Leitsatz (amtlich)
1. Es bestehen erhebliche Bedenken gegen die berufliche Veranlassung des Besuches eines Ärzte-Kongresses, wenn dieser nur 4 1/2 Tage dauert und die Hin- und Rückreise (mit dem Schiff) 16 Tage beansprucht.
2. Hält das FG die Schiffsreise für privat veranlaßt, so kann es nicht mit der Begründung, sie habe keine Mehrkosten gegenüber einer Flugreise verursacht, die gesamten Kosten der Reise als Betriebsausgaben anerkennen.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 4, § 12 Nr. 1 S. 2
Tatbestand
Der Revisionsbeklagte (Steuerpflichtiger) ist Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. Streitig ist, ob er die Kosten, die er im Streitjahr 1967 für die Teilnahme an einem internationalen Kongreß für Neurogenetik und Neuroophthalmologie in Montreal (Kanada) aufwendete, bei der Ermittlung seiner Einkünfte als Betriebsausgaben abziehen kann.
Der Kongreß wurde von der Welt-Föderation für Neurologie veranstaltet. Der Steuerpflichtige fuhr am 9. September 1967 mit der Eisenbahn von seinem Wohnort nach Rotterdam und von dort aus noch am selben Tage mit dem Schiff nach New York, wo er am 16. September 1967 ankam. Den Rest der Reise legte er in der Nacht vom 16. zum 17. September 1967 mit der Bahn zurück. Der Kongreß dauerte vom 17. September 1967 bis zum 22. September 1967 einschließlich. Am Tage nach dem Ende des Kongresses, dem 23. September 1967, begann die Rückreise mit dem Schiff von Montreal, die am 3. Oktober 1967 in Rotterdam endete. Dort trat der Steuerpflichtige am selben Tage die Heimreise mit der Bahn an.
Der Kongreß war in Symposien gegliedert, in denen die folgenden Themen behandelt wurden: Muskelerkrankungen, Parkinsonsche Krankheit, Nerven-Augenheilkunde, Huntingtonsche Krankheit (Chorea), Anzeichen an den Augen für Myopathien und Dystrophien, Anzeichen an den Augen für erbliche Krankheiten, angeborene Augenkrankheiten. Im Rahmen der einzelnen Symposien wurden durchschnittlich vier Vorträge gehalten, unter denen die Teilnehmer wählen konnten. Unter den Vortragenden befanden sich Wissenschaftler aus 31 Ländern, vornehmlich aus den Bereichen der Neurologie, Pharmakologie, Ophthalmologie, Physiologie und Kindermedizin. Die einzelnen Veranstaltungen, die am 18. September 1967 begannen, dauerten regelmäßig vormittags von 8.45 Uhr bis gegen 12.00 Uhr und nachmittags, außer dem letzten Kongreßtag, dem 22. September 1967, von 14.00 Uhr bis gegen 17.00 Uhr. Die Abende waren für gesellschaftliche und kulturelle Zwecke, wie den Besuch der Oper und der Weltausstellung Expo 1967, die seinerzeit in Montreal stattfand, freigehalten. Für den Besuch der Weltausstellung erhielten alle Kongreßteilnehmer einen Eintagesausweis, der an einem beliebigen Tag während des Kongresses benutzt werden konnte. Der Steuerpflichtige legte das Kongreßprogramm sowie eine Mitgliedskarte für den Kongreß zum Preis von 35 Can. Dollar, das sind 131,01 DM, vor. Die Schiffsreise Rotterdam-Montreal-Rotterdam hatte in der Touristenklasse einschließlich Verpflegung 2 044 DM gekostet. Für eine Flugreise nach Montreal hätte der Steuerpflichtige 2 136 DM bezahlen müssen. Die Zugreise Rotterdam und zurück kostete 53,40 DM. Insgesamt hatte der Steuerpflichtige Aufwendungen in Höhe von 3 012,61 DM.
