Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Auch Steuerpflichtige, die ihren Gewinn durch Vermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG ermitteln, können gewillkürtes Betriebsvermögen haben.
Hinsichtlich der Voraussetzungen, nach denen Gegenstände, die nicht notwendiges Privatvermögen sind, als gewillkürtes Betriebsvermögen behandelt werden können, schließt sich der Senat den Urteilen VI 10/60 S vom 15. Juli 1960 (BStBl 1960 III S. 484) und I 185/59 S vom 19. Juli 1960 (BStBl 1960 III S. 485) an.
Gegenstände des gewillkürten Betriebsvermögens können nur im Wege der Entnahme aus dem Betriebsvermögen wieder herausgenommen werden.
Gewillkürtes Betriebsvermögen kann auch ein Grundstück sein, das ein Rechtsanwalt im Interesse der Praxisausübung erworben hat, aber aus besonderen Gründen zunächst noch nicht für Zwecke seiner Praxis benutzen kann.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob bei der Einkommensteuerveranlagung 1955 des Bf. das Grundstück in A., das er mit Kaufvertrag vom 2. September 1954 erworben hat, zu seinem Betriebsvermögen gehört.
Der Bf. wohnt in B.; seine Rechtsanwalts- und Notarpraxis übt er in A. in gemieteten Räumen aus. Er ermittelt seinen Gewinn durch Vermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG 1955. Das erwähnte Grundstück hat er in seiner Schlußbilanz zum 31. Dezember 1955 als Besitzposten "Haus A." mit den um die Absetzung für Abnutzung - AfA - (544,60 DM) verminderten Anschaffungskosten ausgewiesen. Das Finanzamt lehnte die Aufnahme des Grundstücks in die Steuerbilanz ab und behandelte den Erwerb des Grundstücks als Entnahme 1955, wodurch sich auch die Steuerbegünstigung des nicht entnommenen Gewinns nach § 10 a EStG verminderte.
Im Einspruch begründete der Bf. den Erwerb des Grundstücks mit der Notwendigkeit einer Praxisverlegung aus den bisher gemieteten Räumen in das neugekaufte Haus. Der Mietvertrag über die Praxisräume sehe eine vierteljährige Kündigungsfrist vor; im Falle einer Kündigung würde es aber unmöglich sein, binnen eines Vierteljahres andere Räume für seine umfangreiche Praxis zu finden. Er beabsichtige auch, in dem Gebäude für seinen Bürovorsteher und seinen Assessor, die beide nicht in A. wohnten, später Wohnräume zu schaffen. Den hinter dem Gebäude liegenden Garten habe er bereits seinem Personal zum Aufenthalt während der Mittagspause zur Verfügung gestellt. Wenn er das Gebäude wegen des dem mitübernommenen Mieter zustehenden Mieterschutzes für seine Praxiszwecke noch nicht freibekommen habe, so ändere das nichts daran, daß es im Rahmen seiner Praxis ein wichtiger Bestandteil seines Betriebsvermögens sei. Im übrigen komme es für die Frage, ob das Grundstück Teil seines Betriebsvermögens sei, nicht auf die objektive Möglichkeit der Nutzung, sondern auf sein persönliches Ermessen an.
Der Einspruch des Bf. und auch seine Berufung waren erfolglos. Das Finanzgericht führte im wesentlichen aus, als notwendiges Betriebsvermögen komme das Grundstück nicht in Betracht, da es im Jahre 1955 noch als Mietwohngrundstück gedient habe. Auch gewillkürtes Betriebsvermögen könne das Grundstück beim Bf. nicht sein. Freiberuflich tätige Steuerpflichtige könnten kein gewillkürtes Betriebsvermögen haben. Dem stehe das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 19/55 U vom 12. Mai 1955 (BStBl 1955 III S. 205, Slg. Bd. 61 S. 18) nicht entgegen. Der dort behandelte Kraftwagen eines freiberuflich Tätigen sei nur deshalb als gewillkürtes Betriebsvermögen anerkannt worden, weil er tatsächlich dem Betrieb des Steuerpflichtigen diente und weil die betriebliche Benutzung nicht nur von untergeordneter Bedeutung war.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Dem Finanzgericht ist darin zuzustimmen, daß das erworbene Grundstück nicht notwendiges Betriebsvermögen ist. Es kann ihm aber nicht darin gefolgt werden, daß der Bf. das Grundstück nicht als gewillkürtes Betriebsvermögen behandeln könne.
