Leitsatz (amtlich)
Die auf tatsächlichem Gebiet liegende Würdigung des FG, eine von einem Kaufmann zusammen mit einem Angestellten unternommene Reise in die USA, bei der fast ausschließlich beruflich informierende Veranstaltungen in großer Anzahl besucht wurden, sei weitaus überwiegend betrieblich veranlaßt, ist zwar nicht zwingend, sie verstößt aber auch nicht gegen die Lebenserfahrung.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 4, § 12 Nr. 1 S. 2
Tatbestand
Die Revisionsbeklagten (im folgenden Kläger) sind Eheleute und persönlich haftende und geschäftsführende Gesellschafter einer KG, die den Handel mit Baustoffen betreibt. Streitig ist bei der einheitlichen Gewinnfeststellung 1965, ob die KG die Kosten einer von der Ehefrau (im folgenden Klägerin) und dem als Prokuristen bei der KG angestellten Zeugen R. unternommenen Reise in die USA als Betriebsausgaben behandeln durfte.
Die KG hatte in den Jahren 1960/61 ein neues Betriebsgebäude errichtet. Trotz sorgfältiger Vorbereitung und Besichtigung von Konkurrenzbetrieben stellten sich alsbald Fehler bei der Planung heraus, die die KG durch Anund Umbauten in den Jahren 1963 und 1964 auszugleichen versuchte. Da auch dies nicht genügte, entschloß sie sich, einen Lagerhallenneubau zu errichten. Es wurden verschiedene Baupläne erwogen, ohne daß zunächst eine Entscheidung getroffen wurde. In dieser Situation erhielt die KG eine zuvor schon wiederholt geäußerte Empfehlung ihres Fachverbandes zu einer Studienreise für Fachleute des Baustoffhandels in die USA. Veranstalter der Reise war ein Bauverlag, der dabei im Einvernehmen mit dem Bund Deutscher Baustoffhändler handelte. Die Durchführung lag in den Händen der Hapag-Lloyd Reisebüro-Organisation sowie eines amerikanischen Reisebüros. Teilnehmer waren insgesamt 12 im Baustoffhandel tätige Personen. Die Reise, an der die Klägerin und der Prokurist auf Kosten des Betriebs teilnahmen, wurde am 3. März 1965 mit dem Flugzeug angetreten, führte zunächst nach New York und von dort über Washington, Chicago, Des Moines, Denver, Salt Lake City, Los Angeles und Phoenix am 16. März nach New York zurück. Von dort traten die Klägerin und der Zeuge R. am 19. März 1965 die Rückreise nach Deutschland mit dem Schiff an. Die Schiffsreise endete am 26. März 1965. Das Programm sah ausschließlich Besichtigungen von Firmen und Stadtrundfahrten vor. Die Stadtrundfahrten in Washington, Chicago, San Franzisko und Los Angeles fanden an Samstagen und Sonntagen, die Stadtrundfahrt in New York am Mittwoch, dem 17. März 1965, dem Vortag der Rückreise, statt. Der Nachmittag dieses Tages und der folgende Donnerstag (bis zur Ausreise) standen zur freien Verfügung der Teilnehmer. Sonstige Veranstaltungen und Besichtigungen waren nicht vorgesehen. Die Klägerin verfaßte einen Reisebericht.
Die Kläger sind der Ansicht, die Reise habe zwar nicht alle Erwartungen erfüllt, doch seien die gewonnenen Erkenntnisse immerhin wertvoll für die weiteren Pläne der KG gewesen, die auf Grund der Reiseerfahrungen geändert worden seien. Insoweit ist unstreitig, daß seit Anfang 1966 mit verschiedenen Firmen Verhandlungen über einen Hallenneubau oder die Erweiterung der alten Halle geführt wurden; daß der Hallenneubau schließlich jedoch nicht ausgeführt wurde, weil sich herausstellte, daß der vorgesehene eigene Bauplatz der KG ungeeignet war und der Erwerb eines angrenzenden, der Stadt gehörenden Bauplatzes an deren Weigerung scheiterte, ihn zu verkaufen; daß ein weiteres Projekt, die Einrichtung eines neuen Verkaufsraums, bei dessen Durchführung die Reiseerfahrungen der Klägerin verwertet werden sollten, wegen einer bereits seit 1963/64 bestehenden Bausperre scheiterte.