Der Revisionskläger (FA) erkannte im Steuerbescheid und in der Einspruchsentscheidung die Kosten nicht als Betriebsausgaben an, weil ein Kongreß für Neurogenetik und Ophthalmologie für einen Hals-, Nasen- und Ohrenarzt keine Fachtagung im Sinne der Rechtsprechung sei und weil es sich nach dem Gesamtbild um eine Erholungsund Bildungsreise nach Übersee in Verbindung mit einem Besuch der Weltausstellung gehandelt habe.
Der Steuerpflichtige erhob Klage, der das FG mit folgender Begründung stattgab. Die Aufwendungen eines Arztes für die Teilnahme an einer Fachtagung seien grundsätzlich beruflich bedingt. Durch Vorlage des Programmheftes und einer Mitgliedskarte habe der Steuerpflichtige seine Teilnahme an dem Kongreß genügend nachgewiesen. Dieser habe auch für den Steuerpflichtigen eine Fachtagung dargestellt. Die Tatsache, daß er sich nicht unmittelbar mit Fragen aus dem Fachgebiet des Steuerpflichtigen befaßt habe, bedeute nicht, daß er nicht der Fortbildung des Steuerpflichtigen gedient habe. Denn nicht nur die Vertiefung eines bestimmten Fachwissens, sondern auch dessen Erweiterung und Ergänzung, insbesondere in Richtung auf andere Fachbereiche, sei heute im allgemeinen ein anerkanntes Gebot der beruflichen Fortbildung. Es müsse dem betreffenden Facharzt selbst überlassen bleiben zu entscheiden, inwieweit er seine Fortbildung auch auf anderen Fachgebieten vertiefen wolle und welcher Mittel er sich dabei bediene. Da somit die Teilnahme des Steuerpflichtigen an dem Kongreß grundsätzlich für die berufliche Veranlassung der Reise spreche, bleibe zu fragen, ob sich aus den übrigen Umständen des Einzelfalles ergebe, daß die Reisekosten nach ihrem Hauptzweck dennoch privat veranlaßt gewesen seien. Daraus, daß zur gleichen Zeit in Montreal die Weltausstellung stattgefunden habe, könne nicht geschlossen werden, daß die Reise privat veranlaßt gewesen sei. Der Besuch der Weltausstellung habe auf Grund der zeitlichen Disposition durch das Kongreßprogramm nur eine Erweiterung der allgemeinen Bildung des Steuerpflichtigen bedeuten können, die über das bei Fachtagungen im Ausland übliche Maß nicht hinausgegangen sei. Denn abgesehen davon, daß nicht sicher sei, ob der Steuerpflichtige die Weltausstellung überhaupt besucht habe, habe das Kongreßprogramm nur einen Besuch der Ausstellung am Abend zugelassen. Die übrige Zeit sei durch Fachvorträge ausgefüllt gewesen. Selbst wenn der Steuerpflichtige aber einen Tag seiner insgesamt sechs Tage dauernden Anwesenheit in Montreal dem Besuch der Weltausstellung gewidmet haben sollte, ändere dies nichts an dem weitaus überwiegend beruflichen Charakter der Reise, da die Besichtigung der örtlichen Sehenswürdigkeiten erfahrungsgemäß zum Programm jeder im Ausland stattfindenden Fachtagung gehöre. Sei insoweit die Reise weitaus überwiegend beruflich veranlaßt, so komme es nicht darauf an, daß der Steuerpflichtige statt des Flugzeuges ein Schiff als Reisemittel benutzt habe. Mit der Rechtsprechung des BFH sei davon auszugehen, daß eine Seereise aus mannigfachen Gründen gewählt werden könne und diese nicht unbedingt auf eine Erholungsreise hinzudeuten brauche. Schließlich ergebe sich auch daraus, daß der Steuerpflichtige ohne die Begleitung seiner Ehefrau gereist sei und daß die Reise im Herbst stattgefunden habe, einer Jahreszeit, in der Nordatlantikreisen durch unfreundliche Witterung gekennzeichnet seien, daß der Steuerpflichtige lediglich Touristenklasse gebucht habe, daß die Reise billiger als eine Flugreise gewesen sei und daß Hin- und Rückreise ohne Unterbrechungen so gelegt worden seien, daß nach dem Kongreßablauf für private Belange kein Raum mehr gewesen sei, daß er das Schiff hauptsächlich als Transportmittel zu seinem Reiseziel benutzt habe. Selbst wenn aber aus der im Vergleich zum Kongreß langen Dauer der Schiffsreise und der Tatsache, daß auf der Hinreise zunächst New York angelaufen worden sei, auf deren Erholungscharakter geschlossen würde, ändere dies an der Entscheidung nichts, da sie keine aussonderbaren Mehrkosten verursacht habe, sondern im Gegenteil billiger als die Flugreise gewesen sei und ohnehin für die ansonsten berufsbedingte Reise Kosten für die Überfahrt hätten aufgewendet werden müssen.
