Entscheidungsstichwort (Thema)
Befangenheitsrüge wegen Mitwirkung in früheren Verfahren
Leitsatz (NV)
Mit dem Hinweis auf die Mitwirkung in einem anderen Rechtsstreit, der zuungunsten des Ablehnenden entschieden wurde, wird die Besorgnis der Befangenheit nicht schlüssig dargelegt, solange nicht substantiiert Tatsachen vorgetragen werden, die den Schluß zulassen, daß die Entscheidung auf einer zutage getretenen Voreingenommenheit oder unsachlichen inneren Einstellung beruhe.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1 S. 1; ZPO § 42
Tatbestand
Die Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) begehrten im Klageverfahren eine Herabsetzung der Einkommensteuer 1991 wegen weiterer Werbungskosten, wegen Berücksichtigung eines Kinderfreibetrages, eines Behindertenpauschbetrages und eines Pauschbetrages für eine Haushaltshilfe. Im Verlaufe des Verfahrens hat der Berichterstatter, Richter am Finanzgericht (FG), X, Aufklärungsanordnungen getroffen. Nachdem auf den 24. April 1996 Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt worden war, lehnten die Kläger mit Schriftsatz vom 19. April 1996, der beim FG am 23. April 1996 eingegangen ist, Richter X wegen seiner Vorbereitungsmaßnahmen als befangen ab. Gleichzeitig wurde Richter am FG Y mit der Begründung als befangen abgelehnt, daß er im Jahre 1983 am Verfahren ... /82 mitgewirkt habe, bei dem die Kläger ebenfalls Beteiligte gewesen seien. Dies wurde mit Telefax vom 24. April 1996 dahingehend erläutert, im damaligen Ver fahren seien Tatsachen bekanntgeworden, welche die Befangenheit bewiesen. Der damalige Befangenheitsantrag sei als unzulässig abgewiesen worden, weshalb über die Befangenheitstatsachen selbst nicht entschieden worden sei. Nachdem bekannt geworden sei, daß Richter Y auch im hier anhängigen Verfahren mitwirke, sei er auf seine Befangenheitsvorbelastung hingewiesen und aufgefordert worden, auszuscheiden. Hierauf habe Y abweisend reagiert. Das FG sei im damaligen und im jetzigen Verfahren mit der gleichen Taktik vorgegangen, so daß sich Y in seiner Art der Bearbeitung offenbar bestätigt sehe.
Nach Aufruf der Sache in der mündlichen Verhandlung vom 24. April 1996 wurde vorab über die Befangenheitsanträge entschieden, wobei für den abgelehnten Richter X dessen geschäftsplanmäßige Stellvertreterin, Richterin am FG Z, mitwirkte. Richter Y wurde nicht ersetzt.
Das FG verwarf den Befangenheitsantrag gegen Richter Y als unzulässig und wies den Befangenheitsantrag gegen Richter X als unbegründet zurück. Danach übernahm wieder Richter X die Berichterstattung. Anschließend verhandelten die Beteiligten und stellten Anträge. Nach Schluß der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende das Urteil, daß die Klage kostenpflichtig abgewiesen werde.
Im schriftlich begründeten Beschluß über die Zurückweisung der Ablehnungsanträge wurde ausgeführt, die Ablehnung von Richter Y sei rechtsmißbräuchlich, da keinerlei Anhaltspunkte für dessen Befangenheit beständen. Im Verfahren ... /82 wegen Lohnsteuer-Jahresausgleichs 1980 hätten die Kläger ihre Befangenheitsrüge gegen den Richter Y und den damaligen Berichterstatter, Richter am FG A, damit begründet, daß ihrem Antrag, den Vertreter des Finanzamts von der Mitwirkung auszuschließen, nicht entsprochen worden sei. Weitere Gründe, die im dortigen Verfahren eine Befangenheit hätten besorgen können, seien aus dem Protokoll vom 21. Dezember 1983 nicht ersichtlich. Das Ablehnungsgesuch sei als unzulässig verworfen worden, da die Kläger aus dem Richterkollegium willkürlich zwei Richter herausgegriffen und abgelehnt hätten, ohne individuelle Gründe gegen jeden der beiden abgelehnten Richter geltend gemacht zu haben.
Die nach Ergehen des damaligen Urteils mit Schriftsatz vom 8. März 1984 behauptete Besorgnis der Befangenheit der Richter Y und B biete nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür, daß der Richter Y in diesem Verfahren befangen sein könnte. Nach dem damaligen Vortrag der Kläger soll die "entscheidungstragende Aussage des Urteils" exemplarisch für die Unwahrheit sein. Zu dieser Aussage sei nicht mündlich verhandelt worden, "weil sonst die betreffenden Richter ihre Voreingenommenheit hätten offenlegen müssen". Auch aus dieser pauschalen Äußerung seien keine individuellen Gründe erkennbar, die befürchten ließen, der abgelehnte Richter Y stehe den Klägern in diesem Verfahren nicht unvoreingenommen gegenüber.
Mit der Beschwerde wenden sich die Kläger gegen die Verwerfung des Ablehnungsantrags gegen Richter Y.