Das FA verneinte die betriebliche Veranlassung der Reise und versagte die Anerkennung der aufgewendeten Reisekosten als Betriebsausgaben.
Mit ihrer Sprungklage trugen die Kläger vor, die Reise sei ausschließlich betrieblich veranlaßt gewesen. Das ergebe sich bereits daraus, daß die Klägerin den angestellten Prokuristen mitgenommen habe, im übrigen aber auch aus der Art des Reiseprogramms. Die Fülle der dort vorgesehenen Veranstaltungen habe den Reiseteilnehmern keine Zeit zur Erholung oder für Bildungserlebnisse gelassen. Auch die Stadtrundfahrten hätten insoweit fachlichen Zwecken gedient, als sie den Teilnehmern einen Eindruck der amerikanischen Städtebauweise und der im amerikanischen Baustoffhandel umgesetzten Waren habe vermitteln sollen. Die Klägerin unternehme zweimal jährlich Urlaubsreisen, und zwar auch ins Ausland.
Nach Anhörung der Klägerin und Vernehmung des Prokuristen als Zeugen gab das FG der Klage statt. Es führte zur Begründung aus, die betriebliche Natur der Reise des Prokuristen ergebe sich bereits daraus, daß er in seiner Eigenschaft als Angestellter und somit in Ausübung beruflicher Obliegenheiten mitgefahren sei. Davon sei der Senat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme überzeugt. Nach Bekundung des Zeugen sei ihm die Teilnahme an der Reise von der Unternehmensleitung aus betrieblichen Gründen nahegelegt worden und habe er sich zunächst dagegen gesträubt, weil er die mit der Reise verbundenen Strapazen gescheut habe. Wenn er der an ihn gerichteten Aufforderung unter diesen Umständen nachgekommen sei, so habe er das ausschließlich im Interesse seiner Arbeitgeberin getan. Aber - so führte das FG weiter aus - auch wenn man gleichwohl davon ausginge, daß die Reise für ihn eine private Bildungs- oder Urlaubsreise gewesen wäre, folge daraus noch nicht, daß auch die Übernahme der Reisekosten durch die KG nicht betrieblich, sondern privat veranlaßt gewesen wäre. Eine solche private Veranlassung für die Übernahme seiner Reisekosten durch die KG sei vom FA weder geltend gemacht worden noch aus den Akten ersichtlich oder auch nur wahrscheinlich. Als Beweggrund für die Gesellschafter der KG, die Kosten einer privaten Urlaubs- oder Erholungsreise des Prokuristen zu übernehmen, käme allenfalls die Absicht in Betracht, ihm eine Anerkennung für geleistete Dienste oder eine sonstige betriebliche Sozialleistung zuzuwenden. Auch darin würde eine betriebliche Veranlassung zu sehen sein. Aber auch die Reise der Klägerin sei betrieblich veranlaßt gewesen. Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteil IV 36/64 U vom 18. Februar 1965, BFH 82, 88, BStBl III 1965, 279) seien Studienreisen, selbst wenn sie nicht lehrgangmäßig organisiert und durchgeführt würden, betrieblich veranlaßt, falls eine private Veranlassung nahezu ausgeschlossen sei, was hier der Fall sei. Objektiv ergebe sich das aus Art, Zahl und Dauer der Veranstaltungen, an denen die Klägerin teilgenommen habe. Mit Ausnahme der Stadtrundfahrten seien alle Veranstaltungen nur für Fachleute des Baustoffhandels von Interesse gewesen. Als Beweggrund für die Teilnahme an ihnen komme mithin nur eine berufliche oder betriebliche Veranlassung in Betracht. Mit diesen Veranstaltungen sei die weitaus überwiegende Zahl der in den USA verbrachten Werktage voll ausgefüllt gewesen. Sie hätten in der Regel etwa drei Stunden gedauert und an den meisten Tagen vormittags und nachmittags stattgefunden. An Werktagen seien nach dem Programm veranstaltungsfreie Nachmittage regelmäßig zum Weiterflug ausgenutzt worden. Auch