Gegen dieses Urteil legte das FA Revision ein, mit der es die Wiederherstellung des Steuerbescheides erstrebt.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an die Vorinstanz.
Nach der ständigen, auch vom FG zitierten Rechtsprechung des BFH müssen im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (vgl. hierzu neuerdings den Beschluß des Großen Senats des BFH Gr. S. 2/70 vom 19. Oktober 1970, BFH 100, 309, BStBl II 1971, 17 Ziff. II 3) an den vom Steuerpflichtigen zu führenden Nachweis, daß eine Reise beruflich veranlaßt gewesen sei, strenge Anforderungen gestellt werden; ein privater Reisezweck muß nahezu ausgeschlossen sein. Zwar wird eine Reise in der Regel als beruflich veranlaßt gelten können, wenn sie dem Besuch eines straff organisierten Fachkurses dient. Doch sind auch in diesem Fall alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen (BFH-Urteil IV 269/64 U vom 22. Juli 1965, BFH 83, 401, BStBl III 1965, 644). Zu diesen Umständen gehören z. B. die Dauer der Reise (insbesondere im Verhältnis zu der mit beruflichen Veranstaltungen ausgefüllten Zeit), die Art des Beförderungsmittels und die Intensität des Interesses an den in einem Kurs oder auf einem Kongreß abgehandelten Themen für den eigenen beruflichen Wirkungsbereich, wenn auch ein ferner liegendes Interesse nicht unbedingt den beruflichen Charakter ausschließen muß (vgl. insoweit das BFH-Urteil IV R 157/68 vom 20. März 1969, BFH 95, 187, BStBl II 1969, 338).
Hier hatte der Steuerpflichtige an einem Kongreß teilgenommen, dessen fachlich interessierende Veranstaltungen am 18. September 1967 begannen und am Mittag des 22. September 1967 beendet waren, der also nur 4 1/2 Tage gedauert hatte. Demgegenüber hatte die Reise des Steuerpflichtigen insgesamt 25 Tage in Anspruch genommen, von denen der Steuerpflichtige ca. 16 Tage allein auf dem Schiff verbrachte, d. h. die Zeit, die für die in heutiger Zeit als besonders erholsam geltenden sogenannten Kreuzfahrten üblich ist. Nimmt man noch hinzu, daß das Thema des Kongresses nicht unmittelbar das Fachgebiet des Steuerpflichtigen betraf, so stellt sich die ernstliche Frage, ob das FG nicht mit seinem Schluß auf die berufliche Veranlassung der Reise gegen die Lebenserfahrung verstoßen hat, insbesondere wenn es als möglich unterstellt, daß der Steuerpflichtige einen Tag des Aufenthalts in Montreal auch noch dem Besuch der Weltausstellung gewidmet hat. Die Frage bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung, da das Urteil ohnehin wegen Rechtsirrtums aufzuheben ist.
