Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Umsatzsteuerbefreiung für Logopäden vor Inkrafttreten des Gesetzes über den Beruf des Logopäden
Leitsatz (NV)
Die von einem Sprachtherapeuten oder Logopäden vor Inkrafttreten des Gesetzes über den Beruf des Logopäden vom 7. 5. 1980 (BGBl I 1980, 529) und in einem Bundesland, das keine Ausübungsregelung für den Beruf des Logopäden erlassen hatte, erbrachten Leistungen sind nicht gemäß § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1967/1973 steuerfrei.
Normenkette
UStG 1967/1973 § 4 Nr. 14 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist die Witwe von G. Der verstorbene Ehemann der Klägerin war Opernsänger und Sprachbildner an einer Schauspielschule. Seit 1968 war er selbständig als Sprachtherapeut oder Logopäde tätig und behandelte Sprachstörungen aller Art, insbesondere bei Kindern. Dies geschah in Zusammenarbeit mit einem für die Patienten verantwortlichen Arzt. Im Rahmen seiner Tätigkeit war der Ehemann der Klägerin in der Diagnose, Therapie und Beratung der Kranken eigenverantwortlich tätig. Eine Logopädenschule hat er nicht besucht, da diese Schulart in Baden-Württemberg erst 1980 eingeführt worden ist. In der beim Gesundheitsamt geführten Liste der ,,Medizinalpersonen" wurde der Ehemann der Klägerin als Logopäde geführt. Aufgrund vertraglicher Vereinbarungen mit der Allgemeinen Ortskrankenkasse und dem Verband der Angestellten Krankenkassen e. V. war der Ehemann der Klägerin berechtigt, ärztlich verordnete Sprachheilbehandlungen durchzuführen. Nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Beruf des Logopäden vom 7. Mai 1980 (BGBl I 1980, 529) erhielt er gemäß § 8 Abs. 5 dieses Gesetzes vom Regierungspräsidenten am 1. Dezember 1980 - ohne Ablegung einer Prüfung - die Erlaubnis, die Berufsbezeichnung Logopäde zu führen.
Der Ehemann der Klägerin erklärte erstmalig für das Kalenderjahr 1973, daß er seine Umsätze den allgemeinen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes (UStG) unterwerfen wolle (§ 19 Abs. 4 UStG 1973).
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) versagte ihm für die Streitjahre 1975 und 1976 die Umsatzsteuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 14 oder Nr. 21 Buchst. a UStG 1973. Er unterwarf seine sprachtherapeutischen Leistungen dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 5 UStG 1973. Der Einspruch blieb erfolglos.
Mit der Klage beanspruchte der Ehemann der Klägerin die Umsatzsteuerfreiheit gemäß § 4 Nr. 14 UStG 1973. Dazu führte er aus, er übe eine den Katalogberufen des § 4 Nr. 14 UStG 1973 ähnliche heilberufliche Tätigkeit i. S. des § 18 des Einkommensteuergesetzes (EStG) aus. Sinn und Zweck der Umsatzsteuerbefreiung für Heilberufe sei es, die Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer zu entlasten. Da er - der Ehemann der Klägerin - fast ausschließlich für die gesetzlichen Sozialversicherungsträger tätig sei, müßten auch seine Umsätze befreit sein. Seine Zugehörigkeit zu den Heilberufen ergebe sich aus den Vereinbarungen und den Abrechnungen mit den Krankenkassen. Er unterliege auch der Überwachung durch das Gesundheitsamt, da er in die Liste der Medizinalpersonen eingetragen sei. Es könne ihm nicht angelastet werden, daß es seinerzeit keine Logopädenschule und keine Berufsordnung für Logopäden gegeben habe. Andernfalls würden junge Heilberufe gegenüber den etablierten benachteiligt.
