Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Erhält ein Arbeitnehmer, der in den Ruhestand tritt, von seinem Arbeitgeber zur Altersversorgung das in einer Pensionszusage vorgesehene Kapital, so ist dieses Kapital keine außerordentliche Einkunft im Sinne von § 34 Abs. 2 Ziff. 2 und § 24 Ziff. 1 a EStG. Dasselbe gilt, wenn der Arbeitgeber vertraglich wahlweise eine Versorgungsrente oder ein Kapital zahlen kann und sich, wenn der Arbeitnehmer in den Ruhestand tritt, für die Kapitalzahlung entscheidet. 2. Zur rechtlichen Bedeutung des Erlasses des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 7. August 1961 (BStBl 1961 II S. 135) betreffend die ertragsteuerliche Behandlung von Rückstellungen für Pensionszusagen an Gesellschafter-Geschäftsführer bei Kapitalgesellschaften. 3. Erhält ein Arbeitnehmer, der in den Ruhestand tritt, von seinem Arbeitgeber auf Grund einer früheren Versorgungszusage eine Kapitalzahlung, so kann diese nach § 34 Abs. 3 EStG besteuert werden.
Normenkette
EStG § 24/1/a, § 34 Abs. 1, § 34/2/2, § 34 Abs. 3
Tatbestand
Der Bf. war bis Anfang 1957 Gesellschafter und Geschäftsführer der A.-GmbH. Am 1. September 1951 gab ihm die GmbH eine Versorgungszusage, wonach er nach dem Ausscheiden ein laufendes Ruhegeld erhalten sollte; der Berechnung des Ruhegeldes sollte ein Kapital von 50.000 DM (später 100.000 DM) zugrunde gelegt werden; die GmbH behielt sich aber vor, wenn es ihr zweckmäßig erscheine, statt der laufenden Bezüge eine Kapitalabfindung oder zum Teil eine Kapitalabfindung und zum Teil laufende Bezüge zu zahlen. Die Versorgungszusage wurde von dem Bf. als Geschäftsführer und dem Mitgeschäftsführer Dr. B. unterzeichnet. Die GmbH schloß zu ihrer Rückdeckung im November 1954 einen Versicherungsvertrag auf den Namen des Bf. über den Betrag von 100.000 DM, der 1962 auszuzahlen war. Der Bf. schied im Januar 1957 aus, nachdem er das Versorgungsalter von 70 Jahren erreicht hatte. Die GmbH zahlte dem Bf. beim Ausscheiden ein Kapital von 100.000 DM. Der Bf. verlangte dafür die Tarifvergünstigung nach § 34 Abs. 1 und 2 EStG, weil es eine Entschädigung für die ihm entgehenden laufenden Pensionszahlungen sei. Das Finanzamt lehnte das ab.
Die Sprungberufung blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht führte im wesentlichen aus: Die 100.000 DM seien dem Bf. nicht für entgehende Einnahmen im Sinne des § 24 Ziff. 1 a EStG gewährt worden. Wenn von vornherein eine einmalige Zahlung vereinbart worden sei, so liege keine Entschädigung im Sinne des § 24 Ziff. 1 a EStG vor (Urteil des Reichsfinanzhofs IV 100/38 vom 8. September 1939, RStBl 1939 S. 1080). Die Ablösung beruhe hier auf dem Willen des Bf., weil er als Gesellschafter-Geschäftsführer die Versorgungszusage im Jahre 1951 selbst mitunterzeichnet habe. Der Mitgeschäftsführer Dr. B. habe zwar zunächst schriftlich erklärt, daß im Jahre 1951 nur ein Anspruch auf eine laufende Rentenzahlung bestanden habe. Diese Aussage von Dr. B. sei aber mit dem Wortlaut der schriftlichen Pensionszusage nicht vereinbar, die zeige, daß auch eine Kapitalabfindung im Gespräch gewesen sei. Die GmbH habe nach dem Vertrag ein Wahlrecht gehabt, ob sie eine Rente oder eine Kapitalabfindung habe gewähren wollen. Wenn aber vertraglich zwei vollwertige Leistungen vorgesehen seien, könne nicht die eine die Entschädigung für die andere sein. Die Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG (Verteilung der Einkünfte auf drei Jahre) habe der Bf. abgelehnt; im übrigen würde sich diese Berechnung auch zu seinen Ungunsten auswirken.