Das FG, das offenbar selbst empfand, daß die lange Dauer der Schiffsreise in keinem Verhältnis zu den eigentlichen Kongreßtagen stand, führte nämlich am Schluß seiner Entscheidung aus, selbst wenn man aus dieser Tatsache und dem weiteren Umstand, daß auf der Hinreise zunächst New York angelaufen worden sei, auf den Erholungscharakter der Reise schließen wolle, ändere das an der Entscheidung nichts, da durch die Schiffsreise keine aussonderbaren Mehrkosten entstanden seien. Damit hat das FG aber die Bedeutung des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG und die dazu ergangene Rechtsprechung des BFH verkannt. Nach dieser Vorschrift rechnen Kosten der Lebenshaltung grundsätzlich zu den nichtabsetzbaren privat veranlaßten Ausgaben, selbst wenn sie auch der Förderung beruflicher Belange dienen. Durch die Rechtsprechung ist diese Vorschrift abgemildert worden. Auch eine Reise, die zwar privaten Belangen, aber weitaus überwiegend beruflichen Zielen dient, soll als beruflich bedingte Reise anerkannt werden mit der Folge, daß sogar die Kosten unerheblicher privat veranlaßter Teile der Reise mit zu den absetzbaren Betriebsausgaben oder Werbungskosten gehören (vgl. die BFH-Urteile VI 214/61 U vom 24. August 1962, BFH 75, 603, BStBl III 1962, 487, und IV 36/64 U vom 18. Februar 1965, BFH 82, 88, BStBl III 1965, 279). Das kann aber nicht dazu führen, daß eine Reise, die - wie vom FG als möglich unterstellt - zu einem sowohl hinsichtlich des Zeitaufwands als auch hinsichtlich der Ausgaben entscheidenden Teil privater Natur ist, damit insgesamt zu einer betrieblich veranlaßten Reise wird, deren gesamte Kosten sollen abgesetzt werden können. Ist eine Reise in nicht nur unwesentlichem Maße privat veranlaßt, so sind grundsätzlich alle Kosten private Ausgaben (§ 12 Nr. 1 Satz 2 EStG). Die Rechtsprechung hat allerdings auch hier zugunsten des Steuerpflichtigen eine mildere Auslegung gewählt, indem sie gestattet hat, daß die nachweisbar auf die Teilnahme an beruflichen Veranstaltungen selbst entfallenden Kosten abziehbar sind (BFH-Urteil IV 36/64 U mit weiteren Nachweisen). Der Große Senat des BFH hat erst unlängst in dem erwähnten Beschluß Gr. S. 2/70 Ziff. II 3 bis 6 und in dem weiteren Beschluß Gr. S. 3/70 vom 19. Oktober 1970 (BFH 100, 317, BStBl II 1971, 21) klargestellt, daß § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG ein grundsätzliches Aufteilungsverbot enthält, das - wenn überhaupt - nur in Ausnahmefällen durchbrochen werden darf, wenn ein zuverlässiger, leicht feststellbarer und nachprüfbarer objektiver Maßstab für die Aufteilung gegeben ist, Das ist bei Reisekosten nicht der Fall (BFH Gr. S. 2/70). Sie sind voll dem privaten Bereich zuzuordnen (BFH-Urteil IV 36/64 U).
Das FG wird bei seiner neuen Prüfung alle Umstände des Einzelfalles daraufhin untersuchen müssen, ob die Reise insgesamt privat oder beruflich veranlaßt war. Kommt es dabei zur Verneinung eines beruflichen Anlasses, so kann es dennoch die eindeutig durch den Besuch des Kongresses veranlaßten Kosten - aber auch nur diese - absetzen, auch wenn dieser Kongreß einer mehr allgemeinen Weiterbildung des Steuerpflichtigen diente. Voraussetzung dafür ist allerdings die Überzeugung des Gerichts, daß der Steuerpflichtige den Kongreß besuchte, um sich als Arzt weiterzubilden.
Fundstellen
Haufe-Index 69479 |
BStBl II 1971, 524 |
BFHE 1971, 90 |
NJW 1971, 1912 |