Entscheidungsstichwort (Thema)
Eigenverantwortlichkeit (Freiberuflichkeit) eines Laborarztes mit zahlreichen Mitarbeitern und Aufträgen
Leitsatz (amtlich)
Der durch die Zahl der Aufträge und der angestellten Mitarbeiter gekennzeichnete Umfang der Praxis eines einzelnen Arztes für Laboratoriumsmedizin läßt sich nicht beliebig vergrößern, ohne daß seine Freiberuflichkeit in Frage gestellt ist.
Orientierungssatz
1. Ein Arzt für Laboratoriumsmedizin, in dessen Praxis --325 Arbeitstage jährlich unterstellt-- täglich im Durchschnitt zwischen 277 und 345 Aufträge (692 bis 862 Untersuchungen) erledigt werden, ist nicht mehr in der Lage, der einzelnen Untersuchung das Gepräge seiner persönlichen Arbeit zu geben (Ausführungen und Rechtsprechungshinweise zur eigenverantwortlichen Tätigkeit eines Freiberuflers, insbesondere eines Laborarztes).
2. Einkünfte eines Arztes für Laboratoriumsmedizin können nicht in solche aus freiberufliche Arbeit einerseits und gewerblicher Tätigkeit andererseits aufgeteilt werden, sondern es ist eine einheitliche Erfassung der Einkünfte geboten, wenn sich die Tätigkeiten gegenseitig bedingen und derart miteinander verflochten sind, daß der gesamte Betrieb nach der Verkehrsauffassung als einheitlich anzusehen ist (vgl. BFH-Rechtsprechung).
3. Hat das FG die Revision zugelassen, so kann der BFH die Revision grundsätzlich selbst dann nicht als unzulässig verwerfen, wenn er die Frage der Grundsätzlichkeit anders beurteilen würde als das FG. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist für den Fall zu machen, daß das FG die Zulassung der Revision nicht begründet hat und für den BFH weder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache noch die Abweichung von einer Entscheidung des BFH erkennbar war (vgl. BFH-Rechtsprechung).
Normenkette
EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3, § 15 Abs. 1 Nr. 1; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1; BFHEntlG Art. 1 Nr. 5
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Arzt für Laboratoriumsmedizin. Seine Praxis war mit den jeweils modernsten Geräten eingerichtet, die für die Labormedizin benötigt wurden. Außer dem Kläger waren in den Streitjahren (1971 bis 1980) in der Praxis die Ärztinnen Dr. A (Ehefrau des Klägers), Dr. B, Dr. C und Dr. D sowie die Tiermedizinerin Dr. E angestellt. In keinem Fall umfaßte das Arbeitsverhältnis die gesamten Streitjahre.
Darüber hinaus arbeiteten in der Praxis ständig Mediziner mit, die sich in der Facharztausbildung befanden.
Das nichtärztliche Personal bestand aus der während eines Teils der Streitjahre beim Kläger beschäftigten Pharmazeutin Dr. F sowie aus weiteren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, deren Zahl zwischen 50 und 70 lag. Dabei handelte es sich insbesondere um medizinisch-technische Assistentinnen, Arzthelferinnen und Büropersonal. Die Mitarbeiterinnen waren zum großen Teil teilzeitbeschäftigt; das gilt auch für einen Teil der naturwissenschaftlich vorgebildeten Mitarbeiterinnen.
Die Anzahl der dem Kläger erteilten Untersuchungsaufträge entwickelte sich in den Streitjahren wie folgt:
1971: 90 106 Aufträge
1972: 97 476 Aufträge
1973: 108 435 Aufträge
1974: 112 161 Aufträge
1975: 105 896 Aufträge
1976: 93 100 Aufträge
1977: 105 000 Aufträge
1978: 104 100 Aufträge
1979: 101 700 Aufträge
1980: 105 300 Aufträge.
Jeder Untersuchungsauftrag erforderte im Durchschnitt die Ausführung von etwa 2,5 Untersuchungen. Im Anschluß an eine beim Kläger durchgeführte Außenprüfung stellte sich der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) auf den Standpunkt, es sei offenbar unmöglich, daß der Kläger bezüglich aller in seinem Labor durchgeführten Untersuchungen leitend und eigenverantwortlich i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) tätig geworden sei. Auch wenn man unterstelle, daß der Kläger an 325 Tagen im Jahr gearbeitet habe, seien täglich Aufträge in folgendem Umfang zu erledigen gewesen:
1971: 277
1972: 300
1973: 333
1974: 345
1975: 325
1976: 286.