Zur Begründung tragen sie vor, im Verfahren des Jahres 1982 sei es darum gegangen, ob sie, die Kläger, bei Übersiedelung aus der DDR Hausrat und sonstiges Umzugsgut hätten mitnehmen dürfen. Dies habe das Gericht im Wege der Amtsermittlung durch Anfrage beim Ministerium für innerdeutsche Beziehungen klären wollen, obwohl -- wie im einzelnen belegt werden könne -- eine diesbezügliche Ermittlung objektiv nicht möglich gewesen sei. Aufgrund der negativen Erfahrungen, insbesondere der Beschattungen und Repressalien in der DDR, reagierten sie, die Kläger, auf staatliche Macht ausübung außerordentlich empfindlich. Deshalb habe bei ihnen eine "rotglühende Lampe" aufgehen müssen, wenn ein Richter behaupte, etwas von Amts wegen ermitteln zu können, wozu er gar nicht in der Lage sei. Auf die Bitte, bei Anfragen im Ministerium für innerdeutsche Beziehungen auf persönliche Namensnennungen zu verzichten, sei nicht eingegangen worden. Es sei auch die Frage offengeblieben, warum keine schriftliche Anfrage beim Ministerium für innerdeutsche Beziehungen erfolgt sei. Insofern könne man sich mit einem anonymen Hinweis auf "Amtsermittlung" nicht begnügen. Im übrigen seien die damaligen Richter in der mündlichen Verhandlung nicht bereit oder in der Lage gewesen, die Ansprechpersonen im Ministerium für innerdeutsche Beziehungen zu benennen.
Dem abgelehnten Richter werde vorgeworfen, daß ihm die für den Fall der Kläger erforderliche besondere Sensibilität gefehlt habe. Deshalb sei er nicht in der Lage gewesen, die Entscheidung des Jahres 1983 sachlich und unabhängig zu tragen. Der persönliche Mangel des abgelehnten Richters, der sich dort offenbart habe, hafte auch seiner Entscheidung des Jahres 1996 an. Die mangelnde Sensibilität des Richters Y im Umgang mit den Klägern zeige sich auch darin, daß er in der jetzigen Verhandlung zur Frage seiner Befangenheit auf Darlegungen nicht eingegangen sei, sondern nur wortkarg erklärt habe, er sei nicht befangen.
Der Beklagte, Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) hat auf eine Stellungnahme verzichtet.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 42 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Ein derartiger Grund ist gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus, jedoch nach Maßgabe einer vernünftigen objektiven Betrachtung, davon ausgehen kann, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden. Im Hinblick auf den Ablehnungsgrund müssen hinreichend substantiiert und nachvollziehbar Tatsachen vorgetragen werden, die bei objektiver Betrachtung die Besorgnis rechtfertigen könnten, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden. Allein der Hinweis auf die Mitwirkung in einem anderen Rechtsstreit, der zuungunsten des Ablehnenden entschieden wurde, bedeutet keine schlüssige Darlegung der Besorgnis der Befangenheit (ständige Rechtsprechung, z. B. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 30. August 1995 XI B 114/95, BFH/NV 1996, 225, m. w. N.).
Der Vortrag der Kläger enthält keine schlüssige Befangenheitsrüge. Was das Verfahren im Jahre 1983 betrifft, werden im wesentlichen Rechtsfehler bei Vorbereitung und Fällung der Entscheidung geltend gemacht. Dagegen wird nicht ausgeführt, daß das Votum des Richters Y, sofern er die Entscheidung mitgetragen haben sollte, auf einer zutage getretenen Voreingenommenheit, Parteilichkeit oder unsachlichen inneren Einstellung beruhe oder daß Richter Y im Verlaufe der damaligen Verhandlung persönlich in einer Art und Weise hervorgetreten sei, die Besorgnis der Befangenheit hätte auslösen können. Ein Ablehnungsgesuch, das auf Rechtsverstöße des abgelehnten Richters in früheren Verfahren gestützt wird, kann die Besorgnis der Befangenheit nur ausnahmsweise dann rechtfertigen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, daß die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber der ablehnenden Partei oder auf Willkür beruhe (BFH-Beschluß vom 29. März 1995 II B 36/94, BFH/NV 1996, 45, m. w. N.). Derartige Gründe sind nicht ersichtlich, abgesehen davon, daß die gerügten Rechtsverstöße ein länger zurückliegendes abgeschlossenes Verfahren betrafen, welches in keinem erkennbaren sachlichen Zusammenhang mit dem Streitgegenstand des gegenwärtigen Verfahrens stehe, welches das Ablehnungsgesuch betrifft.
Der Umstand, daß Richter Y auf die Vorhaltungen aus dem damaligen Verfahren nicht im einzelnen eingegangen ist, läßt ebenfalls nicht darauf schließen, daß er der Partei nicht unvoreingenommen gegenüberstehe. Denn es bestand kein Anlaß, zu unsubstantiierten länger zurückliegenden Vorgängen Stellung zu nehmen.
Fundstellen
Haufe-Index 421812 |
BFH/NV 1997, 353 |