Leitsatz (amtlich)
Die vom Sitz-FA einer persönlich steuerbefreiten juristischen Person nachträglich erteilte Bescheinigung über eine Freistellung vom Kapitalertragsteuerabzug vermag einen Anspruch auf Erstattung bereits abgeführter Beträge nicht zu begründen.
Normenkette
AO § 152 Abs. 3; KapStDV § 13a; AO § 152 Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine am 12. Mai 1967 staatlich genehmigte rechtsfähige Stiftung in A, beantragte mit Schreiben vom 19. August 1970 beim FA A die Kapitalertragsteuerbescheinigung gemäß § 13 a Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 KapStDV wegen Gemeinnützigkeit. Das FA A stellte die Bescheinigung nach langwierigen Verhandlungen am 15. Februar 1971 aus. In einer weiteren Verfügung vom 5. Mai 1971 erstreckte das FA A nachträglich die Freistellungsbescheinigung ausdrücklich auf die seit 15. September 1965 zugeflossenen Kapitalerträge. Mit Sammelantrag vom 8. November 1971 beantragte die Klägerin, vertreten durch ihre Depotbank (Bank), bei dem Beklagten und Revisionsbeklagten, dem für die Erhebung der Kapitalertragsteuer zuständigen FA D, die Erstattung der in den Jahren 1966 bis 1971 einbehaltenen Kapitalertragsteuern.
Das FA lehnte die Erstattung der in den Jahren 1966 bis 1969 (Streitjahre) einbehaltenen Beträge ab. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das FG wies die Klage ab (EFG 1974, 527). Es vertrat die Ansicht, daß durch die Erteilung der Freistellungsbescheinigung vom 15. Februar/5. Mai 1971 durch das FA A der Steuerabzug für die Streitjahre nicht nachträglich unrechtmäßig geworden sei. Die Freistellungsbescheinigung wirke grundsätzlich nur für die Zukunft. Zu einer rückwirkenden Freistellung für die Streitjahre sei das FA A nicht befugt gewesen. Die Frist für den Antrag gemäß § 13 a Abs. 1 Satz 1 KapStDV auf Erstattung der zu Recht entrichteten Abzugsteuern habe gemäß § 153 AO für das letzte Streitjahr (1969) am 31. Dezember 1970 geendet. Die Frist sei also im Zeitpunkt der Antragstellung durch die Bank (8. November 1971) bereits abgelaufen gewesen. Die Ausschlußfrist des § 153 AO habe im Zeitpunkt des Zuflusses der Kapitalerträge zu laufen begonnen, nicht erst mit der Erteilung der Freistellungsbescheinigung. Eine unzutreffende rechtliche Beurteilung des anspruchsbegründenden Ereignisses gehe zu Lasten des Steuerpflichtigen (vgl. Urteil des BFH vom 19. Februar 1971 VI R 97/68, BFHE 101, 527, BStBl II 1971, 428). Der Grundsatz des Vertrauensschutzes, auf den die Klägerin sich berufe, greife nicht durch. Wenn die Klägerin versäumt habe, jährliche Erstattungsanträge nach § 13 a Abs. 1 KapStDV zu stellen, so sei dies nicht auf das Verhalten der Finanzbehörden, sondern auf die Nichtbeachtung der steuerlichen Vorschriften durch die Klägerin oder ihre Bevollmächtigten zurückzuführen.