Das FA sah deswegen die Tätigkeit des Klägers in den Streitjahren als gewerblich an und setzte dementsprechend die einheitlichen Gewerbesteuermeßbeträge für die Streitjahre fest.
Zur Begründung der hiergegen erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, er werde bei der Bearbeitung sämtlicher Untersuchungsaufträge leitend und eigenverantwortlich tätig. Er nehme jeden eingegangenen Untersuchungsauftrag zur Kenntnis und weise seine Mitarbeiterinnen zur Ausführung der jeweils erforderlichen einzelnen Untersuchungen an. Nach Durchführung der Untersuchungen durch die Mitarbeiterinnen nehme er dann die Ergebnislisten oder Enzymstraßen zur Kenntnis und überprüfe diese kritisch; durch die Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse in Ergebnislisten oder Enzymstraßen sei ihm eine kritische Beurteilung von ca. 25 bis 30 Einzelergebnissen innerhalb von einer halben Minute möglich. Schließlich versehe er jeden Befund noch mit einer Kommentierung für den überweisenden Arzt.
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) gelangte aufgrund einer Augenscheinseinnahme sowie der Vernehmung von (früheren) Mitarbeiterinnen als Zeugen zu dem Ergebnis, daß der Kläger in den Streitjahren in seiner Praxis leitend und eigenverantwortlich tätig geworden sei.
Hiergegen richtet sich die vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Revision des FA, mit der unrichtige Anwendung des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG gerügt wird.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Die Auffassung des Klägers, die Revision sei als unzulässig zu verwerfen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung habe, ist nicht zutreffend. Hat das FG die Revision zugelassen, so kann der Bundesfinanzhof (BFH) die Revision grundsätzlich selbst dann nicht als unzulässig verwerfen, wenn er die Frage der Grundsätzlichkeit anders beurteilen würde als das FG (BFH-Urteil vom 18.Oktober 1983 VI R 180/82, BFHE 139, 518, BStBl II 1984, 110; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, § 115 Anm.45; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Tz.75). Der vom Kläger angeführte Beschluß vom 14.Oktober 1976 V B 21/76 (BFHE 120, 26, BStBl II 1976, 774) macht von diesem Grundsatz eine Ausnahme für den Fall, daß das FG die Zulassung der Revision nicht begründet hat und für den BFH weder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache noch die Abweichung von einer Entscheidung des BFH erkennbar war. Im Streitfall hat das FG zwar nicht ausgeführt, worin es die von ihm angenommene grundsätzliche Bedeutung gesehen habe, solcher Ausführungen bedurfte es jedoch auch nicht. Es ist vielmehr offenkundig, daß das FG von den im BFH-Urteil vom 25.November 1975 VIII R 116/74 (BFHE 117, 247, BStBl II 1976, 155) niedergelegten Rechtsgrundsätzen entweder bewußt abgewichen ist oder sich zumindest im Zweifel war, ob es von ihnen abweichen würde.
2. Die Revision ist auch begründet.
Ein der Gewerbesteuer unterliegender Gewerbebetrieb i.S. des § 2 Abs.1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) ist gemäß § 1 Abs.1 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung (GewStDV) --nunmehr § 15 Abs.2 EStG-- anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige eine selbständige nachhaltige Betätigung ausübt, die mit Gewinnabsicht unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt und wenn ferner die Betätigung weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch als Ausübung eines freien Berufes im Sinne des EStG anzusehen ist. Nach § 18 Abs.1 Nr.1 Satz 2 EStG ist die selbständige Berufstätigkeit eines Arztes eine freiberufliche und damit keine gewerbliche Tätigkeit. Dies gilt gemäß § 18 Abs.1 Nr.1 Satz 3 EStG auch dann, wenn sich der Arzt bei Ausübung seines Berufs der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedient; Voraussetzung ist jedoch in diesem Fall, daß der Arzt aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig wird.
