Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsaufgabe - Ermittlung des gemeinen Werts eines Betriebsgrundstücks
Leitsatz (NV)
Der zur Ermittlung des Betriebsaufgabegewinns (§ 16 Abs. 3 EStG) anzusetzende gemeine Wert eines Grundstücks kann auch aus dem tatsächlich erzielten Kaufpreis bei einem zeitnahen Verkauf des zu bewertenden Grundstücks abgeleitet werden. Dies gilt allerdings nicht uneingeschränkt, wenn der Bemessung des Kaufpreises eine bestimmte bauliche Nutzungsmöglichkeit zugrundegelegt wurde und diese Nutzungsmöglichkeit tatsächlich noch ungewiß ist.
Normenkette
EStG § 16 Abs. 3
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Eigentümer und Betreiber des Kurhotels ,,A" in B. Es befand sich im Kurviertel der Stadt auf einem 14 240 qm großen Grundstück. Das Hotelgebäude war im Jahre . . . errichtet und durch eine Reihe von Anbauten im vorigen und diesem Jahrhundert erweitert worden. Als Kaufinteressent für das Grundstück trat zunächst die W-KG auf. Nachdem die Stadt B ihr eine 12geschossige Bebauung mit anderweitiger Nutzung in Aussicht gestellt hatte, verkaufte der Kläger das Grundstück am 14. Februar 1971 an die W-KG zum Preis von 3,2 Mio. DM. Der Erwerberin war ein Rücktrittsrecht bis zum 10. Februar 1972 für den Fall eingeräumt, daß sie die Baugenehmigung für das von ihr geplante Gebäude, das nach näherer Beschreibung im Vertrag u. a. über mindestens acht Geschosse verfügen sollte, nicht erhalten würde. Mit Schreiben vom 15. Juli 1971 teilte die Stadt B der W-KG auf deren Bauvoranfrage mit, daß sie ,,nicht in der Lage" sei, eine ,,positive Stellungnahme" zum geplanten Vorhaben abzugeben. Gegenwärtig sei zu erwarten, daß nach einem noch aufzustellenden Bebauungsplan ,,die Anzahl der zulässigen Geschosse spürbar herabgesetzt" werde.
Zum 30. September 1971 verpachtete der Kläger den Kurhotelbetrieb an seinen bisherigen Geschäftsführer und überführte das Grundstück in sein Privatvermögen. Auf der Grundlage eines Gutachtens des Gutachterausschusses beim Katasteramt für den Landkreis X vom 22. Dezember 1971 setzte der Kläger im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr den Entnahmewert mit 2,1 Mio. DM an. Das Gutachten ging von einem Bodenwert in Höhe von 914 800 DM und einem Wert des Gebäudes von 1,435 Mio. DM (insgesamt 2,35 Mio. DM) aus. Wegen des ,,sehr begrenzten Käuferkreises" machte der Kläger vom Gesamtwert einen Abschlag. Die W-KG trat am 9. Februar 1972 vom Kaufvertrag zurück.
Am 18. August 1972 machten D und E dem Kläger ein rechtsverbindliches Angebot zum Erwerb des Grundstücks ,,A" für 3,2 Mio. DM. Dieses Angebot nahm der Kläger am 11. Oktober 1972 an. Gleichzeitig erhöhten die Parteien den Kaufpreis um 800 000 DM auf 4 Mio. DM.
In den Jahren 1973 oder 1974 erhielten die Erwerber eine auf zwei Jahre befristete Baugenehmigung zur Errichtung eines acht- bis neungeschossigen Gebäudes, die sie wegen der allgemein bestehenden wirtschaftlichen Situation allerdings nicht nutzten. Im Jahre 1978 veräußerten sie das Grundstück für 2,93 Mio. DM an die Z-KG.
Im Anschluß an eine Außenprüfung nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) - ausgehend von dem Kaufpreis im Vertrag vom 11. Oktober 1972 - zunächst einen Grundstückswert im maßgeblichen Entnahmezeitpunkt zum 30. September 1971 von 3,6 Mio. DM an. Es ergingen entsprechend geänderte Einkommensteuerbescheide. Auf den Einspruch des Klägers minderte es den Entnahmegewinn um 700 000 DM. Es ging nunmehr von einem Grundstückswert von 2,9 Mio. DM aus. Dabei legte es den zunächst vereinbarten Kaufpreis von 3,2 Mio. DM zugrunde und nahm davon einen Abschlag von etwa 10 v. H. vor. Die Erhöhung auf 4 Mio. DM sah es als Spekulation der Erwerber an.