In ihrer Revision beantragt die Klägerin die Aufhebung der Vorentscheidung und die Verurteilung des FA zur Erstattung der streitigen Kapitalertragsteuern. Der Tatbestand sei unstreitig. Indes habe das FG nicht berücksichtigt, daß bereits im Jahre 1965 die Freistellung gemäß § 13 a Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 KapStDV für die ihr seit 15. September 1965 zufließenden Kapitalerträge beantragt worden sei. Der Erstattungsanspruch nach § 152 Abs. 1 AO sei erst mit der Erteilung des Freistellungsbescheides des FA A vom 15. Februar/5. Mai 1971 entstanden. Von diesem Zeitpunkt an habe das Merkmal der Unrechtmäßigkeit des Kapitalertragsteuerabzugs vorgelegen. Damit sei nachträglich ein Besteuerungsmerkmal, nämlich das Nichtvorliegen einer persönlichen Steuerbefreiung, mit Wirkung für die Vergangenheit weggefallen (§ 4 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 2 StAnpG). Die Frist habe nicht schon im Zeitpunkt des Zuflusses der Kapitalerträge zu laufen begonnen. Die Frist beginne vielmehr erst zu laufen, wenn der Steuerpflichtige die anspruchsbegründenden Tatsachen - hier die Feststellung der Gemeinnützigkeit i. V. m. dem Freistellungsbescheid - kenne oder kennen müsse. Der Einwand der Verjährung verstoße auch gegen Treu und Glauben, da die Finanzverwaltung trotz der nachträglich festgestellten sachlichen Unrechtmäßigkeit den Steuerabzug nunmehr als rechtmäßig behandeln wolle. Die Besonderheit des Streitfalles bestehe darin, daß zwischen der Klägerin und der Finanzverwaltung gerade darüber Streit bestanden habe, ob der Steuerabzug rechtmäßig oder nicht rechtmäßig gewesen sei. Um diese Frage sei es in den erwähnten Verhandlungen gegangen, welche dann durch die Freistellungsbescheinigung zum Abschluß gebracht worden seien. Auch der Umstand, daß das beklagte FA ein anderes sei als das für die Erteilung der Freistellungsbescheinigung zuständige FA A, dürfe nicht zu Lasten der Klägerin gehen. Unzutreffend sei schließlich die Ansicht des FA, daß das FA A eine rückwirkende Freistellungsbescheinigung nicht hätte ausstellen dürfen.
Das FA beantragt die Zurückweisung der Revision. Es bestreitet, daß bereits im Jahre 1965 der von der Klägerin bezeichnete Freistellungsantrag gestellt worden sei. Der Antrag datiere vielmehr erst vom 19. August 1970. Für den Lauf der Verjährung des Erstattungsanspruchs sei es unerheblich, ob der Erstattungsberechtigte habe erkennen können oder müssen, daß der Anspruch berechtigt sei. Es genüge vielmehr eine Kenntnis, die den Erstattungsantrag als möglicherweise berechtigt erscheinen lasse. Da sich die Klägerin von Anfang an auf ihre Gemeinnützigkeit berufen habe, hätte sie auch damals die Anträge stellen können und müssen. Eine bloße Freistellungsbescheinigung könne nicht den rechtmäßigen Steuerabzug nachträglich zu einem unrechtmäßigen machen. Der Erstattungsanspruch sei deshalb schon mit dem Zufluß der Kapitalerträge entstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Erstattungsanspruchs ist die Vorschrift des § 13 a KapStDV, nicht diejenige des § 152 Abs. 2 Nr. 1 AO. Daher ist es für die Entscheidung unerheblich, ob die Kapitalertragsteuer "zu Unrecht" einbehalten wurde. § 13 a KapStDV gewährt den Erstattungsanspruch auch und gerade für Fälle der rechtmäßigen Steuerentrichtung.
a) Nach § 13 a Abs. 1 Nr. 1 KapStDV wird die Kapitalertragsteuer auf Antrag des Gläubigers durch das FA, an das sie abgeführt worden ist (im folgenden: Erstattungs-FA), erstattet, wenn der Gläubiger eine Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 6 KStG ist. Die nach § 4 Abs. 1 Nr. 6 KStG bestehende persönliche Körperschaftsteuerbefreiung erstreckt sich nämlich nicht auf Einkünfte, die dem Steuerabzug unterliegen. Hinsichtlich solcher Einkünfte besteht für subjektiv steuerbefreite Körperschaften eine beschränkte Körperschaftsteuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 KStG (§ 4 Abs. 2 KStG). Es bedurfte deshalb einer besonderen Regelung, die in solchen Fällen zur Erstattung oder zur Freistellung vom Steuerabzug führt (vgl. dazu Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, Anm. 35 a zu § 43 EStG). Diese Aufgabe erfüllt die Vorschrift des § 13 a KapStDV. Sie wurde aufgrund der durch das Steueränderungsgesetz 1961 geschaffenen Ermächtigung des § 23 a Abs. 2 Buchst. h KStG durch Verordnung vom 21. Dezember 1962 (BGBl I, 773, BStBl I 1963, 2) in die Kapitalertragsteuer-Durchführungsverordnung eingefügt.
b) Die Klägerin gehört zu den in § 13 a Abs. 1 Nr. 1 KapStDV umschriebenen Gläubigern. Zu den Körperschaften im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 6 KStG rechnen auch juristische Personen des privaten Rechts in der Form einer Stiftung (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG).