a) Das FG ist unter Berufung auf das BFH-Urteil in BFHE 117, 247, BStBl II 1976, 155 davon ausgegangen, daß eigenverantwortlich die Tätigkeit eines Steuerpflichtigen dann sei, wenn er über seine leitende Tätigkeit hinaus persönlich an der praktischen Arbeit in ausreichendem Umfang teilnehme. Er dürfe sich zwar bei der praktischen Arbeit der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedienen, müsse jedoch bei der Durchführung jedes einzelnen ihm erteilten Auftrages verantwortlich mitwirken und dürfe nicht einfache und weniger bedeutsame Aufträge vollständig seinen Mitarbeitern zur Ausführung überlassen. Es sei allerdings nicht erforderlich, daß der Steuerpflichtige bei der Bearbeitung von einfachen Aufträgen teilweise oder gar im wesentlichen selbst mit Hand anlege. In derartigen einfachen Fällen genüge vielmehr eine fachliche Überprüfung der Arbeitsleistung der Mitarbeiter, mit der sich der Steuerpflichtige das Ergebnis dieser Arbeitsleistung zu eigen mache.
Diese Ausführungen sind zwar für sich genommen nicht zu beanstanden. Es genügt jedoch nicht jedwede fachliche Überprüfung, um das Ergebnis der Arbeitsleistung der Mitarbeiter dem Steuerpflichtigen zuzurechnen. Vielmehr stellt es ein zusätzliches Erfordernis für eigenverantwortliches Handeln dar, daß jede einzelne Arbeitsleistung der Mitarbeiter als solche des Berufsträgers erkennbar sein muß (BFH-Beschluß vom 7.Oktober 1987 X B 54/87, BFHE 151, 147, BStBl II 1988, 17). Sie muß den "Stempel der Persönlichkeit" des Steuerpflichtigen tragen (BFH-Urteil vom 25.Oktober 1963 IV 373/60 U, BFHE 77, 750, BStBl III 1963, 595). Das setzt eine größere Intensität der Mitarbeit des Steuerpflichtigen voraus, als sie das FG für erforderlich gehalten hat.
Das Berufsbild des Arztes ist in besonderem Maße durch den persönlichen individuellen Dienst am Patienten geprägt. Hiermit korrespondiert, daß er für jede Leistung, die in seiner Praxis erbracht wird, nicht nur die organisatorische, sondern auch die personale, rechtliche und ethische Verantwortung trägt (BFHE 151, 147, BStBl II 1988, 17). Für den Laborarzt hat die Rechtsprechung daraus gefolgert, daß er, um eigenverantwortlich tätig zu sein, jeden eingegangenen Untersuchungsauftrag nach Inhalt und Fragestellung zur Kenntnis nehmen, die Bearbeitung durch die zuständigen Abteilungen sowie die Auswahl und Anwendung der Untersuchungsmethode kontrollieren und die Plausibilität des Ergebnisses (Befunderhebung und Befundauswertung) nachprüfen muß (BFHE 117, 247, BStBl II 1976, 155).
b) Das BFH-Urteil in BFHE 117, 247, BStBl II 1976, 155 hat es für offenbar unmöglich gehalten, daß ein einzelner Praxisinhaber 325 Aufträge am Tag mit der notwendigen Sorgfalt bearbeiten kann.
Gegen die Richtigkeit dieser Aussage ist angeführt worden, sie lege den Begriff der Eigenverantwortlichkeit zu eng aus (Kurth/Prinz, Die steuerliche Qualifikation der Tätigkeit eines Arztes für Laboratoriumsmedizin, 1980, S.167) und verkenne die vom Arzt für Laboratoriumsmedizin tatsächlich zu erbringenden Leistungen (Kurth/Prinz, a.a.O., S.15). Außerdem wird geltend gemacht, daß aufgrund des technischen und wissenschaftlichen Fortschritts ein einziger Arzt für Laboratoriumsmedizin in den Jahren nach 1970 erheblich mehr Untersuchungsaufträge inhaltlich zur Kenntnis nehmen und die Untersuchungsbefunde auswerten konnte, als dies im Jahre 1967 (Jahr des dem Urteil in BFHE 117, 247, BStBl II 1976, 155 zugrunde liegenden Falles) möglich gewesen sei (Römermann, Betriebsberater --BB-- 1979, 419).
