Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückgängigmachung des Verzichts auf Steuerbefreiung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Verzicht auf die Steuerbefreiung eines Umsatzes gemäß § 9 UStG kann jedenfalls bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung rückgängig gemacht werden.
2. Hatte der Unternehmer auf die Steuerfreiheit des Umsatzes dadurch verzichtet, dass er dem Leistungsempfänger den Umsatz unter gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer in Rechnung gestellt hatte, kann er den Verzicht nur dadurch rückgängig machen, dass er dem Leistungsempfänger eine berichtigte Rechnung ohne Umsatzsteuer erteilt.
3. Die Rückgängigmachung wirkt auf das Jahr der Ausführung des Umsatzes zurück. Der leistende Unternehmer schuldet jedoch die dem Leistungsempfänger in Rechnung gestellte, aber nicht mehr geschuldete Umsatzsteuer bis zur Rechnungsberichtigung nach § 14 Abs. 2 UStG.
Normenkette
UStG 1980 §§ 9, 14-15; AO 1977 § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (EFG 2000, 970) |
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind die Erben des im Jahre 1999 verstorbenen Heinrich R (Veräußerer). Dieser betrieb ein Hotel und Restaurant. Im Jahre 1988 veräußerte er den Gesamtkomplex "Parkhotel R" zu einem Preis von insgesamt 12 425 000 DM netto zzgl. Umsatzsteuer in Höhe von 1 739 500 DM. Der Nettoverkaufspreis entfiel in Höhe von 500 000 DM auf die Wohnung des Veräußerers.
Die Vertragsparteien änderten den notariell beurkundeten Kaufvertrag vom 29. Dezember 1988 zunächst ―nach den Angaben der Kläger im März 1989― privatschriftlich dahin, dass der auf die Wohnung entfallende Anteil von 500 000 DM steuerfrei belassen wurde; entsprechend sollte sich der Kaufpreis mindern.
Mit seiner Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 1988 erklärte der Steuerpflichtige die Veräußerung der in dem Hotelkomplex befindlichen Wohnung als steuerfreien Umsatz.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) folgte der Steuererklärung nicht, sondern erhöhte bei der Umsatzsteuerveranlagung des Veräußerers für das Jahr 1988 die regelbesteuerten steuerpflichtigen Umsätze um den auf die Privatwohnung entfallenden Nettoverkaufspreis in Höhe von 500 000 DM (Umsatzsteuerbescheid für 1988 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 1. Februar 1995).
Hiergegen erhob der Veräußerer Klage.
Während des Klageverfahrens ließen die Vertragspartner die Änderung des ursprünglichen Kaufvertrags, wonach auf den auf die Privatwohnung entfallenden Kaufpreisanteil keine Umsatzsteuer berechnet wurde, notariell beurkunden (Vereinbarung vom 22. Februar 1999).
Das Finanzgericht (FG) gab daraufhin der Klage statt. Es sah jedenfalls in der notariell beurkundeten Vertragsänderung einen auf die Wohnung beschränkten Widerruf der Option zur Steuerpflicht, der auf das Jahr der Grundstückslieferung (1988) zurückwirke (vgl. Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 2000, 970).
Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision. Es rügt Verletzung des § 14 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes 1980 (UStG) i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG. Nach diesen Vorschriften wirke die Rechnungsberichtigung nicht zurück.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger sind der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Die Rücknahme des Verzichts auf die Steuerfreiheit wirkt zwar auf den Zeitpunkt der Ausführung des Grundstücksumsatzes zurück; der Veräußerer schuldete jedoch die dem Erwerber in Rechnung gestellte Umsatzsteuer bis zur Vertragsänderung nach § 14 Abs. 2 UStG.
1. Der Veräußerer hat im Jahre 1988 das verkaufte (und aufgelassene) Grundstück dem Erwerber im Rahmen seines Unternehmens geliefert und damit einen Umsatz i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG getätigt.
Dies gilt auch bezüglich der Wohnung, die der Veräußerer nach den Feststellungen des FG seinem Unternehmen zugeordnet hatte.
2. Die Grundstückslieferung fiel unter das Grunderwerbsteuergesetz und war damit nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG umsatzsteuerfrei.