2. Gleichwohl ist der geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht begründet.
a) Die Klägerin kann den Anspruch nicht auf die Freistellungsbescheinigung des FA A stützen. Denn diese Freistellungsverfügung, welcher die Behörde rückwirkende Kraft beilegen wollte, ist unwirksam.
Das für die Geschäftsleitung oder den Sitz des Gläubigers zuständige FA (§ 13 a Abs. 3 Satz 1 KapStDV) - im folgenden: Sitz-FA (hier das FA A) - ist nur berufen, "zur Vermeidung einer Erstattung der Kapitalertragsteuer" dem Gläubiger (Klägerin) eine Bescheinigung zu erteilen, daß von den dem Gläubiger zufließenden Kapitalerträgen der Steuerabzug nicht vorzunehmen ist (§ 13 a Abs. 2 KapStDV). Aus dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift ergibt sich, daß es sich bei dieser Bescheinigung um die Grundlage einer nur in die Zukunft wirkenden Freistellung handelt. Sie soll nicht die Rechtsgrundlage eines Erstattungsverfahrens bilden, sondern soll vielmehr (künftige) Erstattungen - nach § 13 a Abs. 1 KapStDV - vermeiden. Das Erstattungsverfahren selbst liegt in der Hand des Erstattungs-FA, hier des Beklagten (§ 13 a Abs. 1 Satz 1 KapStDV). Das Sitz-FA (FA A) war somit für die Erteilung einer Bescheinigung, welche die Grundlage einer Erstattung bilden soll, nicht zuständig. Vielmehr hatte der Beklagte als Erstattungs-FA die Sach- und Rechtslage in vollem Umfang in eigener Zuständigkeit zu prüfen und in diesem Rahmen auch festzustellen, ob die Kapitalertragsteuer auf Kapitalerträge entfällt, die zu einem über den Rahmen einer Vermögensverwaltung (hier Wertpapierverwaltung) hinausgehenden steuerschädlichen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gehören (§ 13 a Abs. 1 Satz 2 KapStDV). Eben diese Prüfung war im Streitfall Gegenstand langwieriger Verhandlungen zwischen der Klägerin und ihrem Sitz-FA. Dieses aber war zu einer solchen Prüfung nur zuständig, soweit es zur Erteilung einer - ex nunc wirkenden - Freistellungsbescheinigung nach § 13 a Abs. 2 KapStDV berufen war (§ 13 a Abs. 3 Satz 2 KapStDV).
Da das Sitz-FA dadurch, daß es eine weder im Gesetz noch in einer Durchführungsverordnung vorgesehene Verfügung erließ, welche den Zuständigkeitsbereich des Erstattungs-FA betraf, nicht eine örtliche Zuständigkeitsregelung, sondern die sachliche (funktionelle) Zuständigkeit verletzte, ist die Freistellungsbescheinigung insoweit unwirksam.
b) Es kann für die Entscheidung dahingestellt bleiben, ob die Klägerin einen Erstattungsanspruch nach § 13 a Abs. 1 KapStDV erworben hat, vor allem - was noch festgestellt werden müßte -, ob die Kapitalertragsteuer auf Kapitalerträge entfällt, die zu einem über den Rahmen einer Vermögensverwaltung hinausgehenden steuerschädlichen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gehören (§ 13 a Abs. 1 Satz 2 KapStDV). Denn sollten in den Streitjahren solche Erstattungsansprüche entstanden sein, so sind sie jedenfalls erloschen.
aa) Für die Beurteilung dieser Frage ist die Vorschrift des § 152 Abs. 3 AO maßgebend (vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Anm. 1 zu § 153 AO). Danach erlischt der Anspruch auf Erstattung, falls nichts anderes bestimmt ist, wenn er nicht bis zum Ablauf des Kalenderjahres, das auf die Entrichtung folgt, geltend gemacht wird. Von dieser Vorschrift ist auszugehen, weil die die Erstattung von Kapitalertragsteuern regelnden Vorschriften der §§ 13, 13 a KapStDV über Fristen zur Geltendmachung von Erstattungsansprüchen nichts aussagen. Maßgebend ist deshalb auch die Auslegung, welche die Vorschrift des § 152 Abs. 3 AO in der Rechtsprechung des BFH gefunden hat.