aa) Dem ersten Einwand ist der X.Senat des BFH in seinem Beschluß in BFHE 151, 147, BStBl II 1988, 17 entgegengetreten. Wie in dieser Entscheidung überzeugend ausgeführt, ist es Ziel des § 18 Abs.1 Nr.1 Satz 3 EStG, die persönliche Arbeit steuerlich zu begünstigen. Für eine Auslegung, die die Begriffe "Arbeit" und "Verantwortung" im Sinne einer geistigen Urheberschaft verstanden wissen will, gibt es keine Rechtsgrundlage.
bb) Aber auch die anderen beiden Einwände greifen nicht durch. Der Senat ist vielmehr der Auffassung, daß ein Arzt für Laboratoriumsmedizin, in dessen Praxis --325 Arbeitstage jährlich unterstellt-- täglich im Durchschnitt zwischen 277 und 345 Aufträge (692 bis 862 Untersuchungen) erledigt werden, nicht mehr in der Lage ist, der einzelnen Untersuchung das Gepräge seiner persönlichen Arbeit zu geben. So verhält es sich im Streitfall.
Dabei geht der Senat in Übereinstimmung mit dem Kläger davon aus, daß es nicht Aufgabe des Arztes für Laboratoriumsmedizin ist, bei den einzelnen Untersuchungen selbst mit Hand anzulegen. Vielmehr obliegt die Durchführung medizinisch-chemischer Untersuchungen nach Standardverfahren (Zusammenstellen der einzelnen Proben nach Serien, Vorbereitung des Untersuchungsguts, Justieren, Ingangsetzen der Geräte, Eintragung der gewonnenen Zahlen in die Arbeitsplatzlisten) den medizinisch-technischen Assistenten (§ 9 Abs.1 Nr.1 des Gesetzes über technische Assistenten in der Medizin vom 8.September 1971 --MTA-G--, BGBl I 1971, 1515). Es handelt sich insoweit um Arbeiten, die von entsprechend vorgebildeten Mitarbeitern erledigt werden können, ohne daß allein dadurch die Freiberuflichkeit des Praxisinhabers verlorenginge (vgl. BFH-Urteil vom 10.Juni 1988 III R 118/85, BFHE 153, 415, BStBl II 1988, 782; Kurth/Prinz, a.a.O., S.48 ff.). Die Mitarbeit des Praxisinhabers bei den technischen Untersuchungsvorgängen selbst kann und muß sich auf stichprobenweise durchgeführte Kontrollen beschränken. Seine Arbeit an jedem einzelnen Auftrag besteht vielmehr in der geistigen Erfassung (Kenntnisnahme) und der abschließenden Auswertung des Befundes (BFHE 117, 247, BStBl II 1976, 155; BFHE 151, 147, BStBl II 1988, 17; BFHE 153, 414, BStBl II 1988, 782).
Es kann auch unterstellt werden, daß aufgrund des technischen Fortschritts in den Streitjahren mehr Proben analysiert werden konnten als im Jahre 1967.
c) Der Senat läßt es daher dahinstehen, ob der Kläger jeden einzelnen Auftrag mit der "erforderlichen Sorgfalt" bearbeiten konnte. Jedenfalls konnte der Kläger den einzelnen Untersuchungen angesichts ihrer Menge nicht den "Stempel" seiner persönlichen Arbeit aufdrücken. Der durch die Zahl der Aufträge und der Mitarbeiter gekennzeichnete Umfang des Unternehmens eines einzelnen Freiberuflers läßt sich nicht beliebig vergrößern, ohne daß die Freiberuflichkeit in Frage gestellt ist (vgl. Schick, Die freien Berufe im Steuerrecht, 1973, S.81).