Die dagegen erhobene Klage, mit der der Kläger weiterhin auf der Grundlage der Bewertung des Gutachterausschusses den Wertansatz von 2,1 Mio. DM begehrte, hatte keinen Erfolg.
Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) aus, die bei einer Betriebsaufgabe in das Privatvermögen überführten Wirtschaftsgüter seien mit dem gemeinen Wert i. S. des § 9 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) anzusetzen. Der Kläger habe ein Baugrundstück in sein Privatvermögen überführt. Seit Anfang 1971 hätten die Beauftragten des Klägers mit der Stadt B wegen der zukünftigen Bebauung des Grundstücks verhandelt. Zur selben Zeit hätten sie das Grundstück auch zum Verkauf angeboten. Dadurch sei es zunächst zum Vertragsschluß mit der W-KG gekommen. Das Hotelgrundstück sei als Baugrundstück verkauft worden. Ob sich an der sich daraus ergebenden Bewertung durch den Rücktritt der W-KG etwas geändert habe, könne offenbleiben. Der Kläger habe das Grundstück weiterhin als Baugrundstück angeboten. Als solches sei es ebenfalls im Oktober 1972 veräußert worden. Aus den Kaufpreisen ergebe sich auch der gemeine Wert. Bei einer achtgeschossigen Bebauung sei ein Kaufpreis von 3,2 Mio. DM angemessen gewesen.
Daß ein Preis in dieser Höhe realistisch gewesen sei, zeige der schließlich im Oktober 1972 erzielte Kaufpreis von 4 Mio. DM, der nach Aussage des Zeugen E bei einer acht- bis neungeschossigen Bebauung wertgerecht gewesen sei. Daß der (zweite) Kaufvertrag vom Oktober 1972 - ohne Aussicht auf eine Baugenehmigung - lediglich in Spekulationsabsicht zustande gekommen sei, sei durch die etwa 1973 oder 1974 erteilte Baugenehmigung für eine acht- bis neungeschossige Bebauung mit 300 Wohneinheiten widerlegt.
Schließlich stehe auch das Gutachten des Gutachterausschusses vom 22. Dezember 1971 der abweichenden Bewertung des Grundstücks nach dem erzielten Kaufpreis nicht entgegen.
Mit der Revision rügt der Kläger Verstoß gegen § 9 Abs. 2 BewG i. V. m. § 16 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und gegen allgemeine Denkgesetze.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur weiteren Verhandlung und Entscheidung.
1. Zutreffend geht das FG davon aus, daß im Falle der Verpachtung der wesentlichen Betriebsgrundlagen und der Ausübung des Wahlrechts im Sinne einer Betriebsaufgabe im Streitfall von der Aufgabe des Teilbetriebs ,,Kurhotel A" auszugehen ist. Ferner ist dem FG darin zuzustimmen, daß der Begriff des gemeinen Werts i. S. von § 16 Abs. 3 Satz 3 EStG, wie er der Bemessung des Aufgabegewinns zugrunde zu legen ist (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 EStG), grundsätzlich der Begriffsbestimmung in § 9 Abs. 2 BewG entspricht. Danach wird der gemeine Wert durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse dürfen aber nicht berücksichtigt werden.
2. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) kann der gemeine Wert eines Grundstücks auch aus dem tatsächlich erzielten Kaufpreis bei einem zeitnahen Verkauf des zu bewertenden Grundstücks abgeleitet werden (vgl. Urteile vom 27. Februar 1985 I R 235/80, BFHE 143, 436, BStBl II 1985, 456, und vom 22. November 1968 III R 49/68, BFHE 94, 498, BStBl II 1969, 226). In einem solchen Fall darf allerdings der gezahlte Preis nicht als - für die Bestimmung des objektiven Verkehrswerts unbeachtlicher - Spekulationspreis anzusehen sein.