Der Bf. rügt in erster Linie unrichtige Anwendung von § 24 Ziff. 1 a, § 34 Abs. 1 und 2 EStG. Er beruft sich für seine Rechtsauffassung vor allem auch auf den Erlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen S. 2520 - 1 - VA 2 vom 7. August 1961 (BStBl 1961 II S. 135), der im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen und den Finanzministern der anderen Länder ergangen ist. Danach ist die Abfindung für Versorgungsansprüche, die an Gesellschafter-Geschäftsführer gezahlt wird, ein sonstiger Bezug im Sinne des § 35 LStDV, auf den bei der Veranlagung § 34 Abs. 1 EStG mit einem Steuersatz von 10 bis 30 v. H. anzuwenden ist. Der Bf. meint, wenn das für "beherrschende" Gesellschaftergeschäftsführer gelte, so müsse es erst recht für ihn gelten, da er zur Zeit der Pensionszusage nur mit 16 v. H. an der GmbH beteiligt gewesen sei. Das Finanzgericht habe aus dem Text der Versorgungszusage zu Unrecht gefolgert, daß eine Kapitalabfindung von vornherein vereinbart gewesen sei. Versicherungsmathematiker schlügen fast bei jeder Versorgungszusage den Passus vor, es den Firmen vorzubehalten, statt einer Rente eine Kapitalabfindung zu wählen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Zutreffend hat das Finanzgericht die Kapitalzahlung von 100.000 DM nicht als "Entschädigung für entgehende Einnahmen" im Sinne des § 24 Ziff. 1 a EStG beurteilt. Es konnte auf Grund seines Rechts zur freien Tatsachen und Beweiswürdigung (ß 278 AO) den Wortlaut der schriftlichen Versorgungszusage aus dem Jahre 1951 dahin auslegen, daß die GmbH als Arbeitgeberin ein echtes Wahlrecht hatte, ob sie die dem Bf. gegebene Versorgungszusage später durch laufende Bezüge oder durch eine Kapitalzahlung oder in beiden Formen nebeneinander erfüllen wollte. Wenn auch, wie der Bf. behauptet, im Jahre 1951 in erster Linie an eine laufende Versorgungsrente gedacht gewesen sein mag, so konnte doch das Finanzgericht aus dem klaren Wortlaut der schriftlichen Versorgungszusage folgern, daß auch von vornherein die Kapitalzahlung im Gespräch war. Die Behauptung des Bf., die Möglichkeit der Kapitalzahlung sei nur eine übliche Floskel ohne wesentliche rechtliche Bedeutung, trifft nicht zu. Es ist nach den Erfahrungen des Senats weder allgemein noch auch nur weithin üblich. Zusagen auf Altersrenten mit der Klausel des Rechts des Arbeitgebers auf Kapitalzahlung anstelle einer laufenden Rente zu versehen. Dabei handelt es sich um eine Gestaltung des Versorgungsrechts mit weitreichenden wirtschaftlichen Folgen für den Berechtigten: ein erfahrener Kaufmann wie der Bf. unterschreibt eine solche Klausel nicht ohne sorgfältige Abwägung und Prüfung. Im übrigen hat das Finanzgericht festgestellt, daß eine solche Klausel nur in den Verträgen des Bf. und seines Mitgeschäftsführers, nicht aber in denen der anderen Angestellten enthalten war; bei ihnen schuldete die GmbH also nur eine Versorgungsrente. Gegenüber dem klaren Wortlaut des schriftlichen Vertrags brauchte das Finanzgericht der etwas unklaren und schwankenden Aussage des Dr. B. keine Bedeutung beizumessen. Ohne Rechtsverstoß konnte das Finanzgericht demnach die Versorgungszusage aus dem Jahre 1951, wie geschehen, dahin würdigen, daß die GmbH den Versorgungsanspruch des Bf. nach ihrem Ermessen in verschiedenen gleichwertigen Formen erfüllen konnte und im Rahmen ihres Rechts sich für die Kapitalzahlung von 100.000 DM als eine vertraglich mögliche und zulässige Form der Altersversorgung des Bf. entschieden hat. Der Senat ist an diese tatsächliche Feststellung, zu der das Finanzgericht in einem einwandfreien Verfahren gelangt ist, gebunden (§§ 28 Ziff. 1, 296 Abs. 1 AO).