Das FA vertrat die Ansicht, daß mit Inkrafttreten des Gesetzes über den Beruf des Logopäden am 1. Oktober 1980 dieser Beruf als eine ähnliche heilberufliche Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG anzuerkennen sei. Dies gelte jedoch nicht für die vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes getätigten Umsätze.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit der Begründung statt (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1984, 316), der Ehemann der Klägerin habe eine heilberufliche Tätigkeit ausgeübt, die der eines Krankengymnasten und/oder Heilpraktikers ähnlich sei. Die seit dem 7. Mai 1980 gesetzlich geregelte Tätigkeit eines Logopäden werde von der Finanzverwaltung (Schreiben des Bundesministers der Finanzen - BMF - vom 25. November 1981 IV A 3 - S 7170 - 17/81, Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1982, 12) ab dem Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Oktober 1980 als heilberufliche Tätigkeit anerkannt. Diese Anerkennung müsse auch für frühere, noch nicht bestandskräftig veranlagte Veranlagungszeiträume gelten. Denn die dem Ehemann der Klägerin erteilte Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung Logopäde knüpfe an eine mindestens zehnjährige Tätigkeit in der Sprach- und Stimmheiltherapie an. Die berufliche Tätigkeit des Ehemanns der Klägerin habe sich demnach in den Streitjahren von seiner Tätigkeit im Jahre 1980 in nichts unterschieden. Es könne ihm nicht zum Nachteil gereichen, daß der Gesetzgeber die Tätigkeit des Logopäden nicht schon früher geregelt habe. Die Ausbildung des Ehemannes der Klägerin zum Opernsänger und Stimmbildner sei qualitativ den jetzigen Voraussetzungen für die Tätigkeit als Logopäde vergleichbar. Die medizinische Wertschätzung der Tätigkeit des Ehemannes der Klägerin komme in der Stellungnahme des Leiters der Abteilung für Neurologie am Nervenzentrum der Universität zum Ausdruck.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 4 Nr. 14 UStG 1973. Es beruft sich auf die Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 7. Juli 1976 I R 218/74 (BFHE 119, 274, BStBl II 1976, 621) und vom 25. März 1977 V R 144/74 (BFHE 122, 181, BStBl II 1977, 579).
In den Streitjahren habe noch kein Berufsbild für Logopäden bestanden. Die Tätigkeit habe keiner besonderen Ausbildung bedurft und habe ohne Erlaubnis ausgeübt werden können.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Gemäß § 4 Nr. 14 UStG 1973 sind die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Dentist, Krankengymnast, Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG steuerfrei. Ein Beruf ist einem Katalogberuf ähnlich, wenn er in wesentlichen Punkten mit ihm verglichen werden kann; das ist der Fall, wenn das typische Bild des Katalogberufs mit allen seinen Merkmalen dem Gesamtbild des zu beurteilenden Berufs vergleichbar ist. Zur Anerkennung der Berufsähnlichkeit genügt nicht, daß die Tätigkeiten vergleichbar sind, etwa durch das sie charakterisierende Merkmal der Behandlung und Linderung von Leiden. Denn zum maßgeblichen Berufsbild gehört nicht nur die jeweils ausgeübte Tätigkeit als solche; das Berufsbild wird durch alle Berufsmerkmale geprägt. Zu diesen Berufsmerkmalen gehören neben der Ausbildung auch die Bedingungen, an die das Gesetz die Ausübung des zu vergleichenden Berufs knüpft. Hierzu zählt bei Heilberufen u. a., daß die Ausübung einer Erlaubnis bedarf und der Überwachung durch die Gesundheitsämter unterliegt.