Der Wert eines Grundstücks wird wesentlich durch die Art und das Maß der baurechtlich zulässigen Nutzung bestimmt (vgl. Rössler / Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 14. Aufl., § 9 BewG Rdnr. 3). Wird der Preisbildung bereits die - tatsächlich nicht zulässige, aber erhoffte - Möglichkeit einer weitergehenden Nutzung zugrunde gelegt, könnte der vereinbarte Preis - jedenfalls zum Teil - als Spekulationspreis gewertet werden. Bestehen allerdings trotz der noch fehlenden baurechtlichen Voraussetzungen bereits objektive Anhaltspunkte für eine künftige Zulassung der Bebauung in dem bei der Preisvereinbarung vorausgesetzten Umfang und erscheint danach deren Realisierung als berechtigte Aussicht, dann kann sich daraus eine über den bestehenden Wert hinausgehende Wertsteigerung für das Grundstück rechtfertigen. Dies gilt im Falle einer erwarteten Erweiterung des Umfangs der baurechtlich zulässigen Nutzung bereits bebauter Grundstücke ebenso wie bei einer erstmaligen Zulassung der Bebauung. Eine greifbare oder ernstlich zu erwartende Erweiterung der baurechtlich zulässigen Nutzbarkeit eines Grundstücks ist ein bei der Bemessung des gemeinen Werts zu berücksichtigender Umstand.
Grundsätzlich verdichten sich Bauerwartungen dieser Art erst mit der Aufstellung eines Flächennutzungsplans, in dem sich die Zulassung einer bestimmten Bebauung abzeichnet. Daneben können Umstände außerhalb der öffentlichen Bauleitsplanung, wie etwa die Lage des Grundstücks und die bauliche Entwicklung der Gemeinde, als Anhaltspunkte für die Zulassung der erhofften Bebauung in Betracht kommen (vgl. Urteil in BFHE 94, 498, BStBl II 1969, 226, ein in unmittelbarer Nähe einer sich ständig ausdehnenden Großstadt gelegenes Landgut betreffend).
Das FG ist zur Ermittlung des gemeinen Werts davon ausgegangen, daß das Grundstück des Kurhotels ,,A" trotz gegebener Bebauung mit (in Betrieb befindlichen) Hotelgebäuden wie ein zur Bebauung vorgesehenes Grundstück behandelt werden müsse, da es die Absicht aller bekanntgewordenen Kaufinteressenten gewesen sei, die bestehenden Baulichkeiten abzureißen und an deren Stelle Gebäude gänzlich anderer Nutzungsart (Großwohnanlage mit Eigentumswohnungen) zu errichten. Weiterhin ist das FG (stillschweigend) davon ausgegangen, daß die im Zeitpunkt beider über das Grundstück abgeschlossenen Kaufverträge (vom 14. Februar 1971 mit der W-KG und vom 11. Oktober 1972 mit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts - GbR - D und E) noch bestehende Nutzung als Hotelbetriebsgrundstück bei der Wertermittlung unberücksichtigt bleiben müsse. Des weiteren hat das FG aus den Nutzungsabsichten der präsumptiven Käufer gefolgert, daß der von ihnen jeweils bewilligte Kaufpreis für die Wertbemessung zugrunde zu legen sei. Es kommt im einzelnen bezüglich des Kaufvertrages mit der W-KG zu der Beurteilung, daß der Kaufpreis von 3,2 Mio. DM bei einer achtgeschossigen Bebauung angemessen sei. Mit diesem Kaufvertrag habe das Grundstück die für die Wertbemessung maßgebliche Eigenschaft als Baugrundstück erhalten und nicht wieder verloren, denn der Kläger habe das Grundstück weiterhin ,,als Baugrundstück behandelt".
Diese Überlegungen des FG stehen mit den Bewertungsgrundsätzen nicht im Einklang. Im Zeitpunkt der Entnahme des Hotelgrundstücks in das Privatvermögen am 30. September 1971 bestand zwar schon der Kaufvertrag mit der W-KG (vom 14. Februar 1971).