Nach ständiger Rechtsprechung beginnt der Lauf der Ausschlußtrist erst, wenn der Erstattungsberechtigte die anspruchsbegründenden Ereignisse erkennen konnte und mußte (vgl. BFH-Urteil VI R 97/68, mit Rechtsprechungsübersicht). Wie in dieser Entscheidung ausgeführt ist, muß die Vorschrift des § 152 Abs. 3 AO deshalb so ausgelegt werden, weil eine enge, wortgemäße Auslegung der Vorschrift zu unbilligen Ergebnissen führen würde, wenn der Erstattungsberechtigte ohne eigenes Verschulden erst spät von der Rechtswidrigkeit der Steuerentrichtung erfahren hat und darum den Erstattungsanspruch nicht früher geltend machen konnte. Diese Erwägung trifft indes auf Erstattungsansprüche, die im Falle rechtmäßiger Steuerentrichtung entstanden sind, in gleicher Weise zu. Auch für sie ist die Kenntnis des Steuerpflichtigen von dem anspruchsbegründenden Ereignis maßgebend. Daher gilt auch in diesen Fällen der Grundsatz, daß diese Kenntnis auch dann maßgebend ist, wenn der Steuerpflichtige das Ereignis rechtlich falsch beurteilt hat (vgl. BFH-Urteile vom 12. April 1967 VI R 27/66, BFHE 88, 402, BStBl III 1967, 434; VI R 97/68).
bb) Das anspruchsbegründende Ereignis war im Streitfall die behördliche Anerkennung der Gemeinnützigkeit der Klägerin. Sie wurde im Jahre 1967, alsbald nach der staatlichen Genehmigung des Stiftungsgeschäfts, ausgesprochen. Von diesem Zeitpunkt an hatte die Klägerin die Möglichkeit, den Erstattungsanspruch auch für das zurückliegende Jahr 1966 (das erste Streitjahr) geltend zu machen. Das ist nicht geschehen. Die Behauptung der Klägerin, sie habe bereits im Jahre 1965 einen Erstattungsantrag gestellt, muß als neues tatsächliches Vorbringen in der Revisionsinstanz unberücksichtigt bleiben. Die Klägerin hat nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) erst durch ihre Depotbank die Erstattung der Kapitalertragsteuer u. a. für die Streitjahre beantragt, nachdem das Sitz-FA (FA A) ihr die rückwirkende Freistellungsbescheinigung vom 5. Mai 1971 erteilt hatte. In diesem Zeitpunkt waren die Ausschlußfristen bereits abgelaufen.
Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, daß das Sitz-FA offenbar ebenfalls von der irrigen Ansicht ausging, daß, wenn nach Abschluß der Verhandlungen eine Freistellungsbescheinigung erteilt werde, diese die Grundlage für die Erstattung der entrichteten Kapitalertragsteuer auch mit Wirkung für die vergangenen Jahre bilden würde. Die Klägerin wäre nicht gehindert gewesen, nachdem sie die Anerkennung der Gemeinnützigkeit erlangt hatte, alsbald rechtzeitig die Erstattung zu beantragen, und zwar bei dem Beklagten als dem zuständigen Erstattungs-FA, und diese Anträge zum Gegenstand der Verhandlungen zu machen.
3. Die Klägerin hatte in der Vorinstanz die Ansicht vertreten, daß die Erstattung in einem Falle der vorliegenden Art aus Billigkeitsgründen gemäß § 131 AO gewährt werden müsse. Sie hat dieses Begehren in der Revisionsinstanz nicht weiterverfolgt. Der Senat hat zu dieser Frage nicht Stellung zu nehmen. Denn Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nur die Entscheidung der Frage, ob der Klägerin gegen das Erstattungs-FA ein Anspruch aus der Vorschrift des § 13 a KapStDV zusteht.
Fundstellen
Haufe-Index 72311 |
BStBl II 1977, 488 |
BFHE 1977, 447 |