Das FG hat in Anwendung dieser durch die Rechtsprechung (BFH-Urteile in BFHE 119, 274, BStBl II 1976, 621 und in BFHE 122, 181, BStBl II 1977, 579; vgl. zuletzt Urteil vom 13. April 1988 I R 300/83, BFHE 153, 222, BStBl II 1988, 666, m.w.N.) entwickelten Grundsätze dahin erkannt, daß der Beruf des Logopäden durch das Gesetz über den Beruf des Logopäden den Katalogberufen des § 4 Nr. 14 UStG 1973 so angenähert worden sei, daß eine Ähnlichkeit mit diesen zu bejahen sei. Diese Frage ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten. Das FG hat darüber hinaus die Ansicht vertreten, daß die Ähnlichkeit bereits für die Streitjahre zu bejahen sei, weil sich die Tätigkeit des Ehemannes der Klägerin in den Streitjahren nicht von seiner Tätigkeit ab Inkrafttreten des Gesetzes unterschieden habe. Dem kann der Senat nicht folgen.
Wie bereits ausgeführt, muß neben der Vergleichbarkeit der ausgeübten Tätigkeit noch die Ähnlichkeit der Berufsbilder treten. Hierbei ist konkret auf den ausgeübten Beruf des Steuerpflichtigen abzustellen. Es reicht nicht aus, daß - z. B. in anderen Bundesländern als Baden-Württemberg - aufgrund von Verwaltungsregelungen bereits in den Streitjahren Berufsbilder von Logopäden existiert haben, die denen der zu vergleichenden Katalogberufe ähnlich gewesen sein könnten.
Der Beruf des Ehemannes der Klägerin war in den Streitjahren nach Ausbildung und Bedingung der Berufsausübung keinem der in § 4 Nr. 14 UStG 1973 genannten Berufe ähnlich. In der Art der Ausbildung sind der Beruf des Opernsängers und Stimmbildners einerseits und der Beruf eines Heilpraktikers bzw. Krankengymnasten andererseits gänzlich verschieden. Während die eine Ausbildung auf die künstlerische Befähigung gerichtet ist, zielt die andere auf die Fähigkeit zur Behandlung von Krankheiten. Es bedarf keiner Erörterung, ob aufgrund der Gleichstellung der langjährigen Tätigkeit (des Ehemannes der Klägerin) mit einer Ausbildung zum Logopäden (§ 8 Abs. 5 des Gesetzes über den Beruf des Logopäden) die Ähnlichkeit hinsichtlich der Ausbildung zu bejahen wäre. Diese gesetzliche Fiktion könnte jedenfalls erst ab Inkrafttreten des Gesetzes Wirkung entfalten.
Auch hinsichtlich der Bedingungen für die Berufsausübung war der Beruf des Ehemannes der Klägerin in den Streitjahren nicht den Katalogberufen ähnlich. Während die zu vergleichenden Heil- und Heilhilfsberufe einer aufgrund staatlicher Prüfung und Anerkennung zu erteilenden Erlaubnis bedurften (vgl. die Nachweise in BFHE 119, 274, BStBl II 1976, 621), betätigte sich der Ehemann der Klägerin in den Streitjahren ohne eine solche Erlaubnis. Er unterlag auch keiner Überwachung durch die Gesundheitsbehörde, sondern war lediglich in einer beim Gesundheitsamt geführten Liste registriert. Entgegen der Ansicht des FG besteht keine gesetzliche Rechtfertigung, die ab Inkrafttreten des Gesetzes über den Logopäden eingetretene Rechtslage auf die Streitjahre rückzubeziehen. Gesichtspunkten der Billigkeit kann in diesem Verfahren nicht Rechnung getragen werden.
Auf die Umsätze des Ehemannes der Klägerin aus seiner Tätigkeit als Sprachtherapeut oder Logopäde kann deshalb § 4 Nr. 14 UStG 1973 nicht angewendet werden. Hieran würde sich auch nichts ändern, wenn die Entgelte für diese Umsätze entsprechend dem tatsächlichen Vorbringen der Klägerin weitgehend von den Sozialversicherungsträgern zu tragen gewesen wären. Die Motive des Gesetzgebers rechtfertigen keine Ausweitung des gesetzlichen Tatbestandes (BFHE 122, 181/184, BStBl II 1977, 579/580 f.).
Fundstellen