Geht man davon aus, so war die Kapitalzahlung, nachdem die GmbH ihr Wahlrecht ausgeübt hatte, die von vornherein und allein geschuldete Form der Altersversorgung; der Bf. hatte keinen anderen Anspruch gegen die GmbH. Es entgingen ihm keine anderen Einnahmen, auf die er Anspruch gehabt hätte und für deren Verlust ihm die GmbH eine "Entschädigung" zu gewähren hatte. Der Fall lag, nachdem die GmbH das ihr vertraglich zustehende Wahlrecht ausgeübt hatte nicht anders, als wenn sie von vornherein nur eine Kapitalzahlung zugesagt hätte. Wird aber von vornherein nur ein Kapital geschuldet, so ist offenbar, daß dieses keine Entschädigung für eine überhaupt nicht geschuldete andere Leistung, insbesondere eine Versorgungsrente, sein kann.
Der Bf. macht zwar zutreffend darauf aufmerksam, daß die Fälle, in denen der Senat in neuerer Zeit die Anwendung von §§ 24 Ziff. 1 a, 34 Abs. 1 und 2 EStG abgelehnt hat, anders lagen. Im Urteil VI 106/59 U vom 4. November 1960 (BStBl 1960 III S. 512, Slg. Bd. 71 S. 702) hatte der Arbeitnehmer ein Wahlrecht, ob er zur Altersversorgung eine laufende Rente oder ein Kapital haben wollte, während im Streitfall das Wahlrecht bei der Arbeitgeberin lag. Im Urteil VI 256/60 vom 20. Dezember 1961 (BStBl 1962 III S. 87)) hatte sich der Arbeitnehmer in seinem Interesse auf Grund einer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber schon während der aktiven Dienstzeit für den zugesagten Rentenversorgungsanspruch mit einem Kapital abfinden lassen, während im Streitfall der Arbeitgeber, wenn es in seinem Interesse lag, einseitig die Versorgungszusage durch eine Kapitalzahlung erfüllen konnte. Diese Unterschiede in tatsächlicher Hinsicht schließen aber nicht aus, im Streitfall ebenso wie in den beiden erwähnten Fällen die Kapitalzahlung nicht als Entschädigung für entgehende Einnahmen im Sinne des § 24 Ziff. 1 a EStG anzusehen. Soweit Judeich (Blattei Handbuch Rechts- und Wirtschaftspraxis 14, Steuer-R (D), Einkommensteuer II B 43/61, Einzelfragen: Entschädigungen und Steuerermäßigungen, 478, S. 43 ff.), wie der Bf. behauptet, § 24 Ziff. 1 a EStG anders auslegt, tritt der Senat ihm nicht bei.