Im Streitfall ist die Grenze zur Gewerblichkeit überschritten.
aa) Das FA hat zu Recht darauf hingewiesen, daß, auch wenn man einen elfeinhalbstündigen Arbeitstag des Klägers unterstellt, auf jeden einzelnen Auftrag zwei (1971) bis zweieinhalb (1974) Minuten Zeit entfielen (48 Sekunden bis eine Minute pro Untersuchung). Nicht einmal diese Zeit stand aber in vollem Umfang für die Bearbeitung der einzelnen Aufträge zur Verfügung. Denn dem Inhaber einer Praxis für Laboratoriumsmedizin obliegen weitere Aufgaben wie z.B. Sprechstunde, Verwaltung, eigene Fortbildung, Anschaffung neuer und Ausmusterung alter Geräte, Einweisung des Personals, Anordnung und Vorbereitung der Beteiligung an sog. Ringversuchen (Kurth/Prinz, a.a.O., S.71).
Anläßlich der vom FG durchgeführten Augenscheinseinnahme hat der Kläger in der Zeit von 9.05 Uhr bis 9.50 Uhr --also in 45 Minuten-- 225 Überweisungen "zur Kenntnis genommen" --das entspricht 12 Sekunden pro Überweisung--.
Wie intensiv sich der Kläger mit der Auswertung der Befunde befaßt hat, hat das FG nicht ermittelt. Aufgrund der Aussage der Zeugin G ist lediglich festgestellt, daß die Schreibkräfte selbst anhand von Listen prüften, ob die von den Laborantinnen gemessenen Werte innerhalb der Norm lagen. War das der Fall oder wichen sie nur geringfügig ab, so bereiteten sie die Befundberichte in eigener Initiative vor. Der Kläger diktierte die Berichte nur in den Fällen, in denen die Werte "ganz außerhalb der Norm" lagen.
Das FG ist allerdings davon ausgegangen, daß der Kläger die von seinen Labormitarbeiterinnen gemessenen Werte jeweils auf ihre Plausibilität hin überprüft hat. Als tatsächliche Grundlage für diese Schlußfolgerung hat es jedoch nur den Umstand angeführt, daß der Kläger der Aussage der Zeugin H zufolge des öfteren weitere Untersuchungen angeordnet habe, nachdem er die von ihr ermittelten Werte zur Kenntnis genommen habe. Diese Feststellung läßt indessen keinen Rückschluß darauf zu, mit welcher Intensität der Kläger jeden einzelnen Fall geprüft hat. Das gleiche gilt für die Feststellung, daß der Kläger jeden der von seinen Schreibkräften vorbereiteten Befundberichte unterzeichnet habe.
Decken die Feststellungen des FG das von ihm gefundene Ergebnis nicht, so reichen sie doch zur Entscheidung des Rechtsstreits aus. Der Kläger hat in der Klagebegründung vorgetragen, durch die Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse in Ergebnislisten oder Enzymstraßen sei es ihm möglich, die Einzelergebnisse von 25 bis 30 Untersuchungen innerhalb einer halben Minute kritisch zu beurteilen. Eine solche Handhabung mag fachlich korrekt sein, sie ist aber nicht geeignet, die in der Praxis des Klägers auf den einzelnen Auftrag verwandte Arbeit primär als seine eigene erscheinen zu lassen.
bb) Die Leistungen seines Labors stellen sich vielmehr aufs Ganze gesehen zu einem wesentlichen Teil als die seiner Mitarbeiterinnen dar. Der Kläger beschäftigte in den Streitjahren 50 bis 70 nichtärztliche Mitarbeiterinnen. Auch wenn man diese Zahl bereinigt, weil es sich zum großen Teil um Teilzeitbeschäftigte handelte, kommt man auf etwa 14,5 medizinisch-technische Assistentinnen, 9,25 sonstiges Labor- und Praxispersonal, 11 Bürokräfte und 6 Angestellte in Spülküche und Versand (Angaben des Klägers für 1976). Die Tätigkeit dieser Mitarbeiterinnen --jedenfalls die des Laborpersonals-- kann angesichts der Umstände des Streitfalles auch nicht als untergeordnete Hilfstätigkeit bezeichnet werden (vgl. hierzu BFH-Urteil in BFHE 153, 415, BStBl II 1988, 782). Hiergegen spricht nicht nur der geringe Anteil, den der KLäger an der Erledigung des einzelnen Auftrags hatte, sondern daneben der Umstand, daß auch die von den Mitarbeiterinnen gemessenen Werte allein für den überweisenden Arzt nicht ohne Interesse gewesen wären. Das ergibt sich daraus, daß auch chemische Institute, die ohne jede ärztliche Aufsicht arbeiten, mit der Erstellung derartiger Laboruntersuchungen beauftragt werden (vgl. den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 26.Oktober 1976 1 BvR 191/74, BVerfGE 43, 58).