3. Der Veräußerer hatte im Streitjahr 1988 wirksam auf die Steuerfreiheit des Grundstücksumsatzes verzichtet.
Nach § 9 UStG kann der Unternehmer einen Umsatz, der nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG steuerfrei ist, als steuerpflichtig behandeln, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt ist. Nach der Rechtsprechung des Senats kann die Behandlung des Umsatzes als steuerpflichtig insbesondere dadurch erfolgen, dass der Steuerpflichtige dem Leistungsempfänger den Umsatz unter gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer in Rechnung stellt oder in seiner Steueranmeldung als steuerpflichtig behandelt (Bundesfinanzhof ―BFH―, Urteile vom 1. Dezember 1994 V R 126/92, BFHE 176, 491, BStBl II 1995, 426, und vom 25. Januar 1996 V R 42/95, BFHE 179, 480, BStBl II 1996, 338).
Der Veräußerer hatte in dem Kaufvertrag vom 29. Dezember 1988 den Grundstücksverkauf als steuerpflichtig behandelt. Der Grundstücksumsatz ist auch für das Unternehmen des Käufers ausgeführt worden. Aus dem Umstand, dass in dem notariellen Kaufvertrag die Umsatzsteuer aus dem Kaufpreis des Gesamtkomplexes gesondert ausgewiesen war, konnte das FG schließen, dass der Erwerber das gesamte Parkhotel (einschließlich Wohnung) "für" sein Unternehmen erworben hatte.
4. Die Rückgängigmachung des Verzichts auf die Steuerfreiheit der Veräußerung der Wohnung wirkte zwar auf das Jahr des Grundstücksumsatzes (das Streitjahr 1988) zurück; der Veräußerer schuldete jedoch in diesem Jahr die dem Erwerber in Rechnung gestellte Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 2 UStG.
a) Nach allgemeiner Meinung kann der Verzicht auf die Steuerbefreiung wieder rückgängig gemacht werden (vgl. BFH-Urteile vom 25. Januar 1979 V R 53/72, BFHE 127, 238, BStBl II 1979, 394; vom 25. Februar 1993 V R 78/88, BFHE 171, 369, BStBl II 1993, 777, und vom 11. August 1994 XI R 57/93, BFH/NV 1995, 170; Abschn. 148 Abs. 4 der Umsatzsteuer-Richtlinien ―UStR―). Die Rückgängigmachung wirkt auf das Jahr der Ausführung des Umsatzes zurück.
Hatte der Unternehmer auf die Steuerfreiheit des Umsatzes dadurch verzichtet, dass er dem Leistungsempfänger den Umsatz unter gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer in Rechnung gestellt hatte, kann er den Verzicht nur dadurch rückgängig machen, dass er dem Leistungsempfänger eine berichtigte Rechnung ohne Umsatzsteuer erteilt.
Im Streitfall erfüllte der notarielle Kaufvertrag vom 29. Dezember 1988 die Anforderungen an eine Rechnung i.S. des § 14 UStG. Die Behandlung der (gesamten) Grundstückslieferung als steuerpflichtig konnte deshalb nur (bezüglich des die Wohnung betreffenden Teils der Lieferung) durch eine berichtigte Rechnung rückgängig gemacht werden. Dies ist durch die Änderung des Kaufvertrags im Jahre 1989 oder im Jahre 1999 geschehen.
Für die Entscheidung des Streitfalls ist unerheblich, ob der Verzicht bereits durch die privatschriftliche Vertragsänderung im Jahre 1989 oder erst durch die notariell beurkundete Vertragsänderung im Jahre 1999 wirksam rückgängig gemacht worden ist; nicht entscheidungserheblich ist auch, bis zu welchem Zeitpunkt der Verzicht auf die Steuerbefreiung rückgängig gemacht werden kann. Jedenfalls liegt dieser Zeitpunkt nicht vor Eintritt der Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung gegenüber dem leistenden Unternehmer (BFH in BFHE 127, 238, BStBl II 1979, 394, und in BFH/NV 1995, 170). Da die Steuerfestsetzung für 1988 Gegenstand der vorliegenden Anfechtungsklage ist, war dieser Zeitpunkt weder im Jahre 1989 noch im Jahre 1999 verstrichen.
b) Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG schuldet der Unternehmer, der in einer Rechnung für eine Lieferung oder sonstige Leistung einen höheren Steuerbetrag, als er nach diesem Gesetz für den Umsatz schuldet, gesondert ausgewiesen hat, auch den Mehrbetrag. Berichtigt er den Steuerbetrag gegenüber dem Leistungsempfänger, so ist gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG § 17 Abs. 1 dieses Gesetzes entsprechend anzuwenden. Nach der Rechtsprechung des BFH erfasst § 14 Abs. 2 UStG auch jene Fälle, in denen ein Unternehmer in einer Rechnung Umsatzsteuer für steuerfreie Umsätze gesondert ausgewiesen hatte und den darin liegenden Verzicht auf die Steuerbefreiung nachträglich zurücknimmt (BFH-Urteile in BFHE 171, 369, BStBl II 1993, 777, und in BFH/NV 1995, 170). Mit der Rückgängigmachung des Verzichts auf die Steuerbefreiung wird der in der ursprünglichen Rechnung ausgewiesene Steuerbetrag ―rückwirkend― nicht mehr geschuldet. Der leistende Unternehmer schuldet die dem Leistungsempfänger in Rechnung gestellte, aber nicht mehr geschuldete Umsatzsteuer bis zur Rechnungsberichtigung nach § 14 Abs. 2 UStG.
Wie bereits oben ausgeführt wurde, erfüllte der notarielle Kaufvertrag vom 29. Dezember 1988 die Anforderungen an eine Rechnung i.S. des § 14 UStG. Da diese Rechnung im Streitjahr 1988 noch nicht berichtigt worden war, schuldete der Veräußerer die ausgewiesene Steuer im Streitjahr nach § 14 Abs. 2 UStG.
5. Der geschilderten Rechtslage steht nicht die Behandlung des Vorsteuerabzugs beim Erwerber entgegen. Der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer erfordert, dass der Rückgängigmachung des Verzichts auf die Steuerbefreiung durch den leistenden Unternehmer die Rückgängigmachung des Vorsteuerabzugs beim Leistungsempfänger entspricht. Die Rückgängigmachung des Vorsteuerabzugs wirkt sich beim Leistungsempfänger bereits im Jahr des Leistungsbezugs aus. § 14 Abs. 2, § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG findet insoweit keine Anwendung. Der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG setzt nämlich voraus, dass eine Steuer für den berechneten Umsatz geschuldet wird (Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ―EuGH― vom 13. Dezember 1989 Rs. C-342/87, Genius Holding, Slg. 1989, 4227, 4242, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht ―UVR― 1990, 113, Umsatzsteuer-Rundschau ―UR― 1991, 83; BFH-Urteil vom 2. April 1998 V R 34/97, BFHE 185, 536, BStBl II 1998, 695). Macht der leistende Unternehmer den Verzicht auf die Steuerbefreiung rückgängig, wird der Umsatz rückwirkend wieder steuerfrei, so dass eine Steuer für den berechneten Umsatz nicht mehr geschuldet wird. Der Erwerber verliert den Vorsteuerabzug rückwirkend im Jahr des Leistungsbezugs und nicht erst im Zeitpunkt der Rückgängigmachung des Verzichts auf die Steuerbefreiung (im Zeitpunkt der Rechnungsberichtigung). Die rückwirkende Berichtigung des Vorsteuerabzugs beim Leistungsempfänger ist auch abgabenrechtlich möglich.
Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Was unter einem rückwirkenden Ereignis zu verstehen ist, entscheidet sich nach dem im Einzelfall anzuwendenden materiellen Steuergesetz (BFH-Urteil vom 21. Dezember 1993 VIII R 69/88, BFHE 174, 324, BStBl II 1994, 648; Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, unter C. II. 1. der Gründe). Weil nur die geschuldete Umsatzsteuer als Vorsteuer abziehbar ist, hat die Rückgängigmachung des Verzichts durch den leistenden Unternehmer Tatbestandswirkung für den Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers und ist deshalb ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977.
Fundstellen
Haufe-Index 567640 |
BFH/NV 2001, 991 |
BStBl II 2003, 673 |
BFHE 194, 493 |
BFHE 2002, 493 |
BB 2001, 976 |
DB 2001, 1542 |
DStR 2001, 788 |
DStRE 2001, 605 |
DStZ 2001, 482 |
HFR 2001, 701 |
HFR 2001, 702 |
StE 2001, 280 |
UR 2001, 253 |