Die Berufung des Bf. auf den Erlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 7. August 1961 geht fehl. Dieser Erlaß regelt in Abschn. I die steuerliche Behandlung von Abfindungszahlungen an Gesellschaftergeschäftsführer, die auf Ansprüche aus Pensionszusagen gegen ihre Kapitalgesellschaft verzichten. Dieser Fall liegt hier nicht vor; der Bf. hat nicht auf ihm zugesagte Ansprüche verzichtet. Der Erlaß betrifft auch nur Geschäftsführer, die noch im Dienst stehen; auch diese Voraussetzung ist beim Bf. nicht erfüllt. Der Erlaß ist schließlich nur für eine bestimmte Gruppe von Sonderfällen ergangen und ergänzt den Erlaß vom 20. Januar 1960 (BStBl 1960 II S. 19), der seinerseits einige Sonderfragen regelte, die sich aus der neueren Rechtsprechung des I. Senats des Bundesfinanzhofs zur Zulässigkeit von Pensionsrückstellungen für Gesellschafter-Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften hinsichtlich der in der Vergangenheit gebildeten Rückstellungen ergaben. Der Erlaß vom 7. August 1961 schafft über den Erlaß vom 20. Januar 1960 hinaus eine zusätzliche Möglichkeit, um zur Beseitigung von für die Vergangenheit gebildeten Pensionsrückstellungen bei der Kapitalgesellschaft zu kommen. Der Erlaß vom 7. August 1961 regelt also nur ein übergangsproblem, das auf Grund der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs entstanden war. Die Voraussetzungen des vom Bf. angezogenen Erlasses liegen also in verschiedener Hinsicht nicht vor, so daß der Senat keine Veranlassung hat, zu ihm näher Stellung zu nehmen.
Bedenklich ist indessen die Begründung, mit der das Finanzgericht die Anwendung von § 34 Abs. 3 EStG abgelehnt hat. Zur Anwendung dieser Milderungsvorschrift bedarf es keines förmlichen Antrags des Steuerpflichtigen; es ist vielmehr von Amts wegen zu prüfen, ob die Voraussetzungen dieser Vorschrift vorliegen und ihre Anwendung zu einer Steuerminderung führt. Das Finanzgericht meint, nach § 34 Abs. 3 EStG würde eine Steuerminderung für den Bf. nicht eintreten; der Bf. behauptet das Gegenteil. Es leuchtet nicht ohne weiteres ein, daß die Abflachung der Progression, zu der § 34 Abs. 3 EStG führt, dem Bf. nicht vorteilhaft sein sollte. Das Finanzgericht verweist nur auf die Berechnung im Steuerabzugsverfahren, während es hier um das Veranlagungsverfahren geht. Es ist also nicht von der Hand zu weisen, daß insoweit ein Irrtum des Finanzgerichts vorliegt.
Das Finanzgericht geht offenbar selbst davon aus, daß § 34 Abs. 3 EStG in Fällen der vorliegenden Art grundsätzlich anzuwenden ist. Dem ist zuzustimmen. Der Senat hat in der Entscheidung VI 32/56 U vom 8. März 1957 (BStBl 1957 III S. 185, Slg. Bd. 64 S. 496) zu § 34 Abs. 4 EStG 1950 (= § 34 Abs. 3 EStG 1955 und später) Stellung genommen und ausgesprochen, daß Bezüge für eine mehrjährige Tätigkeit nach § 34 Abs. 3 EStG zu besteuern sind, wenn für die Zahlung der Bezüge in einer Summe vernünftige Gründe vorliegen. Diese Voraussetzung ist zu bejahen, wenn ein ausscheidender Arbeitnehmer seine Altersversorgung vertragsgemäß in einem Kapital erhält; denn die Kapitalzahlung ist dann eine zusätzliche Zahlung für die in der Vergangenheit geleisteten, meist langjährigen Dienste. Die Zusammenballung der mehrjährigen Bezüge beruht zwangsläufig auf ihrer Eigenart, Dienste in der Vergangenheit zusätzlich zu entlohnen, um den Arbeitnehmer im Ruhestand wirtschaftlich zu sichern. Von einer willkürlichen Gestaltung kann keine Rede sein.
Die angefochtene Entscheidung wird wegen möglicher unrichtiger Anwendung von § 34 Abs. 3 EStG 1957 aufgehoben. Die nicht spruchreife Sache wird an das Finanzamt zurückverwiesen, das im Einspruchsverfahren zu prüfen hat, ob die Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG nicht zu einer geringeren Einkommensteuer führt.
Fundstellen
Haufe-Index 410372 |
BStBl III 1962, 130 |
BFHE 1962, 340 |
BFHE 74, 340 |