Der Senat hat bereits für den Fall einer landwirtschaftlichen Buchstelle entschieden, daß bei einer großen Anzahl von Mitarbeitern, die zwar nicht die Qualifikation des Betriebsinhabers haben, jedoch einen (quantitativ) wesentlichen Teil der Tätigkeit übernehmen, die Grenze von der Freiberuflichkeit zur Gewerblichkeit überschritten wird (Urteil vom 29.Juli 1965 IV 61/65 U, BFHE 83, 154, BStBl III 1965, 557).
Dabei verkennt der Senat nicht, daß bei einem Teil der Aufträge die persönliche ärztliche Leistung des Klägers im Vordergrund gestanden hat. Der Einspruchsentscheidung zufolge betrug der Anteil der Normalfälle bzw. der Negativbefunde 70 v.H., der der pathologischen Befunde 30 v.H. Das FG hat zu diesem --vom Kläger nicht bestrittenen-- Verhältnis keine eigenen Feststellungen getroffen. Hierauf kommt es jedoch auch nicht entscheidend an; denn je intensiver die persönliche Mitarbeit des Klägers in problematischen Fällen war, um so weniger intensiv muß sie bei den im Normalbereich liegenden Fällen gewesen sein.
d) Aus diesem Grund ist es auch nicht möglich, die Einkünfte des Klägers in solche aus freiberuflicher Arbeit einerseits und gewerblicher Tätigkeit andererseits aufzuteilen. Eine einheitliche Erfassung der Einkünfte ist stets dann geboten, wenn sich die Tätigkeiten gegenseitig bedingen und derart miteinander verflochten sind, daß der gesamte Betrieb nach der Verkehrsauffassung als einheitlich anzusehen ist (vgl. BFH-Urteile vom 29.Januar 1970 IV R 78/66, BFHE 98, 176, BStBl II 1970, 319; vom 25.April 1974 VIII R 229/71, BFHE 112, 499, BStBl II 1974, 543; vom 25.April 1978 VIII R 149/74, BFHE 125, 369, BStBl II 1978, 565; vom 16.November 1978 IV R 191/74, BFHE 126, 220, BStBl II 1979, 246; vom 30.November 1978 IV R 15/73, BFHE 126, 461, BStBl II 1979, 236; vom 17.März 1981 VIII R 149/76, BFHE 133, 557, BStBl II 1981, 746). Da die durchschnittliche Kürze der vom Kläger für den einzelnen Auftrag verwandten Zeit die Art der in seinem Unternehmen ausgeführten Tätigkeit prägt (vgl. hierzu BFHE 112, 499, BStBl II 1974, 553), ist diese insgesamt als gewerblich anzusehen. Eine Trennung ist auch deshalb nicht möglich, weil dem einzelnen Auftrag bei seinem Eingang nicht notwendigerweise anzusehen ist, ob er einer intensiveren Bearbeitung durch den Laborinhaber bedarf. Auch insoweit hält der Senat an der in BFHE 117, 247, BStBl II 1976, 155 getroffenen Entscheidung fest.
e) War die Tätigkeit des Klägers mithin bereits aus den vorgenannten Gründen nicht eigenverantwortlich i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 Satz 3 EStG, so braucht der Senat nicht mehr darauf einzugehen, ob die Schlußfolgerung des FG, es hätten sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß die beim Kläger angestellten Ärztinnen --außer im Fall gelegentlicher Abwesenheit-- eigenverantwortlich tätig gewesen seien, durch die Protokolle der Beweisaufnahme gedeckt werden.
Fundstellen
Haufe-Index 63227 |
BFH/NV 1990, 43 |
BStBl II 1990, 507 |
BFHE 159, 535 |
BFHE 1990, 535 |
BB 1990, 1113 |
BB 1990, 11131115 (LT) |
DB 1990, 1116-1118 (LT) |
StE 1990, 425 (LT) |