Jedoch hatte sich die W-KG den Rücktritt von diesem Vertrag bis zum 10. Februar 1972 für den Fall vorbehalten, daß ihr nicht mindestens eine achtgeschossige Bebauung des Grundstücks von der Baubehörde genehmigt werden würde. Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang, daß der Gutachterausschuß beim Katasteramt für den Landkreis X das Hotelgrundstück und die aufstehenden Betriebsgebäude in diesem Zeitabschnitt bewertet hatte, dabei in seinem Gutachten vom 22. Dezember 1971 eine Bewertung der vorhandenen Sachwerte vorgenommen hatte und nicht von den Bauerwartungen der W-KG ausgegangen war (Schätzung des Grundstücks mit 914 800 DM und der Gebäude mit 1,435 Mio. DM), muß hieraus gefolgert werden, daß die W-KG den höheren Preis von 3,2 Mio. DM deshalb zu zahlen bereit war, weil sie die bisherige Nutzung durch eine andere zu ersetzen hoffte. Dies hat der Käufer W als Zeuge ausdrücklich bestätigt. In diesem Punkte hing sie jedoch völlig von einer entsprechenden baurechtlichen Genehmigung der Gemeinde ab, die ihr mit der verklausulierten Ablehnung im Schreiben der Gemeinde vom 15. Juli 1971 praktisch versagt wurde. Da offensichtlich eine Änderung in der Haltung der Gemeinde nicht zu erwarten war, trat die W-KG zum Ablauf der vertraglich vereinbarten Rücktrittsfrist vom Kaufvertrag zurück.
Entgegen der Auffassung des FG kann ein solches gescheitertes Kauf- und Bauprojekt nicht zur Wertbemessung herangezogen werden. Der Wertunterschied zwischen der Schätzung des Gutachterausschusses vom 22. Dezember 1971 auf 2,1 Mio. DM und dem Kaufpreis von 3,2 Mio. DM in Höhe von 1,1 Mio. DM war nach der gegebenen Sachlage in der Nutzungserwartung der W-KG begründet, die aber von der erwähnten, jedoch von der Gemeinde nicht erteilten baurechtlichen Genehmigung abhing. Mit dem Rücktritt der W-KG vom Kaufvertrag war einer Verwendung des von ihr bewilligten Kaufpreises als Wertbemessungsmaßstab die Grundlage entzogen, was erklärt, daß der Gutachterausschuß die vorhandenen und tatsächlich auch als solche genutzten Hotelbetriebsgebäude sowie den Grund und Boden einer Bewertung nach dem Sachwertverfahren unterworfen hat. Es kann daher nicht der Auffassung des FG beigetreten werden, das Grundstück des Kurhotels A sei aufgrund des Kaufvertrages mit der W-KG zu einem Baugrundstück geworden und ein solches auch nach dem Wegfall dieses Vertrages geblieben.
Auch der - ca. ein Jahr nach der Entnahme (zum 30. September 1971) liegende - zweite Kaufvertrag (Kaufangebot über 3,2 Mio. DM vom 18. August 1972 und dessen Annahme durch den Kläger am 11. Oktober 1972) ist nicht geeignet, einen auf den Entnahmezeitpunkt zurückwirkenden wertbestimmenden Umstand abzugeben.
Als solcher wäre - wie schon dargelegt - ein baurechtlich genehmigter höherer Ausnutzungsgrad anzusehen, der nach den Bekundungen der Zeugen D und E für ihre Kaufentscheidung ebenfalls maßgeblich war. Wenn das FG ausführt, daß es den beiden vorgenannten Käufern erst im Jahre 1973 oder gar erst im Jahre 1974 gelang, die Gemeinde umzustimmen und die Genehmigung für eine höchstens achtgeschossige Bebauung zu erlangen, so belegt dies nicht eine bereits bei Abschluß des Kaufvertrages im Jahre 1972 bestehende Gewißheit der Käufer, eine geänderte Haltung der Gemeinde herbeiführen zu können. Bei dieser Sachlage besteht keine Möglichkeit, eine bei Kaufabschluß im Jahre 1972 nicht bekannte Sinnesänderung der Gemeinde auf den Entnahmezeitpunkt vom 30. September 1971 zurückwirken zu lassen. Die in diese Richtung gehende Würdigung durch das FG ist nicht möglich. Das Urteil war deshalb aufzuheben.
Die Sache ist nicht spruchreif. Für die Bestimmung des gemeinen Werts, den das Hotelgrundstück im Entnahmezeitpunkt hatte, sind vom FG neue tatsächliche Feststellungen zu treffen und zu würdigen. Das Gutachten des Gutachterausschusses beim Katasteramt des Landkreises X vom 22. Dezember 1971 kann dabei ein wichtiges Erkenntnismittel sein, ohne jedoch für das FG eine verbindliche Aussage darzustellen, zumal die Heranziehung geeigneter Vergleichswerte aus der Kaufpreissammlung fehlt (vgl. § 194 f. des Bundesbaugesetzes, §§ 3 ff. der Wertermittlungsverordnung).
Fundstellen
Haufe-Index 416318 |
BFH/NV 1990, 88 |