In den Entscheidungen des Bundesfinanzhofs VI 10/60 S vom 15. Juli 1960 (BStBl 1960 III S. 484) und I 185/59 S vom 19. Juli 1960 (BStBl 1960 III S. 485) wird ausgeführt, daß der Begriff des Betriebsvermögens grundsätzlich für alle Steuerpflichtigen, die ihren Gewinn durch Vermögensvergleich ermitteln, einheitlich aufzufassen ist. Hiernach können auch Steuerpflichtige, die ihren Gewinn nicht nach § 5, sondern nach § 4 Abs. 1 EStG ermitteln, gewillkürtes Betriebsvermögen haben. Voraussetzung hierfür ist nach der zitierten Entscheidung jedoch, daß zwischen dem Betrieb bzw. dem Beruf des Steuerpflichtigen und dem in Betracht kommenden Wirtschaftsgut eine objektive Beziehung besteht, wonach das Wirtschaftsgut bestimmt und geeignet ist, dem Betrieb zu dienen bzw. ihn zu fördern. Da das Finanzgericht von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, muß seine Entscheidung aufgehoben werden.
Im Streitfall hat der Bf. bisher unbestritten und unter Anführung von Einzelheiten vorgetragen, daß die Verhältnisse, unter denen er seine Praxis in gemieteten Räumen betreibe, einer zweckentsprechenden Praxisführung und einer Erweiterung der Praxis hinderlich im Wege ständen. Aus den Darlegungen des Bf. könnte sich weiter ergeben, daß das von ihm erworbene Grundstück tatsächlich geeignet ist, seiner Praxis die gebotene Bewegungsfreiheit zu verschaffen, und daß es der Anzahl der Räume nach auch über diesen Zweck nicht hinausgeht, insbesondere weder als Kapitalanlage noch gleichzeitig als Eigenwohngrundstück in Betracht kommt. Der Bf. hat anscheinend auch unmittelbar nach Erwerb des Hauses Anstalten gemacht, bei der Wohnungsbehörde die Aufhebung des Mietverhältnisses des das erworbene Grundstück bewohnenden Mieters zugunsten seiner eigenen Praxisnutzung zu erreichen. Nach Auffassung des Senats besteht hiernach die Möglichkeit, daß der Bf. das objektiv für seine beruflichen Zwecke geeignete Grundstück von vornherein tatsächlich mit einer entsprechenden Zweckbestimmung erworben hat. Die Anschaffungskosten für den Erwerb des Grundstücks würden sich hiernach als Kosten zur Vorbereitung der Verlegung seiner Praxis aus betrieblichen Gründen darstellen können. Bei dieser Sachlage muß es dem Bf. erlaubt sein, sich durch einen eindeutigen, nach außen klar in Erscheinung tretenden Willensentschluß zu entscheiden, ob das Grundstück schon vor seiner tatsächlichen Benutzung für seine Praxis zu seinem Betriebsvermögen oder zu seinem Privatvermögen gehören sollte. Das aber konnte er durch Aufnahme des Grundstücks in seine Buchführung als gewillkürtes Betriebsvermögen zum Ausdruck bringen (vgl. hierzu den rechtlich ähnlich gelagerten Fall des Urteils des Bundesfinanzhofs VI 137/59 U vom 30. September 1960, BStBl 1960 III S. 489). Selbstverständlich muß der Bf., falls seine Bemühungen um die Freigabe des Hauses für seine beruflichen Zwecke endgültig scheitern sollten, bei der überführung des Hauses in sein Privatvermögen alle steuerlichen Konsequenzen ziehen. Er kann das Grundstück nur im Wege der Entnahme (§ 6 Abs. 1 Ziff. 4 EStG) wieder aus dem Betriebsvermögen herausnehmen (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs VI 620/37 vom 18. November 1937, RStBl 1938 S. 133).
Die Sache geht an das Finanzgericht zurück. Dieses wird nunmehr die Darstellung des Bf. unter Berücksichtigung der oben dargestellten Rechtsgrundsätze zu überprüfen und hiernach die Zugehörigkeit des Grundstücks zum gewillkürten Betriebsvermögen gegebenenfalls anzuerkennen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 409889 |
BStBl III 1961, 154 |
BFHE 1961, 419 |
BFHE 72, 419 |
DB 1961, 524 |