Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorbehalt der Nachprüfung; Unbestimmtheit des Aufhebungsbescheids; unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung

 

Leitsatz (NV)

1. Ergibt der Vortrag mit der Nichtzulassungsbeschwerde, daß das FG alle vom Kläger angesprochenen "Tatsachen" berücksichtigt, aber anders gewürdigt hat, als vom Kläger angestrebt, fehlt es schon am schlüssigen Tatsachenvortrag zum Verfahrensfehler durch Nichtberücksichtigung einer sich aus den Akten ergebenden Tatsache.

2. Müßte bei einer Revisionsentscheidung die als grundsätzlich vorgetragene Frage -- ob Zusätze zur Rechtsmittelbelehrung nur dann zur Unrichtigkeit i. S. von §356 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 führten, wenn diese die Rechtsmitteleinlegung erschwerten -- offenbleiben, kann die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht zugelassen werden.

 

Normenkette

FGO §§ 96, 115; AO 1977 §§ 125, 356 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) hatte die Umsatzsteuer für die Streitjahre 1985 bis 1987 gegen die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) jeweils unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt. Die Einsprüche dagegen blieben erfolglos. Die Einspruchsentscheidung vom 13. Februar 1991 enthielt keine Aussage über den Fortbestand des Vorbehalts.

Die dagegen mit Schriftsatz vom 8. Juni 1995 erhobene Klage wies das Finanzgericht -- FG -- (als unzulässig mangels Beschwer) ab. Die Nichtzulassungsbeschwerde wies der Senat mit Beschluß zurück.

Nach Abschluß einer Betriebsprüfung im Jahr 1991 hob das FA mit Bescheid vom 28. Oktober 1991 den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Der Bescheid enthielt eine Rechtsmittelbelehrung und den handschriftlichen Vermerk: "Die anhängigen Rechtsbehelfsverfahren werden hierdurch nicht erledigt." Den Einspruch mit Schriftsatz vom 22. August 1994 gegen diesen Bescheid verwarf das FA mit Einspruchsentscheidung vom 17. Juni 1996 als unzulässig. Die beantragte Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist gewährte das FA nicht.

Die Klage wurde vom FG abgewiesen.

Mit der Beschwerde beantragt die Klägerin Zulassung der Revision wegen Verfahrensfehlers, grundsätzlicher Bedeutung und Abweichung.

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. Der Vortrag der Klägerin, das FG habe -- soweit es die Nichtigkeit des Bescheids über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung verneine -- verfahrensfehlerhaft entgegen §96 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht seine aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnene Überzeugung zugrunde gelegt, führt nicht zur Zulassung der Revision nach §115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.

a) Nach Auffassung der Klägerin hat das FG den handschriftlichen Zusatz des Bescheids über die Aufhebung des Vorbehalts (lt. Feststellung des FG: "Die anhängigen Rechtsbehelfsverfahren werden hierdurch nicht erledigt".) für eindeutig gehalten. Mit seiner anschließenden Ausführung: "Der Vermerk über die Anhängigkeit anderer Rechtsbehelfe macht den Bescheid nicht unbestimmt", habe das FG den Zusatz nicht in seiner gesamten Aussage gewürdigt. Der Zusatz betreffe nicht nur die Anhängigkeit anderer Rechtsbehelfe, sondern enthalte die Aussage, daß sich diese Rechtsbehelfe nicht erledigten. Hätte das FG auch diesen Teil der Aussage gewürdigt, wäre es zum Ergebnis gekommen, der Zusatz sei so zu verstehen, daß die Veranlagung weiterhin offenbliebe und durch Ablauf der Rechtsmittelfrist nicht bestandskräftig würde. Dies hätte einen unlösbaren Widerspruch zur übrigen Aussage des Bescheids ergeben, daß der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben, die Veranlagung also aufgrund dieses Bescheids endgültig sein solle. Die Unbestimmtheit führe zur Nichtigkeit des Bescheids nach §125 der Abgabenordnung (AO 1977).

b) Der Vortrag der Klägerin zeigt, daß sie letztlich nur eine andere Würdigung des festgestellten Sachverhalts anstrebt, als vom FG vorgenommen. Es fehlt schon an einer schlüssigen Behauptung, das FG habe bei der Beweiswürdigung für die Entscheidung wesentliche Bestandteile der Akten nicht berücksichtigt (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, §115 Rz. 26). Behauptet wird somit lediglich ein materiell- rechtlicher Fehler, nicht aber ein Verfahrensfehler.