die Wochenenden hätten nicht ausnahmslos zur freien Verfügung gestanden, sondern seien teilweise ebenfalls dazu verwendet worden, zum nächsten Reiseort weiterzufliegen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe auch fest, daß die Klägerin an allen diesen Veranstaltungen teilgenommen und zusammen mit den anderen Reiseteilnehmern noch weitere fachliche Veranstaltungen außerhalb des Reiseprogramms besucht habe. Das habe der Zeuge glaubhaft bekundet. Auf den betrieblichen Nutzen nicht privat veranlaßter Aufwendungen im Rahmen eines Betriebs komme es für die Anwendung des § 4 Abs. 4 EStG nicht an. Nach ständiger Rechtsprechung liege es allein im Ermessen des Unternehmers, welche Aufwendungen er zur Förderung seines Betriebs mache. Hier sei obendrein die Reise für den Betrieb der KG objektiv nützlich gewesen. Zwar hätten die Klägerin und der Zeuge daraus Erfahrungen nicht im erwarteten Umfange sammeln können; gleichwohl hätten sie wertvolle Erkenntnisse gewonnen. Das habe der Zeuge bei seiner Vernehmung bestätigt. Aber auch subjektiv sei die Reise für die Klägerin betrieblich veranlaßt gewesen. Auf Grund des persönlichen Eindrucks, den der Senat von ihr in der mündlichen Verhandlung gewonnen habe, sei er davon überzeugt, daß sie sich zur Teilnahme an der Reise ausschließlich deshalb entschlossen habe, um durch Gewinnung neuer Erkenntnisse den Betrieb zu fördern. Das habe sie glaubhaft dargelegt. Diese auf dem persönlichen Eindruck des Senats beruhende Überzeugung werde aber auch durch die allgemeine Lebenserfahrung bestätigt. Personen, die wie die Klägerin in vorgerücktem Alter stünden, unterzögen sich den Anstrengungen einer solchen Reise vernünftigerweise nicht, um sich zu erholen oder Bildungserlebnisse zu sammeln.
Mit der Revision erstrebt das FA Wiederherstellung seines Feststellungsbescheids. Es trägt vor, das angefochtene Urteil habe die Vorschriften des § 12 Nr. 1 und des § 4 Abs. 4 EStG verletzt und sich über die in den BFH-Urteilen IV 36/64 U, VI 132/65 vom 11. Mai 1965 (BFH 86, 349, BStBl III 1966, 502), IV R 207/66 vom 12. Januar 1967 (BFH 88, 45, BStBl III 1967, 286), VI R 315/66 vom 12. Juli 1968 (BFH 93, 69, BStBl II 1968, 676), IV R 187/68 vom 10. April 1969 (DB 1969, 1537), aufgestellten Beweisregeln und Erfahrungssätze betreffend die Beurteilung der durch Fachverbände organisierten USA-Reisen hinweggesetzt. An den Nachweis der betrieblichen Veranlassung einer Reise seien im Interesse einer gleichmäßigen Besteuerung strenge Anforderungen zu stellen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht begründet.
Das FA weist zwar mit Recht auf die Rechtsprechung des BFH hin, nach der an den Nachweis der betrieblichen Veranlassung einer Reise strenge Anforderungen zu stellen sind. In den genannten Urteilen ist indessen stets eindeutig zum Ausdruck gekommen, daß die Entscheidung der Frage im wesentlichen auf der Würdigung der tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalles beruht, die ausschließlich Sache des Tatsachengerichts ist. Im Rahmen dieser Würdigung muß das Gesamtbild beurteilt werden, innerhalb dessen die einzelnen Umstände nur die Bedeutung von Beweisanzeichen haben, die je nach der Gestaltung des Falles auch ein verschiedenes Gewicht haben können. Ist die Gesamtwürdigung durch das FG verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen und nicht durch Denkfehler oder Verletzung von Erfahrungssätzen beeinflußt, so ist sie für das Revisionsgericht bindend, auch wenn sie nicht zwingend, sondern nur möglich ist (§ 118 Abs. 2 FGO).
