschulden beglichen hat, haben die Beteiligten die Beschwerde in der Hauptsache für erledigt erklärt und widerstreitende Kostenanträge gestellt.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat, nachdem die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, nur noch über die Auferlegung der Kosten zu entscheiden. Die Kostenentscheidung ist nach § 138 Abs. 1 FGO zu treffen. Nach dieser Vorschrift hat das Gericht nach billigem Ermessen über die Auferlegung der Kosten zu entscheiden, wobei der bisherige Sach- und Streitstand zu berücksichtigen ist. Hierbei ist der mutmaßliche Ausgang des Verfahrens ohne das erledigende Ereignis zu berücksichtigen; im Rahmen der Billigkeitsentscheidung können auch Erwägungen darüber angestellt werden, ob bei vernünftiger Abwägung der Verhältnisse ein Anlaß zur Anrufung des Gerichts (Veranlassungsprinzip) gegeben war (vgl. Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 138 FGO Tz. 57). Der Senat hält es unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte für angemessen, der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, da deren Beschwerde gegen die Ablehnung der beantragten einstweiligen Anordnung vermutlich ohne Erfolg geblieben wäre.
Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, daß ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden (§ 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Als Anordnungsanspruch kommt der Anspruch auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 258 AO 1977 im Hinblick auf die von der Antragstellerin beanspruchte Verrechnungsstundung (§ 222 AO 1977) in Betracht. Der Senat kann unentschieden lassen, ob der Antragstellerin wegen der Möglichkeit einer Verrechnung ihrer Steuerschulden mit abgetretenen Erstattungsansprüchen ein Anspruch auf Stundung und damit auf einstweilige Einstellung der gegen sie betriebenen Zwangsvollstreckung zustand.
Für das Bestehen eines Stundungsanspruchs hinsichtlich eines Teilbetrags der Steuerrückstände spricht die Tatsache, daß das FA während des Beschwerdeverfahrens abgetretene Erstattungsansprüche des B mit Steuerrückständen der Antragstellerin verrechnet hat. Hinsichtlich des abgetretenen Erstattungsanspruchs der Eheleute S aus der Einkommensteuerveranlagung 1986 ist ein Anspruch auf Verrechnung mit den Steuerschulden der Antragstellerin dagegen nicht glaubhaft gemacht worden. Denn das FA hat gegen diesen Steuererstattungsanspruch mit Einkommensteuerforderungen 1982, die ihm gegen die bisherigen Gläubiger zustehen, gemäß § 226 Abs. 1 AO 1977, § 406 BGB die Aufrechnung erklärt. Entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin erscheint diese Aufrechnung nicht unzulässig. § 406 2. Halbsatz BGB schließt die Aufrechnung gegen Forderungen des bisherigen Gläubigers zwar aus, wenn der Schuldner bei dem Erwerb seiner Forderung von der Abtretung bereits Kenntnis hatte oder die Forderung erst nach der Erlangung der Kenntnis und später als die abgetretene Forderung fällig geworden ist. Der Einkommensteueranspruch 1982 des FA gegen die Eheleute S ist aber bereits vor dessen Kenntnisnahme von der Abtretung entstanden (§ 38 AO 1977, § 36 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -); auf die Kenntnis des FA von der Entstehung des Steueranspruchs kommt es entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht an. Zwar ist die Gegenforderung erst nach der Erlangung der Kenntnis von der Abtretung, nicht aber später als die abgetretene Forderung fällig geworden. Die mit der Beschwerde angefochtene Vorentscheidung ist aber unabhängig davon, ob und in welcher Höhe ein Anspruch auf eine Verrechnungsstundung bestand, jedenfalls deshalb zutreffend, weil die Antragstellerin für die begehrte einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung und die Aufhebung der Pfändungsmaßnahmen jedenfalls keinen Anordnungsgrund dargetan und glaubhaft gemacht hat.
Die Antragstellerin begehrte eine Regelungsanordnung i. S. des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO. Diese Vorschrift räumt dem Gericht keine schrankenlose Befugnis zum Erlaß einer einstweiligen Anordnung ein. Die in § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO ausdrücklich genannten Gründe (,,wesentliche Nachteile" und ,,drohende Gewalt") setzen Maßstäbe auch für die ,,anderen Gründe" im Sinne dieser Bestimmung. ,,Andere Gründe" rechtfertigen eine einstweilige Anordnung nur dann, wenn sie für die begehrte Regelungsanordnung ähnlich gewichtig und bedeutsam sind, wie ,,wesentliche Nachteile" oder ,,drohende Gewalt"; sie müssen so schwerwiegend sein, daß sie eine einstweilige Anordnung unabweisbar machen (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. Januar 1983 I B 48/80, BFHE 137, 235, BStBl II 1983, 233, 236). Das FG hat mit Recht ausgeführt, daß solche Anordnungsgründe nur gegeben sind, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht ist. Umstände, wie die Bezahlung von Steuern, auch wenn sie möglicherweise nach einem Obsiegen im Hauptsacheverfahren zu erstatten wären, eine zur Bezahlung von Steuern notwendige Kreditaufnahme, ein Zurückstellen betrieblicher Investitionen oder eine Einschränkung des gewohnten Lebensstandards, sind, für sich allein gesehen, keine Anordnungsgründe (BFH-Beschluß vom 12. April 1984 VIII B 115/82, BFHE 140, 430, BStBl II 1984, 492, 494). Der Steuerschuldner muß deshalb die Vollstreckung aus Steuerbescheiden grundsätzlich dulden. Er kann allenfalls mit der Geltendmachung von Beeinträchtigungen gehört werden, die über den allgemeinen Nachteil einer Steuerzahlung oder einer Zwangsvollstreckung hinausgehen (BFH-Beschluß vom 25. November 1986 VII B 123/86, BFH / NV 1987, 522).
Die Antragstellerin hat derartige wesentliche Nachteile, die den Erlaß der begehrten einstweiligen Anordnung unabweisbar machen würden, weder dargetan noch glaubhaft gemacht. Sie hat nicht vorgetragen, daß die Vollstreckung wegen der Steuerrückstände ihre wirtschaftliche Existenz als Steuerberatungsgesellschaft unmittelbar bedrohen könnte. Die mit der Pfändung der Geschäftskonten verbundenen Nachteile, wie die Beeinträchtigung von Kreditmöglichkeiten, mußte die Antragstellerin hinnehmen. Sie hat zwar behauptet, daß durch die Vollstreckungsmaßnahmen ihr Geschäftsbetrieb lahmgelegt würde, dies aber nicht näher begründet und glaubhaft gemacht. Im übrigen konnte die Antragstellerin diese nachteiligen Folgen der Vollstreckungsmaßnahmen dadurch abwenden, daß sie den noch rückständigen Steuerbetrag an das FA zahlte. Das hat sie im Laufe des Beschwerdeverfahrens getan, ohne vorzutragen und glaubhaft zu machen, daß ihr dadurch weitere Nachteile entstanden wären, die über die Folgen der Steuerzahlung hinausgingen. Es war deshalb gerechtfertigt, der Antragstellerin die Kosten des in der Hauptsache erledigten Verfahrens aufzuerlegen.
Fundstellen
Haufe-Index 416359 |
BFH/NV 1989, 794 |