2. Entgegen dem Vortrag der Klägerin (Beschwerdeschrift vom 29. November 1996, Seite 4) beruht auch die der FG-Entscheidung zugrundeliegende Auffassung, die Einspruchsfristen hätten sich nicht nach §356 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz AO 1977 verlängert, nicht auf einem Verfahrensfehler.

Die Klägerin führt insoweit aus, der Vermerk zum Bescheid vom 28. Oktober 1991, "die anhängigen Rechtsbehelfsverfahren werden hierdurch nicht erledigt", enthalte in jedem Fall die Feststellung, daß Rechtsbehelfe anhängig seien. Die Vertreter des FA hätten in der mündlichen Verhandlung vom 8. Oktober 1996 erklärt, die Veranlagungsstelle sei selbst davon ausgegangen, daß noch Rechtsbehelfe anhängig seien. Daher sei die Begründung des FG, sie, die Klägerin, habe aus dem Vermerk nicht schließen dürfen, daß Rechtsbehelfsverfahren anhängig seien, nicht nur Ergebnis einer falschen Tatsachenwürdigung, sondern der Nichtberücksichtigung einer sich aus den Akten ergebenden Tatsache.

Es fehlt insoweit schon am schlüssigen Tatsachenvortrag zur behaupteten Nichtberücksichtigung einer sich aus den Akten ergebenden Tatsache. Der Vortrag der Klägerin zeigt, daß das FG alle von ihr angesprochenen "Tatsachen" berücksichtigt, diese aber anders gewürdigt hat, als von der Klägerin angestrebt.

3. Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder wegen Abweichung (§115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) im Hinblick auf den vom FG (als Hilfsbegründung) aufgestellten Rechtssatz, im Rahmen des §365 Abs. 3 AO 1977 sei ein Einspruch gegen einen während des Einspruchsverfahrens erlassenen Änderungsbescheid zwar nicht erforderlich, gleichwohl aber zulässig, kommt nicht in Betracht.

Das Urteil des FG beruht nicht auf dieser Hilfserwägung. Die Entscheidung wird davon nicht (auch nicht kumulativ) getragen. Tragender Entscheidungsgrund ist insoweit vielmehr, daß der handschriftliche Vermerk auf dem Bescheid nicht ergebe, daß ein Rechtsbehelf gegen den Bescheid nicht gegeben sei.

4. Nichts anderes gilt für den "in einer weiteren Hilfsbegründung" vom FG aufgestellten Rechtssatz, "die Klägerin sei deshalb zur Einlegung des Einspruchs verpflichtet gewesen, weil der Einspruch nicht mit einem Kostenrisiko verbunden gewesen wäre".

Auch dabei handelt es sich um hilfsweise, lediglich hypothetische Erwägungen, die das Urteil nicht tragen.

5. Zutreffend führt die Klägerin noch aus, die "erstaunliche Feststellung des Finanzgerichts, der handschriftliche Zusatz des Finanzamts erschwere die Rechtsbehelfseinlegung nicht, kann als falsche materiell- rechtliche Rechtsanwendung ... nicht im Wege der Nichtzulassungsbeschwerde gerügt werden".

Auch der weitere Vortrag der Klägerin, vorgreiflich sei die grundsätzlich bedeutsame -- im Schrifttum unterschiedlich beantwortete -- Rechtsfrage (bejahend Gräber/Koch, a. a. O., 4. Aufl. 1997, §55 Rz. 23; anders Szymczak in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5. Aufl. 1996, §356 Rz. 15), ob Zusätze zur Rechtsmittelbelehrung nur dann zur Unrichtigkeit i. S. von §356 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 führten, wenn diese die Rechtsmitteleinlegung erschwerten, kann nicht zur Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache führen. Bei den zitierten Ausführungen des FG handelt es sich um eine revisionsrechtlich bindende Würdigung des FG auf der Grundlage der zugunsten der Klägerin gehenden Rechtsauffassung. Bei einer Revisionsentscheidung müßte die Frage jedenfalls offenbleiben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66820

BFH/NV 1998, 457

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