Im vorliegenden Falle hat das FG nach Beweisaufnahme und unter sorgfältiger Abwägung der den Charakter dieser Reise bestimmenden Umstände die weitaus überwiegende betriebliche Veranlassung der Reise bejaht. Es hat nicht, wie das FA meint, das Ergebnis der Würdigung vorweggenommen und die betriebliche Veranlassung nicht geprüft, sondern eindeutig festgestellt, daß der Anlaß der Reise ein betrieblicher gewesen sei. Es hat dafür angeführt, daß dem Zeugen R. die Teilnahme aus betrieblichen Gründen nahegelegt worden sei, daß die Zahl der im Reiseprogramm vorgesehenen und zusätzlich unternommenen beruflichen Veranstaltungen, an denen die Klägerin stets teilgenommen habe, so erheblich gewesen sei, daß für sonstige Zwecke keine Zeit zur Verfügung gestanden habe, daß sogar die Wochenenden teilweise zum Weiterflug genutzt worden seien und daß auch die Klägerin selbst bei ihrer Anhörung dem FG auf Grund des persönlichen Eindrucks, den es von ihr gewonnen habe, glaubhaft gemacht habe, daß die Reise beruflich veranlaßt gewesen sei. Diese Begründung trägt die Entscheidung. Der vom FG gezogene Schluß erscheint dem Senat zwar nicht zwingend. Der Fall ist dem durch das Urteil des Senats IV R 207/66 vom 12. Januar 1967 (a. a. O.) entschiedenen ähnlich. Er weist jedoch Besonderheiten auf, die den Schluß des FG nicht als gegen die Lebenserfahrung verstoßend erscheinen lassen.
Die Möglichkeit des vom FG gefundenen Ergebnisses wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß die Besichtigungen an erheblich voneinander entfernten Orten, die auch Fremdenverkehrszentren sind, stattfanden. Auch dieser Umstand ist nur ein Indiz. Die Klägerin hatte hinsichtlich der Gestaltung des Programms, das sicherlich auch zur Teilnahme Anreiz geben sollte und wohl bei einem Teil der Teilnehmer zur Teilnahme geführt hat, keinen Einfluß. Sie mußte es hinnehmen. Das FG konnte die Reise gleichwohl als betrieblich veranlaßt ansehen. Die Auffassung der Vorinstanz, auf die Auswirkungen der Reise auf die spätere Gestaltung des Betriebs komme es nicht an, ist nicht zu beanstanden. Solche Auswirkungen, wie ebenso die Fragen, ob Erfahrungen auch in Deutschland hätten gesammelt werden können und ob die Rückreise mit dem Schiff nicht gegen eine betriebliche Veranlassung spräche, sind zwar wichtige Anhaltspunkte, die bei einer Gesamtwürdigung ins Gewicht fallen können. Hier sah das FG aber offenbar die Gestaltung des Programms selbst und die durch den Zeugen bestätigten Erwägungen über die Erforderlichkeit der Reise als so überwiegende Argumente für den betrieblichen Anlaß der Reise an, daß die übrigen Indizien demgegenüber nicht mehr ins Gewicht fielen. Das FG brauchte auch nicht im einzelnen festzustellen, welche Erfahrungen gesammelt werden sollten, um daraus auf die betriebliche Veranlassung der Reise schließen zu können. Es ist eindeutig davon ausgegangen, daß die Reise auf die Art des Betriebs der KG zugeschnitten war, fast nur aus beruflich interessierenden Veranstaltungen bestand und kaum Raum für Erholung und allgemeine Wissensbereicherung bot. Damit aber brauchte die Vorinstanz die Kosten der Reise nicht zu den Lebenshaltungskosten im Sinn des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG zu rechnen, sondern es konnte sie als Betriebsausgaben anerkennen.
Die beiden letzten Sätze der finanzgerichtlichen Entscheidung (vor den die Kostenentscheidung betreffenden Ausführungen) könnten allerdings Anlaß zu Bedenken geben. Das FG bemerkt dort, die auf dem persönlichen Eindruck (von der Klägerin) beruhende Überzeugung des Senats werde durch die allgemeine Lebenserfahrung bestätigt. Personen, die wie die Klägerin in vorgerücktem Alter - im Zeitpunkt der Reise 57 Jahre - stünden, unterzögen sich den Anstrengungen einer solchen Reise vernünftigerweise nicht, um sich zu erholen oder Bildungserlebnisse zu sammeln. Diese Sätze müssen im Zusammenhang gesehen werden. Das FG meint offensichtlich nicht, es widerspreche der Lebenserfahrung, daß Personen im Alter der Klägerin noch zur Erholung oder Unterrichtung bestimmte Reisen unternähmen, sondern daß Personen im vorgerückten Alter die Anstrengungen "einer solchen Reise", das heißt einer Reise, die fast nur durch beruflich orientierte Veranstaltungen charakterisiert ist, unternähmen, um sich zu erholen oder Bildungserlebnisse zu sammeln. Diese Feststellung verstößt nicht gegen die Lebenserfahrung.
Fundstellen
Haufe-Index 69478 |
BStBl II 1971, 522 |
BFHE 1971, 85 |